Hutterianer

Hutterianer

Die Hutterer sind eine täuferische Kirche, die auf Jakob Hutter zurückgeht und deren Anhänger in Gütergemeinschaft leben. Ihre Lehre und Glaubenspraxis waren der Grund, weshalb ihre Mitglieder seit der Gründung im Jahr 1528 häufig emigrieren mussten. Heute leben die rund 50.000 Anhänger nahezu ausschließlich in den USA und Kanada. Sie sprechen noch immer das Hutterische – ein dialektal gefärbtes Deutsch – als Muttersprache.

Ortstafel von Oak Bluff

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Frühe Hutterer-Anklageschrift

Die Hutterer berufen sich gemeinsam mit den anderen Täufern auf die erste Gläubigentaufe in Zürich um 1525 als den Ausgangspunkt ihrer Geschichte. Mit ihrem Bekenntnis zur urchristlichen Gütergemeinschaft stellten sie innerhalb der taufgesinnten Bewegung einen eigenen Flügel dar. Unter den im ganzen Land verstreut lebenden Täufern taten sich Menno Simons in Norddeutschland und den Niederlanden sowie der aus dem Südtiroler Pustertal stammende Jakob Hutter in Süddeutschland als Führungspersönlichkeiten der Täufer hervor. Beide gründeten geschlossene Gemeinden, in denen sich verfolgte Glaubensanhänger niederlassen konnten. Ihre Anhänger entwickelten sich seitdem unabhängig voneinander und werden bis heute in Mennoniten und Hutterer unterschieden. Die Täufer wurden von der lutherischen, der reformierten, sowie der römisch-katholischen Kirche als Abtrünnige angesehen und deswegen verfolgt. Das durch Kaiser Karl V. 1529 erlassene Wiedertäufermandat verbot die Taufe der Taufgesinnten unter Androhung der Todesstrafe. Zahlreiche Täufer, darunter auch Jakob Hutter, ließen als Märtyrer ihr Leben.

Mähren (1528–1622)

Die Verfolgten bildeten Glaubensinseln von Gleichgesinnten in Gegenden, in denen Religionstoleranz herrschte. Die Hutterer ließen sich vor allem in Mähren nieder, wo sie wegen ihres Fleißes willkommen waren. Die Markgrafschaft Mähren wurde bis 1620 praktisch von einer Oligarchie des Adels regiert und es herrschte eine fast unbegrenzte religiöse Toleranz, im Gegensatz zu den meisten anderen habsburgischen Ländern. Schutz fanden die Täufer auf den Gütern der Herren von Liechtenstein, Žerotín, Leipa, Boskowitz, Kaunitz und Waldstein.[1] 1533 wurde Jakob Hutter zum Oberhaupt der Gemeinschaft in Auspitz gewählt und verwirklichte dort seine Vorstellungen einer urchristlich-kommunistischen Produktions- und Gütergemeinschaft. Nach seinem Tod war es vor allem Peter Riedemann, der die Kodifizierung der Lehre und Glaubenspraxis vorantrieb.

Bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges blühte das hutterische Gemeindeleben. Die Chroniken sprechen von den „guten Jahren“, manchmal auch von der „goldenen Zeit der Hutterer“. Aufgrund aktiver Missionstätigkeit lag die Zahl der Konvertiten über der in der Gemeinschaft Geborenen. Die Zugezogenen übten ihre erlernten handwerklichen Tätigkeiten auch in den Gemeinden aus. Unter anderem gab es Uhrmacher, Brauer, Schmiede, Glaser, Töpfer, Seil- und Siebmacher, Bergarbeiter, aber auch Chirurgen und Ärzte, alles Berufe, die heute von den Hutterern nicht mehr ausgeübt werden. Hutterische Ärzte besaßen ein hohes Ansehen. So ist überliefert, dass sich der kranke Sohn von Franz II. von Taxis im Jahre 1581 bei den Hutterern gesundpflegen ließ. Rund 100 Kolonien bestanden damals mit mindestens 20.000 Bewohnern. Die hutterischen Schulen waren ihrer Zeit weit voraus und auch Nichthutterer schickten ihre Kinder dorthin.

