- Bildung einer kriminellen Vereinigung
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Unter einer kriminellen Vereinigung versteht man einen Personenzusammenschluss von gewisser Dauer, dessen Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen. Mit der kriminellen Vereinigung befassen sich das Grundgesetz in einer abstrakten Verbotserklärung (Art. 9 Abs. 2 GG), das öffentliche Vereinsrecht, das die ordnungsbehördliche Umsetzung des Verbots und die Auflösung der kriminellen Vereinigung regelt (§ 3 VereinsG), und das Strafrecht (§ 129 StGB).
Der Tatbestand findet sich im Strafgesetzbuch im Abschnitt der Straftaten gegen die öffentliche Ordnung und soll vor allem so genannte Organisationsdelikte unter Strafe stellen, also Bandenkriminalität und Terrorismus.
Im deutschen Strafrecht ist sowohl die Bildung einer kriminellen Vereinigung als auch die Beteiligung an ihr in § 129 StGB unter Strafe gestellt. Im österreichischen Strafrecht ist die kriminelle Vereinigung in § 278 österreichisches StGB geregelt. Die Bildung einer kriminellen Vereinigung gehört zu den opferlosen Straftaten.
Inhaltsverzeichnis
Deutschland
Funktion und Entstehung
Im Wesen organisierter Kriminalität liegt es, dass ihren Akteuren konkrete Tatbeiträge zu den tatsächlich verübten Verbrechen oft faktisch nicht nachgewiesen werden können. Je weiter sich die rechtsstaatlichen Ansprüche an einen positiven Schuldbeweis entwickelten, desto unbefriedigender wurden daher die Ergebnisse bei der Strafverfolgung gerade von Drahtziehern und Hintermännern bei bandenmässig begangenen Delikten.
In den meísten Rechtsordnungen versuchte man daher, Auffangtatbestände für diese Art der Kriminalität zu schaffen. In den USA behalf man sich damit, die sogenannte „Verschwörung zum Diebstahl“ o.ä. unter Strafe zu stellen, in Deutschland löste man das Problem dadurch, dass man 1871 mit Schaffung des Strafgesetzbuches in § 129 die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellte.
Bald darauf wurde der Straftatbestand jedoch auch eingesetzt, um Sozialisten und Sozialdemokraten zu verfolgen. Im Nationalsozialismus erreichte der Missbrauch der Vorschrift zur Bekämpfung Oppositioneller ihren Höhepunkt. Praktisch jeder Andersdenkende, der sich mit anderen zusammen tat, wurde mit der Begründung, er plane die Bildung einer kriminellen Vereinigung, kriminalisiert.
Der Straftatbestand wurde im Laufe seiner Geschichte mehrfach erweitert. Ursprünglich stand nur die Bildung einer kriminellen Vereinigung unter Strafe, später wurden noch die Unterstützung und 1964 die Werbung neuer Mitglieder oder Unterstützer für eine kriminelle Vereinigung unter Strafe gestellt.
Betroffenen von Ermittlungsverfahren und Verurteilungen waren in den ersten Jahren der Bundesrepublik vor allem Gegner der Wiederaufrüstung und Kommunisten. In der Zeit von 1950 bis 1968 gab es über 100.000 Ermittlungsverfahren und etwa 10.000 Verurteilungen wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung.
In den siebziger Jahren wurde der Straftatbestand gegen die Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) angewandt. Um die zum Teil uferlose Anwendung des § 129 StGB einzuschränken und um zwischen Vereinigungen mit kriminellen Hintergrund und solchen mit politischen terroristischen Motiven zu differenzieren, wurde 1976 § 129 a StGB eingeführt. In ihm wird die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung unter Strafe gestellt; eine Abgrenzung der Begriffe ist dabei noch offen.
Durch das 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. August 2002 (Bundesgesetzblatt I S. 3390) ist der Anwendungsbereich geändert und teilweise eingeschränkt worden. So ist nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 16. Mai 2007 selbst menschenverachtende Werbung für die Ziele und Taten einer terroristische Vereinigung wegen des neuen Gesetzeswortlautes nicht mehr als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung aufzufassen und mithin nicht strafbar, selbst wenn sie besonders effektiv ist. Im Zuge der Terrorismusbekämpfung nach dem „11. September“ wurde durch den neu geschaffenen § 129 b StGB die Unterstützung auch ausländischer krimineller und terroristischer Vereinigungen in den Anwendungsbereich der Norm einbezogen.
Heute ist die Bedeutung des § 129 StGB im Vergleich zu früher gesunken. Insbesondere die Zahl der Verurteilungen ist rückläufig. In etwa fünf Prozent aller Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wird Anklage erhoben, etwa ein Prozent führt zur Verurteilung. Aus diesem Grund wird der § 129 StGB auch als „Schnüffelparagraph“ bezeichnet, da die allermeisten Verfahren ohne Rechtfertigung eine staatliche Überwachung im Milieu der fast beliebig auswählbaren Betroffenen legalisieren, ohne dass diese sich (schon Mangels Kenntnis des Verfahrens) dagegen wehren können. Ein geringfügiger Anfangsverdacht ist ausreichend, um weitreichende Ermittlungsbefugnisse zu erhalten. Häufig führen die Ermittlungen zu so genannten „Zufallsfunden“.
