Vydūnas

Vydūnas
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Vydūnas (bürgerl. Wilhelm Storost, lit. Vilius Storosta; * 22. März 1868 in dem ostpreußischen Dorf Jonaten (lit. Jonaičiai) im Kreis Heydekrug (lit. Šilutė); † 20. Februar 1953 in Detmold) war preußisch-litauischer Lehrer, Dichter, Philosoph, Humanist und Theosoph. Vydūnas ist auf der derzeit aktuellen 200-Litas-Banknote abgebildet.

Leben

Nach seiner Ausbildung zum Lehrer an der Präparandenanstalt in Pillkallen (1883-85) und am Lehrerseminar in Ragnit (1885-88) war Vydūnas von 1888 bis 1892 Lehrer in Kinten (lit. Kintai) an der dortigen Volksschule angestellt. In dem Kintener Schulhaus befindet sich heute ein kleines, sehenswertes Vydūnas-Museum. 1892 wechselte er an die Knabenschule in Tilsit (heute: Sowetsk), wo er bis 1912 tätig war. Er unterrichtete Deutsch, Französisch und Englisch, aber auch Litauisch und Sport. Im Jahre 1912 schied er aus dem Schuldienst aus, um sich philosophischen Studien zu widmen. Von 1913 bis 1919 studierte er als Gasthörer an den Universitäten Greifswald, Halle, Leipzig und Berlin. In den Jahren 1918/19 unterrichtete er Litauisch am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin, dessen Direktor der berühmte Orientalist Eduard Sachau war.

Eine schwere Krankheit (Schwindsucht) hatte ihn früh zu der Überzeugung gebracht, Körper und Seele müssten im Gleichgewicht sein. In der Folgezeit entwickelte er zahlreiche Gedanken und Schriften für ein geistig erfülltes Leben, als dessen Grundlage er den Humanismus sah. Vydūnas hatte großes Interesse an der indischen Kultur und übersetzte 1946 die „Bhagavad Gita“ als Erster ins Litauische. Während eines Aufenthaltes in Leipzig trat er um 1900 der dortigen der Theosophischen Gesellschaft bei. Zudem gründete er 1902 selbst eine theosphische Gesellschaft in Tilsit und brachte ab 1905 die theosophische Zeitschrift „Saltinis“ heraus.

Seine heutige Bekanntheit in Litauen beruht jedoch mehr aus seiner Tätigkeit für die Wiederbelebung litauischer Kultur, insbesondere der Volkslieder und der alten bäuerlichen Traditionen. In Tilsit leitete er den litauischen Chor und schrieb selbst zahlreiche Lieder ebenso wie Theaterstücke, die von seinem Laientheater aufgeführt wurden. Ab 1933 arbeitete er in Memel (lit. Klaipėda) an der dortigen Musikschule. Ein 1932 erschienenes Buch zum Thema „700 Jahre deutsch-litauischer Beziehungen“, das er auf deutsch verfasst hatte, wurde von den Nazis 1933 wegen seiner Idee der Völkerverständigung und seiner distanzierten (wiewohl auf Toleranz bedachten) Einstellung zum Deutschtum verboten. 1938 wurde er - im Alter von 70 Jahren - für zwei Monate ins Gefängnis gesteckt, aufgrund von Protesten aber wieder freigelassen.

Die Familie Storost war eine seit vielen Generationen in Memelland ansässige preußisch-litauische Familie deutscher Prägung. Vydūnas war mit der deutschen Klara Füllhase verheiratet. In seinem Buch „Sieben hundert Jahre deutsch-litauischer Beziehungen“, das in erster Auflage im Jahre 1932 in Tilsit erschienen war, schrieb er auf Seite 46 f.: „Es klang und klingt der deutsche Chorgesang. [...] Es singt im deutschen Lied die deutsche Menschenseele. [...]Im Elternhaus war so viel gesungen und musiziert. So viele schöne deutsche Lieder waren da erklungen.“ In dem Buch „Sing, sing was geschah“ (Rom 1980) von Rose Bittens-Goldschmidt liest man (S. 15): „Storost ließ die alte litauische Kultur vor seinen Schülern entstehen und verband sie aufs Schönste mit der preußischen und der deutschen. In der Musik brachte er ihnen ebenso die alten schönen Dainos [die litauischen Volkslieder] nahe, wie auch den Liederschatz der deutschen Romantik.