Während des Dreißigjährigen Krieges wurden die Hutterer immer wieder Ziel marodierender Landsknechte. Oft mussten sie sich in Wäldern oder Höhlen verstecken. Diese Höhlen (tschechisch: lochy) waren aufwendig konstruiert und verbargen ihre Bewohner hinter Gängen und Falllöchern in unterirdischen Wohnräumen, die mit verborgenen Ausgängen verbunden waren. 1622 befahl Kaiser Ferdinand II. den Hutterern, entweder zum katholischen Glauben überzutreten oder sein Land binnen vier Wochen zu verlassen. Damit begann die lange Wanderschaft der hutterischen Gemeinden.[2]

Niederösterreich (1538-1622)

Im niederösterreichischen Weinviertel gründeten einige Hutterer ein kleines Zentrum im Norden von Steinbrunn. Dort hatte das Adelsgeschlecht der Fünfkirchner die Grafschaft Falkenstein übernommen. Hans III. Fünfkirchen, sowie sein Sohn Johann Bernhard von Fünfkirchen waren Anhänger der Hutterer. Vor allem vertriebene Hutterer aus den umliegenden Gemeinden fanden hier Zuflucht. Im Jahr 1539 wurde die Bevölkerung von Soldaten Ferdinand I. überfallen und Teile der männlichen Bevölkerung nach Triest deportiert. Ein Teil davon konnte fliehen und kehrte zu den Familien zurück. Trotz jahrelangen Schwierigkeiten lebten Hutterer bis 1620 in dieser Region. Erst nach der Schlacht am Weißen Berg wurden auch die restlichen Hutterer vertrieben. Viele ließen sich daraufhin in der Slowakei nieder.[3] Die Geschichte der Hutterer in Niederösterreich und im angrenzenden Südmähren ist im Täufermuseum Niedersulz dokumentiert.

Ungarn (1546–1770)

Habaner (hutterische) Keramik

Die ersten Hutterer siedelten sich bereits im Jahre 1546 in Sabatisch (Sobotište), einem kleinen Ort, der zu Ungarn gehörte (heute Slowakei), an. Dabei stießen sie nicht auf einheimischen Widerstand, da sie als Pioniere Neuland erschlossen. Die Hutterer in dieser Gegend sind heute unter der Bezeichnung Habaner bekannt. Sie brachten das Handwerk der Fayenceherstellung in die Slowakei. Ihre Produkte werden heute als Habanerfayencen bezeichnet. Die Hutterer breiteten sich in der Region weiter aus und nahmen 1622 einige ihrer vertriebenen Glaubensbrüder auf.

Die übrigen Hutterer zogen weiter nach Siebenbürgen, wo sie sich in Unter-Winz (auch Alwünz, ungarisch Alvinc, rumänisch Vinţu de Jos) niederließen. Die Chronisten beschreiben diese Zeit als eine Zeit des Verfalls der Tradition und einer Abkehr vom Glauben. Durch die ständigen Kriege und die anhaltenden Plünderungen sahen sich die Hutterer schließlich im Jahre 1685 dazu veranlasst, ihre Gütergemeinschaft gänzlich aufzugeben. Die Gemeinschaft stand kurz vor ihrer Auflösung; zahlreiche Anhänger konvertierten nach Androhung von Zwang zum katholischen Glauben. Nur die Gemeinde in Siebenbürgen blieb von der Gegenreformation verschont. Dort traf im Jahr 1755 auch eine Gruppe von österreichischen Transmigranten ein, die von Kaiserin Maria Theresia wegen ihres protestantischen Glaubens zwangsumgesiedelt wurden und in Grosspold (rumänisch Apoldu de Sus) angesiedelt wurden, welches ganz in der Nähe von Unter-Winz liegt. Einige dieser aus Kärnten stammenden Landler, die davor nichts von der Existenz der Täufer gewusst hatten, waren von deren Prinzipien und Standhaftigkeit beeindruckt und schlossen sich diesen Hutterern an. Dadurch gaben sie der kleinen Gemeinschaft neue Impulse und auch die Gütergemeinschaft wurde 1762 neu eingeführt. [4] Zahlreiche Familiennamen der heutigen Hutterer, wie Kleinsasser, Hofer, Waldner, Wurz und Glanzer, gehen auf diese Zeit zurück. Die kleine Gruppe verbliebener Hutterer verließ das Land 1767 unter anhaltenden Repressionen endgültig in Richtung Russland.

