- Bandscheibenvorfall
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Klassifikation nach ICD-10 M50 Zervikale Bandscheibenschäden M51 Sonstige Bandscheibenschäden ICD-10 online (WHO-Version 2011) Der Bandscheibenvorfall (lat. Prolapsus nuclei pulposi, Discushernie, Discusprolaps, auch Bandscheibenprolaps, BSP) ist eine Erkrankung der Wirbelsäule, bei der Teile der Bandscheibe in den Wirbelkanal – den Raum, in dem das Rückenmark liegt – vortreten. Im Gegensatz zur Bandscheibenprotrusion (Vorwölbung) wird beim Prolaps der Faserknorpelring der Bandscheibe (Anulus fibrosus) ganz oder teilweise durchgerissen, während das hintere Längsband (Ligamentum longitudinale posterius) intakt bleiben kann (sogenannter subligamentärer Bandscheibenvorfall).
Die Ursache ist oft eine Überlastung bei Vorschädigung der Bandscheiben, ein Bandscheibenvorfall kann aber auch ohne äußeren Anlass auftreten. Symptome des Bandscheibenvorfalls sind starke, häufig in die Extremitäten ausstrahlende Schmerzen, oft mit einem Taubheitsgefühl im Versorgungsgebiet der eingeklemmten Nervenwurzel, gelegentlich auch Lähmungserscheinungen. Eine Behandlung ist meistens konservativ möglich, schwere Vorfälle müssen operativ behandelt werden.
Inhaltsverzeichnis
Ursachen
Bandscheiben sind bradytrophe Gewebe, das heißt, sie werden nicht direkt aus dem Blutkreislauf heraus mit Nährstoffen versorgt, sondern durch Diffusion. Hierbei spielen semipermeable Membranen, welche die Knorpelringe voneinander trennen, die entscheidende Rolle. Durch Scherkräfte können diese Membranen einreißen, wodurch sie ihre Funktion verlieren und die Bandscheibe nebst Gallertkern der Bandscheibe (Nucleus pulposus) austrocknet (black disc lesion). Wenn es zu einem Bandscheibenvorfall kommt, ist der Gallertkern praktisch nicht mehr in seiner ursprünglichen Form vorhanden. Der Bandscheibenvorfall entsteht also zumeist auf dem Boden einer langjährigen Vorschädigung der Bandscheibe. Der Gallertkern (ca. 80 % Wasser) besteht bei der gesunden Bandscheibe aus einem gallertigen, zellarmen Gewebe und übernimmt bei Belastung zusammen mit den Knorpelringen und den Membranen die Funktion einer hydraulischen Kugel („Wasserkissen“). Die Wirbelkörper und Bandscheiben vorne ermöglichen zusammen mit den kleinen Wirbelgelenken hinten („Facettengelenke“) die hohe Beweglichkeit der gesamten Wirbelsäule und ihre hohe Stabilität.
Die menschliche Wirbelsäule hat 23 Bandscheiben. Zwischen dem ersten Wirbel (lat. Atlas) – von oben gezählt – und dem zweiten Wirbel (Axis) ist keine Bandscheibe ausgebildet. Damit wird dem Kopf beim Nicken (Atlas) und Drehen (Axis) die erforderliche Bewegungsfreiheit gegeben. Außerdem konzentrieren sich dort wesentliche Nervenstränge und die Blutversorgung zum Kopf.
Es gibt verschiedene Ursachen für einen Bandscheibenvorfall: genetische Schwächen, einseitige Belastungen oder eine Schwäche der paravertebralen, das heißt neben den Wirbeln gelegenen, Muskulatur. Die ausschließlich unfall- oder verletzungsbedingte Schädigung der Bandscheibe ist bislang nicht als Ursache nachgewiesen – dem widersprechende Argumentationen werden von Berufsgenossenschaften und Sozialgerichten höchst selten anerkannt. Gesundes Bandscheibengewebe soll nach gängiger Meinung, wenn überhaupt, mit einem Stück Knochen zusammen aus dem Wirbelkörper ausreißen. Häufig tritt ein Bandscheibenvorfall auch während einer Schwangerschaft auf. Eine weitere Ursache, die das Vorfallen von Bandscheiben begünstigt, ist der aufrechte Gang des Menschen. Es gibt viele alte Menschen von über 90 Jahren, die in ihrem arbeitsreichen Leben niemals Beschwerden an der Wirbelsäule beziehungsweise den Bandscheiben hatten. Dagegen gibt es Kinder, die schon einen Bandscheibenvorfall erleiden mussten.
Mögliche Ursachen für den rasanten Anstieg von Bandscheibenvorfällen in der heutigen Zeit sind Bewegungsmangel und Fehlhaltungen, vor allem bei Büroarbeiten. Übergewicht ist eher kein Risikofaktor, denn dicke Personen neigen aufgrund des Bauchgewichts zu einer ausgeprägten Nach-Vorn-Wölbung der Lendenwirbelsäule, die Bandscheibenvorfälle verhindert.[1]
Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 40 Jahren, die am häufigsten betroffenen Wirbel liegen im Lendenwirbelbereich. Weniger häufig betroffen sind Halswirbel und nur sehr selten die Brustwirbel. Das Verhältnis ist etwa 100 zu 10 zu 1.
