Berufsberatung

Berufsberatung

Die Berufsberatung zielt darauf ab, Jugendliche und Erwachsene entsprechend ihrer Fähigkeiten, Interessen und ihres Charakterbildes/ihrer Persönlichkeitseigenschaften zu beraten. Den Großteil der Berufsberatung übernimmt in Deutschland die Bundesagentur für Arbeit. Sie ist gesetzlich dazu verpflichtet (§ 29, SGB III). Seit der Abschaffung des Beratungsmonopols der Bundesagentur im Jahre 1998 gibt es jedoch auch kommerzielle Berufsberatung und Bewerbungstraining von Trägern der freien Jugendpflege (Jugendhilfe). Die Professionalität der Beratung ist nicht gesichert durch gesetzliche Mindeststandards.

Inhaltsverzeichnis

Berufsverbände

In Deutschland hat der Deutsche Verband für Bildungs- und Berufsberatung e.V. (DVB) Qualitätsstandards definiert. Berufsberater, die die Qualitätsstandards einhalten und im Verband organisiert sind, sind im DVB-Berufsberatungsregister eingetragen.

In der Schweiz fällt die Berufsberatung in die Hoheit der einzelnen Kantone.

In Frankreich sind die im Staatsdienst beschäftigten Berufsberater in der Association des conseillers d'orientation - psychologues de France organisiert.

In den USA sind Schul-Counselors im National Board for Certified Counselors und/oder in der National Career Development Association organisiert.

Ein international verbreiteter Qualitätsstandard mit über 17.000 Mitgliedern ist der Global Career Development Facilitator.[1] Ein weltweit agierender Dachverband von Berufsberatern ist IAEVG (AIOSP).

Geschichte

Zu den Begründern der modernen Berufsberatung zählt vor allem Frank Parsons, der - basierend auf einer pragmatistischen Erziehungstheorie - sich in Boston für die Verbesserung der beruflichen Bildung von Jugendlichen engagierte und im Jahr 1908 zum ersten Mal systematisch die Prozeduren der Berufsberatung beschrieben hat. Sein Hauptwerk Choosing a Vocation[2] wurde erst nach seinem Tod 1909 veröffentlicht. Zu den Eckpfeilern der Berufsberatung zählen seit Parsons

1. ein klares Verständnis der eigenen Neigungen, Fähigkeiten, Ressourcen und Grenzen

2. die Kenntnis der Anforderungen und Bedingungen des beruflichen Erfolgs, der Chancen, Risiken und Belohnungen in verschiedenen Tätigkeitsfeldern

3. eine Abwägung dieser beiden Gruppen von Faktoren und ggf. das abschließende Matching, d.h. die Zuordnung zu einem Beruf.

Parsons nahm weiterhin an, dass die Selbstauskunft der zu Beratenden im Rahmen von Beratungsgesprächen (und nicht irgendein Test) die wichtigste und valideste Informationsquelle für den Berater ist.

In den USA wurden auch weitere wichtige Beiträge zur Theorie und Methodik der Berufsberatung entwickelt (z.B. von John L. Holland,[3] Edgar Schein, Donald E. Super,[4] Vernon G. Zunker). Es gibt in den USA eigene Masterstudiengänge für Career Counselors.

In Deutschland war seit 1902 die Auskunftsstelle für Frauenberufe unter Leitung von Josephine Levy-Rathenau die erste selbständige Berufsberatungseinrichtung auf deutschem Boden.

Nutzerkreis und Zielgruppen

Die Berufsberatung wird von Schülern, Studenten, Schul- oder Studienabbrechern, Berufstätigen mit Weiterbildungswünschen und Hochschulabsolventen in Anspruch genommen. Durch die Bundesagentur für Arbeit wird die Beratung von Jugendlichen ohne Hochschulzugangsberechtigung vom Team U25 (Personenkreis unter 25 Jahre) übernommen. Die akademische Beratung erfolgt durch Berater für akademische Berufe. Hier geht es unter anderem darum, Kenntnisse, Interessen, Fähigkeiten und (Lebens-) Ziele mit in Frage kommenden Studiengängen in Einklang zu bringen. Mit Absolventen werden mögliche Strategien zum Einstieg in den Arbeitsmarkt erarbeitet.

Leistungen

Berufsberatung wird überwiegend als meritorisches Gut angeboten. Alle Leistungen der Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit sind für die Nutzer kostenlos. Private kommerzielle Organisationen können ihre Dienstleistungen in Rechnung stellen. So bezahlen Erwachsene z. T. bestimmte Sonderleistungen wie Testabklärungen selbst (Bsp. Kanton Zürich). In Deutschland, Österreich und vor allem in der Schweiz gibt es, ergänzend zu den öffentlichen Dienstleistungen, auch private Angebote.

Nach dem strukturellen Umbau der Bundesagentur gibt es keine gesonderte Abteilung „Berufsberatung“ mehr. Sie ist jetzt in die allgemeine Arbeitsvermittlung eingegliedert und auf unterschiedliche Organisationseinheiten aufgeteilt. Für die Berufsberatung sowie Vermittlung Jugendlicher in Ausbildung ist das Team U25 zuständig. Allerdings ist für die Ausbildungsvermittlung erwerbsfähiger hilfebedürftiger Jugendlicher, die dem Rechtskreis SGB II angehören, nunmehr das Jobcenter (Dienststelle für Arbeitslosengeld II) zuständig.