Kritik
In die Kritik geraten ist § 129 StGB insbesondere wegen der Weite des Tatbestandes. Nahezu jede Tätigkeit, die eine kriminelle Vereinigung in irgendeiner Weise unterstützt, ist unter Strafe gestellt. Dabei musste die Vereinigung weder existieren noch jemals aktiv geworden sein. Auch was als kriminell, beziehungsweise terroristisch im Sinne der §§ 129, 129 a StGB angesehen wird, ist nicht klar definiert und hängt, wie die Geschichte zeigt, häufig von den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Wegen der Konturenlosigkeit des Tatbestandes ist es unter Strafjuristen ein gängiger Witz, von Zusammentreffen eines Steuerberaters mit einem GmbH-Geschäftsführer und einem Rechtsanwalt abzuraten, da allein ein solches Treffen schon den Anfangsverdacht der Bildung eines Vereinigungsdelikts nach § 129 StGB beinhalte, was zu erheblichen Folgen bei den am Treffen Beteiligten führen könne:
In der Tat werden durch den Anfangsverdacht einer Straftat nach §§ 129, 129 a StGB die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei) im Ermittlungsverfahren stark ausgeweitet. Häufig wird der Verdacht einer Kriminellen Vereinigung dazu benutzt, umfangreiche Ermittlungen einzuleiten. Ergebnis dieser Ermittlungen sind häufig aber nur Anklagen wegen „normaler“ Delikte durch die bei den Ermittlungen gewonnenen Zufallsfunde. § 129(2)1 StGB nimmt explizit politische Parteien davon aus, solange sie nicht für verfassungswidrig befunden wurden. Die bloße Gründung einer politischen Partei müsste demnach immer den Anfangsverdacht des § 129 StGB erfüllen. Hier werden der Kritik zufolge Grenzen der Wehrhaftigkeit einer freiheitlich orientierten Demokratie erreicht, die ständiger Auslotung bedürfen, insbesondere wenn die Wehrhaftigkeit sich totalitärer Mittel bedient (siehe auch die Diskussion um die Tätigkeiten ausländischer Geheimdienste in Europa und die juristische Behandlung dieser Tatbestände).Der § 129 StGB zählt zu den Katalogstraftaten im Aufenthaltsgesetz, Asylverfahrensgesetz, Vereinsgesetz, Betäubungsmittelgesetz und Waffengesetz. Zu den Sonderbefugnissen, die der Anfangsverdacht bei §§ 129, 129 a StGB eröffnet, gehören insbesondere die Postkontrolle und Telefonüberwachung (§ 100a StPO), langfristige Observationen (§§ 100c StPO Abs. 1 a b und 163f StPO), der systematische Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern (§ 110a StPO bzw. § 110c StPO), die Rasterfahndung, des Weiteren die 1994 eingeführte und 1999 ausgelaufene Kronzeugenregelung (§ 129 Abs. 2 StGB alte Fassung) und seit 1998 auch der Große Lauschangriff in und aus Wohnungen (§ 100c Abs. 1, Nr. 3 StPO). Darüber hinaus unterliegt das Vermögen des Beschuldigten bei Erhebung der Klage der Beschlagnahme (§ 443 StPO).
Auch das politische Ungleichgewicht bei den Ermittlungen wird immer wieder kritisiert. Hierzu stellte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen 1996 eine Kleine Anfrage im Bundestag. Dabei ergab sich, dass zwischen 1990 und 1996 1116 Ermittlungsverfahren gegen linke Gruppierungen, aber nur 23 Ermittlungsverfahren nach § 129 StGB gegen rechte Gruppen eingeleitet wurden.
Österreich
In Österreich gibt es drei Ausformungen von kriminellen Zusammenschlüssen, die alle in den §278 ff. StGB geregelt sind.
Die kriminelle Vereinigung ist mit einer Strafandrohung bis zu drei Jahren in § 278 StGB definiert. Unternehmensähnliche Verbindungen sind im § 278a StGB als kriminelle Organisationen mit einem Strafrahmen bis zu fünf Jahren. Diese beiden Delikte sind auf die organisierte Kriminalität zugeschnitten.
Die terroristische Vereinigung § 278 b StGB ist auf Bekämpfung und Verhinderung von terroristischen Straftaten ausgelegt.
Literatur
- Philipp H. Schulte: „Terrorismus und Anti-Terrorismus-Gesetzgebung - Eine rechtssoziologische Analyse“, Waxmann-Verlag, Münster 2008, ISBN 978-3-8309-1982-7
Weblinks
- Übersicht über Geschichte und Anwendung, politisch gefärbt
- Zur Ausweitung auf ausländische Organisationen
- Pressemitteilung des Bundesgerichtshofes zur beschränkten Strafbarkeit infolge des 34. Strafrechtsänderungsgesetzes
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