Vinland-Karte

Vinland-Karte
Vinland-Karte.
Yale University, Beinecke’s Rare Book and Manuscript Library, MS 350A

Die Vinland-Karte ist eine historische Weltkarte, deren Echtheit von weiten Teilen der Fachwelt angezweifelt wird. Während das Pergament mit Sicherheit aus dem späten Mittelalter stammt, gründen sich die Zweifel vor allem auf die Charakteristik der verwendeten Tinte und die Frage, ob diese erst im 20. Jhdt. oder bereits im Mittelalter produziert worden sei. Die wissenschaftliche Kontroverse um die Echtheit der Karte dauert noch an, und bisher wurde kein eindeutiger Nachweis in die eine oder andere Richtung erbracht.[1][2][3]

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Vinland-Karte wäre die früheste Landkarte, die einen Küstenabschnitt Nordamerikas kartiert und nennt einen „Bjarni“ und einen „Leif“ als Entdecker Vinlands und damit Amerikas. Sie zeigt neben Afrika, Asien und Europa drei Inseln im Nordatlantik mit den Namen „Isolanda Ibernica“ (Island), „Grouelanda“ (Grönland) und „Vinland“ mit dem Text „Vinilanda Insula a Byarno reperta et leipho sociis“ („Die Insel Vinland, von den Gefährten Bjarni und Leif entdeckt“).

In der Karte ist links oben folgender Text zu lesen:

Volente deo post longum iter ab insula Gronelanda per meridiem ad reliquas extremas partes occidentalis occeani maris iter facientes ad austrum inter glacies byarnus et leiphus erissonius socij terram nouam uberrimam videlicet viniferam inuenerunt quam Vinilandam [oder: Vimlandam] insulam appellauerunt. Henricus Gronelande regionumque finitimarum sedis apostolicae episcopus legatus in hac terra spaciosa vero et opulentissima in postremo anno pontificis [oder: patris] sanctissimi nostri Pascali accessit in nomine dei omnipotentis longo tempore mansit estiuo et brumali postea versus Gronelandam redit ad orientem hiemalem deinde humillima obediencia superiori voluntati processit[4]."
(Mit dem Willen Gottes und nach einer langen Reise, die sie von der Insel Grönland aus nach Süden zu den übrigen äußersten Bezirken des westlichen Ozeans durch das Eis machten, entdeckten die Gefährten Bjarni und Leif Eriksson ein neues, sehr fruchtbares, nämlich weintragendes Land, das sie die Insel Vinland nannten. Henricus [= Erik], Bischof des Heiligen Stuhls von Grönland und angrenzender Länder, entsandt in dieses weiträumige und überaus reiche Land, traf im letzten Jahr unseres heiligsten Vaters Paschalis ein, blieb dort im Namen des allmächtigen Gottes für lange Zeit sowohl im Sommer wie auch im Winter und kehrte danach gen Grönland nach Nordosten zurück und setzte darauf in unterwürfigster Befolgung höheren Willens seine Reise fort.)[5][6]

Beide Texte entsprechen in ihrem Inhalt weitgehend den Gegebenheiten, die in den isländischen Sagas und anderen Quellen überliefert sind.

So wird in mehreren isländischen Annalen für das Jahr 1121 von der Suche eines Eriks, Bischof von Grönland, nach Vinland berichtet. Eine zumindest ungefähre Übereinstimmung besteht in Hinsicht auf die Amtszeit von Papst Paschalis II.

Im Einzelnen ist die Zuordnung der in den obigen Texten erwähnten Namen zu den als historisch geltenden Personen der Isländersagas umstritten, wobei die Zweifel zumindest teilweise auf der Kontroverse um die Echtheit der Karte beruhen.

Ursprung

Die Karte lässt sich nur bis ins Jahr 1957 zu einem Buchhändler aus Barcelona zurückverfolgen, der sie, zusammengebunden mit einer spätmittelalterlichen Abschrift der Historia Tartaorum, zum Verkauf anbot. Die Historia Tartaorum („Geschichte der Tataren“) ist ein Bericht von der Missionsreise des Franziskaners Johannes de Plano Carpini zu den Mongolen in den Jahren 1245 bis 1247. Lawrence Witten, ein Antiquar aus Connecticut, erwarb die Karte und das Buch für 3500 Dollar.

Ermöglicht durch die Stiftung von 250.000 Dollar eines zunächst anonymen Mäzens (Paul Mellon), gelangte die Karte 1959 an die Yale University. Die Yale University nimmt bis heute die Echtheit der Karte an und ließ 1995 fast unverändert, und ohne auf die seither laut gewordene Kritik zu reagieren, die Erstveröffentlichung der Karte von 1965 nachdrucken. Der Versicherungswert wurde 1995 mit 25 Millionen US-Dollar angesetzt.

