Urchristliche Gütergemeinschaft

Urchristliche Gütergemeinschaft

Urchristliche Gütergemeinschaft ist eine allgemeine Bezeichnung für das gemeinschaftliche Leben der Jerusalemer Urgemeinde. Im Laufe der Kirchengeschichte hat dieses in der Apostelgeschichte beschriebene Gemeindemodell immer wieder inspirierend gewirkt und zahlreiche Versuche hervorgebracht, als überzeugte Christen ganz oder teilweise in Gütergemeinschaft zu leben. Die Ausleger kommen jedoch zu verschiedenen Schlüssen darüber, wie radikal und wie verbindlich diese Gütergemeinschaft war.

Inhaltsverzeichnis

Der neutestamentliche Hintergrund

In der Apostelgeschichte gibt es einige Stellen, die oft als christliche Gütergemeinschaft der Jerusalemer Urgemeinde ausgelegt werden, insbesondere

Alle Gläubigen waren aber beisammen und hatten alle Dinge gemeinsam; sie verkauften die Güter und Besitztümer und verteilten sie unter alle, je nachdem einer bedürftig war. (Apg 2,45 EU)
Und die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; und auch nicht einer sagte, dass etwas von seinen Gütern sein eigen sei, sondern alle Dinge waren ihnen gemeinsam. (Apg 4,32 EU)
Es litt auch niemand unter ihnen Mangel; denn die, welche Besitzer von Äckern oder Häusern waren, verkauften sie und brachten den Erlös des Verkauften und legten ihn den Aposteln zu Füßen; und man teilte jedem aus, so wie jemand bedürftig war. Josef aber, der von den Aposteln den Beinamen Barnabas erhalten hatte (das heißt übersetzt: »Sohn des Trostes«), ein Levit, aus Zypern gebürtig, besaß einen Acker und verkaufte ihn, brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen.(Apg 4,34ff EU)

Die Geschichte von Hananias und Saphira (Apg 5,1–11 EU) wird oft dahin ausgelegt, dass die beiden sich dieser Gütergemeinschaft zu entziehen versuchten. Andere Ausleger weisen darauf hin, dass diese Gütergemeinschaft nach der Aussage des Petrus nicht allgemein verbindlich war. Hananias verkaufte ein Grundstück und brachte den Erlös den Aposteln, behielt aber heimlich einen Teil für sich. Petrus wirft ihm böswillige Täuschung vor: Hättest du es nicht als dein Eigentum behalten können? Und als du es verkauft hattest, war es nicht in deiner Gewalt?

Eine Reihe von Bibelauslegern lesen aus dem Hinweis auf Römer 15,25–29 EU, dass das Projekt der urchristlichen Gütergemeinschaft letztendlich gescheitert sei:

Jetzt aber fahre ich hin nach Jerusalem, um den Heiligen zu dienen. Denn die in Mazedonien und Achaja haben willig eine gemeinsame Gabe zusammengelegt für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem. Sie haben's willig getan und sind auch ihre Schuldner. Denn wenn die Heiden an ihren geistlichen Gütern Anteil bekommen haben, ist es recht und billig, dass sie ihnen auch mit leiblichen Gütern Dienst erweisen.

Mögliche Erklärungen

Die Frage, warum die Jerusalemer Urgemeinde als einzige der bekannten neutestamentlichen Gemeinden eine Art von Gütergemeinschaft praktiziert hat, wird in der Forschung unterschiedlich und zum Teil auch kontrovers beantwortet.

Als mögliche Erklärungen für diese Gütergemeinschaft werden beispielsweise angegeben:

  • Die Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde seien durch ihre Bekehrung zum Christentum aus dem traditionellen jüdischen Sozialsystem herausgefallen und dadurch mittellos geworden. Die Gütergemeinschaft wäre demzufolge eine Antwort auf die soziale Not bestimmter Gemeindeschichten gewesen.
  • Eine weitere These versucht die Gütergemeinschaft mit der Lebensgemeinschaft zwischen Jesus und seinen Jüngern zu erklären. Dieses Vorbild habe aus Gründen der Zeit- und Ortsnähe anfangs noch eine prägende Kraft entfaltet.
  • Die kritische Sicht von Reichtum und Besitz in der Verkündigung Jesu (Matthäus 19,24 EU) sieht ein weiterer Erklärungsversuch als Hauptursache für das Leben in ganzheitlicher Gemeinschaft.
  • Eine intensive Naherwartung der Wiederkunft Christi, wie sie in der Anfangsphase des frühen Christentums überall vorhanden war, wird ebenfalls als Grund angegeben. Angesichts „des Endes aller Dinge“ (1 Petr 4,7ff EU) hätten materieller Besitz und persönlicher Reichtum an Bedeutung verloren.

