Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr

Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr

Das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr, kurz COTIF (original französisch Convention relative aux transports internationaux ferroviaires, englisch Convention concerning International Carriage by Rail), betrifft grenzüberschreitende Beförderungen von Gütern als auch von Personen. Aktuelle Version ist das COTIF 1999 nach dem Protokoll von Vilnius.

Zwei von sieben Anhängen des COTIF (Anhänge A und B) regeln das zivilrechtliche Vertragsverhältnis zwischen den Kunden der Eisenbahnbeförderung einerseits und den Beförderern andererseits. Hinsichtlich der Haftung der beteiligten Bahnen sind die Regelungen zwingend; die Beförderer können jedoch ihre Haftung erweitern.

Das COTIF-Regime gilt – mit Einschränkungen – europaweit und im angrenzenden asiatisch-afrikanischen Mittelmeerraum bis in den mittleren Osten, gegenwärtig (Juli 2011) für 47[1] Staaten.[2]

Das Abkommen ist zwar in deutscher, englischer und französischer Sprache abgefasst: bei Zweifeln ist jedoch die französische Fassung maßgeblich, vgl. Art. 45 COTIF.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

1893 trat das Erste internationale Übereinkommen über den Güterverkehr für den internationalen Schienenverkehr (IÜG, später CIM genannt, 1. Berner Übereinkommen) in Kraft, das mit dem Office central des transports internationaux par chemins de fer à Berne (OCTI) ein erstes europäisches Zentralamt hatte.

Durch das neue Übereinkommen wurde die Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF, L’Organisation intergouvernementale pour les transports internationaux ferroviaires)[3] gegründet. Die Organisation wurde ins Leben gerufen, um die Regelungen für den internationalen Frachtverkehr auf der Schiene zu vereinheitlichen und ihn dadurch zu vereinfachen und beschleunigen. Die OTIF gibt zudem die "Zeitschrift für den internationalen Eisenbahnverkehr" heraus.[4]

Die Schwerpunkte der Tätigkeit der OTIF sind: das internationale Eisenbahnbeförderungsrecht (Personenverkehr und Güterverkehr); die Beförderung gefährlicher Güter; Verträge über die Verwendung von Wagen; der Vertrag über die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur; die Validierung technischer Normen und die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften für Eisenbahnmaterial; die Beseitigung von Hindernissen beim Grenzübertritt im internationalen Eisenbahnverkehr; die Mitwirkung an der Ausarbeitung anderer internationaler Übereinkommen betreffend den Eisenbahnverkehr.

Das Übereinkommen COTIF wurde in Bern am 9. Mai 1980 unterzeichnet (2. Berner Übereinkommen).

Mit dem Inkrafttreten des Protokolls von Vilnius von 1999 ist die COTIF 1999 in den folgenden Jahren in Kraft getreten.[5]

Umfang

Personen - CIV (Anhang A)

Abschluss und Durchführung des Beförderungsvertrags sowie die Haftung der Beförderer im internationalen Eisenbahnpersonenverkehr sind in den Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen (CIV) geregelt. (Règles uniformes concernant le contrat de transport international ferroviaires des voyageurs).

Mit der Änderung der COTIF 1999 wurde auch die bis dahin bestehende Beförderungspflicht auf internationalen Eisenbahn(linien)strecken aufgegeben.

Es gilt auch nicht mehr, dass die internationalen Tarife die Verbindungen bestimmen, für die internationalen Fahrausweise ausgegeben werden. Sofern Beförderer als aufeinander folgende Beförderer zusammenarbeiten, treffen sie Vereinbarungen über die Preisberechnung und Aufteilung des Beförderungspreises untereinander.

Im Anhang CIV werden auch verbindliche Haftungsregelungen (Gefährdungshaftung; Mindesthaftungsbeträge; Haftungshöchstgrenzen teilweise unter Rückgriff auf das ergänzend heran zu ziehende Landesrecht) bei Verletzungen oder Tod der Reisenden, bzw. bei Beschädigung oder Verlust des mitreisenden Gepäcks, sowie für Verspätungen getroffen.

Güter - CIM (Anhang B)

Abschluss und Durchführung des Frachtvertrags sowie die Haftung der Beförderer im internationalen Eisenbahngüterverkehr sind in den Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern, (Règles uniformes concernant le contrat de transport international ferroviaires des marchandises) geregelt.

Diese legen den Inhalt des Frachtbriefs fest.

Auch Ganzzüge können im CIM-Regime verkehren.

Im Anhang CIM werden auch verbindliche Haftungsregelungen (Gefährdungshaftung, bzw. teilweise Haftung für vermutetes Verschulden; Haftungshöchstgrenzen) bei Beschädigung oder Verlust des beförderten Gutes, sowie für Verspätungen getroffen.

