Vertretenmüssen

Vertretenmüssen

Von Vertretenmüssen spricht das deutsche allgemeine Schuldrecht, wenn es ausdrücken will, dass jemand für eigenes oder fremdes Verschulden einzustehen hat. Schuldhaft handelt derjenige,

  • den eine Rechtspflicht trifft, anders zu handeln als er gehandelt hat (Er hätte anders handeln müssen)
  • und der auch entsprechend dieser ihm obliegenden Rechtspflicht handeln konnte (Er hätte anders handeln können),
  • dies jedoch wissentlich und willentlich (= vorsätzlich) oder doch entgegen der im Rechtsverkehr gebotenen Sorgfalt (= fahrlässig) nicht tat (Er wusste dies oder hätte es wissen können).

Inhaltsverzeichnis

Gesetzliche Regelung

Was der Schuldner zu vertreten hat, regelt das BGB in den §§ 276 bis 278. Grundsätzlich hat er eigenen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten ("Verschuldensprinzip" im Gegensatz zur Gefährdungshaftung, bei der auch für unbeherrschbare Nachteile einzustehen hat, wer die Vorteile einer Tätigkeit trägt, vgl. etwa die Halterhaftung im Straßenverkehr).

Ebenso hat der Schuldner das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und solcher Personen zu vertreten, die mit seinem Willen bei der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten als Hilfspersonen tätig werden (Erfüllungsgehilfen), § 278 BGB. Die Norm ist insoweit unsauber formuliert, als Vertreter und Erfüllungsgehilfen mit der Verbindlichkeit nichts zu tun haben und deshalb insoweit überhaupt nichts schulden; ihr Verschulden kann daher auch nicht zugerechnet werden. Gemeint ist, dass ihr tatsächliches Verhalten auf den Schuldner projiziert wird. Der Sorgfaltsmaßstab richtet sich daher nicht nach dem eingesetzten Gehilfen, sondern nach dem Schuldner selbst: wer einen Handwerksmeister mit der Reparatur beauftragt (und bezahlt), kann auch die Sorgfalt eines Meisters erwarten, selbst wenn tatsächlich der Lehrling tätig wird.

Bedeutung

Das fehlende Vertretenmüssen ist über § 280 BGB Ausschlussgrund jeder vertraglichen oder quasivertraglichen Verpflichtung zum Schadensersatz, sofern das jeweilige Schuldverhältnis (im weiteren Sinne) nicht speziellere Regelungen vorhält (etwa § 536a im Mietrecht). Dabei stellt die Formulierung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB als rechtshindernde Einwendung ("gilt nicht, wenn ... nicht") klar, dass nicht etwa der Gläubiger die Voraussetzungen des Vertretenmüssens zu beweisen hat, sondern der Schuldner gegebenenfalls zu beweisen hat, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (Beweislastumkehr; gilt nicht für das Arbeitsrecht, § 619a BGB). Im Ergebnis wird damit das Vertretenmüssen - widerlegbar - vermutet.

Auch der Schuldnerverzug setzt nach § 286 Abs. 4 BGB Vertretenmüssen voraus. § 676c BGB spricht von Verschulden, meint aber ebenso das Vertretenmüssen.

Fraglich kann im Einzelfall sein, auf welche Pflichtverletzung sich das Vertretenmüssen bei mehreren Pflichtverletzungen bezieht. Das gilt insbesondere bei § 281 BGB.[1]

Stufen der Verantwortlichkeit

Das Gesetz unterscheidet verschiedene Stufen der Verantwortlichkeit:

  • Grundsätzlich hat der Schuldner Vorsatz (also wissentliche und willentliche Pflichtverletzungen) und Fahrlässigkeit zu vertreten (s.o.). Fahrlässig handelt nach der Legaldefinition des § 276 Abs. 2 BGB, "wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt". Maßgeblich ist also nicht die im Verkehr tatsächlich übliche, vielleicht nicht hinreichende, sondern die normativ erforderliche Sorgfalt. Im Unterschied zum Strafrecht genügt aber im Zivilrecht, das einen gerechten Schadensausgleich schaffen will, eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung. Subjektive Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit ist dagegen nicht erforderlich. Man unterscheidet zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit, wenn also das nicht beachtet wird, was in der konkreten Situation jedem einleuchten musste. Das Arbeitsrecht kennt überdies noch leichteste und mittlere Fahrlässigkeit.
  • Vereinzelt knüpft das Gesetz an eigenübliche Sorgfalt (so z. B. in § 1664 BGB) an, also die Sorgfalt, die der Schuldner in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt ("diligentia quam in suis [rebus adhibere solet]"). Dann gilt nicht ein objektiver, sondern subjektiver Maßstab, der milder ist als der normale. Der Vortrag des Schuldner muss also vor Gericht darauf abzielen, er gehe auch sonst unsorgfältig mit eigenen Dingen um und sei überhaupt ein unordentlicher Mensch. Für grobe Fahrlässigkeit (und erst recht Vorsatz) hat der Schuldner aber selbst dann einzustehen, wenn er in eigenen Angelegenheiten weniger sorgfältig ist, § 277 BGB.
  • Die Parteien können auch "Haftungsbeschränkungen" vereinbaren, also einen milderen Verschuldensgrad festlegen. Dass Vorsatz nicht zu vertreten sei, kann freilich nicht im Vorhinein vereinbart werden, § 276 Abs. 3 BGB. Daneben sind weitere gesetzliche Regelungen zu beachten, die sonst zur Unwirksamkeit der Vereinbarung führen können.
  • Nach § 276 BGB kann aber auch ein verschärfter Maßstab anwendbar sein. Hauptbeispiel ist die Übernahme einer Garantie, also verschuldensunabhängiges Einstehen für Pflichtverletzungen. Auch aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses kann sich ein verschärfter Maßstab ergeben. Insbesondere hat der Schuldner seine finanzielle Leistungsfähigkeit immer zu vertreten ("Geld hat man zu haben" - Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung), kann sich also nicht darauf berufen, infolge Geldmangels sei ihm die Zahlung unmöglich. Das ergibt sich schon daraus, dass nach der gesetzlichen Vorstellung an Stelle der unmöglichen Primärleistung ein Schadensersatz notfalls in Geld treten soll; im Übrigen aber auch aus der Existenz der Insolvenzordnung.

Einzelnachweise

  1. zuletzt: Tetenberg, JA 2009, 1; Ludes/Lube, ZGS 2009, 259f
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