In Chicago ist im Jahre 1982 eine zweite Auflage von „700 Jahre“ erscheinen. Im Vorwort schreibt Vytautas Mikunas: „Durch seine Bildung ist er [Vydūnas] zweifellos ein Mensch der deutschen Kultur.“ In dieser zweiten Auflage findet sich als Nachwort ein Beitrag von Viktor Falkenhahn, dem großen Baltisten, mit der Überschrift „Erinnerungen und Ansichten eines Deutschen“. Dort heißt es: „Vydūnas sah und erkannte in der Tiefe des Deutschtums ganz spezielle höchste Werte des Menschentums, die sich in vielen genialen Deutschen wie Meister Eckehard, Goethe, Schiller, Thomas Mann und anderen ankündigten, Werte, auf die das Baltentum in seiner Tiefe zur Ergänzung und damit Vervollkommnung seines eigenen, spezifischen hohen, doch infolge seiner uralten tiefen Naturverbundenheit andersartigen Menschentums wartete.“ Vydūnas' Liebe zum angestammten Volkstum und seine Bestrebungen, „das Litauertum zu Ehren zu bringen“, haben ihn nie zu deutschfeindlichen Aussagen oder Aktivitäten verleitet. Viele seiner Äußerungen zeigen, wie sehr er das Deutschtum schätzte: Als Litauen während des Ersten Weltkriegs vom zaristischen Joch erlöst war, freut er sich in seinem Werk „Litauen in Vergangenheit und Gegenwart“ (Tilsit 1916, S. 16): „Für Litauen ist eine neue Zeit angebrochen. Es wird nun im Zusammenhang mit deutscher Macht und deutscher Kultur stehen.“ Und am 6. Januar 1918 schreibt Vydūnas an Sachau: „Ich hoffe zuversichtlich, daß sich das Los Litauens günstig gestalten wird und daß es in Verbindung mit Deutschland an Kulturkräften nicht einbüßen, sondern nur gewinnen wird. Ja, ich glaube sogar, daß Litauen auch dem deutschen Volke etwas wird geben können, das ihm zum Segen gereichen wird. Vielleicht liegt gerade in dem bisher gleichsam seit alters verschlossenen Litauertum etwas, was auch ein großes Weltvolk brauchen kann.

Auch in seinem Werk von 1932 hat sich an dieser grundsätzlichen Einstellung nichts geändert. Er schreibt: „Jedes Volkstum ist zunächst eine andere Art (Form und Gehalt) des Menschentums. Von einer Höher- oder Geringerbewertung des einen oder anderen muß darum abgesehen werden.“ Und weiter S. 416: „In seinem ganzen Gehalt ist doch das Deutschtum dem Litauertum in vieler Beziehung weit überlegen.“ In seinem gesamten literarischen Schaffen strebte Vydūnas jedoch danach, die Traditionen der litauischen Geschichte in den Dienst der Herausbildung eines litauischen Nationalbewußtseins zu stellen.

Infolge der russischen Luftangriffe auf Tilsit im Jahre 1944 floh Vydūnas zunächst auf das Gut Powarben im Samland, um weniger gestört arbeiten zu können. Zugleich unterrichtete er die Kinder des Gutsbesitzers Paul Gerhard Goertz.

Sicherlich war Vydūnas' politisches Engagement nach 1918 den deutschen Interessen und insbesondere den Interessen der großen Mehrheit der Memelländer nicht immer dienlich gewesen. Daraus entwickelten sich Vorbehalte deutscherseits, die sich bis heute tradiert haben. Vydūnas selbst hatte schnell begriffen, dass nationalistische Bestrebungen und Auswüchse auf beiden Seiten nicht zur Verständigung der Menschen untereinander und zur Befriedigung der gegenseitigen Interessen führen würden. In einem Brief an Sudermann vom 27. November 1927 klagte er: „Man schrieb und schreibt mir wohl auch noch heute eine Betätigung auf dem torheitsvollen Gebiet der Politik zu.“ In der Auswertung und Würdigung von Archivalien lässt sich weitgehend nachweisen, dass Vydūnas sich politisch betätigt hat oder sich von politischen Gegebenheiten in das Spannungsfeld der politischen Auseinandersetzungen hineinziehen ließ. Als Dichter und Denker suchte er im Verhältnis zwischen Deutschen und Litauern niemals die Konfrontation, sondern immer die Kooperation. Im gleichen Sinn schrieb Mikunas in dem oben erwähnten Vorwort: „Es ist ein herzlicher Wunsch der Litauer das Verhältnis mit den Deutschen auf einer Grundlage beiderseitigen Verständnisses, Achtung und nachbarlich friedlicher Mitarbeit zu gestalten.