Symptome
Symptome des Bandscheibenvorfalls sind starke, häufig in ein oder beide Arme (Brachialgie) oder in ein oder beide Beine (Ischialgie, Cruralgie) ausstrahlende Schmerzen, oft mit einem Taubheitsgefühl im Versorgungsgebiet der eingeklemmten Nervenwurzel. Gelegentlich können auch Lähmungserscheinungen an den Gliedmaßen in den sogenannten Kennmuskeln auftreten. In Extremfällen kann es zu einem Querschnittsyndrom kommen, wenn das Rückenmark oder die Cauda equina geschädigt werden. Bei einem Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule können dadurch Stuhl- und/oder Harninkontinenz sowie Reithosenanästhesie auftreten.
Diagnostik
Dies ist ein CT-Bild eines verschlissenen Bandscheibenraumes. Rechts unten im Bild ist auf der Übersichtsaufnahme die Lage des Schnittes eingetragen. Der Knochen erscheint bei dieser Auswertung weiß, die Muskulatur ist dunkelgrau, das Bandscheibengewebe etwas heller. Der gezackte, schwarze Fleck wird als „Vakuumphänomen“ bezeichnet, das zerstörte Bandscheibengewebe ist hier durch Gas ersetzt. Abhängig von der Lage des Schnittbildes ist der dorsale (rückenseitige) Bereich des Wirbelkörpers noch angeschnitten. Das hellgraue Bandscheibengewebe überragt die Hinterkante des Wirbelkörpers und bedrängt den Duralsack. Der etwa dreieckige Querschnitt des Spinalkanals ist im hinteren Bereich vom Ligamentum flavum („gelbes Band“) ausgekleidet. Degenerative Veränderungen können dazu führen, dass sich dieses Ligamentum flavum verdickt und den Spinalkanal zusätzlich verengt. Ein Bandscheibenvorfall kann sich symptomlos ereignen und wird unter Umständen gar nicht erst entdeckt. Untersucht man Menschen, die nie wesentlichen Ärger mit der Wirbelsäule hatten, mittels MRT oder CT, finden sich bei 25 bis 28 Prozent dieser „gesunden“ Menschen Bandscheibenvorfälle. Der Umkehrschluss, einen bei einer bloßen Ischiasreizung gefundenen Bandscheibenvorfall als den Quell des Übels anzusprechen und zu operieren, kann daher falsch sein.
Die häufigsten Symptome sind starke Schmerzen (sowohl im Rückenbereich wie auch zu den Beinen ausstrahlend, im Fall der Lendenwirbelsäule), manchmal auch Empfindungsstörungen (Parästhesien) und/oder Lähmungen. Diese äußern sich bei betroffenen Lendenwirbelbandscheiben häufig durch Taubheitsgefühl (pelzig) in den Füßen und Unterschenkeln und Gangunsicherheit. Häufig betroffen ist die Muskulatur, die den Fuß, die Zehen oder den Fußaußenrand hebt.
Die Schmerzen lassen (etwas) nach, wenn man sich in die Rückenschonhaltung begibt. Nachlassende Schmerzen bei fortschreitender Lähmung sind ein schlechtes Zeichen, dann sind die sensorischen (schmerzleitenden) Fasern schon zerstört und die robusteren motorischen Fasern folgen nun.
Ein Neurochirurg, Orthopäde oder Neurologe kann die Diagnose stellen. Ein Bandscheibenvorfall kann zu einem positiven Lasègue-Zeichen und Kernig-Zeichen führen. Häufig wird diese durch bildgebende Verfahren unterstützt. Eine rasche Behandlung kann schädliche Folgen (etwa einen auf Dauer abgeschwächten Fußheber) minimieren. Ein Arzt sollte daher auf jeden Fall aufgesucht werden.
Behandlung
Sowohl konservative Behandlung (Physiotherapie – Chiropraktik – Streckgeräte) als auch die seltenere Beseitigung des auf die Nervenwurzel drückenden Bandscheibenteils mittels einer Operation können zum Erfolg im Sinne der Entlastung der Nervenwurzel führen. Auch sogenannte minimal-invasive Eingriffe und mikrochirurgische Verfahren, wie die Perkutane Laser-Diskus-Dekompression (PLDD), gehören in diesem Zusammenhang genannt. Noch seltener erfolgt eine Versteifung benachbarter Wirbelkörper durch eingebrachtes Metallmaterial (Spondylodese).
