Brüder Grimm-Gesellschaft

Brüder Grimm-Gesellschaft
In den Räumen der ehemaligen Arnoldschen Tapetenfabrik hat die Brüder Grimm-Gesellschaft ihren Sitz

Die Brüder Grimm-Gesellschaft (BGG) ist ein 1942 mit maßgeblicher Unterstützung des Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau, Philipp von Hessen-Rumpenheim, gegründeter eingetragener Verein mit Sitz in Kassel. Laut derzeit gültiger Satzung handelt es sich um eine „internationale wissenschaftliche Gesellschaft“, die sich die Aufgabe stellt, „im Geiste der Brüder Grimm der Pflege und Förderung deutscher Kultur zu dienen durch Veranstaltungen und Unternehmungen geeigneter Art“. Die Gesellschaft richtete gemeinsam mit der Stadt Kassel 1959 das Brüder Grimm-Museum Kassel ein und hat bis heute ein Mitspracherecht hinsichtlich des Museumsleiters. Seit 1990 ist die BGG auch als Verlag tätig, Verlagsleiter ist der Geschäftsführer. Nach seiner Aussage brachte der Verlag seit 1990 weit über 100 Publikationen heraus, deren redaktionelle Betreuung und Layout er in ehrenamtlicher Tätigkeit besorgt habe.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte und Vorgeschichte

Alte Kasseler Grimm-Gesellschaft

Wilhelm Grimms Sohn Herman Grimm, ein Mitarbeiter der ursprünglichen Idee

Zur Zeit der hundertsten Geburtstage der Brüder Grimm 1885 und 1886 kam es zu zahlreichen Jubiläumsaktivitäten. Dabei spielte neben den traditionellen wissenschaftlichen und literarischen Interessen an den Brüdern Grimm ein starker nationalpolitischer Impuls eine Rolle, da man die Brüder Grimm in der Führungsschicht des deutschen Kaiserreichs als Vorkämpfer des 1870 / 1871 entstandenen Einheitsstaates verstand. Ein bleibendes Ergebnis dieser Jubiläumsaktivitäten war die Errichtung des Nationaldenkmals der Brüder Grimm vor dem Neustädter Rathaus in Hanau. Auch in Kassel hatte es Bestrebungen für ein Grimm-Denkmal gegeben, jedoch war ihnen kein Erfolg beschieden. Bibliothekare der Landesbibliothek Kassel (mit ihrem Direktor Edward Lohmeyer an der Spitze) ergriffen deshalb die Initiative, für Kassel einen anderen Akzent zu setzen und im Anschluss an bereits vorhandene Grimm-Bestände eine „Kasseler Grimm-Sammlung“ aus Briefen, Manuskripten, Originalausgaben, Bildern usw. aufzubauen, die sie als möglichen Grundstock eines künftigen Grimm-Museums in der Landesbibliothek ansahen. Die Landesbibliothek im Museum Fridericianum war seit 1814 bzw. 1815 bis 1829 Arbeitsstätte der Brüder Grimm gewesen; vieles in Beständen, Katalogen und Einrichtung des Hauses erinnerte noch an sie.

1896 gründeten die Kasseler Bibliothekare einen Ausschuss zur Förderung der Kasseler Grimm-Sammlung. Zur Mitarbeit gewannen sie auch Wilhelm Grimms Sohn Herman Grimm. Nachdem ein Ende 1896 veröffentlichter Aufruf zur Förderung und zum Ausbau der Kasseler Grimmsammlung großen Erfolg hatte, entschloss sich der besagte Ausschuss Anfang 1897 zur Gründung der „Kasseler Grimm-Gesellschaft“. Zu deren Zielen hieß es in der Satzung: „§ 1. Die Kasseler Grimm-Gesellschaft stellt sich die Aufgabe, das Andenken an die Brüder Grimm in einer ihrer hohen Bedeutung entsprechenden Weise zu ehren. § 2. Dies Ziel sucht die Gesellschaft insbesondere zu erreichen 1. durch die Sammlung, die, im Anschluß an den auf der Landesbibliothek in Kassel vorhandenen Grundstock, Erinnerungen aller Art an die Brüder, an ihren Verwandten- und an ihren Freundeskreis vereinigt und in das Eigentum der genannten Anstalt übergeht, soweit nicht anderweite Rechte vorbehalten sind, 2. durch Veranstaltung von Vorträgen, 3. durch Unterstützung und Herausgabe von wissenschaftlichen Arbeiten, welche die Grimm-Literatur zu bereichern und zu vertiefen geeignet sind, 4. durch Verbreitung der Schriften der Brüder, 5. durch Ansammlung von Geldmitteln, die dazu dienen sollen, ein Grimmdenkmal in Kassel zu errichten.“ Der Gesellschaft gelang es, insgesamt mehrere hundert Dokumente in der Kasseler Grimm-Sammlung zusammenzutragen. Zu ihnen gehörten auch Handexemplare der Brüder Grimm von ihrer Märchensammlung mit zahlreichen Notizen. Die Tätigkeit der Gesellschaft kam durch Alter und Tod der wenigen tätigen Mitglieder ungefähr 1910 bereits wieder zum Erliegen; am 8. Juni 1920 wurde die Gesellschaft bei einem Stand von noch 17 Mitgliedern aufgelöst. Die Sammlung blieb satzungsgemäß im Eigentum der Landesbibliothek, die mit ihr in ihren Gebäuden eine kleine Grimm-Ausstellung einrichtete. Der Landesbibliothek wurde auch der gesamte übrige Besitz der Gesellschaft einschließlich ihres Geldvermögens (277,33 Mark) als Eigentum übertragen.