Gefahrgut - RID (Anhang C 1999)

Das Règlement concernant le transport international ferroviaire de marchandises Dangereuses (RID, Anhang C) regelt den Transport von Gefahrgut, deutsch Regelung zur/Ordnung für die (Schweiz) internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter.[6]

Das RID selbst besteht nur aus wenigen Artikeln, jedoch ist vor allem die umfangreiche technische Anlage von Bedeutung. Die Regelungen entsprechen inhaltlich weitgehend dem Europäischen Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR). Die Anlage zur RID ist zugleich Anlage zur EU-Richtlinie 96/49/EWG (Rahmenrichtlinie zur Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter).

Auf Initiative Deutschlands und der Schweiz wurde eine Verschärfung der RID beschlossen, die 2007 in Kraft trat. Bestandsfahrzeuge sollen bis 2015 nachgerüstet werden. Vorgesehen sind unter anderem Schutzschilder an den Stirnseiten, verstärkte Tankböden und energieverzehrende Puffer. Durch die neuen Maßnahmen sollen rund drei Viertel der Chlor-Freisetzungen bei Unfällen vermieden werden.[7]

Zur Vereinfachung der Arbeit und Abstimmung hat die COTIF einen RID-Fachausschuss als Organ der COTIF gebildet (siehe Artikel 13 § 1 d des COTIF 1999). Alle Mitgliedstaaten haben das Recht, Vertreter zu den Tagungen des RID-Fachausschusses zu entsenden, die in der Regel einmal jährlich stattfinden. Der RID-Fachausschuss ist nur dann beschlussfähig, wenn ein Drittel der Mitgliedstaaten vertreten ist (siehe Artikel 18 § 2 COTIF 1999). Der RID-Fachausschuss entscheidet über Anträge auf Änderung der Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID) (siehe Artikel 33 § 5 COTIF 1999). Im Einverständnis mit der Mehrheit der Mitgliedstaaten kann das Sekretariat der OTIF Nichtmitgliedstaaten und internationale Organisationen und Verbänden, die für Beförderungsfragen zuständig sind, zu den Tagungen einladen (siehe Artikel 16 § 5 COTIF 1999). Die Arbeitssprachen sind Deutsch, Englisch und Französisch.[8]

Wagen - CUV (Anhang D 1999)

Die Règles uniformes concernant les contrats d'utilisation de véhicules en trafic international ferroviaire (CUV), deutsch Einheitliche Rechtsvorschriften für Verträge über die Verwendung von Wagen im internationalen Eisenbahnverkehr enthalten eine dispositive Regelung der Haftung für Schäden an und Verlust von Fahrzeugen, die als Beförderungsmittel verwendet (und nicht etwa als rollendes Gut befördert) werden.

Die Regelung unterscheidet nicht zwischen Privatwagen, bahneigenen oder sonstigen Wagen.

Eisenbahninfrastruktur - CUI (Anhang E 1999)

Die Règles uniformes concernant le contrat d'utilisation de l'infrastructure en trafic international ferroviaire (CUI), (Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die Nutzung der Infrastruktur im internationalen Eisenbahnverkehr) umfassen Regelungen des zivilrechtlichen Vertragsverhältnisses für den Umgang mit „Schienenwegen und festen Anlagen, soweit sie für den Verkehr von Eisenbahnfahrzeugen und für die Verkehrssicherheit notwendig sind“.

Technische Normen und Vorschriften - APTU (Anhang F 1999)

Die Règles uniformes concernant la validation de normes techniques et l'adoption de prescriptions techniques uniformes applicables au matériel ferroviaire destiné à être utilisé en trafic international (APTU), Einheitliche Rechtsvorschriften für die Verbindlicherklärung technischer Normen und für die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften für Eisenbahnmaterial, das zur Verwendung im internationalen Verkehr bestimmt ist) legen das Verfahren fest, nach dem technische Normen und einheitliche technische Vorschriften für Eisenbahnmaterial für verbindlich erklärt bzw. angenommen werden.

Technische Zulassung - ATMF (Anhang G 1999)

Die Règles uniformes concernant l'admission technique de matériel ferroviaire utilisé en trafic international (ATMF, Einheitliche Rechtsvorschriften für die technische Zulassung von Eisenbahnmaterial, das im internationalen Verkehr verwendet wird) regeln die technische Zulassung von Eisenbahnfahrzeugen und sonstigem Eisenbahnmaterial.

Geltung

Europa

Die meisten Staaten Europas sind Mitglied der OTIF.