Bedeutung für die Wissenschaft

Dass jenes fruchtbare Land, das die Grænlendingar im Westen entdeckten und Vinland nannten, auf dem nordamerikanischen Kontinent lag und die Wikinger somit Amerika, genauer Neufundland, erreichten, ist inzwischen archäologisch gesichert. Davon zeugen die 1978 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärten Reste einer Wikingersiedlung auf Neufundland bei L'Anse aux Meadows. Die Vinlandkarte hat insofern keinen historischen Quellenwert. Alle Angaben, die sie enthält, sind bereits aus schriftlichen Quellen bekannt. Eben dies stützte den Verdacht, es könnte sich um eine neuzeitliche Fälschung handeln.

Echt oder gefälscht?

Ob es sich bei der Karte um eine neuzeitliche Fälschung handelt oder ob sie tatsächlich aus dem 15. Jahrhundert stammen kann, ist hoch umstritten. Gegenstand der Diskussion sind vorrangig folgende Eigenschaften der Karte und des Gesamtmanuskripts: das Pergament, die verwendete Tinte, Schriftarten, Sprachmerkmale und die kartographische Darstellung.

Pergament

Das Pergament der Karte ist zweifelsfrei echt. Die Radiokarbonuntersuchung datiert es auf etwa 1434. Anhand übereinstimmender Wurmlöcher ließen sich die Karte sowie die Historia Tartaorum als ursprüngliche Bestandteile eines Codex identifizieren, der hauptsächlich eine Teilabschrift des verbreiteten „Speculum historiale“ des Vinzenz von Beauvais enthielt (heute Yale, Beinecke Library MS 350). Damit klärte sich auch ein zuvor unverständliches Textfragment auf der Rückseite des Pergamentblattes, das in inkorrektem nachmittelalterlichem Latein die Karte als „delineatio prima pars secunda pars tertia partis speculi“ bezeichnet, was etwa „Karte, erster, zweiter und dritter Teil des Speculums“ heißen kann, ohne Kenntnis des Ursprungs des Pergaments aber keinen Sinn ergibt. Sowohl das „Speculum historiale“ wie der Reisebericht sind zweifelsfrei in der Mitte des 15. Jahrhunderts auf das Pergament geschrieben worden.

Für das 16. Jahrhundert wird das Vorhandensein von Kartenzeichnungen, die sich auf das vormals entdeckte Land im Westen beziehen, aufgrund einer Textstelle nahegelegt. So soll ein Sir Erlend Thordson im Jahre 1568 ein kleines Buch mit einer Karte besessen haben, in dem "die Grenzen von Markland, Einfœtingjaland ("Land des Einfüßers"),und Klein-Helluland, zusammen mit Grönland, im Westen davon, wo anscheinend das gute Terra Florida beginnt" verzeichnet gewesen seien [7]

Merkmale der Schrift

Seit 2004 ist ein zweiter Codex bekannt, der dieselbe Textzusammenstellung enthält (Zisterzienserkloster Luzern, um 1340) und möglicherweise die Vorlage für das Yale-Exemplar war. Eine Karte enthält das Luzerner Exemplar allerdings nicht. Auch nach paläographischen Kriterien stammen die Kartenlegenden der Vinland-Karte nicht von dem Schreiber, der die beiden Texte kopierte. Eine seriöse paläographische und kodikologische Untersuchung, wie sie schon 1966 gefordert wurde, wurde von der besitzenden Bibliothek lange nicht veranlasst; es bestanden daher massive Zweifel daran, dass die Karte gleichzeitig mit den Texten auf das Pergament kam. So erschien die humanistische Schreibung der ae-Ligatur als Fremdkörper in der sonst humanistisch unbeeinflussten Bastardschrift.

Tinten

Auch an der Kartenzeichnung selbst wurden Zweifel geäußert. Die Legenden der Karte und ihr Rand wurden mit einer schwarzen, die Karte selbst mit einer bräunlichen Tinte gezeichnet. Die bräunliche Tinte enthält das Titandioxid Anatas. Elektronenmikroskopische Untersuchungen schienen nahezulegen, dass das Pigment nicht durch Pulverisierung, sondern durch Ausfällung entstand – ein Verfahren, das erst seit 1923 angewandt wird. Nach Erkenntnissen von 1987 ist Anatas allerdings auch auf echten Dokumenten des 15. Jahrhunderts nachzuweisen, da es sich bei einer bestimmten Tintenrezeptur, der Eisengallustinte, aus natürlichen mineralischen Bestandteilen bilden kann. Im Juli 2002 stellte man unter Anwendung der Ramanspektroskopie jedoch fest, dass die Karte – im Gegensatz zu den authentischen Textpartien des Codex – nicht mit einer Eisengallustinte, sondern mit einer Tinte auf Kohlenstoffbasis hergestellt wurde. Damit scheint zunächst erwiesen, dass die Zeichnung der Karte nicht von vor 1923 stammen könne.