Gründung der Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. 1942

Der Nationalsozialist Karl Weinrich, geistiger Vater der Brüder Grimm-Gesellschaft

Die Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. wurde am 13. April 1942 in Kassel gegründet. Die Idee ging auf den Inhaber des Bärenreiter-Verlags, Karl Vötterle, zurück, der eine bedeutende Grimm-Sammlung besaß. Hessische Politiker der damaligen Zeit griffen die Idee auf und machten sie sich zu eigen.

Vorstand der ersten Stunde waren der NSDAP-Gauleiterstellvertreter Kurhessen Max Solbrig als Vorsitzender und der Landesleiter der Reichsschrifttumskammer des Gaus Kurhessen Karl Kaltwasser als Geschäftsführer sowie auf weiteren Ämtern Rudolf Fleischer und Karl Vötterle. In einem Prospekt aus der Gründungszeit heißt es zu den Zielen und zur Arbeitsweise:

„Die Brüder Grimm-Gesellschaft ist ein am 13. April 1942 durch Gauleiter und Preuß. Staatsrat Karl Weinrich gegründeter und in das Vereinsregister eingetragener Verein mit dem Sitz in Kassel. Der Gauleiter des Gaues Kurhessen ist ihr Schirmherr. Die Gesellschaft stellt sich die Aufgabe, im Geiste der Brüder Grimm der Pflege und Förderung deutscher Kultur zu dienen. [...] Es ist ihr Ziel, in unserem Volk das Bewußtsein seiner selbst zu stärken, zu bereichern und zu vertiefen. Die Brüder Grimm-Gesellschaft will der deutschen Kultur, wie sie in Wissenschaft, Dichtung, Kunst und Volkstum je Gestalt gewonnen hat und immer neu gewinnt, in Hessen eine lebendige Pflegestätte schaffen. [...] Die Veranstaltungen und Veröffentlichungen der Gesellschaft werden über die Grenzen der Heimat hinaus in dem stets auf die Ganzheit des höheren völkischen Lebens gerichteten Geist der Brüder Grimm einer umfassenden Wissenschaft vom deutschen Volke zu dienen suchen. Nie das Ziel wahrer Volkstümlichkeit aus dem Auge lassend, wird die Brüder Grimm-Gesellschaft dem überkommenen Kulturgut in Ehrfurcht vor dem Erbe der Ahnen ihre Arbeit widmen, nicht allein zur Erhaltung des Bedrohten, sondern vor allem zur Fruchtbarmachung des noch immer Lebendigen. In tätiger Treue zur Vergangenheit gilt gerade hier ihr Dienst unserer Gegenwart.“

Als Projekte der BGG wurden benannt: Vorträge, Vortragsreihen, Arbeitsgemeinschaften, Lesungen, Ausstellungen, Tagungen, Editionen der Werke und des Briefwechsels der Brüder Grimm, eines Jahrbuches, einer Zeitschrift usw. Als Mitglieder der Gesellschaft waren „Deutsche Volksgenossen“, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Wirtschaftsunternehmen zugelassen. Unter Einfluss des Zweiten Weltkriegs und während der immer weiter fortschreitenden Zerstörung der Stadt Kassel durch Bombardierung konnte die Gesellschaft bis 1945 faktisch nichts von ihren gesteckten Zielen erfüllen.

Nachkriegszeit

Das historische Palais Bellevue beherbergte zeitweise das Museum

Auch aus den ersten Nachkriegsjahren ist nicht viel über Aktivitäten der Gesellschaft bekannt. Die kontinuierliche Fortführung einer 1942 gegründeten literarischen Gesellschaft ist allerdings für sich schon ein bemerkenswertes Faktum. Die Beharrlichkeit in der Fortführung der Gesellschaft ist in erster Linie Karl Vötterle zu danken, dem sachkundigen eigentlichen Inspirator der Gesellschaft, der nach dem Zweiten Weltkrieg Max Solbrig als Vorsitzender ersetzte. Ihm standen Wilhelm Praesent und Karl Kaltwasser, der nach 1945 als Kasseler Stadtverordneter der FDP kulturpolitisch aktiv blieb, als weitere Vorstandsmitglieder zur Seite, auf die um 1970 Dieter Hennig und Karl Fritz Heise folgten.