In den meisten Fällen (ca. 90 %) führt eine konservative Behandlung mit Schonung und schmerzstillenden Medikamenten zum Erfolg. Wärme in Form von Packungen oder Bädern wird zumeist als angenehm empfunden. Im Verlauf sind Physiotherapie und schonende sportliche Betätigung zum Muskelaufbau notwendig beziehungsweise sinnvoll. Kommt es im Verlauf von etwa sechs Wochen zu keiner entscheidenden Besserung der Beschwerden, sollte ein Neurochirurg oder ein in der Bandscheibenchirurgie versierter Orthopäde konsultiert werden.
Ob operative Maßnahmen im Einzelfall erforderlich sind, ist umstritten: es gibt Einschätzungen, wonach über 80 Prozent der Bandscheibenoperationen überflüssig sind und vermieden werden könnten. Hier wird allgemein die „strenge Indikationsstellung“ für sinnvoll gehalten. Schwere neurologische Schäden, im EMG nachgewiesene Lähmungen, das sogenannte Cauda-equina-Syndrom erfordern eine möglichst rasche Bandscheibenoperation, auch Nukleotomie genannt. Schmerzbehandlung auf operativem Weg ist meistens frustrierend.
Alleine in Deutschland werden jährlich etwa 30.000 Operationen an Bandscheiben vorgenommen. Auch weltweit ist die Bandscheibenoperation der häufigste neurochirurgische Eingriff. Falls keine Lähmungen vorliegen, gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Behandlungsresultaten dieses Eingriffs und dem konservativen (nicht-operativen) Vorgehen, wie etwa Akupunktur, Medikamente oder Physiotherapie. Dies ist das Ergebnis der weltweit größten klinischen Studie mit 1.244 Bandscheibenpatienten (Spine Patient Outcome Research (SPORT)). Nach wie vor gibt es aber in bestimmten Fällen zwingende Gründe für eine Operation.[2]
Grundsätzliches Behandlungsziel ist, dass auch die Ursachen eines Bandscheibenvorfalls korrigiert werden: Fehlhaltungen, Überbelastungen, Schwäche der Rumpfmuskulatur (man redet hier vom muskulären Korsett) usw. Viele Krankenhäuser und manche private Einrichtungen bieten sogenannte Rückenschulen an, um die Belastung der Wirbelsäule im Alltag zu minimieren (richtiges Heben, Entlastungsstellungen, Muskelkräftigung). Unter den vielen Therapie- und Diagnoseansätzen befinden sich die Alexander-Technik, Hatha-Yoga, das McKenzie-Konzept, die Spiraldynamik und die Akupunktur.
Vorbeugung
Da die sogenannte „Bindegewebsschwäche“ als primäre Ursache erblich ist, lässt sich einem Bandscheibenvorfall nur bedingt durch Muskelaufbau vorbeugen. Auch die Vermeidung von Unfällen wird sich nicht immer erreichen lassen. So bleibt für jeden Einzelnen jedenfalls die Möglichkeit eines konsequenten Muskelaufbaus durch gymnastische Übungen oder Sport, sowie die Vermeidung des Hebens schwerer Lasten. Es gibt erlernbare Techniken, schwere Lasten „rückengerecht“ zu bewältigen, aber das Vermeiden solcher Aktionen ist nicht in jedem Beruf (z. B. Rettungsdienst) möglich. Bodybuilding und Fitnesstraining können problematisch werden, manche Studios haben weniger qualifiziertes Personal, so dass die Anleitungen dort nicht immer hilfreich sind.
Erwähnenswert sind hier auch die „orthopädischen Sportarten“, Schwimmen, Tanzen, Laufen (bzw. Joggen, Nordic Walking), Reiten und Radfahren. Ob nach einem Bandscheibenvorfall Sportarten wie etwa Reiten oder Laufen (auf asphaltiertem/zementiertem Untergrund) ebenso wie Radfahren in stark gebeugter Haltung unbedingt zu vermeiden sind, ist nach Erkenntnissen der modernen Sportmedizin stets vom individuellen Schadensbild abhängig.
Eine weitere Maßnahme zur Vorbeugung eines Bandscheibenvorfalls ist die richtige Ergonomie am Arbeitsplatz. Das gilt neben den körperlichen Arbeiten auch für Tätigkeiten, die im Sitzen verrichtet werden. Heutzutage gibt es viele ergonomische Lösungen für die Arbeit am Bildschirm, am Schreibtisch und Arbeiten, welche lange statische Sitzpositionen erfordern.
Quellen
- ↑ Doris Brötz, Michael Weller: Bandscheiben Aktiv-Programm. S. 34
- ↑ J. N. Weinstein u. a.: Surgical vs Nonoperative Treatment for Lumbar Disk Herniation. In: Journal of the American Medical Association. 296, 2006, S. 2441–2450. PMID 17119140
Literatur
- Doris Brötz, Michael Weller: Bandscheiben Aktiv-Programm. Trias, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-8304-3827-4.
Weblinks
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Wiktionary: Bandscheibenvorfall – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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