Russland (1770–1874)

Nach einem kurzen Zwischenstopp in der Walachei nahmen die übriggebliebenen Hutterer das Angebot eines russischen Adligen Graf Rumjanzew an, sich auf seinem Land in der Ukraine anzusiedeln. Die Gruppe der in die Walachei Aufgebrochenen zählte lediglich 67 Anhänger, einige zurückgebliebene zogen später nach. Die Hutterer folgten dem Ruf der russischen Zarin Katharina der Großen, die unbewohnte Landstriche besiedeln wollte und Neusiedlern und deren Nachkommen Land und freie Religionsausübung versprach. So siedelten die Hutterer ab 1770 100 Kilometer nordöstlich von Kiew in Wischenka am Djessna-Fluss wieder in Gütergemeinschaft. Dort zogen nach und nach z. B. aus der Gefangenschaft entlassene Hutterer nach. Delegierte wurden ausgesandt. Daraufhin schlossen sich einige mennonitische Familien, deren Namen überliefert sind (Entz, Decker, Knels), ihrer Siedlung an. Nach dem Umzug der Gemeinde nach Raditschew kam es zu internen Streitigkeiten. Die Gemeinde verarmte zudem mit der Zeit und hatte auch mit dem Problem der Überbevölkerung zu kämpfen. Zeitweilig lebten fast 400 Siedler in der Gemeinde. Im Jahre 1818 kam es zu einem Bruch, der zur erneuten Aufgabe der Gütergemeinschaft führte. Zur Lösung ihrer Probleme nahmen sie die Hilfe der Mennoniten in Anspruch, welche in dieser Zeit Einfluss auf die Gestaltung der hutterischen Gemeinschaft nahmen. Es kam zur Spaltung zwischen Eigentümlern und Gemeinschaftlern. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bis 1874 schweißte die Gemeinde noch einmal zusammen. Sie entschloss sich auszuwandern. Die Wahl fiel auf Nordamerika, da sich dort bereits Mennoniten angesiedelt hatten. Die Auswanderung erfolgte in drei Wellen zwischen 1874 und 1879. Aus der ersten gingen die Schmiede-, aus der zweiten die Darius und aus der dritten Welle die Lehrerleut hervor. [5]

Nordamerika (seit 1874)

Michael Hofer: im US-amerikanischen Gefängnis gestorben

Über Hamburg und New York kamen die Hutterer nach South Dakota, wo sie sich wieder ansiedelten. Von den 1265 Übersiedlern gehörten nur rund 400 den Gemeinschaftlern an. Diese bildeten eigene Gemeinden, aus denen sich alle heutigen Gemeinden entwickelten. Die übrigen Übersiedler nahmen den Homestead Act in Anspruch und gingen als Prärieleute privat der Landwirtschaft nach. Die Prärieleute konnten keine gemeinsame Kultur bewahren; viele von ihnen schlossen sich im Laufe der Zeit den Mennoniten an.

Im Verlauf des Ersten Weltkrieges kam es zu Ausschreitungen gegen die deutsch sprechenden Hutterer. Sie wurden als den Deutschen zugehörig empfunden, außerdem lehnten sie es ab, den Militärdienst auszuüben. Zwei junge Hutterer starben, weil sie sich weigerten, Uniformen anzuziehen und deshalb im Winter viele Stunden nackt im Freien verbringen mussten. Darauf beschlossen die Hutterer, geschlossen nach Kanada auszuwandern. Der Prozess der Auswanderung (Verkauf der Ländereien, Erwerb neuer in Kanada) zog sich so lange hin, dass zum Ende des Krieges noch nicht der gesamte Besitz in den USA veräußert war.[6]

Trotz der Wirtschaftskrise in Kanada in den 1930er Jahren ging es den Hutterern wieder recht gut. In der Folge hatten sie ein starkes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen, das bis heute anhält. Aus der Krise in Russland hatten die Hutterer gelernt, dass zu große Gemeinden sich destruktiv auf den Zusammenhalt auswirkten. Eine Kolonie mit etwa 120 Bewohnern gründet deshalb eine Tochtergemeinde, in die die Hälfte der Bewohner umsiedelt. Jedoch sahen sich die Hutterer während des Zweiten Weltkrieges einer zunehmenden Feindseligkeit in der Bevölkerung, sowie einer diskriminierenden Gesetzgebung ausgesetzt. Deswegen wurden auch wieder neue Kolonien in den USA gegründet. Die drei Gruppen der Hutterer zeichnen sich durch einen unterschiedlichen Grad der Offenheit gegenüber ihrer Umwelt aus. Jedoch leben alle Hutterer bis heute relativ abgeschottet von der Außenwelt.