Inzwischen aber steht für René Larsen, den Rektor der Konservatorenschule an der Royal Danish Academy of Fine Arts, einem Bericht der Zeitschrift Der Spiegel zufolge[8], die Echtheit des Dokuments außer Zweifel: „Wir haben nach fünf Jahren intensiver Studien keine Hinweise dafür gefunden, dass die Vinland-Karte gefälscht ist“ - insbesondere, seitdem in der Tinte Partikel von Anatas gefunden wurden, einem seltenen Mineral, das sich in Eisengallustinte bilden kann, nicht aber in kohlenstoffbasierter Tinte. „Das Anatas, so Larsen, komme aus dem Sand, der zum Trocknen darüber gestreut wurde. Und die Wurmlöcher im Pergament der Karte stimmten mit denen im Deckel jenes Buchs überein, in das sie eingebunden war.“ [9][10]

Kartographische Darstellung

Auch aus der kartographischen Darstellung wurde auf die Unechtheit der Vinland-Karte geschlossen. Die Karte bilde geographische Gegebenheiten ab, die den Seefahrern des 9. bis 15. Jahrhunderts noch nicht bekannt gewesen seien. Besonders die Darstellung Grönlands als Insel wirke anachronistisch, da andere Karten Grönland noch Jahrhunderte später als nach Norden hin unbegrenzt zeigten. Die nördliche Erstreckung der Insel sei erst im 19./20. Jahrhundert kartographisch erfasst worden. Während Island und Grönland sehr treffend wiedergegeben seien, zeige Skandinavien die typisch mittelalterlichen Verzerrungen und Verschiebungen. Auch die zeichnerische Binnengliederung Vinlands mit zwei Buchten oder Fjorden wird für höchst untypisch angesehen; andere Inseln und Küstenlinien seien demgegenüber sehr undifferenziert wiedergegeben. Auch lägen die drei westlichen Inseln außerhalb der ovalen Form, innerhalb derer die übrigen Küstenlinien angeordnet seien. Gestünde man zu, dass eine ovale Form vom Zeichner beabsichtigt und für erforderlich angesehen worden war, dann wäre diese ovale Form gleichwohl gewahrt. Denn die Linie dieser ovalen Form müsste von der Mitte der Karte aus entlang der nördlichen und westlichen Linien der Inseln gedacht werden. Damit könnte dies als ein für sich bereits ausreichender Beweggrund für die Darstellung Grönlands und Vinlands als Inseln angesehen werden. Diese Inseln könnten also auch als Abrundung der ovalen Form nach Norden und Westen aufgefasst werden.

Weiterhin behaupten Verfechter der Fälschungsthese, sogar die "moderne Ausrichtung" der Karte (Orientierung nach Norden) wäre in der lateinischen Tradition vor dem 15. Jahrhundert ohne Beispiel.

Sprachmerkmale

Ungewöhnlich ist ferner, dass der Text von einem Ereignis im letzten Jahr eines Papstes spricht. Normalerweise wäre das Jahr selbst als Kardinalzahl erwähnt.

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. Wurmspuren in der Wikingerkarte, Der Spiegel 32/2009, S. 97.
  2. Borrell, Brendan Pre-Columbian Map of North America Could Be Authentic--Or not, Scientific American (22. Juli 2009)
  3. Vinland Map is genuine! Or is it?
  4. nach P. G. Foote, On the Vinland Legends on the Vinland Map, in: Saga-Book 17 (1966-69), S. 73-89, S. 74ff. [1] (PDF)
  5. Vgl. die englische Übersetzung des Textes nach Skelton 1965, S. 140, zitiert bei Geraldine Barnes, Viking America: The First Millennium, Boydell & Brewer, New York 2001, S. 76 : “By God’s will, after a long voyage from the island of Greenland to the south toward the most distant remaining parts of the western ocean sea, sailing southward amidst the ice, the companions Bjarni and Leif Eiriksson discovered a new land, extremely fertile and even having vines, the which island they named Vinland. Eric [Henricus], legate of the Apostolic See and bishop of Greenland and the neighboring regions, arrived in this truly vast and very rich land, in the name Almighty God, in the last year of our most blessed father Pascal, remained a long time in both summer and winter, and later returned northeastward toward Greenland and then proceeded in most humble obedience to the will of his Superiors.) Ebenso: Derek Hayes in Historical Atlas of Canada, 2006, S. 10.
  6. vgl. auch Stuart. C. Brown, Newfoundland and Labrador Studies Vol 15, No 1 (1999), S. 115 f PDF.
  7. A.M Reeves, N.L. Beamish, R.B. Anderson: The Norse Discovery of America. 1906.
  8. Wurmspuren in der Wikingerkarte Spiegel 32/2009, S. 97
  9. René Larsen & Dorte V. Poulsen: Report on the Assessment and Survey of the Condition and Technique of the Vinland Map and the Bindings of the Tartar Relation and Speculum Historiale. The Royal Danish Academy of Fine Arts, School of Conservation, 20 December 2005, PDF-Datei
  10. René Larsen & Dorte V. P. Sommer: Facts and Myths about the Vinland Map and its Context. Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung, 2009, 23 (2): 196–205

Weblinks


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