Vernichtungslager Maly Trostinez

Vernichtungslager Maly Trostinez

Das Vernichtungslager Maly Trostinez des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) für Weißrussland befand sich etwa 12 km südöstlich von Minsk in einer abgelegenen, ländlichen Gegend. Am 28. Juni 1941 war die deutsche Wehrmacht in Minsk einmarschiert.[1] Zwischen 1942 und 1944 wurden in Maly Trostinez 40.000 bis 60.000 Menschen ermordet, weit überwiegend Juden. Manche Forscher bezeichnen das Lager daher auch als „Vernichtungslager“.[2]

Inhaltsverzeichnis

Das Gut des Kommandeurs

Dem KdS Minsk unterstand beim Dörfchen Maly Trostinez seit April 1942 eine 200 Hektar große Kolchose, das „Gut des Kommandeurs“. Hier waren jüdische und nichtjüdische Häftlinge eingesetzt, um in der Vieh- und Landwirtschaft zu arbeiten. Es handelte sich zunächst überwiegend um Juden, die mit 15 Zügen aus Wien und Theresienstadt, auch Köln und Königsberg, zwischen Mai und Oktober 1942 nach Minsk deportiert worden waren. Fast jeder dieser Deportationszüge umfasste 1.000 Personen. Davon wurden rund 20 bis 50 Personen ausgesondert und zum Gut gebracht. Später kamen weißrussische Juden hinzu. [3]

Die Häftlinge arbeiteten neben der Landwirtschaft auch in verschiedenen Handwerksbetrieben des Guts. Wie in den anderen Vernichtungslagern gab es kleine Arbeitskommandos, die in der Kleidersortierung, Schneiderei und Schusterei an der Verwertung des Besitzes der deportierten Juden eingesetzt waren. Weiter gab es eine Wäscherei, Schmiede und Schlosserei, Tischlerei, Glaserei, Gerberei, eine Mühle und ein Sägewerk. Produziert wurde überwiegend für den Bedarf der KdS-Angehörigen und der Minsker Ordnungspolizei.

Die „Arbeitsjuden“ waren in mehreren Baracken untergebracht. Es gab einen Galgen auf dem dreifach mit Stacheldraht umzäunten Gelände. Die Zahl der Häftlinge schwankte zwischen 500 und 1.000 Personen. Nach der Auflösung des Ghettos in Minsk im Oktober 1943 sank sie auf etwa 200.

Verwalter des Gutes war der baltendeutsche SS-Unterscharführer Heinrich Eiche. Bewacht wurden die Häftlinge von Teilen eines ukrainischen Schutzmannschaftsbataillons, das auf dem Gut stationiert war und der Ordnungspolizei unterstand.

Stätte des Massenmordes an deportierten Juden

Die Planungen für ein großes Vernichtungslager in Mahiljou (Mogiljow), für das bereits im November 1941 mehrere Verbrennungsöfen bestellt worden waren, wurden aus verkehrstechnischen Gründen aufgegeben.[4] Dafür wurden in Maly Trostinez ab Mai 1942 nach Minsk deportierte Juden aus Deutschland, Österreich, dem Protektorat Böhmen und Mähren und aus Polen teils – ab Juni 1942[5] – durch Gaswagen, größtenteils aber durch Erschießungen ermordet. Im Laufe des Sommers wurden weißrussische Juden vor allem aus dem Ghetto von Minsk in die Vernichtungsaktionen einbezogen.[6]

Im April 1942 kam Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des SD, persönlich nach Minsk und eröffnete dem dortigen KdS, SS-Obersturmbannführer Eduard Strauch, und einigen seiner Polizeioffiziere, dass nunmehr auch die deutschen und andere europäische Juden vernichtet werden sollten. Gleichzeitig kündigte er die Wiederaufnahme der Ende November 1941 abgebrochenen Judentransporte aus dem Westen nach Minsk an. Heydrich ordnete an, die Deportierten nach ihrer Ankunft zu töten.