Die Vorsteher der Hutterer 1533–1762

  • Jakob Hutter oder Huter (Südtirol) 1533–1536, Hutter gilt als Gründer der Hutterer
  • Hanns Amon (Bayern) 1536–1542
  • Leonhardius Lanzenstil (Bayern) 1542–1565
  • Peter Rideman (Schlesien) 1542–1565, Rideman versah das Leitungsamt gemeinsam mit Lanzenstil
  • Andreas Ehrenpreis 1639–1662, Ehrenpreis gilt als „der 2. Gründer“ der hutterischen Bruderschaft
  • Tobias Bersch 1694–1701, Bersch gab die urchristliche Gütergemeinschaft um 1700 auf
  • Jakob Wolman 1724–1734, in Wolmans Amtszeit wurde in Lewärsch und Sabatisch die Kindertaufe eingeführt
  • Jergl Frank 1734–1746, Frank wurde abgesetzt
  • Zacharias Walther 1746–1761, Walther fiel in der Verfolgung von der hutterischen Lehre ab und trat zur Römisch-katholischen Kirche über
  • Heinrich Müller 1762, Müller wurde 1762 von römisch-katholischen Priestern in einem Kloster ermordet.[7]

Heutige Siedlungsgebiete

Heute (2005) gibt es etwa 465 Hutterer-Kolonien mit jeweils etwa 60 bis 150 Hutterern. Etwa drei Viertel leben in Kanada (British Columbia, Alberta, Manitoba, Saskatchewan), ein Viertel in den USA (Washington, Oregon, Montana, Nord-Dakota, Süd-Dakota und Minnesota). Fast alle von ihnen stammen von den 400 Hutterern ab, die nicht den Homestead Act von 1862 in Anspruch genommen haben.

Die damals in die USA einwandernden Hutterer hatten nur 15 Familiennamen: Decker, Entz, Glanzer, Gross, Hofer, Kleinsasser, Knels, Mändel, Stahl, Tschetter, Waldner, Walther, Wipf, Wollmann, Wurz. Seitdem sind nur wenige Menschen dauerhaft zu ihnen gestoßen.

Verschiedene Gruppen der Hutterer

Althutterer

Die Althutterer teilen sich in:

  • Schmiedeleut unter Michael Waldner, entstanden aus der Kolonie Bon Homme
  • Lehrerleut unter Jakob Wipf, entstanden aus der Kolonie Almspring
  • Dariusleut unter Darius Walther, entstanden aus der Kolonie Wolf Creek

Die Namen leiten sich aus den Namen der Anführer der ersten Kolonien ab. Waldner hatte vor seiner Einführung ins Amt des religiösen Oberhauptes die Position eines Schmieds inne, während Wipf Lehrer war.[8] 1992 kam es zu einer Abspaltung von den Schmiedeleut, deren Anhänger als Gibb-Hutterer bezeichnet werden.[9]

Darüber hinaus gab es die Prärieleut, etwa 800 der etwa 1200 in den 1880er Jahren in die USA eingewanderten Hutterer. Die Prärieleut machten vom damaligen Homestead Act Gebrauch, der jeder Familie, die eine selbstbewirtschaftete Farm gründen wollte, kostenfrei ein Stück Land zuwies, das sie innerhalb einer gewissen Frist zu bebauen hatten. Die Prärieleut verloren relativ schnell ihre hutterische Identität und ihren hutterischen Glauben. Sie scheinen durch die repressiven Maßnahmen während des Zweiten Weltkrieges gegen alle Deutschsprachigen in den USA endgültig aufgehört zu haben, als eigenständige Gruppe zu existieren. Heute gehören viele mennonitischen Kirchen an.

Neuhutterer

Eine Sonderrolle innerhalb der hutterischen Bewegung nehmen die Bruderhöfer oder Arnoldleut ein. Sie waren zeitweilig den Hutterern angeschlossen, sind aber seit 1995 wieder von ihnen getrennt. Die Bruderhöfer sind vom Ursprung her keine Hutterer. Ihre Gemeinschaft wurde in Deutschland im Jahre 1920 von Eberhard Arnold und seiner Frau Emmy Arnold in Sannerz, Hessen gegründet, wo sie sich 2002 mit einer Gemeinschaft wieder angesiedelt haben.

Weitere Neuhutterer sind die Murphy-Leut in Arizona (USA), die Juliusleut in Ontario (Kanada), die Owa-Leut in Japan und die Nigerialeut.

Gemeindeleben und Lehren

Die wörtliche Auslegung der Bibel bildet die Grundlage des Gemeindelebens. Neben einem arbeitsamen und keuschen Leben gehört dazu vor allem die Idee der urchristlichen Gütergemeinschaft. Die Gütergemeinschaft gründet sich auf die Apostelgeschichte: „Und alle, die da gläubig geworden waren, taten ihren ganzen Besitz zusammen“ (Apg 2,44 LUT).

