Tarifeinheit

Tarifeinheit

Unter dem Begriff Tarifeinheit wird der Rechtsgrundsatz verstanden, dass in einem Arbeitsverhältnis oder in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag anzuwenden ist. Es handelt sich um eine Kollisionsregel für den Fall der Tarifkonkurrenz in einem Arbeitsverhältnis (Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis) oder für den Fall der Tarifpluralität in einem Betrieb (Tarifeinheit im Betrieb), also für solche Fälle, in denen mehrere Tarifverträge auf denselben Sachverhalt anwendbar sind.

Der Grundsatz der Tarifeinheit war in Deutschland bis Anfang 2010 aufgrund einer über Jahrzehnte andauernden ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geltendes Recht. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung bestimmte damit den anzuwendenden Tarifvertrag, wenn mehrere Tarifverträge dieselbe Tätigkeit regelten. Am 27. Januar 2010 veröffentlichte das Bundesarbeitsgericht aber eine Pressemitteilung, welche die Absicht des 4. Senates erklärte, im Falle der Tarifpluralität nicht mehr an der bisherigen Rechtsprechung festhalten zu wollen.[1] Am 23. Juni 2010 schloss sich auch der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichtes in zwei Beschlüssen dieser geänderten Rechtsauffassung an und kippte damit schließlich den Grundsatz für den Fall der Tarifpluralität.[2][3][4] Es gebe keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen könnten.

Tarifkonkurrenz

In Fällen der Tarifkonkurrenz wird ein Arbeitsverhältnis von mehreren Tarifverträgen erfasst, die dieselben Regelungsmaterien enthalten. Zu unterscheiden ist hierbei nach der Ursache der Konkurrenz: Die jeweiligen Tarifparteien können die kollidierenden Tarifverträge „autonom“ abgeschlossen haben, etwa wenn ein Verbandstarif und ein Firmentarifvertrag vorliegen. Die andere Möglichkeit ist, dass die Tarifkonkurrenz durch staatliche Einflussnahme verursacht wurde. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn es neben einem Firmentarifvertrag noch einen nach § 5 Abs. 4 TVG für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag gibt, oder wenn der Arbeitgeber trotz Verbandwechsels nach § 3 Abs. 3 TVG an den bisherigen Tarifvertrag gebunden bleibt.[5] Die Rechtsprechung stellt in diesen Fällen nach dem Grundsatz der Spezialität die Tarifeinheit im Arbeitsverhältnis her. Danach ist der Tarifvertrag anzuwenden, der dem Betrieb räumlich und fachlich am nächsten steht. Dabei hat der Firmentarifvertrag Vorrang vor dem Verbandstarifvertrag, der fachspezifische vor dem fachübergreifenden und der regionale Tarifvertrag vor dem überregionalen.[6] Kann durch das Spezialitätsprinzip kein Vorrang eines Tarifvertrages festgestellt werden, wird der Tarifvertrag angewendet, welcher die meisten Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasst (Mehrheitsprinzip).[7]

Tarifpluralität

Davon zu unterscheiden sind die Fälle der Tarifpluralität. Sie liegt vor, wenn mehrere Tarifverträge für unterschiedliche Arbeitsverhältnisse eines Betriebes Geltung beanspruchen, der Arbeitgeber also doppelt tarifgebunden ist.[8] Ein Beispiel dafür ist, dass der Arbeitgeber gleichzeitig an einen Verbandstarifvertrag und einen Firmentarifvertrag mit einer anderen Gewerkschaft gebunden ist. Möglich ist auch, dass dieser Verbandstarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Die Rechtsprechung löst Tarifpluralitäten trotz massiver Kritik aus dem Schrifttum[9] wie Tarifkonkurrenzen (s. o.) grundsätzlich nach dem Prinzip der Tarifeinheit auf. Der Grundsatz lautet also „ein Betrieb – ein Tarif“. Insbesondere zur Wahrung der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit müsse auf den gesamten Betrieb bezogen ein einzelner Tarifvertrag gelten. Welcher das ist, ergibt sich aus dem Grundsatz der Spezialität.[10] Kritisiert wird daran vor allem, dass dieser Eingriff in die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG) des Arbeitnehmers und der (verdrängten) Gewerkschaft verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sei. Insbesondere werde ein Arbeitnehmer, der in der „verdrängten“ Gewerkschaft organisiert ist um die „Früchte seiner Koalition“ gebracht und fällt auf den Status eines Nicht-Organisierten zurück, wenn keine Bezugnahmeklausel vereinbart wird.[11]

Quellen

  1. Pressemitteilung BAG vom 27.Januar 2010. BAG, abgerufen am 2. Februar 2010.
  2. Aktenzeichen: 10 AS 2/10 und 10 AS 3/10
  3. http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2010&nr=14424&pos=0&anz=46
  4. http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE65M0B420100623
  5. Junker, Abbo: Grundkurs Arbeitsrecht, 6. Auflage, München 2007, Rn. 559
  6. Wiedemann/Arnold, ZTR 1994, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität des BAG, S. 402
  7. BAG vom 4. Dezember 2002 - 10 AZR 113/02
  8. Jacobs, Matthias: Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, Berlin 1999, S. 99 ff.
  9. Überblick in Fenn, Herbert; Festschrift Kissel, München 1994, S. 229 ff.
  10. Giesen, Richard: Beck'scher Online Kommentar- Arbeitsrecht § 4 TVG Rn. 16.
  11. BAG AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz, Blatt 3.

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