Kettenreaktion

Kettenreaktion

Eine Kettenreaktion ist eine physikalische oder chemische Umwandlung (Reaktion), die selbsttätig weitere gleichartige Umwandlungen nach sich zieht, sich also selbst am Weiterlaufen hält. Dadurch kann eine Umwandlung, die an einzelnen Atomen oder Molekülen beginnt, sich zu einem Vorgang erweitern, bei dem große Stoffmengen umgesetzt werden.

  • Im engeren Sinne spricht man von Kettenreaktion, wenn eines der Produkte der Einzelreaktion Ausgangsprodukt (Reaktand, Edukt) für die nächste Reaktion ist.
  • In etwas erweitertem Sinn kann der Begriff auch die damit vergleichbaren Vorgänge bezeichnen, bei denen nicht ein Reaktionsprodukt, sondern die bei der Einzelreaktion frei gewordene Energie die nächste Reaktion oder Reaktionen auslöst.

Bei jeder Kettenreaktion kann die Reaktionsrate (Zahl der Einzelreaktionen pro Zeiteinheit) zeitlich zunehmen, konstant sein oder abnehmen (Beispiele siehe unten). "Kettenreaktion" bedeutet also – entgegen einem häufigen Missverständnis – keineswegs, dass der Vorgang sich ständig beschleunigen oder ausbreiten und zu einer Katastrophe führen muss.

Der Begriff Kettenreaktion wird auch in der Umgangssprache im übertragenen Sinne für eine Abfolge gleichartiger Ereignisse gebraucht, von denen je eines das nächste auslöst (z. B. Dominoeffekt).

Inhaltsverzeichnis

Chemische Kettenreaktionen

Hauptartikel: Kettenreaktion (Chemie)

In der Chemie wird die Bezeichnung Kettenreaktion fast nur im oben angegebenen engeren Sinn (Weitergabe eines Reaktionsprodukts) benutzt. Wichtig sind chemische Kettenreaktionen z. B. bei der Polymerisation oder der radikalischen Substitution.

Die Bezeichnung der Polymerase-Kettenreaktion (PCR), die in der Molekularbiologie zur Vervielfältigung von DNA eingesetzt wird, ist etwas anders zu verstehen. Diese Reaktion verläuft nicht selbsterhaltend, aber die Produkte einer Einzelreaktion werden als Edukte für die nächsten, gleichartigen Reaktionsschritte benötigt und genutzt. Eine bekannte Anwendung der PCR ist die Bestimmung des Genetischen Fingerabdrucks.

Die erwähnten Vorgänge mit Energie-, aber nicht Produktweitergabe werden in der Chemie nicht Kettenreaktion genannt. Solche Vorgänge sind jedoch von großer praktischer Bedeutung. Zum Beispiel gehören dazu die Verbrennungsvorgänge: Ein Anfangsereignis (beispielsweise Energiezufuhr durch Licht oder Wärme) löst erste Einzelreaktionen an wenigen Atomen/Molekülen aus; dadurch wird Wärmeenergie freigesetzt (exotherme Reaktion), und mit deren Hilfe setzt die Reaktion sich mit zunächst ansteigender Reaktionsrate fort. Die Reaktionsrate kann dann, etwa durch gesteuerte Zufuhr der Reaktionsmaterialien wie Brennstoff und/oder Sauerstoff, auf einen konstanten Wert gebracht und gehalten werden. Dies ist der normale Betriebszustand z. B. im Ölbrenner einer Heizung. Wird dann z. B. kein Brennstoff mehr nachgeliefert, nimmt die Reaktionsrate nach und nach bis auf Null ab.

Physikalische Kettenreaktionen

Neutroneninduzierte Kernspaltung

Kernspaltungs-Kettenreaktion mit zunehmender Reaktionsrate

Die durch Absorption eines freien Neutrons ausgelöste Spaltung eines geeigneten Atomkerns setzt ihrerseits wieder einige Neutronen frei (im Mittel zwischen 2 und 3 Neutronen, je nach Nuklid und Energie des auslösenden Neutrons). Diese können weitere Kerne spalten, wobei wieder neue Neutronen frei werden usw.