Kriegs- und Wehrdienst wurden von den pazifistisch eingestellten Hutterern schon immer mit dem Hinweis auf die Bergpredigt verworfen, wobei dem Staat allerdings das Recht zugestanden wird, seine Existenz nach innen und außen mit Waffen zu schützen. Das in der Bibel erwähnte Bilderverbot wird von den Darius- und Lehrerleut auch auf das Fotografieren bezogen. Es ist nicht erlaubt, Fotos zu machen oder von sich machen zu lassen.[10] Hier ergeben sich immer wieder praktische Probleme mit staatlichen Stellen, etwa beim Ausstellen eines Reisepasses oder beim Erwerb eines Führerscheins.

Chor

Grundlage zur Bewahrung ihrer Kultur bilden neben der Bibel das hutterische Gesangbuch sowie die handschriftlichen, immer wieder reproduzierten Aufzeichnungen aus der Frühzeit der Hutterer (Geschichtbuch der Hutterischen Brüder). Das Gesangbuch enthält neben Liedern mit biblischen Bezügen auch solche, die die Geschichte der Hutterer zum Inhalt haben. Der Gesang spielt überhaupt eine wichtige Rolle im Gemeindeleben und trägt zur Identitätsbewahrung der Gemeinde bei.

Aufnahme in die hutterische Gemeinschaft

Die Aufnahme in die volle Gemeindemitgliedschaft erfolgt erst nach der Taufe, für deren Gültigkeit die freie Glaubensentscheidung des Täuflings unbedingte Voraussetzung ist. Eine Taufe von unmündigen Kindern wird deshalb strikt abgelehnt.

Mission

Eine aktive missionarische Verbreitung der hutterischen Lehren wurde in neuerer Zeit nahezu gänzlich aufgegeben. Eine Ausnahme bildet der in Nigeria gegründete Bruderhof. Dieser wurde als Missionsinstrument gegründet und wird von den Bruderhöfen in Nordamerika finanziell unterstützt.[11]

Ehe und Familie

Hutterinnen bei der Arbeit

Aus Gründen der Vermeidung von sozialer Inzucht sind die Ältesten der Kolonien für die Ehevermittlung zuständig. Die letzte Entscheidung über eine Eheschließung trifft die Familie der Braut. Diese zieht nach der Eheschließung in die Gemeinde ihres Ehemannes um.[12] Durch die über Jahrhunderte praktizierte Inzucht hat sich ein eigener Blutgruppenfaktor entwickelt, der in der Wissenschaft als „Waldner positiv“ bezeichnet wird.

Hutterer-Kolonien sind patriachal organisiert. In der Organisation des Gemeinschaftslebens arbeiten Mädchen und Frauen in Gebieten, die dem traditionellen Rollenverständnis der Geschlechter entsprechen: Kochen, Krankenpflege, Gartenarbeit, Kauf von Stoffen, aus denen die Kleidung der Gemeinschaft hergestellt wird, und deren Anfertigung.

Das gesamte Gemeinschaftsleben der Hutterer ist von einer strikten Geschlechtertrennung bestimmt.

Familien mit zehn bis zwölf Kindern sind keine Seltenheit. Die Geburtenrate der Hutterer gehört zu den höchsten der Welt. Bis heute werden in der Wissenschaft Rechenmodelle verwendet, in denen die Geburtenrate der Hutterer als Maximalwert integriert ist.[13]

Erziehung, Schule und Berufsausbildung

Klankinderschuel (Kindergarten)

Da sich bei den Hutterern auch die Frauen an der gemeinschaftlichen Arbeit auf dem Hof beteiligen, gibt es eine gemeinsame vorschulische Kinderbetreuung, die Klankinderschuel. In der Regel besuchen die Kinder diese ab einem Alter von zweieinhalb Jahren. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die lange Tradition dieser Einrichtung. Bereits im 16. Jahrhundert wurden die hutterischen Kinder in dieser Art betreut. Damit dürfte die Klankinderschuel zu einem der ältesten Vorläufer des Kindergartens zählen.

