Bürgerstiftung

Bürgerstiftung

Die Bürgerstiftung ist eine Form der gesellschaftlichen Selbstorganisation von Bürgern für Bürger. Bürgerstiftungen sind Stiftungen, die sich fördernd und operativ für das lokale Gemeinwohl einsetzen.

Inhaltsverzeichnis

Merkmale

Eine Bürgerstiftung ist eine unabhängige, autonom handelnde, gemeinnützige Stiftung von Bürgern für Bürger mit möglichst breitem Stiftungszweck. Sie engagiert sich nachhaltig und dauerhaft für das Gemeinwesen in einem geographisch definierten Raum und ist in der Regel fördernd und operativ für alle Bürger ihres Einzugsgebietes tätig. Sie unterstützt mit ihrer Arbeit bürgerschaftliches Engagement.

Ebenso wie Gemeinschaftsstiftungen zielen Bürgerstiftungen auf den kontinuierlichen Aufbau eines Stiftungsvermögens ab. Sie bieten insbesondere für kleinere Zustiftungen sowie als Träger treuhänderischer Stiftungen eine adäquate Organisationsform. Bürgerstiftungen sind auf eine Gemeinde oder Region bezogen, bieten aber die Möglichkeit, zahlreiche Stiftungszwecke zu verwirklichen. Zum Selbstverständnis gehört in der Regel die völlige Unabhängigkeit von staatlichen, kommunalen oder Unternehmensstrukturen. Bürgerstiftungen werden von einer Vielzahl und Vielfalt von Stiftern errichtet und getragen.

Bereits im Jahr 2000 gaben sich Bürgerstiftungsvertreter beim Arbeitskreis Bürgerstiftungen in Dresden selbst eine Definition, die sogenannten „10 Merkmale einer Bürgerstiftung“. Diese Merkmale basieren vor allem auf der Idee der Unabhängigkeit von einzelnen Stiftern oder Personen, der Idee der Mitbestimmung, des Dienstleistens und der Transparenz. Nach der Definition wurde der Ruf nach einer Auszeichnung der „echten Bürgerstiftungen“ laut. So entwickelte der Arbeitskreis Bürgerstiftungen das Gütesiegel des Bundesverbands Deutscher Stiftungen, das nun alljährlich anlässlich des Tags der Bürgerstiftungen jeweils für die Gültigkeitsdauer von zwei Jahren an die Bürgerstiftungen vergeben wird. Seit dem 1. Oktober 2006 gibt es 103 Bürgerstiftungen, die mit dem Gütesiegel ausgezeichnet sind.

10 Merkmale einer Bürgerstiftung

  1. Eine Bürgerstiftung ist gemeinnützig und will das Gemeinwesen stärken. Sie versteht sich als Element einer selbstbestimmten Bürgergesellschaft.
  2. Eine Bürgerstiftung wird in der Regel von mehreren Stiftern errichtet. Eine Initiative zu ihrer Errichtung kann auch von Einzelpersonen oder einzelnen Institutionen ausgehen.
  3. Eine Bürgerstiftung ist wirtschaftlich und politisch unabhängig. Sie ist konfessionell und parteipolitisch nicht gebunden. Eine Dominanz einzelner Stifter, Parteien, Unternehmen wird abgelehnt. Politische Gremien und Verwaltungsspitzen dürfen keinen bestimmenden Einfluss auf Entscheidungen nehmen.
  4. Das Aktionsgebiet einer Bürgerstiftung ist geographisch ausgerichtet: auf eine Stadt, einen Landkreis, eine Region.
  5. Eine Bürgerstiftung baut kontinuierlich Stiftungskapital auf. Dabei gibt sie allen Bürgern, die sich einer bestimmten Stadt oder Region verbunden fühlen und die Stiftungsziele bejahen, die Möglichkeit einer Zustiftung. Sie sammelt darüber hinaus Projektspenden und kann Unterstiftungen und Fonds einrichten, die einzelne der in der Satzung aufgeführten Zwecke verfolgen oder auch regionale Teilgebiete fördern.
  6. Eine Bürgerstiftung wirkt in einem breiten Spektrum des städtischen oder regionalen Lebens, dessen Förderung für sie im Vordergrund steht. Ihr Stiftungszweck ist daher breit. Er umfasst in der Regel den kulturellen Sektor, Jugend und Soziales, das Bildungswesen, Natur und Umwelt und den Denkmalschutz. Sie ist fördernd und/oder operativ tätig und sollte innovativ tätig sein.
  7. Eine Bürgerstiftung fördert Projekte, die von bürgerschaftlichem Engagement getragen sind oder Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Dabei bemüht sie sich um neue Formen des gesellschaftlichen Engagements.
  8. Eine Bürgerstiftung macht ihre Projekte öffentlich und betreibt eine ausgeprägte Öffentlichkeitsarbeit, um allen Bürgern ihrer Region die Möglichkeit zu geben, sich an den Projekten zu beteiligen.
  9. Eine Bürgerstiftung kann ein lokales Netzwerk innerhalb verschiedener gemeinnütziger Organisationen einer Stadt oder Region koordinieren.
  10. Die interne Arbeit einer Bürgerstiftung ist durch Partizipation und Transparenz geprägt. Eine Bürgerstiftung hat mehrere Gremien (Vorstand und Kontrollorgan), in denen Bürger für Bürger ausführende und kontrollierende Funktionen innehaben.