Art der Gütergemeinschaft

Ebenso gehen die Ansichten der Ausleger über das Ausmaß und die Verbindlichkeit dieser Gütergemeinschaft auseinander:

  • Manche Ausleger sehen diese Gütergemeinschaft als radikal und verbindlich: Jeder stellte sein ganzes Vermögen der Gemeinschaft als Kollektiveigentum zur Verfügung.
  • Andere sehen kein Kollektiveigentum, sondern eine großzügige, aber freiwillige Unterstützung der zahlreichen Armen durch die Reichen, die dafür Spenden den Aposteln zur Verfügung stellten – eine Unterstützung, die später durch andere christliche Gemeinden fortgesetzt wurde. Darin sehen sie sich bestärkt durch Apg. 5,4, wo Petrus Ananias darauf hinweist, dass er sowohl das Land als auch das Geld nach dem Verkauf hätte für sich behalten können. Die Eigentumsordnung der Jerusalemer Urgemeinde war dabei grundsätzlich eine privatwirtschaftliche, auf dem Besitz privaten Eigentums, privatwirtschaftlichem Erwerb und eigener Arbeit basierende Güterordnung. Dabei hatte der Privatbesitz jedoch die utilitaristische Funktion der Schaffung einer Gemeinschaft ohne Arme. Von einer Gütergemeinschaft, in der alle Gemeindemitglieder ihr Privateigentum zugunsten einer wie auch immer konstituierten, gemeinschaftlichen Besitzform oder eines kollektiven Verfügungsrechtes aufgegeben hätten, kann nicht die Rede sein.[1]
  • Für die Landverkäufe gibt es eine spezielle Deutung. Normalerweise wäre es im damaligen Wirtschaftssystem nicht sehr sinnvoll gewesen, Land zu verkaufen anstatt es zu bewirtschaften, ob einzeln oder gemeinsam. Aber für Juden war es damals sehr bedeutsam, in Jerusalem begraben zu sein, daher hatten sich viele fromme Juden von auswärts in Jerusalem eine Grabstätte, also ein Stück Land gekauft. Für die, welche sich zum Christentum bekehrt hatten, war der Besitz einer solchen Grabstätte jetzt bedeutungslos, also verkauften sie ihn zugunsten der Gemeinde.

Wirkungen

In den ersten Jahrhunderten des Christentums kam es oft vor, dass reiche Leute auf ihren Besitz verzichteten: In vielen Fällen, beispielsweise bei Antonius, Basilius von Caesarea oder Ambrosius von Mailand, war das Hauptmotiv dabei Unterstützung der Armen. Auch wenn der Betreffende später in einer asketischen Gemeinschaft lebte, war sein Vermögen nicht dieser Gemeinschaft zugekommen.

Die klösterliche Lebensform war ursprünglich eher von der Idee der Askese und der Abkehr von der Welt inspiriert als vom Vorbild urchristlicher Gütergemeinschaft. Dies spiegelt sowohl die Entstehungsgeschichte der Klosterbewegung als auch die traditionellen Mönchsgelübde (Gehorsam, Keuschheit, Armut). Allerdings nimmt die um 397 entstandene Regel des Bischofs Augustinus von Hippo deutlich Bezug auf die Apostelgeschichte: „Das ist es, was wir euch im Kloster gebieten. Das erste Ziel eures gemeinschaftlichen Lebens ist, in Eintracht zusammenzuwohnen und ein Herz und eine Seele in Gott zu sein. Deshalb nennt nichts euer eigen, sonderen alles gehöre euch gemeinsam“ (Augustinusregel, Kap. 1). Das ganze Mittelalter hindurch wird die Gütergemeinschaft immer wieder de facto aufgehoben und in Erneuerungsbewegungen in den Klöstern wieder aufgenommen. Im ausgehenden Mittelalter finden sich mönchische Bewegungen, die sich vermehrt am urchristlichen Ideal der Gütergemeinschaft orientieren (zum Beispiel: Brüder vom gemeinsamen Leben).

In der Neuzeit haben sich einige christliche Gemeinschaftstypen entwickelt, die die Gütergemeinschaft pflegen, beispielsweise die Hutterischen Brüder, die Diakonissen, evangelische Kommunitäten und Bruderschaften, die Fokolar-Bewegung und die Numerarier des Opus Dei.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Michael Schäfers: Prophetische Kraft der kirchlichen Soziallehre? Paderborn 1998, Seite 129

Literatur

  • Exegetische Kommentare zu Apg 2–5 unter Apostelgeschichte: Literatur
  • Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.): Alles gehört allen. Das Experiment Gütergemeinschaft vom 16. Jahrhundert bis heute. Beck'sche schwarze Reihe 289. Beck, München 1984, ISBN 3-406-09289-6
  • Hans-Dieter Plümper: Die Gütergemeinschaft bei den Täufern des 16. Jahrhunderts. Göppinger Akademische Beiträge Nr. 62, Verlag Alfred Kümmerle, Göppingen 1972. Gleichzeitig Dissertation an der Universität Würzburg.

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