Kinder beim Lernen

Obwohl bei den Hutterern seit dem 16. Jahrhundert Schulpflicht besteht, schicken sie ihre Kinder nicht auf staatliche Schulen. Stattdessen haben sie ein eigenes Schulwesen entwickelt. Die Kinder werden sieben Jahre im Lesen und Schreiben sowie Rechnen ausgebildet. Die Ausbildung der jungen Hutterer ist mit dem 15. Lebensjahr abgeschlossen. Höhere Bildung streben die Hutterer nicht an, denn vorrangiges Ziel der Ausbildung ist das Eigenstudium der Bibel und die Ausbildung für die Arbeit auf dem Bruderhof. Lehrer genießen aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung für die Bewahrung der Tradition hohe Anerkennung in der Gemeinde.[14] Die Erziehung der Kinder, auch durch Stockhiebe, obliegt ihnen. In Kanada müssen die Kinder zusätzlich zum gemeinschaftlichen Unterricht staatlich verordnete Unterrichtsstunden besuchen. Dazu kommt in regelmäßigen Abständen eine staatlich anerkannte Lehrerin in die Gemeinde.

Nach der Schulzeit beginnt die Ausbildung in einem der Arbeitsbereiche der Gemeinde – zum Beispiel zum Schuster, zur Arbeit in der Landwirtschaft, oder auch zum Schulmeister. Ausbilder sind jeweils ältere Gemeindemitglieder, die in den entsprechenden Aufgabenfeldern langjährige Erfahrung haben. Pädagogisches Prinzip ist learning by doing. Prüfungen gibt es keine. Heutzutage besuchen einige wenige Gemeindemitglieder aufgrund der zunehmenden Technisierung in der Produktion, die Universität. Die Brandon University in Manitoba bietet eine eigene Lehrerausbildung für Hutterer an. Das Hutterite Education Program (BUHEP) wird jedoch nur von Teilen der weniger konservativen Schmiedleut angenommen.

Die hutterische Siedlung

Neue Kolonie

Die Hutterer siedeln in abgeschiedenen Gegenden und leben vor allem von der Landwirtschaft. Sie gründen eigene Gemeinden, die als Bruderhöfe bezeichnet werden. Ein solcher Bruderhof ist hoch funktional aufgebaut. Er besteht neben den Wohnhäusern aus der Küche mit gemeinsamem Speisesaal, dem Kindergarten und der Schule. Des Weiteren gibt es eine Reihe von Wirtschaftsgebäuden (Schmiede, Buchdruckerei, Schreinerwerkstatt) sowie Stallungen für Vieh, Schweine, Enten, Hühner und Gänse. Die Bruderhöfe sind stets nach demselben Muster gebaut. Auf einem Bruderhof leben gewöhnlich zwischen 120 und 150 Menschen. Wenn diese Anzahl erreicht ist, gibt es nicht mehr genug Arbeit für alle Mitglieder, so dass eine Teilung der Gemeinde erfolgt. Der Bruderhof erwirbt Land, das Inventar wird geteilt, und rund die Hälfte der Bewohner gründet einen neuen Hof. Dabei entscheidet über die Frage, welche der beiden Gruppen den Hof verlassen muss, das Los. Da die Geburtenrate überdurchschnittlich hoch ist, kommt es ungefähr alle 20 bis 25 Jahre zu einer solchen Neugründung.

Auf einem Bruderhof gibt es keine Arbeitslosigkeit und kaum Kriminalität. Alte, kranke oder behinderte Personen werden nicht isoliert, sondern nehmen, so gut es geht, am Gemeinschaftsleben teil. Die Hutterer nehmen die sozialen Wohlfahrtseinrichtungen, bis auf das Gesundheitssystem, nicht in Anspruch. In der landwirtschaftlichen Produktion benutzen die Hutterer modernste Methoden (Düngung, moderne Mähdrescher etc.). Die Überschüsse werden in der nächsten Stadt verkauft, die Gewinne für die nächste Neugründung der Gemeinde angespart. In Gegenden, wo es zahlreiche Bruderhöfe gibt, spielen die Hutterer oft eine nicht unerhebliche Rolle in der Landwirtschaft. [15]

Sterben in der Gemeinde

Der Tod eines Gemeindemitgliedes ist Anlass für die Mitglieder der umliegenden Gemeinden, der Totenfeier beizuwohnen. Dabei wird zwei Tage am Totenbett gewacht, gebetet, gesungen und gespeist. Der Tote wird anschließend auf einem eigenen Friedhof (dem Todtengarten) beigesetzt.

