- Überhang (Nachbarrecht)
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Als Überhang (Anries)[1] im Sinne des Nachbarrechts bezeichnet man Wurzeln und Zweige, die über oder in ein Nachbargrundstück hineinreichen.
Das Überhangsrecht untergliedert sich in
- Überhangsrecht (im engeren Sinne),
- Überfallsrecht,
- Kapprecht.
Inhaltsverzeichnis
Überhangsrecht
§ 911 BGB „Die Früchte, die von einem Baume oder einem Strauche auf ein Nachbargrundstück hinüberfallen, gelten als Früchte dieses Grundstücks.“
Diese Vorschrift findet in Deutschland und Liechtenstein keine Anwendung, wenn das betreffende Nachbargrundstück dem öffentlichen Gebrauch dient.[2]
In Liechtenstein und der Schweiz hat der Grundeigentümer, der das Überragen von Ästen auf seinen bebauten oder überbauten Boden dulden muss, ein Recht auf die an den Zweigen wachsenden Früchte bereits bevor diese auf das Grundstück fallen (Art 84 Abs. 2 SR; Art 687 Abs. 2 ZGB). Nach § 421 Abs. 1 österreichisches ABGB kann der Nachbar „über seinem Luftraum hängende Äste abschneiden oder sonst benützen“ und daher auch die noch am überhängenden Ast befindlichen Früchte ernten.
Der Berechtigte muss bei der Ernte fachgerecht vorgehen und hat die Pflanze möglichst zu schonen (Art 108 SR; § 421 Abs. 1 ABGB; Art 695 ZGB).
Das „Überhangsrecht“ bezieht sich in der Regel auch auf die Wurzeln.
Überfallsrecht
Das Überfallsrecht nach § 911 BGB ist unabhängig davon gegeben, ob die Früchte durch überhängende Äste oder durch andere Einwirkungen auf ein Nachbargrundstück fallen. Durch das Niederfallen auf das Nachbargrundstück (Separation) wächst das Eigentum an diesen Früchten nach BGB dem Nachbarn zu.[3]
Im Gegensatz hierzu kann der Nachbar in Liechtenstein, Österreich und der Schweiz nur das Eigentum an Früchten erlangen, die durch überhängende Äste auf sein Grundstück gefallen sind (Art 84 Abs. 2 SR; § 421 ABGB; Art 687 Abs. 2 ZGB). Fallen daher Früchte durch äußere Einwirkungen, z.B. Sturm, und nicht von überhängenden Ästen auf das Nachbargrundstück, hat der Eigentümer des Baumes oder Strauches weiterhin das Eigentumsrecht an diesen Früchten und kann die Herausgabe verlangen.
Kapprecht
Der Nachbar, auf dessen Grundstück Zweige eindringen, kann eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmen. Verstreicht diese Frist fruchtlos, hat er das Recht, die überhängenden Zweige abzutrennen (Kapprecht) und für sich zu behalten, es sei denn, der Überhang beeinträchtigt die Benutzung des Grundstücks nicht (§ 910 BGB). Dasselbe gilt ohne das Erfordernis der Fristsetzung für Wurzeln.
Ebenso ist in Liechtenstein (Art 84 Abs. 1 SR)[4] und in der Schweiz (Art 687 Abs. 1 ZGB) geregelt: „Überragende Äste und eindringende Wurzeln kann der Nachbar, wenn sie sein Eigentum schädigen und auf seine Beschwerde hin nicht binnen angemessener Frist beseitigt werden, kappen und für sich behalten“.
Das österreichische ABGB regelt in § 421 Abs. 1: „Jeder Eigentümer kann die in seinen Grund eindringenden Wurzeln eines fremden Baumes oder einer anderen fremden Pflanze aus seinem Boden entfernen und die über seinem Luftraum hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen. Dabei hat er aber fachgerecht vorzugehen und die Pflanze möglichst zu schonen“.
Das Kapprecht ist in Deutschland, Liechtenstein und der Schweiz nur unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen des Selbsthilferechts ausübbar, wenn:
- eine maßgebliche Schädigung des Eigentums droht oder eingetreten ist und
- die (formlose) Beschwerde des Nachbarn keine Wirkung beim Grundeigentümer, von dessen Grundstück die Störung ausgeht, hat.
In Österreich kann der Eigentümer, vorbehaltlich der Spezialgesetzgebung[5], jederzeit das Kapprecht ausüben und auch den Kostenersatz zur Hälfte vom Nachbarn erlangen, wenn ein Schaden durch den Überhang entstanden ist oder droht (§ 421 Abs. 2 ABGB), sofern er das Kapprecht fachgerecht ausübt (§ 421 Abs. 1 ABGB).
Römisch-rechtliche Grundlagen
Nach den Zwölf Tafeln (7, 10) hatte der Nachbar das Recht, jeden zweiten Tag die herübergefallenen Früchte abzuholen (vgl. D. 43, 28, 1 pr.).
Auch das Kapprecht findet sich bereits in den Zwölf Tafeln (7, 9a). Der durch den Schatten des Überhanges beeinträchtigte Nachbar konnte danach vom Eigentümer der Pflanze das Auslichten bis zu 15 Fuß Höhe verlangen (D. 43, 27 1 pr./7). Eindringende Wurzeln musste der Eigentümer der Pflanze auf Aufforderung durch den beeinträchtigten Nachbarn entfernen. Kam der Eigentümer der Pflanze der Aufforderung nicht nach, konnte der beeinträchtigte Nachbar zur Selbsthilfe greifen.
Literatur
- Max Kaser, "Römisches Privatrecht", C.H.Beck Verlag, ISBN 3-406-36065-3.
- Kostkiewicz/Schwander/Wolf, "ZGB Handkommentar zum Schweizerisches Zivilgesetzbuch", Orell Füssli Verlag AG, ISBN 3-280-07004-X
- Koziol-Welser, "Grundriß des bürgerlichen Rechts", Band II, Manz Verlag, ISBN 3-214-14692-0.
- Palandt, "Bürgerliches Gesetzbuch", C.H.Beck Verlag, ISBN 3-406-42930-0.
- Antonius Opilio, "Arbeitskommentar zum liechtensteinischen Sachenrecht", Band I, 2009, EDITION EUROPA Verlag, ISBN 978-3-901924-23-1.
Quellen und Verweise
- ↑ Deutsches Rechtswörterbuch: Anries = Überhang, Überfall; Recht darauf. Nebenformen sind: Anreis, Anris, Anriß. Der Begriff "Anries" findet sich heute noch im alemannischen Raum. Unter Anries wird teilweise auch der dingliche Anspruch auf die an den überhängenden Ästen und Zweigen wachsenden Früchte verstanden.
- ↑ In Liechtenstein und der Schweiz findet die Vorschrift zudem keine Anwendung auf Waldgrundstücke, die aneinander grenzen (Art 84 Abs. 3 SR; Art 687 Abs. 3 ZGB)
- ↑ Sofern es sich beim Nachbargrundstück nicht um ein Grundstück im öffentlichen Gebrauch handelt.
- ↑ Art 84 SR wird durch Art 108 SR ergänzt, nachdem die Ausübung dieses Rechtes „unter tunlichster Schonung der in Anspruch genommenen Grundstücke zu erfolgen“ hat, und, dass für diese Rechte für „Art und Umfang der Ausübung (…) die bestehenden örtlichen Übungen maßgebend“ sind.
- ↑ Bundes- und landesgesetzliche Regelungen über den Schutz von oder vor Bäumen und anderen Pflanzen, insbesondere über den Wald-, Flur-, Feld-, Ortsbild-, Natur- und Baumschutz,
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