Selbstverständnis und Projekte

Die heutige BGG sieht sich in einer Kontinuität zur alten, 1897 gegründeten Kasseler Grimm-Gesellschaft, die institutionell und durch die an der Gründung 1942 beteiligten Mitglieder allerdings nicht gegeben ist (Stichwort: 100 Jahre Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. 1997). Laut eigener Internetseite erhebt die BGG den Anspruch auf die „Koordinierung der weltweiten Brüder Grimm-Forschung“. Schwerpunkt ihrer Arbeit neben dem Museumsbetrieb ist die Herausgabe von Publikationen. Neben der Herausgabe einer Jahrbuchreihe (bisher erschienen Jahrgänge 1991 bis 2004, davon 2001-2002, 2003-2004 jeweils als Doppelbände, die jedoch weniger umfangreich sind als vorher die Einzeljahresbände) wurde seit Ende der neunziger Jahre die „Kasseler Ausgabe“ von Werken und Briefwechseln der Brüder Grimm zum wissenschaftlichen Hauptprojekt der BGG. Außerdem erscheint eine Reihe Schriften der Brüder Grimm-Gesellschaft (8 Bände seit 1990).

Mitglieder, Vorstand, Wissenschaftlicher Rat

Im Mai 2006 hatte die BGG 469 Mitglieder, wobei etwa ein Fünftel Neuzugänge des vorhergehenden halben Jahrs waren. Die starke Fluktuation der letzten anderthalb Jahre stellt sich (anhand etwas widersprüchlicher Aussagen des Geschäftsführers auf der Mitgliederversammlung am 6. Mai 2006) folgendermaßen dar:

  • Information am Beginn der Versammlung, auf Nachfrage eines Mitglieds: seit Jahresbeginn 2006 70 neue Mitglieder, darunter / zusätzlich (?) 43 Neuzugänge auf Vorstandssitzung am 2. Mai genehmigt
  • im Rechenschaftsbericht auf derselben Versammlung: aktuell 469 Mitglieder, darunter dieses Jahr 72 neue
  • zum Vergleich: Ende 2004: 342 Mitglieder (laut veröffentlichtem damaligen Protokoll).

Statistische Angaben zu Austritten von Mitgliedern enthielt dieser Rechenschaftsbericht (wie auch die Protokolle in den Jahrbüchern) nicht. Aufgrund von Austritten dürfte die Fluktuation noch stärker sein, als es die oben zitierten Bilanzzahlen erkennen lassen.

Vorsitzender der BGG ist (seit Juni 2008) der Lokalpolitiker Werner Neusel. Von 2006 bis 2008 hatte der Bauunternehmer Klaus Dieter Staubach den Posten inne. Geschäftsführer ist seit August 1989 der Museumsleiter Bernhard Lauer (Kassel), Schatzmeister Dieter Tampe (Lohfelden), Pressesprecherin Heidrun Helwig M.A. (Gießen), Wirtschaftssachverständiger Peter Vaupel (Lohfelden).

Der Wissenschaftliche Rat der BGG besteht außer den Mitgliedern des Vorstandes, die gemäß der Satzung der Gesellschaft dem Rat angehören, aus den folgenden Wissenschaftlern: Wilhelm Bleek (Bochum/Toronto), Claudia Brinker-von der Heyde (Kassel), Maria Teresa Cortez (Coimbra/Aveiro), Holger Ehrhardt (Kassel), Rotraut Fischer (Darmstadt), Andreas Gardt (Kassel), Ewald Grothe (Wuppertal), Hans-Peter Haferkamp (Köln), Wilhelm Heizmann (München), Ulrich Hussong (Marburg), Burkhard Kling M. A. (Steinau an der Straße), Veronika Krapf (München), Hartmut Kugler (Erlangen), Katinka Netzer (Münster), Bärbel Ploetner-Le Lay (Lyon), Heinz Rölleke (Wuppertal), Ruth Schmidt-Wiegand (Marburg), Volker Schupp (Freiburg), Ulrich Sieg (Marburg), Hans-Jörg Uther (Göttingen), Bernhard Weisgerber (Bonn), Dieter Werkmüller (Marburg).

Das Vereinsvermögen beläuft sich auf etwa 25.000 €, der Jahresumsatz auf etwa 150.000 € (Stand 2003).

Literatur

  • Edward Lohmeyer: Die Kasseler Grimm-Gesellschaft 1896 bis 1905. Erster Geschäftsbericht, Kassel 1906
  • Brüder Grimm-Gesellschaft Kassel (Faltblatt, wohl 1942)
  • Karl Kaltwasser: Lebendiges Erbe. Rede zur feierl. Eröffng d. Brüder Grimm-Ges. in Kassel, Kassel 1943
  • Dieter Hennig: Brüder Grimm-Museum Kassel. Katalog der Ausstellung im Palais Bellevue, Kassel: Bärenreiter 1973

Weblinks


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