- Ursprünge der Musik
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Die Suche nach den Ursprüngen
Wenn man über historische Ursprünge nichts Genaues weiß, werden, seit es denkende und damit zumindest überlieferungswillige Menschen gibt, Schöpfungsgeschichten und Mythen an die Stelle präziser Erkenntnis gesetzt. Dies gilt sowohl für die Geschichte im allgemeinen, als auch für die Aspekte der Musikgeschichte im besonderen.
Das Lied, eine mögliche Ausdrucksform des Mythos von den Anfangstagen der Menschheit, ist bei den meisten Völkern zugleich auch das Lied von den Anfängen der Musik. Wenn der erste Musikant, etwa im finnischen Mythos der Kalevala, sein Instrument, die Kantele, spielt, versammeln sich sämtliche Tiere, und Sonne und Mond lassen sich auf den Bäumen nieder. Ähnlich ist in vielen europäischen und außereuropäischen Mythen und Märchen die Musik ein Geschenk der Götter und hat zauberische Kraft über die Natur. Der eigentliche Ursprung der Musik ist göttlich - darin sind sich nahezu alle Mythen unserer Welt einig.
Die moderne Musikwissenschaft kann selbstverständlich nicht akzeptieren, dass Musik durch göttliche Geschenke, Zauber und Dämonen auf die Welt gekommen sei. Aber es erweist sich als schwierig, eine überzeugende wissenschaftliche Ursprungstheorie zu entwickeln. Begann es, als der Mensch den Gesang der Vögel nachahmte? So nehmen es auch schon die alten Griechen an. Oder entwickelte sich die Musik aus dem Zuruf oder aus einem ersten rhythmischen Stampfen bei einer gemeinsamen Arbeit? Im Gegensatz zur Urgeschichte bildender Kunst, die, mit der Entdeckung steinzeitlicher Höhlenbilder und anderer Funde, in fruchtbarem Aufschwung begriffen ist, sind die Quellen zur Erforschung der musikalischen Urgeschichte eher dürftig. Die frühesten Zeugnisse von Musik sind Instrumentenfunde aus der Altsteinzeit, Aufzeichnungen aus dem 3. Jh. v. Chr. (ägyptische Bilderschrift) und Schriften über Musik in Dichtung, Chronik, Musiktheorie seit der Antike.
Klingende Musik als Zeugnis existiert erst seit Edisons Phonograph, 1877. Doch selbst hier erschweren Klangverfälschungen und veränderte Denk- und Hörgewohnheiten eine wichtige Deutung dessen, was die Musik ihrer Zeit war. Seit dem Ende des 18. Jh. gibt es Entstehungstheorien, die die Musik auf Sprache (Herder), auf Tierlaute, besonders die Nachahmung der Vogelstimmen (Darwin), auf wortlose Rufe (Stumpf), auf emotionale Interjektionen (Spencer) u. a. zurückführen. Wichtigste Zeugnisse urgeschichtlicher Musik sind zahlreiche Instrumentenfunde wie Rasseln, Trommeln, Flöten, Musikbogen, Tierhörner, Schwirrhölzer u. a.
Einige Instrumente scheinen zu allen, auch prähistorischen Zeiten existiert zu haben, weil ihre „Erfindung“ sehr nahe liegt. Die Entwicklung der Menschheit vollzieht sich in so gewaltigen Dimensionen, dass die Epoche der nacheiszeitlichen Menschen ab ca. 10.000 v. Chr. minimal erscheint. Dabei beginnt die Zeit der antiken Hochkulturen erst nach den von 3.000 v. Chr. vermuteten Naturkatastrophen mit Überschwemmungen, die als „Sintflut“ erinnert werden (Bibel, Gilgameschepos).
Die Musik bleibt auch in den antiken Hochkulturen zunächst noch kultisch gebunden und wird erst spät eine ästhetische Ausdruckskunst. Zusammenhänge der mündlichen Traditionen sind z. T. heute noch lebendig (Indien, China). Improvisation spielte eine bedeutende Rolle. Es ist merkwürdig, dass sich zwar die Musikanschauungen bis heute ständig wandeln, das Instrumentarium aber relativ gleich geblieben ist, wenn sich auch die einzelnen Intrumentenarten unterschiedlich entwickelt haben. Erst die elektronischen Instrumente des 20. Jh. bringen grundsätzlich Neues.
Vom Bedürfnis nach Musik in prähistorischer Zeit
Die Spekulationen über Ursprünge der Musik haben bleibenden Wert; nicht als Erkenntnisse, aber als Anregungen. Schrei nach Gefühlsausdruck, Sprache und Ruf waren als Faktoren gewiss beteiligt und ebenso Libido, Lust am Spiel und andere leib-seelische Antriebe. Für die Entwicklung des gleichmäßigen Rhythmus war die gemeinsame Körperbewegung in Tanz und Kult wesentlich, wenn schon rhythmische „Arbeit“ im engeren Sinn viel später aufgekommen ist als Musik.
