Völkerpsychologie

Völkerpsychologie ist die Wissenschaft vom Volksgeist, vom Seelisch-Geistigen im Leben der Völker. Sie untersucht die psychischen Vorgänge bei Volks-, Stammes- und Kultureinheiten. Heute haben Anthropologie, Ethnologie und Kultursoziologie die Untersuchungsgebiete der Völkerpsychologie übernommen.^[1]

Geschichte

Die Völkerpsychologie wurde begründet von Giambattista Vico, Heymann Steinthal und Moritz Lazarus. Sie ist eng verbunden mit dem Namen Wilhelm Wundt, dem Begründer der Psychologie, der die Völkerpsychologie in deduktiver Methode ausgestaltet hat.^[2] Wundt führte sie - unter großer Kritik - als Disziplin der Psychologie fort: Er hatte die Völkerpsychologie als Gegenstück zur Psychologie des Individuums konzipiert, und sie sollte sich mit historischen und sozialen Dimensionen des menschlichen Erlebens und Verhaltens beschäftigen. Betrachtet wurde das Volk, wobei Lazarus und Steinthal hier das Konzept des Volksgeistes entwickelten, das als ein Gebilde von übereinstimmenden, historisch herausgebildeten Wertvorstellungen definiert wurde. Wundt widmete sich der Weiterentwicklung dieser Sichtweise und verstand unter Völkerpsychologie eine kulturhistorische Analyse von Erscheinungen des Volksgeistes, vor allem Sprache, Mythos, Religion und Kunst.

Wirkung

Die Völkerpsychologie gilt auch als eine Vorläuferin der Sozialpsychologie, obwohl sie tatsächlich kaum Beiträge, nicht einmal besondere Impulse oder Ideen tradieren konnte. Die Völkerpsychologie, schon vorher stark kritisierte Randerscheinung, spielte ohnehin nach Wundts Tod in der Psychologie keine Rolle mehr. Viel einflussreicher war sie hingegen auf die Ethnologie sowie auf die frühe Soziologie. Wichtige frühe Theoretiker der Soziologie wie Émile Durkheim und Georg Simmel studierten Völkerpsychologie.

Moritz Lazarus war ein akademischer Lehrer Simmels.^[3] In den meisten Biographien über Simmel wird zumindest erwähnt, dass er Völkerpsychologie studiert habe. Die Autoren Georg Eckhardt und Uwe Laucken kommen weiterhin zu dem Ergebnis, Wundts Völkerpsychologie beeinflusste folgende Wissenschaftler:

• Soziologe Ch.H. Judd,^[4]
• Philosoph George Herbert Mead,^[5]
• Anthropologe Franz Boas,^[6]
• Historiker Karl Lamprecht,^[7]
• Psychologe Lew Semjonowitsch Wygotski,^[8]
• Neurologe Wladimir Michailowitsch Bechterew,
• Sozialanthropologe Bronisław Malinowski,
• Ethnologe Edward Sapir,
• W.I. Thomas und
• Linguist Benjamin Whorf.

Literatur

• Georg Eckardt (Hrsg): Völkerpsychologie - Versuch einer Neuentdeckung. Mit Beiträgen von Lazarus, Steinthal und Wundt. Psychol. VerlagsUnion, Weinheim 1997 ISBN 362127359X
• Uwe Laucken: Sozialpsychologie. Geschichte, Hauptströmungen, Tendenzen. Oldenburg, München 1998 ISBN 3814206193
• Moritz Lazarus: Grundzüge der Völkerpsychologie und Kulturwissenschaft. Herausgegeben von Klaus Christian Köhnke mit Einleitung und Anmerkungen. Meiner, Hamburg 2003 ISBN 3787316329

Weblinks

• Hegelwerkstatt: Völkerpsychologie.
• Uwe Laucken: Sozialpsychologie.

Einzelnachweise

1. ↑ Georgi Schischkoff: Philosophisches Wörterbuch. 22. Auflg., Kröner, , Stuttgart 1991, Lemma Völkerpsychologie.
2. ↑ Georgi Schischkoff: Philosophisches Wörterbuch. 22. Auflg., Kröner, , Stuttgart 1991, Lemma Völkerpsychologie.
3. ↑ Moritz Lazarus: Grundzüge der Völkerpsychologie und Kulturwissenschaft. Herausgegeben von Klaus Christian Köhnke mit Einleitung und Anmerkungen. Meiner, Hamburg 2003 S. xi, vgl. auch S. xv, xxi, xxii.
4. ↑ Georg Eckardt (Hrsg): Völkerpsychologie - Versuch einer Neuentdeckung. Psychol. VerlagsUnion, Weinheim 1997, S. 105.
5. ↑ Georg Eckardt (Hrsg): Völkerpsychologie - Versuch einer Neuentdeckung. Psychol. VerlagsUnion, Weinheim 1997, S. 107-109.
6. ↑ Georg Eckardt (Hrsg): Völkerpsychologie - Versuch einer Neuentdeckung. Psychol. VerlagsUnion, Weinheim 1997, S. 109-110.
7. ↑ Georg Eckardt (Hrsg): Völkerpsychologie - Versuch einer Neuentdeckung. Psychol. VerlagsUnion, Weinheim 1997, S. 111-112.
8. ↑ Uwe Laucken: Sozialpsychologie. Geschichte, Hauptströmungen, Tendenzen. Oldenburg, München 1998, S.88-89.