Die Hutterische Sprache

Trotz abnehmender hochdeutscher Sprachkompetenz sprechen alle Hutterer noch immer das Hutterische – ein dialektal gefärbtes Deutsch – als Muttersprache und verwenden ein altertümliches Hochdeutsch als Gottesdienstsprache. Ausgenommen hiervon sind insbesondere die Schmiedeleut-Hutterer, deren bilinguales deutsch-englisches Schulwesen am zeitgenössischen europäischen Hochdeutsch orientiert ist. Dieses wird in den Kolonie-Schulen auch für nicht-religiöse Zwecke gebraucht.

Herausforderungen im 21. Jahrhundert

Die Verdrängung der deutschen durch die englische Sprache könnte dazu führen, dass die Aufzeichnungen über die gemeinsame Geschichte der letzten 300 Jahre unverständlich werden. Es besteht die Gefahr, dass mit der Sprache auch ein Teil der Identität verloren geht. Auch die zunehmenden Kontakte mit der Außenwelt durch den Einzug neuer Kommunikationstechnologien (vor allem des Telefons) sowie die zunehmende Automobilisierung der Hutterer lassen in Zukunft eine stärkere Einflussnahme der amerikanischen Kultur auf das hutterische Gemeinwesen vermuten. Die Hutterer werden einen Weg finden müssen, mit diesen äußeren Einflüssen umzugehen, um zu vermeiden, dass jüngere Anhänger die Gemeinde verlassen.[16] Des Weiteren können die staatliche Gesetzgebung sowie schwankende Marktpreise große Auswirkungen auf die Stabilität der Kolonien haben. [17]

Gegenpositionen

Hutterer ordnen sich stark den Erfordernissen der Gemeinschaft unter. Kritisiert wird vor allem die fehlende Selbstbestimmung ihrer Anhänger. So sind die Mitglieder stark emotional an die Gruppe gebunden. Bestrafungen abweichenden Verhaltens können im Ausschluss aus der Gemeinde enden.[18] Die Gemeindemitglieder haben so gut wie keine Privatsphäre. Die Bewegungs- sowie die Meinungsfreiheit sind stark eingeschränkt. Die Glaubensausrichtung kann als fundamentalistisch bezeichnet werden.[19] Die Unterordnung der Frau unter den Mann sowie die strikte Geschlechtertrennung sind weitere Kritikpunkte. Da die Mitglieder relativ abgeschottet leben, gibt es so gut wie ausschließlich Partnerschaften zwischen den Hutterern. In einigen Gemeinden werden die Kinder in der Schule durch Prügelstrafen immer noch bestraft und gezüchtigt.[20]

Filmographie

  • Fremde Kinder. Kinder der Utopie, Dokumentarfilm von Klaus Stanjek, Deutschland 1999, 30 Minuten
  • Kommune der Seligen, Dokumentarfilm, 90 Min., Deutschland 2004, Regie: Klaus Stanjek, Erstausstrahlung: ZDF, Bester Dokumentarfilm der Bozener Filmtage 2005, [21]
  • Jakob Hutter und die Hutterer, Märtyrer des Glaubens[22], Dokumentarfilm, 82 Min., Österreich 2004, Regie: Thomas F. J. Lederer, Produzent: Louis Holzer, Taura Film

Literatur

Deutschsprachig

  • Allert, William Albert: Die Hutterer – Teile alles, vertraue auf Gott: Die Gemeinde von Surprise Creek lebt noch streng nach den Regeln ihrer Vorväter. In: National Geographic Deutschland. September 2006, S. 64-91.
  • Becker, Sibylle: Die Hutterer. Architektur eines vergessenen Volkes. In: Bauwelt. Bd. 28/29, 1989.
  • Brednich, Rolf Wilhelm: Die Hutterer: Eine alternative Kultur in der modernen Welt. Verlag Herder, Freiburg/Breisgau 1998.
  • Geldbach, Erich: Der reiche Mann und der arme Lazarus. Kanadisch-japanische Begegnung auf Hutter-Deutsch. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 34 (1982), S. 347-363
  • Holzach, Michael: Die Hutterer, Reportage über ein Jahr bei den deutschen Hutterern in Kanada. In: Geo Magazin. August 1978
  • Holzach, Michael: Das vergessene Volk: Ein Jahr bei den deutschen Hutterern in Kanada. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1982.
  • Hutterian Brethren (Hg.): Rechenschaft unsrer Religion, Lehre und Glaubens (Ridemans (sic!) Rechenschaft). Verlag der Hutterischen Brüder Gemeine, Falher (Kanada) 1988.
  • Kuster, Thomas: Katalogbeiträge zum Habanerkunsthandwerk vom 16. bis 17. Jahrhundert. In: Die Hutterer - Verbrannte Visionen. Ausstellung. Museum Goldenes Dachl. Innsbruck 2007
  • Länglin, Bernd G.: Die Hutterer: Gefangene der Vergangenheit, Pilger der Gegenwart, Propheten der Zukunft. Goldmann Verlag, München 1991.
  • Peters, Victor: Die Hutterischen Brüder 1528 - 1992: Die geschichtliche und soziale Entwicklung einer erfolgreichen Gütergemeinschaft. N.G. Elwert Verlag, Marburg 1992.
  • Scheer, Herfried: Die deutsche Mundart der Hutterischen Brüder in Nordamerika. Beiträge zur Sprachinselforschung. Band 5. VWGÖ, Wien 1987.
  • Ströhmann, Gerd: Erziehungsrituale der Hutterischen Täufergemeinschaft : Gemeindepädagogik im Kontext verschiedener Zeiten und Kulturen. Lit, Münster 1999.
  • Winkelbauer, Thomas: Die Täufer. In: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. Teil 2, Wien 2003, S.160-177
  • Wolkan, Rudolf & Hutterische Brüder in Amerika, Canada (Hrsg.): Das große Geschicht-Buch der Hutterischen Brüder. Standoff-Colony, MacLeod (Kanada) 1923.