Musik ist Spiel mit Tönen und entsprechenden leib-seelischen Bewegungen; durch bestimmte oder halbwegs bestimmte Tonhöhen und Tonverhältnisse unterscheidet sie sich von prä- und teilmusikalischem Schall, wie Sprechgesang und rhythmischem Geräusch, das man mit Rasseln, Schwirrhölzern und anderen Schallgeräten erzeugte. Aus solchem Schall aber hat sie sich herausgebildet und von ihm ist sie auch noch heute bei Naturvölkern durchsetzt und umgeben. Wurzelreich und Umwelt der urtümlichen Musik sind ferner Schälle der Natur, wie jene Rhythmen und Gesänge, welche die Tierstimmenkunde aufgezeichnet hat. Teil der Forschungsarbeit ist die Beobachtung archaischer Musikausübung bei sog. „Naturvölkern“, weil dadurch unter Umständen Parallelen gezogen werden können bzw. es sich hier um erhaltene Urformen handeln könnte (vergleichende Forschung).
Die Naturvolkskunst und die Musik als ein Teil von ihr ist in viel höherem Grade aktiv mit allen Ausdrucksformen der Existenz verflochten als unsere europäische und euro-amerikanische Musik; mit Praktiken und Ereignissen magischer, religiöser, sozialer, ökonomischer oder politischer Art. Sie reflektiert das gesamte Leben, in der ihr festumrissene Aufgaben zugeteilt sind. Gerade bei diesen Beobachtungen wurde deutlich, dass religiös-magische Motive, als Mittel, die richtige Beziehung zu überirdischen Kräften zu schaffen, sowie das Bedürfnis Gruppensolidarität zu erzeugen, ursprüngliche Beweggründe darstellen könnten. Ein rein weltliches Musizieren dürfte bei den Naturvölkern erst dort auftreten, wo eine schichtspezifisch differenzierte Gesellschaftsform der Musik bloße Genuss- und Prestigefunktionen zuzuweisen beginnt. Die vergleichende Forschung zieht Parallelen zur europäischen Geschichte der älteren Steinzeit (25.000 - 10.000 v. Chr.) und deren Zeugnisse, in Form von Plastiken und Felsbildern von hohem Gestaltungsniveau.
Geistiger Mittelpunkt altsteinzeitlicher Lebensgemeinschaften war der „Zauberer“, Er, der noch nicht differenzierte Typus, auf den Sänger, Musiker und Künstler zurückgehen, hat die Riten der Gruppe geleitet oder selber durchgeführt, und solche Zauberpriester dürften es gewesen sein, welche die Plastiken und Bilder schufen.
Schamanen und Medizinmänner bei Stämmen, welche Kulturelemente jener Steppenjäger der Urzeit erhalten haben, zeigen noch in rezenten Traditionen diesen Typus, den man aus steinzeitlichen Darstellungen kennt, teils erschließt. Sie tanzen in Tiermasken, zeichnen Bilder mit magischem Sinn auf Felswände oder Schamanentrommeln, schießen rituell mit dem Bogen auf solche Bilder und leiten Kultveranstaltungen, wie die Initiation.
Der Mensch ist primär ein handelndes Wesen, und Bewegungen des eigenen Körpers sind ursprünglicher als die Objektivitation von Vorstellungen in Stein. Prähistoriker stimmen in der Annahme überein, dass die steinzeitlichen Jäger das Tier und das reale oder mythische Verhalten zu ihm zunächst gespielt und erst später auf Felsen vergegenständlicht und festgehalten haben. Der bildnerischen ging mimische Darstellung voraus. Nun gehen aber Tanz und Pantomimus primitiver Völker gewöhnlich nicht stumm vor sich, sondern Bewegungen des Körpers gehören mit Bewegungen der Stimme sowie dem rhythmischen Schall des Händeklatschens und Fußstampfens zu Gesamthandlungen der Gruppe.
Aus Felsenbildern ist nicht nur zu belegen, dass der Zauberpriester musikalisch und tänzerisch „tätig“ war, sondern auch Mitglieder der Gruppe. Prähistoriker nehmen an, dass Musik im damaligen wie im späteren Kultleben eine große Rolle gespielt hat. Primär gehörte sie nicht zur realen Jagd, sondern zu den Riten, in welchen die Gemeinschaft ihr prätotemistisches Grundverhältnis zum Bison oder zum Bären beging und darüber hinaus ihr ständiges Verhalten zur Welt festigte. Man trug so den dauernden inneren Konflikt zwischen Lebensdrang und Schuldgefühl aus, denn man tötete mit schlechtem Gewissen, zumal die menschenähnlichen Lebewesen, die man tötete, weniger scharf vom Wesen des Menschen geschieden wurden als später. So begrüßt man zeremoniell, was sich bei altsibirischen Stämmen bis heute erhalten hat, singend den getöteten Bären und bittet ihn um Verzeihung.
Quellen
- Bruhn, Oerter, Rösing, Musik-Psychologie, 1993.
- DTV-Atlas zur Musik, 1977.
- Nestler, Gerhard, Geschichte der Musik, 1979.
- Ramseyer, Urs, Soziale Bezüge des Musizierens in Naturvolkkulturen, Bern, 1970.
- Wiora, Walter, Die vier Weltalter der Musik, 1988.
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