Die Berufsberatung bietet den Ratsuchenden Folgendes an:

  • unabhängige individuelle Beratung zur beruflichen Orientierung und Entscheidungsfindung[5]
  • Gruppenberatung zu vereinbarten Themen
  • Beratung und Informationen über Studiengänge
  • Studienfeldbezogene Beratungstests in verschiedenen Studiengebieten
  • Beratung und Informationen über schulische und betriebliche Ausbildungsberufe
  • Berufsorientierungsveranstaltungen an Schulen oder nach Vereinbarung
  • Berufskundliche Veranstaltungen im BIZ
  • Informationsveranstaltungen in den Hochschulen
  • Sprechstunden in den Schulen
  • Sprechstunden in den Hochschulen in Zusammenarbeit mit der ZSB (Zentrale Studienberatung)
  • Zeitschriften und Bücher über Berufswahl
  • Beratung über weiterführende Schulen, die zu den beruflichen Zielen führen können
  • Vermittlungsvorschläge für Ausbildungsstellen nach einer Eignungsklärung
  • Psychologische Eignungsuntersuchung
  • geleitete Selbsterkundungsprogramme
  • Erkundungen der Berufs- und Arbeitswelt (Betriebsbesichtigungen/-praktika)

Bei vielen Beratungsträgern sind Interessenorientierungstests im Einsatz, die zum großen Teil auf dem RIASEC-Modell von John L. Holland basieren.[6]

Berufsinformationszentrum

Das Berufsinformationszentrum (BIZ) ist an die Berufsberatung der Bundesagentur angegliedert. Sie kann auch ohne vorhergehende Beratung zur Selbstsuche benutzt werden. Ratsuchende haben dort die Möglichkeit durch Medien sich über die einzelnen Berufe zu informieren. So liegen meist für alle anerkannten Berufe Videoporträts zu dem Berufsbild vor. Auch andere Medien sind vorhanden.

Online-Berufsberatung

Online-Berufsberatung ist in Deutschland noch nicht sehr verbreitet, doch nimmt ihre Bedeutung in Ländern mit dezentralisierter Siedlungsstruktur zu. Eine kostenlose Online-Beratungsplattform für Frauen bietet z.B. der Kreis Borken an.[7] Eine zunehmende Bedeutung haben auch webbasierte Selbsttests und Online-Tests, die in den Berufsinformationszentren (BIZ) der Bundesagentur für Arbeit angeboten werden.[8]

Kritik

Die Berufsberatung in Deutschland gilt als institutionell zersplittert.[9] Nur schwach entwickelt sind bisher Ansätze zur Leistungsmessung und vor allem zur langfristigen Wirkungsüberprüfung der Berufsberatung, z.B. mit Hilfe des „Social Return on Investment“-Ansatzes. Schon aus methodischen Gründen ist es schwierig, den Lenkungseffekt einer einmaligen Beratung von dem anderer Einflussgrößen auf die Berufswahl zu isolieren. Bei fast allen bisherigen Evaluationsversuchen[10] wird nur die subjektive und kurzfristige Zufriedenheit mit der Beratungssituation gemessen.

Einzelnachweise

  1. http://www.cdf-global.org/extras/cce-global/pdfs/gcdfnewsletterwinter11.pdf GCDF in Today's Labor Market. The GCDF Connection, Winter 2011
  2. Parsons, Frank: Choosing a Vocation. Boston: Houghton Mifflin 1909
  3. John L. Holland (1997): Making Vocational Choices. A Theory of Vocational Personalities and Work Environments. Psychological Assessment Resources Inc. ISBN 0-911907-27-0.
  4. Wendy A. Patton & Jan Lokan (2001): Perspectives on Donald Super’s Construct of Career Maturity. International Journal for Educational and Vocational Guidance 1(1/2), pp. 31-48.
  5. W. Sarges, G. Birkhan & G.-H. Klevenow (1989). Analyse der beruflichen Einzelberatung - Bedarf, Vermittlung und Funktion von Informationen. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, BeitrAB 134. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit.
  6. Christian Bergmann (1992): Schulisch-berufliche Interessen als Determinanten der Studien- bzw. Berufswahl und -bewältigung: Eine Überprüfung des Modells von Holland. In: A. Krapp & M. Prenzel (Hrsg.), Interesse, Lernen, Leistung. Neuere Ansätze der pädagogisch-psychologischen Interessenforschung, Münster: Aschendorff, S. 195-220
  7. http://www.womens-careers.info/base/page/about.php?PHPSESSID=2ee73bd36f5f06edfd56c5c5c3f769c4
  8. z.B. http://www.berufstest.biz/Berufsneigungstest_Berufseignungstest/Berufsneigungstest_Berufseignungstest.htm
  9. Bildungs- und Berufsberatung: Bessere Verzahnung mit der öffentlichen Politik. Published by OECD Publishing 2004. E-Book: ISBN 978-92-64-01583-8. Siehe auch Plant, Peter; Watts, Tony: OECD-Gutachten zur Berufsberatung - Deutschland. Länderbericht. In: Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit, (2002) 38, S. 2677-2698. Volltext unter http://doku.iab.de/ibv/2002/ibv3802_2677.pdf
  10. Siehe z.B. http://www.arbeitsagentur.de/nn_10738/nn_173062/Dienststellen/RD-SAT/Gotha/AA/Presse/Presseinformationen/2009/017-2011,mode=print.html Gute Zeugnisse für den Berufsberater. Presse Info 017/2011 der BA

Siehe auch


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