Diese Kettenreaktion wird im Normalbetrieb eines Kernreaktors so gesteuert, dass die Reaktionsrate konstant bleibt (s. Kritikalität), d. h., dass im Mittel genau eines der neuen Neutronen wieder eine Spaltung auslöst. Zum Erhöhen der Leistung wird die Reaktionsrate gesteigert, zum Verringern reduziert. Änderungen der Reaktionsrate lassen sich durch den Multiplikationsfaktor k ausdrücken; je 1 freies Neutron hat als Nachfolger in der nächsten Generation durchschnittlich k freie Neutronen. Bei konstanter Reaktionsrate – und damit konstanter Reaktorleistung – ist k = 1,00.

Die Steuerung im Reaktor erfolgt meist durch Entfernen von Neutronen aus der Reaktion mittels geeigneter nicht spaltbarer Stoffe. Zum Beispiel wird in Druckwasserreaktoren für langsame und dauerhafte Änderungen die im Reaktorkühlwasser gelöste Menge einer Borverbindung geändert; zu kurzfristigen Korrekturen und zur Abschaltung dienen die Steuerstäbe.

Eine Kernwaffe wird dagegen auf möglichst schnellen und hohen Anstieg der Reaktionsrate hin konstruiert. Neutronenabsorber (außer dem Spaltstoff selbst) werden hier bei der Konstruktion vermieden.

Das Bild zeigt schematisch eine Spaltungs-Kettenreaktion mit schnell zunehmender Reaktionsrate, hier: Verdoppelung in jeder Generation. (Die Richtung von links nach rechts stellt nur den zeitlichen, nicht den räumlichen Ablauf dar. In Wirklichkeit bewegen sich die freigesetzten Neutronen in einem Spaltmaterial enthaltenden Raum in alle Raumrichtungen.)

Andere Kernreaktionstypen mit Neutronenweitergabe

Schon vor der Entdeckung der Kernspaltung hat Leo Szilard über die Möglichkeit nachgedacht, dass andere Typen von Kernreaktionen, die durch Neutronen ausgelöst werden und selbst wieder Neutronen freisetzen, als Kettenreaktionen verlaufen könnten. Dies ist aber nicht der Fall. Um eine Multiplikation k = 1 oder höher erreichen zu können, muss die Reaktion mehr Neutronen freisetzen als verbrauchen; um sich selbsttätig ohne Energiezufuhr fortzupflanzen, muss sie exotherm sein. Die Kernspaltung ist, wie man heute weiß, die einzige Reaktion, die beide Bedingungen erfüllt. Alle (n,2n)-, (n,3n)-, (n,x2n)- und ähnlichen Reaktionen (x bezeichnet ein oder mehrere beliebige Teilchen) sind endotherm.

Kernfusion

Die Kernreaktion im Fusionsreaktor verläuft nur im energetischen Sinne als Kettenreaktion, so wie die chemische Reaktion in einem Verbrennungsofen: Die Energie des Reaktionsproduktes Neutron wird technisch (z. B. zur Umwandlung in elektrische Energie) genutzt; die Energie des Reaktionsproduktes Alphateilchen wird durch Stöße auf Deuterium- und Tritiumkerne übertragen und bewirkt, dass die für weitere Fusionen nötige hohe Plasmatemperatur aufrechterhalten bleibt.

Eine Überkritikalität mit gefährlichen Folgen ist im Fusionsreaktor grundsätzlich nicht möglich, denn die vorgenannten Reaktionsprodukte sind selbst keine Fusionspartner (kein Brennstoff). Die Reaktionskammer enthält auch keinen nennenswerten Brennstoffvorrat; der muss während des Betriebs laufend nachgefüllt werden.

Ladungsträgervervielfachung durch Stoßprozesse

Kettenreaktionen treten auch in der selbständigen Gasentladung und als Lawinendurchbruch in Halbleiterdioden auf. Bei diesen Stoßprozessen handelt es sich allerdings nicht um Umwandlungen.

Siehe auch


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