ÖPNV-Bevorrechtigung

ÖPNV-Bevorrechtigung

Als ÖPNV-Bevorrechtigung (auch Vorrangschaltung) wird die Bevorzugung von Straßenbahnen, Bussen oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln an Verkehrsampeln gegenüber dem Individualverkehr bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Zweck und Technik

Getrennte Ampeln für Autoverkehr, Öffentlichen Personennahverkehr und Fahrräder

Die Bevorzugung der ÖPNV-Fahrzeuge gegenüber dem Individualverkehr geht von der Annahme aus, dass in der gleichen Zeit einer Ampelgrünphase in ÖPNV-Fahrzeugen mehr Menschen befördert werden können als in den Individualfahrzeugen. Folglich ist es sinnvoll, die ÖPNV-Fahrzeuge zu bevorzugen. Als Nebeneffekt kann davon ausgegangen werden, dass der ÖPNV schnellere Durchlaufzeiten und eine höhere Fahrplantreue erreicht, somit die Attraktivität des Angebots steigt und dessen Zuschussbedarf gemindert werden. Dem stehen Nachteile für den Individualverkehr gegenüber: gekürzte Grünphasen oder unregelmäßigere Farbwechsel, evtl. auch ein verstärkter Rückstau. Manchmal ist die Einführung der Vorrangschaltung eine eher politische Entscheidung: Die Kommune betont mit der Bevorzugung des ÖPNV ihren Willen, dem ÖPNV als dem ökologisch günstigeren Verkehrsträger einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Voraussetzung jeder ÖPNV-Bevorrechtigung sind Fahrzeugerfassungssysteme: Der Steuerung der Verkehrsampel muss die Annäherung der Straßenbahn oder des Busses mitgeteilt werden. Hierzu werden beispielsweise Schleife/Leitungs-Systeme eingesetzt, bei der von einem Sender im Fahrzeug an eine in der Fahrbahn verlegte Antennenschleife, den Empfänger, Informationen gesendet werden. Andere Übermittlungsmöglichkeiten sind Bake/Funk-Systeme, Infrarotsysteme, die Induktive Meldeübertragung und Oberleitungskontakte. Zu den übermittelten Informationen können Liniennummer, Fahrtrichtung und Verspätungen gehören. Eine möglichst frühzeitige Anmeldung der Straßenbahn oder des Busses ist wünschenswert, um der Steuerung der Signalanlage genügend „Reaktionszeit“ zu geben.

Unterschieden wird die absolute Priorisierung und die bedingte Bevorrechtigung: Bei der absoluten Priorisierung genießt der ÖPNV uneingeschränkten Vorrang vor den anderen Verkehrsteilnehmern; der Verkehrsablauf ist dem an einem Bahnübergang gleich. Insbesondere an größeren Straßenkreuzungen ist oft nur eine bedingte Bevorrechtigung realisierbar, da hier die Interessen der übrigen Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen sind und auch Nutzungskonflikte zwischen verschiedenen Fahrzeugen des ÖPNV auftreten können. In diesen Fällen bestehen mehrere Möglichkeiten, durch Veränderungen des Signalzeitenplans die Wartezeiten für die Fahrzeuge des ÖPNV zu verringern: Signalphasen können verkürzt oder verlängert, der Signalzeitenplan für eine Bedarfsphase unterbrochen oder Signalphasen getauscht werden. Eine nur bei tatsächlicher Annäherung eines ÖPNV-Fahrzeugs eingelegte Bedarfsphase verringert die durchschnittlichen Wartezeiten für die anderen Verkehrsteilnehmer.

Eine Sonderform der ÖPNV-Bevorrechtigung ist die Zeitinsel: Die befristete Sperrung des Individualverkehrs durch eine Signalanlage im Bereich einer nicht in Seitenlage befindlichen Straßenbahnhaltestelle ohne Haltestelleninsel ermöglicht das gefahrlose Ein- und Aussteigen der Fahrgäste.

Eine weitere Sonderform ist die Busschleuse: Sie kann an Bushaltestellen oder am Ende eines Busfahrstreifens eingerichtet werden. Im Abstand von mindestens 30 Metern vor dem Knotenpunkt wird eine zweite Ampel aufgestellt; der Zwischenraum dient der Einfädelung der Stadtbusse vor den Individualverkehr.

Einrichtungen der ÖPNV-Bevorrechtigung können auch dazu verwandt werden, um den Vorrang von Polizei- und Feuerwehrfahrzeugen im Einsatz zu gewährleisten.

Anwendung

Von der in den 1970er Jahren verbreitet eingeführten Grünen Welle profitierten Straßenbahnen nur wenig: Die notwendigen Aufenthalte an Haltestellen verhinderten ein „Mitschwimmen“ im Takt der auf den Autoverkehr ausgerichteten Grünen Welle. Durch eine abwechselnde Anordnung der Haltestellen vor und nach den Kreuzungsbereichen kann erreicht werden, dass die Straßenbahn auch bei einer Grünen Welle jeden zweiten Streckenabschnitt ohne Wartezeiten durchfahren kann.

Einzelne Städte wie Basel für die dortige Straßenbahn setzten bereits in den 1970er Jahren auf umfassende Maßnahmen zur ÖPNV-Bevorrechtigung. Breitere Anwendung fand die ÖPNV-Bevorrechtigung im Zeichen gestiegenen Umweltbewusstseins erst in den 1980er Jahren. Die Planung derartiger Maßnahmen war fallweise von kommunalpolitischen Auseinandersetzungen begleitet, in denen sich die Interessen der verschiedenen Nutzer des Straßenraums widerspiegelten. Noch heute ist die ÖPNV-Bevorrechtigung in von Stadt zu Stadt unterschiedlichem Ausmaß durchgeführt.

Für die Verkehrsbetriebe ergeben sich durch die ÖPNV-Bevorrechtigung Vorteile: Besser kalkulierbare Wartezeiten vor den Signalanlagen erhöhen die Pünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel. Oft lässt sich auch die Reisegeschwindigkeit steigern, dadurch kann in Einzelfällen die Anzahl der eingesetzten Fahrzeuge verringert werden.

Signale

Grundsätzlich gibt es mehrere Arten von Signalen (auch Balkensignal genannt) zu unterscheiden. Ein Signal, häufig das große A (für Anforderung), zeigt an, dass die Ampel das Fahrzeug erfasst hat. Weiterhin gibt es das Abfertigungssignal T (Türen schließen), das Erlaubnissignal, das dem Verkehrszeichen „Vorfahrt gewähren (in Deutschland Zeichen 205) entspricht, und schließlich die Fahrsignale, die Haltpflicht oder Fahrerlaubnis anzeigen.[1]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Infomobil, Ausgabe 3/2006, S. 8, Zugriff am 28. Juli 2009

Literatur

  • Werner Schnabel, Dieter Lohse: Grundlagen der Straßenverkehrstechnik und der Verkehrsplanung. Band 1, 2. Auflage, Verlag für Bauwesen, Berlin 1997, ISBN 3-345-00566-2.

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