Am 22. April begann der II. Zug (ein Unteroffizier und zehn Mann) der dem KdS unterstellten kleinen Waffen-SS-Einheit in Maly Trostinez mit acht Tage dauernden Erdarbeiten, um die ersten Leichengruben auszuheben. Am 30. April beteiligte sich der gesamte Zug an einer „Aktion zur Ausräumung des Gefängnisses in Minsk“. Am 4. Mai wurden erneut Gruben ausgehoben für eintreffende Transporte. Zum 17. Mai 1942 vermerkte der Zugführer der Waffen-SS, der SS-Unterscharführer Arlt, in seinem Tätigkeitsbericht:

„Am 11. Mai traf ein Transport mit Juden (1000 Stück) aus Wien in Minsk ein, und wurden gleich vom Bahnhof zur obengenannten Grube geschafft. Dazu war der Zug direkt an der Grube eingesetzt.“[7]

Es handelt sich hier um den ersten für Maly Trostinez zweifelsfrei durch zeitgenössische Quellen belegten Massenmord, bei dem fast alle Deportierten bei der Ankunft erschossen wurden. Zur Exekutionsstätte von Maly Trostinez, einem Kiefernwäldchen, wurden die Insassen der Sonderzüge mit Lastkraftwagen gebracht und dort von rund 80 Schutzpolizisten und Angehörigen der Waffen-SS erschossen.[8] Etwa ab Juni 1942 wurden Opfer auch in Gaswagen getötet. [9]

Transporte nach Minsk und Zahl der Opfer in Maly Trostinez

Oft wurden im Zusammenhang mit der Deportation deutscher Juden in der Literatur 23 Transportzüge genannt, die Maly Trostinez 1942 erreichten.[10] Demnach wurden insgesamt 22.130 deutsche Juden in Richtung Minsk deportiert. Davon wurden, nach Feststellung des Landgerichts Koblenz, mindestens 90 % in Maly Trostinez ermordet, d. h. etwa 19.000 bis 20.000 Menschen.

Nach den neueren Forschungsergebnissen von Gottwald / Schulle sind jedoch nur 15 Transporte sicher nachzuweisen, so dass die Zahlen entsprechend geringer anzusetzen sind.[11] Vermutlich wurden knapp 16.000 tschechische Juden aus Theresienstadt und deutschsprachige Juden vornehmlich aus Wien erschossen oder im Gaswagen ermordet.[5]

Weitere Opfer und Gesamtzahl

Die Zahl der in Maly Trostinez ermordeten jüdischen und nichtjüdischen Weißrussen kann nur überschlägig geschätzt werden. Die offizielle sowjetische Opferzahl von 206.500 hat sich in der Forschung als stark überhöht erwiesen, da der gesamte Raum um Minsk, wo sich zahlreiche weitere Hinrichtungsstätten und Sterbelager u. a. für über 100.000 sowjetische Kriegsgefangene befanden, Maly Trostinez zugerechnet wurden.

Um die 40.000 Opfer lassen sich relativ sicher nachweisen. Zu den mehr als 15.000 aus dem Westen deportierten und ermordeten Juden wird man 20.000 addieren müssen: Bei der großen Ghettoräumung Ende Juli 1942 in Minsk wurden nachweislich insgesamt 10.000 Juden ermordet, davon vermutlich 5.000 in Maly Trostinez. Dieselbe Zahl an Opfern forderte die Auflösung des Ghettos im Oktober 1943. Im Februar 1943 wurden etwa 3.000 angeblich „unproduktive Bandenverdächtige“ (Alte, Frauen und Kinder), darunter auch Juden, aus dem Gebiet Polazk in Trostinez ermordet. Als sowjetische Truppen Ende Juni 1944 (Operation Bagration) vorrückten, wurden die letzten 80 bis 100 Gefangenen des nunmehrigen Zwangsarbeiterlagers Maly Trostinez erschossen. Beim deutschen Rückzug in den letzten Junitagen 1944 wurden etwa 6.500 Insassen der Minsker Lager und Gefängnisse nach Maly Trostinez transportiert und dort erschossen.