Englischsprachig

  • Becker, Sibylle: The Hutterites. Architecture and Community, Masterthesis, Universtity of Calgary, Alberta, Canada, 1989
  • Hofer, John: The History of the Hutterites. D.W Freisen & Sons Ltd., Altona (Kanada) 1982.
  • Hostetler, John A.: Hutterite Society. The Johns Hopkins University Press, Baltimore (USA) & London (England) 1974.
  • Kienzler, Hanna: Gender and communal Longevity among Hutterites: How Hutterite Women establish, maintain and change Colony Life. Berichte aus der Ethnologie. Shaker, Aachen 2005.
  • Packull, Werner O.: Hutterite Beginnings: Communitarian Experiments during the Reformation. Johns Hopkins University Press, Baltimore (USA) & London (England) 1995.
  • Wipf, Andrew: Hutterite Telephone & Address Book. Lakeside Hutterian Brethren, Cranford, AB (Kanada) 1998.

Einzelnachweise

  1. Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. Teil 2 (= Herwig Wolfram, Österreichische Geschichte 1522–1699) (Wien 2003). S. 148ff
  2. Peters 1992: S. 33-50
  3. Der Steinebrunner Brüderhof abgerufen am 26.10.2008
  4. Hutterische Brüder, in Theologische Realenzyklopädie Von Gerhard Krause, Gerhard Müller, Siegfried M. Schwertner
  5. Peters 1992: 77-107
  6. Heavy with history
  7. Auszug und kurzer Durchgang unserer Gemein Geschichtbuch (Hrsg.: Plough Publishing House, Sussex/England)
  8. The „Leut“. Differences among the leut
  9. 1992 Hutterian Church Split
  10. CBCNews: Indepth: The Hutterites
  11. How do the Hutterites follow the command of Jesus to „be fishers of men“
  12. Die wiedertäuferischen Hutterer. 50. Sitzung der Humboldt-Gesellschaft am 17.12.1997 von Helge Martens
  13. Office of Population Research, Princeton University
  14. Die wiedertäuferischen Hutterer. Humboldt-Gesellschaft
  15. Die wiedertäuferischen Hutterer. Humboldt-Gesellschaft
  16. vgl. Astrid von Schlachta: Vom Getzenberg in die Prairie. Eine fast 500jährige Geschichte von Verfolgung, Niedergang und Neuanfang
  17. vgl. Peters (1992): S. 136 ff.
  18. vgl. Donald Kraybill, Carl Bowman, Carl Bowman: On the Backroad to Heaven: Old Order Hutterites, Mennonites, Amish, and Brethren, JHU Press, 2002, S. 28.
  19. z.B. Helge Martens: Die wiedertäuferischen Hutterer. 50. Sitzung der Humboldt-Gesellschaft am 17.12.1997, auf: humboldgesellschaft.de, 1997.
  20. vgl. Donald Kraybill, Carl Bowman, Carl Bowman: On the Backroad to Heaven: Old Order Hutterites, Mennonites, Amish, and Brethren, JHU Press, 2002, S. 28, S.285.
  21. Inhaltsangabe von Kommune der Seligen
  22. „Jakob Hutter und die Hutterer, Märtyrer des Glaubens“

Weblinks

Portal
 Portal: Täuferbewegung – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Täuferbewegung

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