Um tiefer in die Geisteshaltung des Humanisten Vydūnas eindringen zu können und um ihn zu verstehen, ist es hilfreich, etwas über sein Pseudonym zu wissen: Hierzu hat er sich wiederholt selbst geäußert, z.B. in „Litauen in Vergangenheit und Gegenwart“ (S. 77): „Die litauischen Dichternamen bedeuten etwas. Sie sagen genau so, wie im Morgenlande, daß der Träger dieses Namens eine Mission auf sich genommen hat.“ Der Großneffe von Vydūnas, Jürgen Storost (geb. 1940) berichtet in der „Zeitschrift für Slawistik“, Band 32 (1987), Heft 4, S. 617: „Viktor Falkenhahn, ein früher Freund, Schüler und Mitarbeiter von Vydūnas, berichtet in einem Gespräch, daß er zu dieser Namensproblematik Vydūnas einst direkt befragt habe. Vydūnas habe daraufhin geantwortet, daß er in anthroposophischer Absicht das Gegenteil eines litauischen 'pavydūnas', eines Neiders, Neidhammels, Mißgönners, einer eifersüchtigen Person sein wollte, also ein Mensch, 'der allen alles Gute gönnt'.“ Dieser Wilhelm Storost ist ein wahrer Vydūnas gewesen, treu seiner auf sich genommenen Mission. Wer „allen alles Gute gönnt“ ist unfähig zu hassen, wohl aber fähig zu leiden, ohne anzuklagen.

Nach einigen Monaten in Flüchtlingslagern, fand Vydūnas nach dem Krieg seine neue Heimat in Detmold, wo er 1953 im Alter von 85 Jahren starb. 1991 wurde sein letzter Wille erfüllt und seine sterblichen Überreste nach Litauen überführt. Sein Grab befindet sich heute in Bitenen (Bitėnai), in unmittelbarer Nähe des heiligen Bergs der Litauer, des Rombinas, der direkt an der Memel zwischen Tilsit und Ragnit liegt.

Literatur

Neben der großen litauischen Sekundärliteratur über Vydūnas, gibt es einige Zeitschriftenaufsätze in deutscher Sprache (mit litauischer Übersetzung) von Vydūnas' Großneffen Jürgen Storost (http://juergen-storost.npage.de):

  • Vydūnas in Berlin. In: Zeitschrift für Slawistik, Band 32, Berlin 1987, Heft 4, Seiten 613-628.
  • Vydūnas Berlynė. In: Pergalė, Vilnius 1988, Heft 6, Seiten 152-162.
  • Zum Verhältnis zwischen Vydūnas und Sudermann. In: Zeitschrift für Germanistik (Leipzig), 11. Jahrgang, April 1990, Heft 2, Seiten 192-203.
  • Apie Vydūno ir Zudermano santykius. In: Literatura ir Menas, Vilnius, 20. März 1993, Seite 11; 27. März 1993, Seiten 4, 5, 15. [mit Autorenportrait von Dr. Vacys Bagdonavičius]
  • Kryžkelėje [Zu einigen Aspekten des gesellschaftspolitischen Engagements von Vydūnas bis zum Jahre 1919]. In: Kultūros barai (Vilnius), 1990, Heft 3, Seiten 70-74.
  • Vydūnas' Vater. Zu Herkunft und Elternhaus des bedeutenden preußisch-litauischen Schriftstellers Wilhelm Storost-Vydūnas, Teil 1. In: Ostdeutsche Familienkunde 39 (1991), S. 385-392.
  • Vydūno tėvas. In: Ramuva, Vilnius 1990, Seiten 26-34.
  • Vydūnas und Fidus. Der Dichter und sein Buchschmuckgestalter. In: Marginalien, 128. Heft, Berlin und Weimar 1992, Seiten 70-86.
  • Vydūnas ir Fidus. Kūrėjas ir jo knygų dailininkas. In: Kultūros barai, 1993, Heft 5, Seiten 57-62.
  • Vydūnas in seinen letzten Lebensjahren. Briefe und Zeugschaften. Teil 1. In: Ostdeutsche Familienkunde 41 (1993), S. 161-169.
  • Vydūnas in seinen letzten Lebensjahren. Briefe und Zeugschaften. Teil 2. In: Ostdeutsche Familienkunde 41 (1993), S. 193-198.
  • Vydūūnas im Spiegel zeitgenössischer deutscher Behörden und Presseorgane. Eine Dokumentation. In: Arthur Hermann (Hrsg.), Die Grenze als Ort der Annäherung. 750 Jahre deutsch-litauische Beziehungen, Köln 1992, Seiten 97-148.
  • Vydūnas ketvirtojo dešimtmečio vokiečiu valdžios istaigose ir spaudos organuose. Dokumentacija. In: Lituanistica, Nr. 1 (9), 1992, Seiten 113-143. [mit Autorenportrait Storost von Dr. Vacys Bagdonavičius]
  • Vydūnas und die Sprache. In: Annaberger Annalen. Jahrbuch über Litauen und deutsch-litauische Beziehungen, Nr. 1, Bonn-Bad Godesberg 1993, Seiten 107-132.
  • Vydūnas ir kalba. In: Vydūnas Lietuviu Kultūroje, Vilnius 1994, Seiten 179-190.

Eine umfangreiche Übersicht der Primärliteratur von Vydūnas findet man im Katalog der Staatsbibliothek Berlin.

Weblinks


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