Die Anhänge E (CUI), F (APTU) und G (ATMF) zum COTIF 1999 enthalten jedoch Vorschriften betreffend Gegenstände, die auch durch das Recht der Europäischen Union geregelt werden. Seitens des Rates bzw. der Kommission gibt es noch keinen Beschluss über einen Beitritt der EU zum COTIF.

Derzeit herrscht ein größerer Streit zwischen der OTIF und der EU über den Beitritt der gesamten EU zum COTIF. Insbesondere will sich die EU vorbehalten, das COTIF nur solange anzuwenden, bis innerhalb der EU entsprechende eigene (abweichende) Regelungen verabschiedet werden. Dies stößt auf Unverständnis bei der OTIF. Im Juni 2011 soll deshalb auf einer außerordentlichen Generalversammlung der OTIF eine Lösung gesucht werden.[9]

Der EU-Verkehrsministerrat hat am 16. Juni 2011 dem Beitritt der EU zur zwischenstaatlichen Organisation für den Internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF) zugestimmt.[10]

Deutschland

Deutschland hat das COTIF 1999 ratifiziert. Dessen Bestimmungen (außer den Anhängen E, F, und G, über die die Bundesregierung gegenüber der OTIF eine Erklärung gemäß Artikel 42 COTIF abgegeben hat), sind so seit dem 1. Juli 2006 auch in der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden.

Österreich

Auch Österreich hat COTIF 1999 mit 1. Juli 2006 übernommen. Neben dem Art. 42 COTIF (CUI, APTU, ATMF) hat es insbesondere Vorbehalte gegen die Art. 2, § 1, CIV und Art. 2, § 1, CUI (jeweils Anwendungsbereich) angemeldet.

Schweiz

In der Schweiz ist COTIF 1999 vollinhaltlich gültig.

Weitere Länder

vgl. aktuelle Mitgliedsliste auf der Internetseite der OTIF.[2]

Literatur

  • Wolfgang Kunz: Eisenbahnrecht. Systematische Sammlung mit Kommentierungen der deutschen europäischen und internationalen Vorschriften, NOMOS Baden-Baden, 2008.
  • Railion Deutschland AG (ehem. DB Cargo AG, Hrsg.): Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter mit der Eisenbahn – GGVSE und RID. Loseblattwerk, TÜV Media GmbH (ehemals: TÜV-Verlag), Köln, ISBN 978-3-8249-0793-9
  • Wieske, Thomas, Transportrecht schnell erfasst, 2. Aufl., Berlin Heidelberg 2008 [Verlag: Springer], ISBN 978-3-540-73788-9
  • Hartenstein/ Reuschle, Handbuch des Fachanwalts für Transport- und Speditionsrecht, 1. Aufl., Köln 2010, Verlag Luchterhand, ISBN 978-3-472-06196-0, Kap.12: Internationaler Schienentransport, S.471 ff.
  • Koller, Ingo, Transportrecht. Kommentar, 7.Aufl., München 2010, Verlag C.H. Beck, ISBN 978-3-406-60041-8, Kommentierung der CIM
  • Kunz: Das neue Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr, transpr 2005, 329

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Allerdings ruhen bei einigen Ländern die Mitgliedschaften derzeit. Jordanien ist assoziiertes Mitglied; Armenien ist als 47. Mitglied zum 1. Juli 2011 beigetreten.
  2. a b Liste der Mitgliedstaaten auf den Seiten der OTIF
  3. OTIF: Zwischenstaatliche Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr
  4. Informationen zur "Zeitschrift für den internationalen Eisenbahnverkehr" und Archiv älterer Ausgaben als pdf-Dateien auf den Seiten der OTIF
  5. Freise, Neue Entwicklungen im Eisenbahnrecht anläßlich des Inkrafttretens des Übereinkommens COTIF 1999, transpr 2007, 45 (veröffentlicht u. a. auf der Internet-Seite der "Dt. Gesellschaft für Transportrecht e. V.")
  6. Derzeit liegt die RID 2011 vor (Vgl. Informationen auf der Internetseite der OTIF unter "Gefährliche Güter").
  7. Meldung Kesselwagen werden sicherer. In: Eisenbahn-Revue International. Heft 7/2006, ISSN 1421-2811, S. 361.
  8. Informationen zum Fachausschuss RID der COTIF auf der Internetseite der OTIF
  9. Information auf der Internet-Seite der OTIF unter "News"Information auf der Internet-Seite der OTIF unter "News" - Abruf vom 28. April 2011
  10. vgl. nur Pressemitteilung des BMVBS Nr. 129/2011 vom 16. Juni 2011.
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