Empirismus

Empirismus

Der Empirismus (griechisch εμπειρισμός, von der Empirie, bzw. lateinisch empiricus ‚der Erfahrung folgend‘) ist eine erkenntnistheoretische Grundposition, der zufolge alle wahren Erkenntnisse aus der Sinneserfahrung, der Beobachtung oder dem Experiment stammen. In der Philosophiegeschichte tritt der Empirismus als Strömung zunächst als Gegenentwurf zum Rationalismus auf. Da der Empirismus die Methodologie der Naturwissenschaften rechtfertigt, hatte er von der Zeit Galileo Galileis bis zum Ende der Moderne am Aufstieg der Naturwissenschaften teil. Moderne Formen im 20. Jahrhundert sind der Logische Empirismus und der Konstruktive Empirismus.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Der Empirismus steht als Grundposition der Erkenntnistheorie im Gegensatz zum Rationalismus, der die Vernunft als wesentlich für den Erkenntnisprozess hervorhebt, zum Nativismus, der auch angeborene Ideen und Begriffe zulässt und zum Offenbarungsglauben. Im empiristischen Paradigma können nur diejenigen Überzeugungen wahr sein, die im Erkenntnisprozess auf Erfahrung und sinnliche Wahrnehmung zurückgeführt werden können. Bei allem anderen handelt es sich um Einbildung, die die aus der Erfahrung stammenden Vorstellungen zerlegt und neu kombiniert. Nur diejenigen Vorstellungen, die in der Erfahrung wiedergefunden werden, gelten im Empirismus als verifiziert, als etwas Wahres. Nur Vorstellungen, für die die Frage nach der Wahrheit gestellt werden kann, gelten als sinnvoll.

Durch diese strenge Beschränkung hat sich der Empirismus als wissenschaftstheoretischer Überbau für die Naturwissenschaften bewährt. Während der Rationalismus nur die Deduktion als Schlussweise zulässt, bemüht sich der Empirismus um Kriterien für eine gültige oder zumindest äußerst plausible Induktion,[1] die daher als typische Schlussweise des Empirismus gilt. Einige Theoretiker (z. B. Charles Sanders Peirce) betrachten auch die Abduktion als Schlussverfahren. Gemeinsam reichen Abduktion und Induktion jedoch hin, um Erfahrung und Beobachtung zum Fundament wissenschaftlicher Theoriebildung zu machen. Aufgrund seiner engen Wahrheits- und Sinnkriterien üben Vertreter des Empirismus oft Metaphysikkritik oder sogar Religionskritik.[2] Die Gegenstände der Metaphysik sind für sie bloß ausgedachte und sinnlose Vorstellungen, von denen nachgewiesen werden kann, aus welchen ursprünglichen und empirisch verifizierbaren Vorstellungen sie gebildet oder abstrahiert werden. Eine Steigerungsform dieses Misstrauens gegenüber theoretischen Gegenständen führt zum Skeptizismus[3] bzw. zum Konstruktivismus (Philosophie). Dieser Zweifel kann aber auch benutzt werden, um idealistische Positionen zu rechtfertigen.[4] Ein Empirismus, der das mögliche Wissen auf die eigenen sinnlichen Erfahrung beschränkt, ist der Sensualismus.[5] Eine robuste, wenn auch zum Teil naiv realistische Form des Empirismus ist die Common-Sense-Philosophie.

Im Wiener Kreis entwickelte sich ein Logischer Empirismus, der im 20. Jahrhundert von Rudolf Carnap wirkungsmächtig vertreten wurde. So beeinflusste er in Amerika Philosophen wie Willard Van Orman Quine und mit ihm die Postanalytische Philosophie, weil Erkenntnis als logische Konstruktion der Erfahrung interpretiert wurde. Eine Möglichkeit, das Prinzip des Empirismus, das heißt die Gewinnung von Erkenntnissen auf der Basis von Sinnesdaten, auf mathematische Weise zu handhaben, zeigt das Bayes-Theorem. Bezüglich der Rechtfertigung vertritt auch der Kritische Rationalismus weiterhin eine empiristische Position, auch wenn er bezüglich der Theoriebildung eine andere Position vertritt.

Vertreter (Auswahl)

Kritik

Die Einschränkung der Erkenntnis auf den Bereich der bloßen Erfahrung lässt sich nach Meinung verschiedener Kritiker des Empirismus nicht halten. Einige von ihnen[6] weisen darauf hin, dass der Empirismus als wissenschaftliche Theorie seinen eigenen Ansprüchen für Rechtfertigung nicht genüge, da der Satz „Alle Erfahrungserkenntnis ist wahr“ nicht aus Erfahrung herleitbar sei. Erst recht gelte dies für den Grundsatz des Empirismus, dass alleine die Erfahrung wahre Erkenntnis gewährleiste. Willard Van Orman Quine[7] legte in seinem Aufsatz „Two Dogmas of Empiricism“ dar, dass auch zentrale Grundbegriffe des klassischen Empirismus nicht empirisch verifizierbar sind. Auch die Ablehnung der klassischen Wissenschaftstheorie zugunsten liberalerer Ansätze, etwa durch Paul Feyerabend oder in Folge der wissenschaftssoziologischen Ansätze von Karl Mannheim, Ludwik Fleck und Thomas S. Kuhn fällt auf den Empirismus als Grundposition zurück.

Siehe auch

Literatur

  • Engfer, Hans-Jürgen: Empirismus versus Rationalismus? Kritik eines philosophiegeschichtlichen Schemas. Schöningh, Paderborn 1996. ISBN 3-506-72241-7
  • Kambartel, Friedrich: Empirismus. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. (BI, Mannheim 1980 S. 542f;) 2., neubear.u.wes.ergän.Aufl. Metzler, Stuttgart 2005 S. 320f. (umf. Lit.) ISBN 978-3-476-02108-3
  • Longworth, Guy: Rationalism and Empiricism Vorauss. 2008 in: S. Chapman, C. Routledge (Eds.): Key Ideas in Linguistics and the Philosophy of Language. Edinburgh Univ. Press, Edinburgh

Weblinks

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. Vgl. etwa John Stuart Mill: A System of Logic, Ratiocinative and Inductive, Being a Connected View of the Principles of Evidence, and the Methods of Scientific Investigation, 1843 (Digitalisat) – deutsch: System der deduktiven und induktiven Logik, übersetzt von J. Schiel, Braunschweig 1868.
  2. Auch Zweige der Altphilologie und der Geschichtsforschung, sogar die von David Friedrich Strauß begründete Leben-Jesu-Forschung können also als ursprünglich empiristische Projekte der Rückführung der traditionellen Überlieferung auf reale Erfahrungen betrachtet werden. Nach der Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften besteht aber eine deutlich engere Beziehung des Empirismus zu den Naturwissenschaften. Siehe auch Methodenstreit (Sozialwissenschaften). Statt dem Ursprung des Wissens wird die Methodik in den Vordergrund gerückt, mit einer klaren Bevorzugung quantitiav-statistische Methoden. Wahr ist, was – ceteris paribus – mit Bezug auf die relevanten Einzelfälle wahrscheinlich ist.
  3. Als argumentative Figur bei Rene Descartes, als Position bei David Hume.
  4. So bei George Berkeley.
  5. Beispielsweise vertraten Ernst Mach und (in seinem Frühwerk) Bertrand Russell derartige Theorien.
  6. So z. B. Leonard Nelson.
  7. Willard Van Orman Quine: Two Dogmas of Empiricism, 1951, dt.: Zwei Dogmen des Empirismus

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