Buback-Nachruf

Buback-Nachruf

Mit dem Pseudonym Göttinger Mescalero unterschrieb Klaus Hülbrock als damals anonymer Autor einer Göttinger Hochschulgruppe 1977 den Text Buback – Ein Nachruf, der die Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback durch die Rote Armee Fraktion kommentierte. Erst 2001, 25 Jahre später, bekannte er sich zu seiner Urheberschaft, nachdem er sich 1999 persönlich an den Sohn des Ermordeten, den Göttinger Chemie-Professor Michael Buback, gewandt hatte.

Inhaltsverzeichnis

Buback – ein Nachruf

Der Text wurde kurz vor dem Kulminationspunkt des westdeutschen Terrorismus, dem Deutschen Herbst, geschrieben. Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus fand auch in den Medien statt. Es war ein Streit um Sympathisanten entstanden, die die Bundesrepublik ähnlich beurteilten wie die Terroristen, den Terror selbst aber ablehnten. Kritik wurde laut, im Kampf gegen den Terrorismus komme der Rechtsstaat unter die Räder. In einem politischen Klima der Angst griffen Verdächtigungen um sich.

In seinem Pamphlet Buback – ein Nachruf, das am 25. April 1977 in der Zeitung des AStA der Universität Göttingen, den Göttinger Nachrichten, veröffentlicht wurde, stellte der Göttinger Mescalero – trotz rationaler und politischer Kritik am Buback-Attentat – seine Sympathie für den Mord am damaligen Generalbundesanwalt dar. In den Medien wurde insbesondere die vom Verfasser geäußerte „klammheimliche Freude“ zitiert und kritisiert.

Der Schreiber nannte sich „Stadtindianer“ und unterzeichnete das Pamphlet mit „Mescalero“, dem Namen eines Apachenstamms. Er gab sich als Mitglied der Bewegung „Undogmatischer Frühling“ zu erkennen, die damals mit der „Sozialistischen Bündnisliste“ den Göttinger AStA stellte.

Der am heftigsten kritisierte Satz lautete:

„Meine unmittelbare Reaktion, meine ‚Betroffenheit‘ nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschildert: Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören. Ich weiß, daß er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte.“

Der zweite Teil des Textes, der eine teilweise Lossagung von der Gewalt und Rücknahme der „klammheimliche[n] Freude“ enthielt, wurde damals zumeist nicht von den Medien veröffentlicht. So wandte sich der Autor gegen „unabhängig von der jeweiligen ‚politischen Konjunktur‘“ – also ohne Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung – ausgeübte Gewaltanwendung. „Diese Überlegungen alleine haben ausgereicht, ein inneres Händereiben zu stoppen.“ Ferner kritisierte er die für Einzelne zu große Verantwortung, zu entscheiden, welche Zielpersonen „geeignete Opfer“ seien und die fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung: „Wir alle müssen davon runterkommen, die Unterdrücker des Volkes stellvertretend für das Volk zu hassen“. Schließlich forderte er, dass sich die Terroristen gegenüber dem von ihnen bekämpften System nicht nur im Ziel, sondern auch in den Mitteln positiv abheben müssten, und dass ein neuer Militanzbegriff zu entfalten sei:

„Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), […] dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden. […] Einen Begriff und eine Praxis zu entfalten von Gewalt/Militanz, die fröhlich sind und den Segen der beteiligten Massen haben, das ist (zum praktischen Ende gewendet) unsere Tagesaufgabe.“

Reaktionen

Vier Tage nach dem Erscheinen erstattete der RCDS Strafantrag. Die Göttinger Justizbehörden leiteten ein Ermittlungsverfahren ein. Auch der Präsident des Niedersächsischen Landtages, Heinz Müller (CDU), erstattete Strafanzeige.

Mit dem Göttinger AStA und anderen, die den Artikel nachdruckten, gab es insgesamt mehr als 140 Beschuldigte. Die Verfahren, zuletzt gegen 13 niedersächsische Hochschullehrer und 35 Kollegen aus dem übrigen Bundesgebiet, die eine Dokumentation Buback ein Nachruf veröffentlicht hatten, endeten zumeist mit Freisprüchen oder kleineren Geldstrafen. In Augsburg wurde ein 29-Jähriger für die Verteilung des „Nachrufs“ zu sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt.[1] Der Hochschulprofessor Peter Brückner wurde wegen Mitherausgeberschaft vom Dienst suspendiert; die Suspendierung wurde nach gerichtlicher Überprüfung aufgehoben.

Das Pamphlet führte zu staatlichen Maßnahmen, die von manchen als starke Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit bewertet wurden: Gegen die Veröffentlichung des Pamphlets wurde mit Nachdruck vorgegangen.

