Verismo (Oper)

Verismo (Oper)

Der Verismo ist eine Stilrichtung vorab der italienischen Oper zwischen etwa 1890 und 1920. – Auch in anderen Kunstrichtungen gibt es Strömungen, die man Verismus nennt.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Am Ende des 19. Jahrhunderts befanden sich die italienischen Operntraditionen an einem Wendepunkt. Mit Opera seria und Opera buffa war es vorbei, das Melodramma tragico Giuseppe Verdis machte nicht Schule, und weder Amilcare Ponchielli noch Arrigo Boito konnten sich mit überzeugenden Konzepten aus seinem Einfluss lösen. Die italienischen Städte sahen gebannt auf Paris und versuchten, die neusten dortigen Moden zu übernehmen. Die Opéra comique seit Carmen (1875) und das Drame lyrique von Ambroise Thomas oder Jules Massenet waren zu den aktuellen Vorbildern geworden.

Von der französischen Literatur, namentlich von Émile Zola, ging der sogenannte Naturalismus aus, der erheblichen Einfluss auf das Theater hatte. Er scheute sich nicht vor einer Darstellung des Hässlichen, wenn es der (sozialen) Wahrheit der exakt dargestellten Figuren entsprach. Das italienische Risorgimento hatte einen Aufwind für die „nationale“ Literatur gebracht, aus dem etwa Giovanni Verga mit seinen naturalistischen Erzählungen hervorging. Die Mailänder Künstlergruppe Scapigliatura revoltierte gegen bürgerliche Moralvorstellungen.

Das mehrheitlich gesprochene Melodram der Pariser Boulevardbühnen und Londoner Unterhaltungstheater konnte sich in Italien nicht durchsetzen, weil das Theaterleben von der Oper dominiert war. Die Tramelogödie von Vittorio Alfieri hatte zum Beispiel keine Nachahmer gefunden. Stilmittel des Melodrams in der italienischen Oper wirkten daher neu und sensationell.

Der Mailänder Verleger Edoardo Sonzogno schuf in dieser Situation als Produzent mit einer Reihe junger Komponisten eine neue Art Oper, die sich schlagartig durchsetzte. 1883 schrieb er einen Kompositionswettbewerb aus. Mit einer eigenen Theaterzeitung und eigenen Tourneen sorgte er für die Verbreitung der ausgewählten Opern. Das Spektrum dieser Opern war allerdings vielfältiger, als es der Begriff Verismo heute nahelegt, und schloss etwa auch märchenhafte spätromantische Stücke (wie von Spyros Samaras) mit ein.

Noch heute im Repertoire sind die beiden meist gemeinsam aufgeführten, aber stilistisch sehr unterschiedlichen Einakter Cavalleria rusticana (1890) von Pietro Mascagni und Pagliacci (1892) von Ruggiero Leoncavallo, mit denen Sonzognos Siegeszug begann.

Weitere im Repertoire gebliebene oder in den letzten Jahrzehnten wieder entdeckte Verismo-Opern sind die ausgedehnteren Werke Andrea Chénier (1896) von Umberto Giordano und Adriana Lecouvreur (1902) von Francesco Cilea. Auch Massenet trug zu diesem Operngenre mit La Navarraise (1894) bei. Eine erfolgreiche deutschsprachige Oper, die sich zumindest vom Libretto her zum Verismo rechnen lässt, ist Tiefland (1903) von Eugen d’Albert.

Charakteristik

Die veristische Oper zeigt die endgültige Aufgabe klassischer Theaterregeln wie Ständeklausel oder Decorum (schickliche, stilisierte Darstellung des Kreatürlichen) am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Paradewerke Cavalleria rusticana und Pagliacci wären nach traditionellen Kriterien eindeutig Komödien, ihr Rahmen ist ein ländliches Fest oder das Theatermilieu. In den Handlungen, die in Beziehungsdelikten gipfeln, gibt es aber trotz grotesker Stilmittel nichts zu lachen. – Das Lachen des Bajazzo in in Pagliacci ist ein Ausdruck des Wahnsinns und der Verzweiflung.

Die stilistische Bandbreite der Verismo-Opern ist groß. Eine Gemeinsamkeit sind die realistischen Handlungen im niederen sozialen Milieu mit einem gewaltsamen Höhepunkt. Die Schauplätze sind ländlich, exotisch und später auch großstädtisch. Außerdem gibt es eine Tendenz zur knappen, lakonischen Form. Frühe Verismo-Opern sind oft Einakter. Die Katastrophe wird durch ein instrumentales Intermezzo von der vorhergehenden Handlung abgetrennt.

Wegen seiner kolportagehaften Handlungskonstruktionen, die an Sensationsjournalismus erinnern, führte der Verismo zu kalkulierten Theaterskandalen. Musikalische Stilmittel wie das Mitgehen des Orchesters im Unisono mit der Gesangsstimme oder eine sehr einfache Gegenübersetzung von Melodie und Begleitung wurden für grob und effekthascherisch gehalten. Auch die Eingliederung realistischer Geräusche wie Pistolenschüsse, Lachen, Schreie und gesprochene Sätze in den musikalischen Ablauf machte Sensation, stieß aber nicht überall auf Zustimmung. Verdi lehnte diesen überzeichneten Realismus ab und untersagte etwa der Darstellerin seiner Traviata ein lautes Husten. Bekannt sind vor allem die empörten Rezensionen des Wiener Feuilletonisten und Musikwissenschaftlers Eduard Hanslick.

Ungeachtet oder gerade wegen der kritischen Aufnahme hatten die Verismo-Opern in den 1890er Jahren einen weltweiten Erfolg.

Nachwirkungen

Der Niedergang des Opernverismo fällt mit der Blütezeit des Stummfilms in den 1910er Jahren zusammen (für den sich Verismo ebenfalls als Gattungsbezeichnung eingebürgert hat). Erich Wolfgang Korngolds Oper Violanta (1916) wurde nun als „blutiges veristisches Kinodrama“ kritisiert. Giacomo Puccini bezog sich mit La fanciulla del West (1910) ausdrücklich auf das neue Western-Genre. Riccardo Zandonai konnte mit Francesca da Rimini (1914) noch ein erfolgreiches Opern-Werk nachliefern.

In gleichsam veredelter Form nahm Puccini Elemente des Verismo in seine Opern auf. Spätere Anklänge an den Verismo gibt es etwa in Renzo Rossellinis La guerra (1956) oder in Gian Carlo Menottis The Saint of Bleeker Street (1954).

Literatur

  • Hans-Joachim Wagner: Fremde Welten. Die Oper des italienischen Verismo, Stuttgart: Metzler 1999. ISBN 3-476-01662-5
  • Isolde Schmid-Reiter: Stichwort Verismo, Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2003. ISBN 3-205-77106-0

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