Verabschiedet vom Arbeitskreis Bürgerstiftungen auf der 56. Jahrestagung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, Mai 2000

Einige Daten

Seit der Gründung der ersten deutschen Bürgerstiftungen in Gütersloh 1996 und Hannover 1997 sind im gesamten Bundesgebiet zahlreiche weitere Stiftungen dieses Typs entstanden. Da es eine gesetzliche Definition des Begriffes Bürgerstiftungen nicht gibt, divergieren die Angaben zu Anzahl, Kapital und Mittelverwendung bestehender Bürgerstiftungen je nach dem Auskunftsgeber. Die Aktive Bürgerschaft hat in ihrem Verzeichnis der Bürgerstiftungen in Deutschland zum 30. Juni 2011 313 Bürgerstiftungen registriert, welche den "10 Merkmalen einer Bürgerstiftung" entsprechen. Aufgenommen werden in diese Datenbank durch eine bundesweite Medienbeobachtung recherchierte Bürgerstiftungen, deren Satzung den "10 Merkmalen" entspricht. In ihrem "Länderspiegel Bürgerstiftungen", einer Analyse der Bürgerstiftungen in Deutschland 2011, kommt die Aktive Bürgerschaft zu dem Ergebnis, dass 37 Millionen Menschen in Deutschland – das sind 45% der Bevölkerung – heute potentiell Zugang zu einer Bürgerstiftung haben - als Stifter, Spender, Ehrenamtliche oder Projektantragsteller. Die größte Bürgerstiftungsdichte hat Baden-Württemberg mit 7 Bürgerstiftungen pro eine Million Einwohner. Es folgen Niedersachsen (6,4) und Nordrhein-Westfalen (5). Unter den ostdeutschen Bundesländern liegt Thüringen mit 3,1 Bürgerstiftungen auf eine Million Einwohner vorn. Das Vermögen der deutschen Bürgerstiftungen wuchs 2010 auf insgesamt 191 Mio. Euro (Stand: 31. Dezember 2010). Im zweiten Jahr nach der Finanzkrise war die Steigerung mit 25% mehr als doppelt so hoch wie noch im Jahr 2009 (11%). Die Bürgerstiftungen haben 2010 insgesamt 7,8 Mio. Euro an Spenden eingeworben und 9,8 Mio. Euro für gemeinnützige Zwecke ausgeschüttet. Fast die Hälfte dieser Mittel investieren Bürgerstiftungen in Bildung und Erziehung (47%), gefolgt von Kunst und Kultur (17%) und Sozialem (15%). Seit 2005 haben Bürgerstiftungen gemeinnützige Zwecke mit insgesamt 41,4 Mio. Euro gefördert. 12.000 Ehrenamtliche insgesamt engagieren sich in Bürgerstiftungen: 8.000 sind ehrenamtlich in Projekten oder Geschäftsstellen aktiv und weitere 4.000 in Vorstand, Kuratorium oder Stiftungsrat. Durchschnittlich 40 Menschen engagieren sich ehrenamtlich in einer Bürgerstiftung.

Tätigkeiten

Im internationalen Vergleich besteht eine Besonderheit deutscher Bürgerstiftungen darin, dass der Großteil nicht nur fördernd tätig ist, sondern auch eigene Projekte operativ durchführt. Mit ihrer Arbeit können Bürgerstiftungen gestaltend eingreifen und als Promotoren sozialen Wandels agieren. Das Spektrum ist breit: Es reicht von Kunst und Kultur bis hin zu Jugendarbeit und Projekten für oder mit Senioren. Ob Gewaltprävention oder Naturschutzprojekte, gemeinsam ist den Projekten, dass sie oft auf Integration und Partizipation ausgerichtet sind. In Bezug auf Staat und Zivilgesellschaft kommt den Bürgerstiftungen eine Brückenfunktion zu: Aufgrund ihrer besonderen Stellung können sie vermittelnd tätig sein und Interessen lautverstärkend weitergeben. Bürgerstiftungen sind Partner des Staates, der Stifter und der Region, der sie sich verpflichten. Einen Staatsersatz wollen und können sie jedoch nicht darstellen.

