- Barockvioline
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Die Barockvioline (auch: Violine in alter Mensur und Kurzhalsgeige) entspricht der gängigsten Bauweise und der Klangästhetik, die in den ersten beiden Jahrhunderten nach dem ersten Auftreten der Violine üblich waren (ca. 1600–1800). Das Instrument wird seit Ende der 1950er Jahre wieder verstärkt in Abgrenzung zur modernen Violine verwendet (siehe Historische Aufführungspraxis). Der Begriff Barockvioline ist eher neueren Datums (die Musikenzyklopädie MGG führt ihn nicht) und eigentlich kunsthistorisch nicht korrekt, weil die Violine einige Jahrzehnte vor dem Beginn der Epoche des Barock in ihrer grundlegenden Form und Funktion entstand.
Die heute vorhandenen Barockviolinen lassen sich in drei Gruppen einteilen:
- original erhaltene Instrumente. Diese gibt es allerdings nur in geringer Zahl; einzelne Teile wie Saitenhalter, Steg u. a. sind ggf. rekonstruiert;
- alte Instrumente, die im 19. oder 20. Jahrhundert umgebaut wurden, um sie den dann herrschenden Klangvorstellungen anzupassen, und die später in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt wurden;
- neue Instrumente, die nach alten Vorlagen gebaut werden.
Inhaltsverzeichnis
Unterschiede zur modernen Violine
Die Unterschiede der Barockvioline zur modernen Violine sind:
- schlankerer sowie anders platzierter Stimmstock
- kürzerer und schlankerer Bassbalken
- kaum angewinkelter und etwas breiterer, flacherer Hals
- kürzeres Griffbrett, erst aus Buchsbaum-, später aus Ahornholz gefertigt, teils mit dünner Ebenholzauflage. Dies mit den darüber genannten Merkmalen, verlagert den Schwerpunkt der Violine.
- anders geformter Saitenhalter
- etwas dickere Decke
- Bespannung mit Darmsaiten (G-Saite meist mit Silberdraht umsponnen)
- bis zu 25% geringeres Gewicht
- andere Stegform in Höhe und Dicke, eine etwas flache Wölbung begünstigt das Akkordspiel [1]
- Je nach Gegend fand man variierende Stimmungen zwischen 392 Hz bis 466 Hz (Details siehe: Kammerton). Die Mehrzahl der aktuellen Ensembles haben sich aus rein praktischen Gründen auf 420 Hz für das barocke und auf 432 Hz für das klassische Repertoire geeinigt.
- unterschiedliche Bogenformen -längen, -gewichte und Gewichtsschwerpunkte
Klang
Der Klang der Barockgeige war im Gegensatz zur modernen Violine weniger genormt. Es bestanden zum Teil erhebliche Unterschiede in der Lautstärke. Der französische Schriftsteller François Raguenet berichtete, dass die Violinen in Italien bedingt durch dickere Saiten doppelt so laut klängen wie in Frankreich. [2] Georg Philipp Telemann berichtet in seiner Biografie von Musik in Wirtshäusern, bei der eine hochgestimmte Violine „ein halbes dutzend andre überschreien konnte".[3] Der amerikanische Musikwissenschaftler David D. Boyden äußert in seinem Standardwerk zur Geschichte des Violinspiels von 1971 die Meinung, man könne Ton und Klangqualität der alten Violinen nicht in Worten beschreiben, spekuliert aber, dass der Ton kleiner, weniger brillant, süßer und weniger metallisch gewesen wäre. [4] Eduard Melkus beschreibt 1973 den Klang der Barockvioline als „weich“, „transparent“ und „silbrig“. Der majestätische Klang der modernen Violine fehle. [5] Nikolaus Harnoncourt charakterisiert den Ton der Barockvioline gegenüber dem modernen Instrument als „leise, aber von süßer Schärfe“. [6]
Haltung und Spieltechnik
Im Gegensatz zum modernen Instrument wird die Barockvioline zumeist ohne Schulterstütze und Kinnhalter gespielt. Das Instrument wird direkt auf das Schlüsselbein oder die Schulter gelegt. In selteneren Fällen wird es, wie bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts üblich und auf alten Abbildungen ersichtlich, oberhalb der Brust gehalten. Diese Haltungen erfordern eine grundlegend veränderte Technik der linken Hand beim Lagenwechsel.
Die andersartige Bauweise, die Darmsaiten, der historisch korrekte Bogen und die historische Spielweise führen zu einem sehr charakteristischen Klang, der stark von dem der modernen Violine abweicht. Sowohl die Beherrschung dieses Klangs als auch die entsprechende historische Aufführungspraxis und Spielhaltung erfordern eine darauf angepasste Spieltechnik, die heute an den meisten Musikhochschulen und in Meisterkursen gelehrt wird.
Zu den möglichen unterschiedlichen Bogenhaltungen schrieb Georg Muffat im Jahre 1698:
„In Angreifung des Bogens spielen die meisten Teutschen, indem sie die Haare mit dem Daumen nach Bedarf andrücken, und seyend hierinnen von den Welschen, als welche die Haare unberührt lassen, unterschieden.“
Historische Quellen für die Spielpraxis
Eine der wichtigsten Grundlagen für die originale Spielweise sind Notenhandschriften des 17. und 18. Jahrhunderts sowie historische Unterrichtswerke. Aus dem deutschsprachigen Raum sind zu erwähnen Leopold Mozarts „Versuch einer gründlichen Violinschule“ (1756). An junge Anfänger gerichtet, ist das 1695 in Augsburg entstandene Lehrwerk Daniel Mercks (1650–1713) „Compendium musicae instrumentalis Celicae: kurtzer Begriff welcher Gestalten die Instrumental-Music auf der Violin, Pratschen, Viola da Gamba und Bass gründlich und leicht zu erlernen seye“.
