- Void-koeffizient
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Der Dampfblasenkoeffizient (auch Kühlmittelverlustkoeffizient oder Voidkoeffizient genannt) ist ein Maß für die Veränderung der Reaktivität eines Kernreaktors bei Bildung von Dampfblasen im Kühlmittel oder im Moderator. Eine Reaktivitätsänderung, die nicht ausgeglichen wird, hat ihrerseits Änderungen der Wärmeleistung des Reaktors zur Folge. Deshalb ist der Dampfblasenkoeffizient wichtig für die Sicherheit des Reaktors.
Inhaltsverzeichnis
Erklärung und Definition
Als Reaktorkühlmittel dient bei den meisten Reaktortypen unter Druck stehendes Wasser, bei anderen flüssiges Metall oder Gas. Sobald die Kerntemperatur weit genug ansteigt, beginnt ein flüssiges Kühlmittel zu sieden, wodurch Dampfblasen entstehen, also Hohlräume im Kühlmittel (beim Siedewasserreaktor ist das der normale Betriebszustand). Durch Verlust des Kühlmittels kann es ebenfalls zur Bildung von Hohlräumen kommen (Kühlmittelverluststörfall).
Das flüssige Kühlmittel dient meist auch als Moderator und wirkt außerdem unvermeidlich in einem gewissen Maß als Neutronenabsorber. Die Gasblasen, also das dampfförmige Kühlmittel, zeigen aufgrund ihrer viel geringeren Dichte viel weniger Wirkung als das flüssige Kühlmittel, wodurch sich der Neutronen-Multiplikationsfaktor k (siehe Kritikalität) ändert. Für eine kleine Änderung des Blasenanteils am Gesamt-Kühlmittelvolumen ist die entsprechende Änderung δρ der Reaktivität ρ = (k-1)/k proportional der prozentualen Volumenänderung δV; die Proportionalitätskonstante ist der Dampfblasenkoeffizient
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Der Dampfblasenkoeffizient eines Reaktors mit flüssigem Moderator und/oder Kühlmittel kann, je nach Konstruktion, in allen Betriebszuständen positiv oder in allen Betriebszuständen negativ sein oder auch abhängig vom Betriebszustand sein Vorzeichen wechseln. Bei Reaktoren, deren Kern keine Flüssigkeiten enthält, gibt es naturgemäß keine Blasenbildung und keinen Dampfblasenkoeffizienten.
Typische Zahlenwerte des Dampfblasenkoeffizienten α für einen Siedewasserreaktor sind z. B.[1]:
-1,2·10−3/Vol% bei 20% Blasenanteil,
-1,6·10−3/Vol% bei 40% Blasenanteil.
Positiver Dampfblasenkoeffizient
Ein positiver Dampfblasenkoeffizient bedeutet, dass sich die thermische Leistung eines Reaktors erhöht, wenn sich im Kern Gasblasen bilden oder Hohlräume durch den Verlust von Kühlmittel entstehen. Bei genügend großem Dampfblasenkoeffizienten und einem nicht ausreichend schnellen Regelsystem kann sich eine positive Rückkopplung ergeben, sodass das gesamte Kühlmittel oder der Moderator in kürzester Zeit verdampfen.
Dieser Fall trat beim Reaktorunfall von Tschernobyl ein, bei dem ein Kernkraftwerksreaktor des Typs RBMK mit positivem Dampfblasenkoeffizient explodierte. Als Moderator dient bei diesem Typ Graphit und nicht das umgebende Kühlwasser.
Der Moderator bremst freiwerdende schnelle Neutronen ab, damit sie eine weitere Kernspaltung auslösen können. Es entsteht eine Kettenreaktion, wobei Wärme entsteht. Diese lässt im Kühlwasser Dampfblasen entstehen. Da Wasserdampf etwa eine 1000 mal geringere Dichte als Wasser hat, sind auch pro Volumeneinheit weniger Moleküle vorhanden, welche als Neutronen-Absorber wirken. Bei einem RBMK-Reaktor nimmt bei steigender Temperatur die Kühlung und die Absorption durch das Wasser ab, während durch den festen Graphitmoderator weiterhin langsame Neutronen entstehen, so dass die Kettenreaktion in Gang bleibt.
Bei einer erhöhten Temperatur steigt die Leistung an und damit auch die Menge des verdampften Wassers. Im Kühlwasser befindet sich jetzt eine sehr hohe Anzahl von Dampfbläschen. Durch Zwischenführen von Absorberstäben wird verhindert, dass die Kettenreaktion überkritisch wird. Das geschah beim Reaktor von Tschernobyl zwar schnell genug, allerdings waren die Spitzen dieser Absorberstäbe ebenfalls aus Graphit hergestellt, so dass beim alarmmäßigen Einführen der Stäbe die Reaktivität noch weiter anstieg, anstatt sich zu verringern. Dadurch wurden zumindest Teilbereiche des Reaktorkerns prompt überkritisch, was damals zusammen mit dem Effekt der schlagartig verminderten Xenon-135 Konzentration zur Katastrophe führte.
Negativer Dampfblasenkoeffizient
Ein negativer Dampfblasenkoeffizient bedeutet, dass sich die thermische Leistung im Normalfall verringert, wenn sich in Kühlwasser oder Moderator Hohlräume bilden. Das bedeutet aber auch, dass sich die Reaktivität erhöht, wenn die Größe der Hohlräume abnimmt, was z. B. in einem Siedewasserreaktor bei plötzlichem Druckanstieg passiert, etwa wenn versehentlich Dampfleitungen abgeriegelt werden.
Bei "normalen" mit Leicht- oder Schwerwasser gekühlten Reaktoren dient das Kühlmittel auch als Moderator. Die Reaktoren sind leicht untermoderiert ausgelegt, d. h., eine Verringerung der Moderatormenge verringert unter allen Umständen die Reaktivität.
Solche Reaktoren mit stets negativem Dampfblasenkoeffizienten werden gelegentlich auch als inhärent ("innewohnend") stabil oder eigenstabil bezeichnet.
Literatur
Dieter Emendörfer: Theorie der Kernreaktoren. Mannheim 1993[1]
Einzelnachweise
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