- Wertfreiheit
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Wertfreiheit ist in der Wissenschaftstheorie die Anforderung an eine Aussage, frei von normativem Gehalt zu sein. Häufig wird der Begriff auch in einem engeren Sinne verwendet und schließt nur moralische Bewertungen aus.
Inhaltsverzeichnis
Idee der Wertneutralität
Die Idee der Wertneutralität wird in den Wissenschaften häufig zumindest implizit in Anspruch genommen, da unterstellt wird, dass für die Akzeptanz oder Ablehnung einer Theorie alleine die Fakten und nicht Werte der Wissenschaftler ausschlaggebend sind. Historisch entscheidend für diese Annahme ist der britische Empirismus und insbesondere David Humes Formulierung des Sein-Sollen-Fehlschlusses.[1] Hume argumentierte, dass es prinzipiell nicht möglich sei, von Faktenbeschreibungen auf Werturteile zu schließen. Auch heute noch wird diese These häufig mit dem Verweis auf die prinzipielle Verschiedenheit von Fakten- und Werturteilen vertreten. Allerdings ermöglicht eine solche Unterscheidung auch den umgekehrten Schluss, dass man nie von einem Wert- auf ein Faktenurteil schließen könne.
Die bekannteste Formulierung einer derartigen These findet sich bei Max Weber, der auch die potentielle Wertfreiheit der Sozialwissenschaften verteidigte.[2] Wissenschaftliche Theorien hätten das Ziel, Fakten in der Welt zu beschreiben und für dieses Ziel seien Werturteile unerheblich. Anders formuliert: Für die Beantwortung der Frage „Was ist in der Welt der Fall?“ sei eine Beantwortung der Frage „Was sollte in der Welt der Fall sein?“ irrelevant.
Kritik
Die These der Wertfreiheit ist in der Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts aus verschiedenen Perspektiven kritisiert worden. So wird unter Bezug auf die Wissenschaftsgeschichte und Wissenssoziologie häufig argumentiert, dass die Wissenschaften nicht nur de facto von Werturteilen durchzogen seien, sondern dass sich Wissenschaften gar nicht anders als wertgeladen denken lassen.[3] Die Standards wissenschaftlicher Bewertung und die wissenschaftlichen Methoden seien immer von einem kulturellen Kontext geformt, der selbst wiederum Werturteile enthalte. Andere Argumente gegen die Wertfreiheitsthese sind wesentlich sprachphilosophisch motiviert. So ist etwa Hilary Putnam ein Vertreter der These, dass viele unverzichtbare Begriffe der Wissenschaften gleichermaßen beschreibend und bewertend seien.[4]
Wertfreiheit und Werturteilsfreiheit
Eine Unterscheidung von Wertfreiheit und Werturteilsfreiheit bietet für angewandte wissenschaftliche Fragestellungen eine wichtige Differenzierungsmöglichkeit. Beispielsweise sind die meisten Forschungen in den Agrarwissenschaften entweder direkt oder indirekt auf eine "bessere" Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte gerichtet. Diese Forschungen finden daher in einem werthaft aufgeladenen Raum statt. Einkommensinteressen der Erzeugerinnen, Fragen der Nahrungsmittelsicherheit und andere Interessen der Konsumenten sowie Schutz und Erhaltung der betroffenen Umweltgüter spielen regelmäßig eine Rolle für die Ausrichtung von individuellen Erkenntnisinteressen und Forschungsvorhaben wie für die Definition von umfangreichen Forschungsprogrammen. Dennoch ist es ein wissenschaftstheoretischer Standardanspruch an die empirischen Forschungsarbeiten, die Ermittlung der natur- oder sozialwissenschaftlichen Sachverhalte von deren Bewertung so weit wie möglich zu trennen. Entsprechende Arbeiten können dann zwar nicht als "wertfrei" bezeichnet werden, aber durchaus als "werturteilsfrei".
Siehe auch
Literatur
- Hans Albert/Ernst Topitsch (Hrsg.): Werturteilsstreit, Darmstadt 1971
- Ulrich Beck: Objektivität und Normativität. Die Theorie-Praxis-Debatte in der modernen deutschen und amerikanischen Soziologie, Reinbek 1974
- Stephen Finlay: The Conversational Practicality of Value Judgement, in: The Journal of Ethics 8/3 (2004), 205-223
- Haas, W.: Value Judgments, in: Mind 62 (1953).
- Jürgen Habermas: Eine Diskussionsbemerkung (1964): Wertfreiheit und Objektivität. In: Zur Logik der Sozialwissenschaften. 5. Auflage. Suhrkamp Taschenbuch, Wissenschaft 517, Frankfurt 1982, ISBN 3-518-28117-8 <2400>, Seite 77
- Karl-Heinz Hillmann: Werturteilsfreiheit, in: ders.: Wörterbuch der Soziologie. Kröner-Verlag, Stuttgart 1994, 932, ISBN 3-520-41004-4
- Lamont, W. D.: The Value Judgment, Edinburgh: Edinburgh University Press 1955
- Richard Mervyn: The Language of Morals, Oxford: Clarendon Press 1952
- Hugo Meynell: The Objectivity of Value Judgments, in: Philosophical Quarterly 21 (1971)
- Pieper, A. / Hügli, A.: Art. Werturteil, Werturteilsstreit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, 614-621
- Roy Wood Sellars: In What Sense do Value Judgments and Moral Judgments Have Objective Import?, in: Philosophy and Phenomenological Research 28 (1967).
- Hilary Putnam: The Collapse of the Fact/Value Dichotomy and Other Essays. Harvard University Press, Harvard 2004 ISBN 0674013808
- Max Weber: Die 'Objektivität' sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. v. Johannes Winckelmann, Tübingen 1988. ISBN 3-8252-1492-3 sowie in: Schriften zur Wissenschaftslehre, Reclam, Stuttgart 1991. ISBN 3-15-008748-1
- Max Weber: Der Sinn der »Wertfreiheit« der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften (1917), in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1988 (zuerst 1922), 489–540.
Fußnoten
- ↑ David Hume Ein Traktat über die menschliche Natur (engl. A Treatise of Human Nature.), Meiner, Hamburg 1989. ISBN 978-3-7873-0921-4, Buch III, Teil I, Kapitel I
- ↑ Max Weber: Die 'Objektivität' sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. v. Johannes Winckelmann, Tübingen 1988. ISBN 3-8252-1492-3 sowie in: Schriften zur Wissenschaftslehre, Reclam, Stuttgart 1991. ISBN 3-15-008748-1
- ↑ vgl. etwa: Paul Feyerabend: Wider den Methodenzwang, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1975, ISBN 3-518-28197-6, S.84ff.
- ↑ Hilary Putnam: The Collapse of the Fact/Value Dichotomy and Other Essays. Harvard University Press, Harvard 2004 ISBN 0674013808
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