Bezüglich der Besaitung schreibt Michael Praetorius 1619 in seinem Syntagma musicum II S. 48, Abschnitt „VIOLN DE BRACIO“:
„Deroselben Baß= Tenor= und Discantgeig (welche Violino, oder Violetta picciola, auch Rebecchino genennet wird) seynd mit 4. Saiten...und werden alle durch Quinten gestimmet. Und demnach dieselbige jedermann bekandt/ ist darvon (außer diesem/daß wenn sie mit Messings= und Stälenen Saiten bezogen werden/ einen stillen und fast lieblichen Resonanz mehr als die anderen/von sich geben)“
Der „Versuch einer Anweisung die flûte traversière zu spielen“ von Johann Joachim Quantz ist zwar in erster Linie für die Querflöte gedacht, enthält aber auch zahlreiche Hinweise zum barocken Spielstil der Streichinstrumente.
In Mailand erschien 1645 „Il scolaro per imparar a suonare di violino“ von Gasparo Zanetti, 1791 in Rom Francesco Galeazzis „Elementi teoretico-pratici di musica con un saggio l'arte suonare il violino analizzata, ed a dimonstrabilis principi ridotta“.
John Lentons „The Gentleman's Diversion, or the Violin explained“ erschien 1698 in London, 1751 schließlich Francesco Geminianis „L'Arte del Violino“, das einen wichtigen Einfluss auf die damalige Violintechnik hatte.
In Frankreich erscheint 1636 Marin Mersennes Werk „Harmonie Universelle“, um 1738 in Paris dann Michel Correttes „L'École d'Orphée“, in der er wichtige Anweisungen zur zeitgenössischen Interpretation des italienischen und französischen Stils gibt. Das Werk „L'Art de se perfectionner sur le violon“ ist als Fortsetzung anzusehen. Um 1740 erscheint Guillaume-Pierre Duponts (1718–1778) „Principes de violon par demandes et par reponce“ („Fragen und Antworten zu den Prinzipien der Violine“). Giuseppe Tartini veröffentlichte 1771 in Paris „Traité des agréments de la musique“.
Literatur
- Das von Arnold Dolmetsch herausgegebene Werk „The Interpretation of the Music of the XVIIth and XVIIIth Century“ (London 1915) gehört zu den Erstwerken der Neuzeit über die historische Aufführungspraxis .
- David D. Boyden: Die Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761. (1971) ISBN 3-7957-2100-8
- Sol Babitz, (1957 und 1970) Differences Between Eighteenth-century and Modern Violin Bowing. Early Music Laboratory, Los Angeles
- Sol Babitz, (1974) Violin Fingering.
- Das Vibrato in der Musik des Barock. Graz 1988 ISBN 3-201-01398-6
- Deutsche Violintechnik im 17. Jahrhundert ISBN 3-201-01865-1
- Versuch einer gründlichen Violinschule von Leopold Mozart. Herausgeberin ISBN 3-7618-1238-8
Anmerkungen und Einzelnachweise
- ↑ Eduard Melkus, Die Violine 4.erweiterte überarbeitete Auflage 2000, S.174-182
- ↑ François Raguenet: Parallèle des Italiens et des François en ce qui regarde la musique et les opéras. 1702
- ↑ Georg Philipp Telemann:Autobiografie 1749. wikisource
- ↑ David D. Boyden:Die Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761. Mainz 1971
- ↑ Eduard Melkus: Die Violine. Mainz 1973
- ↑ Nikolaus Harnoncourt: Musik als Klangrede. Wien 1982, S. 186
Weblinks
Einige bekannte Barockviolinisten
- Chiara Banchini
- Amandine Beyer
- Pavlo Beznosiuk
- Julia Bishop
- Fabio Biondi
- Giuliano Carmignola
- Patrick Cohën-Akenine
- Lucy van Dael
- Florian Deuter
- Odile Edouard
- François Fernandez
- Enrico Gatti
- Sophie Gent
- Mira Glodeanu
- Reinhard Goebel
- Gottfried von der Goltz
- Richard Gwilt
- Alice Harnoncourt
- John Holloway
- Monica Huggett
- Sigiswald Kuijken
- Jeanne Lamon
- Marie Leonhardt
- Gunar Letzbor
- Rüdiger Lotter
- Catherine Mackintosh
- Florence Malgoire
- Andrew Manze
- Eduard Melkus
- Petra Müllejans
- Enrico Onofri
- David Plantier
- Rachel Podger
- Anne Röhrig
- Janine Rubinlicht
- Hélène Schmitt
- Jaap Schroeder
- Luis Otavio Santos
- Leila Schayegh
- Ingrid Seifert
- Midori Seiler
- Annegret Siedel
- Veronika Skuplik
- Simon Standage
- Cosimo Stawiarski
- Anton Steck
- Daniel Stepner
- Tuomo Suni
- Ryo Terakado
- Christoph Timpe
- Mary Utiger
- Pablo Valetti
- Henning Vater
- Elizabeth Wallfisch
Mehr und mehr Violinisten benutzen je nach Repertoire neben der modernen Violine die Barockvioline, z. B. Christian Tetzlaff, Thomas Zehetmair oder Maxim Wengerow. Letzterer spielt immer wieder Mozarts Violinkonzerte oder das Beethovenkonzert auf der Barockvioline.
Andere namhafte Violinisten entdecken die historische Aufführungspraxis bei den Werken alter Meister und setzen die Spieltechnik der Barockviolinisten auf herkömmlichen Instrumenten ein, wie Viktoria Mullova mit dem Mailänder Barockensemble „Il Giardino Armonico“.
Kategorien:- Bauform (Violine)
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