Vaskonische Hypothese

Vaskonische Hypothese

Als vaskonische Hypothese wird die Hypothese bezeichnet, es habe einst eine „vaskonischeSprachfamilie gegeben, die in weiten Teilen des europäischen Kontinents verbreitet war, bevor sich die indogermanischen Sprachen seit etwa 2.000 v. Chr. in Europa durchsetzen konnten. Als lebendige Sprache sei von dieser alteuropäischen Sprachfamilie nur noch die Baskische Sprache übriggeblieben, jedoch hätten sich Spuren dieser Sprachgruppe in vielen Gewässer- und Flurnamen in ganz Mittel- und Westeuropa erhalten. Gewässernamen (Hydronyme) gelten gemeinhin als besonders langlebige Namen, die viele Sprachwechsel überstehen können.

Inhaltsverzeichnis

Vaskonische Sprache

Als vaskonisch im engeren Sinne werden die nur durch Ortsnamen und sehr kurze Inschriften überlieferten Sprachreste der Vaskonen bezeichnet, die in der griechisch-römischen Antike Aquitanien und das heutige Baskenland bewohnten. Das "Vaskonische" ist eine frühe Form des heutigen Baskischen.

Begründung der Hypothese

Mit Unterstützung linguistischer und genetischer Erkenntnisse, u.a. einer Teildisziplin der Sprachforschung, der sogenannten Onomastik, vertritt der Münchner Linguist Theo Vennemann die Hypothese von der "vaskonischen Ursprache", nach der durch die Flucht vor der letzten Eiszeit eine europäische Restbevölkerung im Raum des heutigen Baskenlandes zusammengedrängt wurde, die sich mit der Erwärmung wieder über ganz Europa ausgebreitet habe, dann aber von den indoeuropäischen Einwanderern verdrängt wurde.

Der linguistische Ansatz bezieht sich darauf, dass in Europa vielfach Flur-, Orts- und Gewässernamen gleiche oder ähnliche Wortkerne enthalten, die heute noch im Baskischen anzutreffen sind. Ausgehend von der Annahme, geographische Namen seien umso älter, in je mehr Sprachgebieten sie anzutreffen seien, folgert Vennemann, der Name dieser Orte stamme aus einer Sprache, die zeitlich vor dem Indogermanischen angesetzt werden müsse.

Das vaskonische Sprachgebiet könne durch die Zusammenschau von Gewässernamen mit gleichen Wortkernen wie al-/alm (Aller, Alm), var-/ver (Werre, Warne), sal-/salm (Saale), is-/eis (Isar, Eisack) sowie ur-/aur (Urach, Aurach) ermittelt werden und erstrecke sich über ganz West- und Mitteleuropa. Der Zusammenhang mit der baskischen Sprache wird hergestellt, da sich in deren Wortschatz charakteristische Wortelemente - is, arn und ibar - fänden, die in vielen Namen europäischer Gewässer stecken und im Baskischen stets eine Bedeutung in Zusammenhang mit Wasser oder natürlichen Gewässern haben.

Der Lehrstuhl für Germanistische und Theoretische Linguistik an der Universität München stellte in einer Untersuchung von Siedlungsnamen fest, dass sich viele „ibar-Orte“ (ibar ist das baskische Wort für „Tal, Flussmündung“) eben an Tälern oder Flüssen befinden. Die baskische Silbe is, die „Wasser, Gewässer“ bedeutet, findet sich europaweit bei Orten an Gewässern und die „Arn-Orte“ (aran: bask. „Tal“) in Tälern. Auch die Verwendung des Vigesimalsystems, dessen Spuren sich neben dem Baskischen noch in keltischen Sprachen, der französischen und dänischen Sprache erhalten haben, sei Kennzeichen der alteuropäischen Sprache gewesen. Erst durch die indoeuropäische Einwanderung habe sich das Dezimalsystem in Europa ausgebreitet.

Kritik

Während das grundsätzliche Alter dieser Sprache in der westlichen Pyrenäenregion wegen ihrer isolierten Stellung und dem Fehlen von Hinweisen auf irgendeine Zuwanderung außer Zweifel steht, wird die Hypothese einer europaweiten Verbreitung einer vaskonischen Ursprache oder Sprachfamilie von der Mehrheit der Sprachforscher abgelehnt. Der Indogermanist Dieter Steinbauer gibt zum Beispiel zu bedenken, dass es angesichts der großen Anzahl von Lehnwörtern aus dem Lateinischen und anderen indoeuropäischen Sprachen und der vergleichsweise jungen historischen Belege des Baskischen vermessen sei, eine vaskonische alteuropäische Ursprache rekonstruieren zu wollen. Außerdem finden sich bereits auf der iberischen Halbinsel mehrere vorindogermanische Sprachen, deren Verwandtschaft mit dem Baskischen (Vaskonischen) fraglich ist. Somit ist eine großflächige Verbreitung baskischer Vorgängersprachen über ganz West- und Mitteleuropa eher unwahrscheinlich (siehe Baskische Sprache).

Siehe auch

Literatur

  • Alfred Bammesberger, Theo Vennemann: Languages in Prehistoric Europe. Winter, Heidelberg 2003, 319-332. ISBN 3-8253-1449-9
  • Elisabeth Hamel: Das Werden der Völker in Europa. Forschungen aus Archäologie, Sprachwissenschaft und Genetik. Rottenbücher Verlag, Ebersberg 2009, 181-192, 429-439. ISBN 978-3-00-027516-6
  • Elisabeth Hamel, Theo Vennemann: Vaskonisch war die Ursprache des Kontinents. in: Spektrum der Wissenschaft. Deutsche Ausgabe des Scientific American. Spektrumverlag, Heidelberg Mai 2002. ISSN 0170-2971
  • Dieter H. Steinbauer: Vaskonisch - Ursprache Europas? In: Günter Hauska (Hrsg.): Gene, Sprachen und ihre Evolution. Universitätsverlag, Regensburg 2005. ISBN 3-930480-46-8
  • Theo Vennemann: Zur Frage der vorindogermanischen Substrate in Mittel- und Westeuropa. In: Patrizia Noel Aziz Hanna (Hrsg.): Europa Vasconica. Trends in Linguistics. Studies and Monographs. Bd 138. Europa Semitica. de Gruyter, Berlin 2003, 517-590. ISBN 3-11-017054-X
  • Theo Vennemann: Basken, Semiten, Indogermanen. Urheimatfragen in linguistischer und anthropologischer Sicht. In: Sprache und Kultur der Indogermanen. Akten der X. Fachtagung der Indogermanischen Gesellschaft, 22.-28. September 1996. Hrsg. v. Wolfgang Meid. Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft. Bd 93. Innsbruck 1998, 119-138. ISBN 3-85124-668-3
  • Theo Vennemann: Linguistic Reconstruction in the Context of European Prehistory. In: Transactions of the Philological Society. Oxford 92.1994, 215-284. ISSN 0079-1636

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