Deswegen wurden verschiedene Fassungen publiziert: Die erste Fassung war der originale Beitrag in der Göttinger AStA-Zeitung, die zweite Fassung wurde von einer Reihe deutscher Professoren, anderen Universitätsmitgliedern und Rechtsanwälten veröffentlicht und um eine Vorrede erweitert. Die 48 Herausgeber, darunter 17 Personen aus Bremen, 14 aus Berlin und 10 aus Oldenburg, kritisierten die Reaktion von Staat und Gesellschaft und forderten „eine öffentliche Diskussion des gesamten Artikels“:

„Dieser Nachruf hat heftige Reaktionen ausgelöst: seine Verbreitung wird von Justiz und Polizeiorganen sowie von Hochschulleitungen verfolgt; in den Massenmedien, auch in den bürgerlich-liberalen Zeitungen, wird dieser Nachruf als Ausgeburt ‚kranker Gehirne‘ und als Musterbeispiel für ‚blanken Faschismus‘ (Frankf. Rundschau) deklariert. Der vollständige Text wird nirgends veröffentlicht; im Gegenteil, die zentrale Intention des Artikels – seine Absage an Gewaltanwendung – wird unterschlagen.“

Ähnlich reagierten auch Studenten: An verschiedenen Universitäten veröffentlichten Studentenzeitungen Kopien des Pamphletes. Sie hatten sich daraufhin mitunter mit Geldstrafen oder Problemen mit der Universitätsleitung auseinanderzusetzen.

Nachspiel

Im Dezember 1979 schilderte der Göttinger Mescalero anonym im Kursbuch 58 die Inszenierung seiner Person durch die Medien:[2]

„[I]m Deutschen Herbst“ folgte dann „ein Rumpelstilzchen-Vergnügen, das darin bestand, unerkannt zu bleiben und zugleich aus nächster Nähe all jene Prozeduren zu betrachten, die nacheinander aus mir ein armes theoriefeindliches Würstchen, einen Feigling, einen Terrorsympathisanten machten, der vielleicht schon morgen zum Schießeisen greifen könnte, um seiner mühsam zurückgehaltenen Mordlust endlich nachzugeben; oder das bedauernswerte Opfer einer vaterarmen Erziehung in einem bürgerlichen Elternhaus; oder Statthalter einer ganz anderen Absicht, die darauf aus ist, die Arbeiterbewegung zu knebeln und das Grundgesetz einzuschränken; […] all das war ich nun mal nicht […] war während jener Zeit braver Insasse einer Schlafsiedlung, der niemandem unangenehm auffiel, war biederer Hundeliebhaber und Waldgänger, verzweifelter Schuldner vieler Gläubiger, Sammler und Händler von Trödel und Nippes, Skatspieler, Fernseher, durch und durch mitten drin und nicht alternativ, eingesessen und gut genährt und Mitglied eines politischen Männerstammtisches, der seine windigen Zelte an einer starken Neigung zur Trunksucht aufgeschlagen hatte […] und all das ist weder besonders lustig noch besonders subversiv, aber auch nicht zum Heulen“

2001 gab sich der Literaturwissenschaftler und Deutschlehrer Klaus Hülbrock gegenüber der taz als der Göttinger Mescalero zu erkennen und wies darauf hin, dass er 1999 einen Brief an Michael Buback, den Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts, geschrieben habe.[3] Darin habe er zum Ausdruck gebracht, schrieb Hülbrock in einem offenen Brief 2001, dass ihm seine Worte von 1977 „heute weh tun.“[4]

In der Süddeutschen Zeitung äußerte sich Michael Buback 2007 im Zusammenhang mit der Diskussion um die Begnadigung und vorzeitige Freilassung von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt über den Mescalero-Brief:[5]

„Ich habe es als Erleichterung empfunden, als sich der Verfasser mehr als zwei Jahrzehnte später in einem Brief an mich offenbarte. Dies habe ich ihm auch geschrieben, wobei mir das Abfassen des Briefes nicht leicht fiel und ich es mir gewünscht hätte, dass weniger klangvolle Anreden als ‚Sehr geehrter Herr H.‘ nutzbar gewesen wären.“

Einzelnachweise

  1. Butz Peters: RAF: Das deutsche Terrorjahr 1977. Auf: Welt-Online, 18. Februar 2007.
  2. Mescalero: Memoiren eines im Amt ergrauten Stadtindianers oder: Versuch, eine Karriere in Nichts aufzulösen. In: Karl Markus Michel, Harald Wieser (Hrsg.): Kursbuch 58. Karrieren. Kursbuch/Rotbuch Verlag, Berlin 1979, S. 21ff.
  3. Eine Begegnung mit Klaus Hülbrock. Auf dem Fernsehapparat blüht ein gelbes Blümchen. In: taz, 10. Februar 2001: „Vor zwei Jahren erklärte sich Mescalero zum ersten Mal in einem Brief an Bubacks Sohn Michael.“
  4. Klaus Hülbrock: MESCALERO. Offener Brief an Michael Buback (Grafik); (Text). In: RZ-Online, 28. Januar 2001. Vgl. den redaktionellen Text: „Mescalero“ gibt sich zu erkennen: Entschuldigung bei Buback-Sohn. In: RZ-Online, 28. Januar 2001.
  5. Michael Buback: Debatte um Freilassung. Fremde, ferne Mörder. In: Süddeutsche Zeitung, 24. Januar 2007, S. 2 (Online-Version vom 23. Januar 2007).

Weblinks


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