Die tatsächliche Opferzahl dürfte mehr als 40.000 betragen, da die Dunkelziffer erheblich ist. Christian Gerlach hält in seiner grundlegenden Untersuchung um die 60.000 Opfer für denkbar. Zwischen dem 27. Oktober und dem 15. Dezember 1943 verwischte das Sonderkommando 1005 unter SS-Hauptsturmführer Arthur Harder mit einer „Enterdungsaktion“ die Spuren; das Häftlingskommando wurde anschließend vergast.[12]

Gedenken

Bis auf einen unscheinbaren Gedenkstein gibt es bislang keine besondere Kennzeichnung des Lagerortes. Seit 2006 liegt ein Konzept für den Bau eines „Kreuzwegs“ als Gedenkstätte vor.[13]

Siehe auch

Literatur

  • Jochen Fuchs, Janine Lüdtke, Maria Schastnaya: „Stätten des Gedenkens in Belarus: Chatyn und Maly Trostinec. Teil 1: Maly Trostinec.“ In: Gedenkstättenrundbrief 2007, 139, S. 3-9.
  • Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944. Hamburger Edition, Hamburg 1999, ISBN 3-930908-54-9, auf S. 768–770 Beitrag über Maly Trostinez
  • Miroslav Kárný, kol.: Terezínská pamětní kniha. Židovské oběti nacistických deportací z Čech a Moravy 1941 - 1945, 2 Bde., Nadace Terezínská iniciativa – Verlag Melantrich, Praha 1995 (Theresienstädter Gedenkbuch. Jüdische Opfer der Nazi-Deportationen aus Böhmen und Mähren 1941–1945.)
  • Paul Kohl: Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941–1944. Sowjetische Überlebende berichten. Mit einem Essay von Wolfram Wette, Fischer Taschenbuch Verlag Nr. 12306, Frankfurt am Main 1995, S. 77–116, ISBN 3-596-12306-2.
  • Paul Kohl: Das Vernichtungslager Trostenez. Augenzeugenberichte und Dokumente. IBB - Internationales Bildungs- und Begegnungswerk, Dortmund 2003. ISBN 3-935950-07-1
  • Karl Loewenstein: Minsk – Im Lager der deutschen Juden. In: Beilage zu „Das Parlament“, B. 45/46 vom 7. November 1956. – Erlebnisbericht des ehemaligen Leiters des Jüdischen Ordnungsdienstes.
  • Heinz Rosenberg: Jahre des Schreckens. …und ich blieb übrig, daß ich Dir’s ansage. Steidl Verlag, Göttingen 1985, ISBN 3-88243-238-1. – Erlebnisbericht eines aus Hamburg stammenden jungen Juden.
  • Unsere Ehre heißt Treue. Europa Verlag, Wien/München/Zürich 1965, S. 246, 250–257, ISBN 3-203-50842-7. – Tätigkeitsberichte des SS-Unterscharführers Arlt, unter anderem über das Eintreffen von Zügen mit deutschen, österreichischen und tschechischen Juden und ihrer Ermordung in Maly Trostinez.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ausstellungsprojekt
  2. Jochen Fuchs et al.: „Stätten des Gedenkens in Belarus. Teil 2: Maly Trostinez“, in: Stiftung Topografie des Terrors (Hrsg.:) Gedenkstätten Rundbrief Nr. 139 - 10(2007), S. 6f.
  3. Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die ‚Judendeportationen’ aus dem Deutschen Reich 1941–1945. Wiesbaden 2005, ISBN 3-86539-059-5, S. 235ff.
  4. Christian Gerlach: „Failure of Plans for an SS Extermination Camp in Mogilev, Belarussia“, in: Holocaust and Genocide Studies 11(1997), S. 60-78.
  5. a b Petra Rentrop: „Maly Trostinez“, in: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Bd. 9, München 2009, ISBN 978-3-406-57238-8, S. 575.
  6. Vgl. http://www.letzter-gruss-online.de/41306/41324.html und http://www.letzter-gruss-online.de/41306/41315.html
  7. Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die ‚Judendeportationen’… ISBN 3-86539-059-5, S. 238.
  8. Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die ‚Judendeportationen’ISBN 3-86539-059-5, S. 235.
  9. Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die ‚Judendeportationen’ISBN 3-86539-059-5, S. 236.
  10. Zuletzt Peter Longerich: Politik der Vernichtung. München 1998, ISBN 3-492-03755-0, S. 717.
  11. Alfred Gottwaldt, Diana Schulle: Die ‚Judendeportationen’… ISBN 3-86539-059-5, S. 232.
  12. Petra Rentrop: Maly Trostinez. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Bd. 9, München 2009, ISBN 978-3-406-57238-8, S. 577.
  13. Jochen Fuchs et al.: Stätten des Gedenkens..., S. 7

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