Volksmedizin

Volksmedizin

Volksmedizin umfasst das in der Bevölkerung von einer Generation zur nächsten überlieferte Wissen über Krankheiten, Heilmethoden und Heilmittel. Volksmedizin reicht bis in die Anfangsgründe der Menschheit. Neben dem Erfahrung sammeln durch reines Ausprobieren – z. B. von Heilpflanzen oder von Heilmitteln tierischen bzw. mineralischen Ursprungs stehen Beobachtungen etwa von Tieren, die bei Krankheit instinktiv gewisse Pflanzen fressen.

Daneben dürften auch schon früh Analogie- und theoretische Erwägungen gestanden haben, etwa die bevorzugte Anwendung von Pflanzen mit leberförmigen Blättern bei Leberleiden oder gelbblühender Pflanzen bei Gelbsucht gemäß der Signaturenlehre. Solche Überlegungen werden von ihren Kritikern als Aberglaube eingeordnet. Leitend ist dabei der Vermutung, dass ähnliche Stoffwechselfunktionen bei Mensch und Pflanze zu Gestaltähnlichkeiten führen. Die Gabe einer solchen Pflanze könnte dabei beim kranken Menschen zu einer Harmonisierung eben jener Stoffwechselfunktionen führen. Solche Überlegungen führen zur Gewinnung von Hypothesen, die durch die heilkundliche Praxis bestätigt oder falsifiziert werden müssen.

Zu den Heilmethoden gehören seit der Steinzeit auch chirurgische Eingriffe, wie aus archäologischen Funden belegt ist. Weiterhin gehören hierzu Schwitzkuren, verschiedene Arten des Heilfastens oder die Schienung von Knochenbrüchen. Die Volksmedizin hat auch philosophische und religiöse Komponenten, die vielfach bis heute die Fastenzeit prägen.

Das medizinische Volkswissen wurde über Generationen hinweg weiterentwickelt und ist heute eng mit der Naturheilkunde verwandt. Die Trennung von der Schulmedizin begann spätestens ab dem 19. Jahrhundert mit der zunehmenden medizinischen Forschung an Hochschulen und der Entwicklung chemischer Medikamente. Moderne Präparate basieren sehr oft auf Wirkstoffen, die auch in der Volksmedizin verwendet wurden. Nur sind dabei die jeweiligen Wirkstoffe isoliert, chemisch analysiert und werden ggf. synthetisch hergestellt.

Im Mittelalter hatten das Kräuterweiblein und der Bader eine wichtige medizinische Funktion, besonders wenn die Inanspruchnahme eines Arztes zu teuer war. Die Berufsgruppe der Bader galt bis etwa 1400 als unehrenhaft und erhielt erst 1548 Zunftrechte. Gemeinsam mit den Barbieren waren sie sog. Handwerksärzte - im Gegensatz zur akademischen Ausbildung heutiger Mediziner - und ihre Ausbildung genau geregelt. Mit dem Aufkommen des Medizinstudiums gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen Medizinern "alter und neuer Schule", die in manchem bis heute nachwirken.

In Deutschland und teilweise auch in Schweiz/Österreich hatten Laienärzte oder Bauerndoktoren noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Stellung bei der medizinischen Betreuung von Mensch und Vieh in ländlichen Gebieten. In Chinas Bevölkerung nimmt die Volksmedizin heute einen fast gleichwertigen Rang neben der Schulmedizin ein; die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) wird an Hochschulen gelehrt. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in ländlichen Gegenden viele sogenannte Barfußärzte tätig, da es noch nicht genügend studierte TCM-Ärzte gab. Ähnliches gilt auch für viele andere Regionen.

Siehe auch

Literatur

  • Eberhard Wolff: "Volksmedizin": Abschied auf Raten: vom definitorischen zum heuristischen Begriffsverständnis. In: Zeitschrift für Volkskunde (94), S. 233-257.
  • Michael Simon: "Volksmedizin" im frühen 20. Jahrhundert. Zum Quellenwert des Atlas der deutschen Volkskunde. Gesellschaft für Volkskunde in Rheinland-Pfalz e.V., Mainz am Rhein 2003, ISBN 3-926052-27-9 (Studien zur Volkskultur 28)
  • Carly Seifarth: Aberglaube und Zauberei in der Volksmedizin. Bohmeier, Leipzig 2005, ISBN 3-89094-436-1
  • Françoise Loux: Das Kind und sein Körper in der Volksmedizin. Klett-Cotta, Stuttgart 1991, ISBN 3-12-935020-9
  • Enrique Blanco Cruz: Von der Volkskrankheit zur Krankheit des Teufels. Volksmedizin in Peru. Frankfurt: Vervuert 1985, ISBN 3-921600-36-7

Weblinks

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