Besonders erfolgreich arbeitende Bürgerstiftungen werden seit mehreren Jahren mit dem Förderpreis Aktive Bürgerschaft ausgezeichnet. Die Preisträger des Jahres 2011 sind die Bürgerstiftung Barnim Uckermark, die Bürgerstiftung EmscherLippe-Land, die BürgerStiftung Arnsberg und die Bürgerstiftung Vechta. Preisträger der Vorjahre waren u. a. die Bürgerstiftung Bad Essen, die BürgerStiftung Hamburg und die Bürgerstiftungen Leipzig, Münster, Pfalz, Weimar, Berlin, Braunschweig, Ratzeburg, Wiesbaden, Ahrensburg, Lingen, Nürnberg, Halle (Saale), Herten, sowie die Bürgerstiftungen in Dülmen, Berlin-Neukölln, Hannover, Dresden, Fürstenfeldbruck und Schwäbisch-Hall.

Soziopolitischer Hintergrund

Unbeschadet des für Bürgerstiftungen konstitutiven Willens zum gesellschaftlichen Engagement der einer Stiftung nahestehenden und diese fördernden Personen entspringt die Motivation zur Errichtung einer Bürgerstiftung meist entweder der Beobachtung, dass staatliche Strukturen mit der Bereitstellung von Diensten und Angeboten, die dem Gemeinwohl dienen, überfordert sind, oder der Überzeugung, dass solche Dienste und Angebote von vornherein nicht Sache des Staates sein sollten und besser von den Bürgern selbst übernommen werden sollten. Entsprechend sind Bürgerstiftungen besonders stark in solchen Gesellschaften verbreitet, die ein traditionell staatsfernes Selbstverständnis aufweisen (vor allem die USA, wo seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts Bürgerstiftungen – sog. Community Foundations – existieren). Zugleich stellen sie eine gesellschaftliche Reaktion auf eine volkswirtschaftliche Vermögensverlagerung weg vom Steuerstaat hin zu Unternehmen und Privatkapital dar; auch dieser Aspekt ist besonders charakteristisch für die USA, in zunehmendem Maße aber auch für die in immer größere finanzielle Bedrängnis geratenden sozialstaatlich geprägten Systeme der westlichen Industriestaaten wie etwa in Deutschland.

Literatur

  • Philipp Hoelscher, Bernardino Casadei (Hrsg.): Le fondazioni comunitare in Italia e Germania / Bürgerstiftungen in Italien und Deutschland. Fondazione Cariplo. Kongress: Fondazioni comunitarie in Europa – Bürgerstiftungen in Europa; (Loveno di Menaggio, Villa Vigoni), 16. und 17. Januar 2006. Schriftenreihe der Carl-Konrad-und-Ria-Groeben-Stiftung, Maecenata Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-935975-50-3.
  • Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): Bürgerstiftungen für demokratische Kultur. Beispiele zivilgesellschaftlichen Engagements. Berlin 2005
  • Elke Becker, André Christian Wolf: Stiften findet Stadt. Eine Arbeitshilfe zum Aufbau von Bürgerstiftungen. In: Stiftung Mitarbeit (Hrsg.): Beiträge zur Demokratieentwicklung von unten, Heft 15, Bonn 1999.
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Handbuch Bürgerstiftungen: Ziele Gründung, Aufbau, Projekte. 2. Auflage. Gütersloh 2004.
  • Martin Böckel: Unabhängige Bürgerstiftungen – Wesen, Entstehung und Wirken im kommunalen Umfeld. Studien zum Verwaltungsrecht, Bd. 17, Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2006, ISBN 3-8300-2313-8.
  • Aaltje Kaper: Bürgerstiftungen: Die Stiftung bürgerlichen Rechts und die unselbständige Stiftung als Organisationsformen für Bürgerstiftungen. Nomos, Baden-Baden 2006, ISBN 3-8329-1585-0.
  • Eva Maria Hinterhuber: In der Mitte der Gesellschaft. Neue zivilgesellschaftliche Akteure: Die Bürgerstiftungen. In: DEMO (2003)/9, S.12.
  • Philipp Hoelscher, Eva Maria Hinterhuber: Von Bürgern für Bürger? Bürgerstiftungen in Deutschlands Zivilgesellschaft. Maecenata, Berlin 2005.
  • Stefan Nährlich, Rupert Graf Strachwitz, Eva Hinterhuber, Karin Müller (Hrsg.): Bürgerstiftungen in Deutschland – Bilanz und Perspektiven. Opladen 2005, ISBN 3-531-14601-7
  • Stefan Nährlich: "Rechenschaft und Governance. Wie sich Stiftungsarbeit legitimiert". In: "Themenpaket Bürgerstiftungen"der Heinrich-Böll-Stiftung, 2007. Text Online
  • Turner, Nikolaus (Hrsg.), Gemeinsam Gutes anstiften – Die Anfänge der Bürgerstiftungsbewegung in Deutschland, 1. Aufl. 2009, Berliner Wissenschaftsverlag, ISBN 978-3-8305-1657-6

Praxisratgeber

  • Aktive Bürgerschaft (Hrsg.): Länderspiegel Bürgerstiftungen. Fakten und Trends 2011. Berlin 2011[1]
  • Aktive Bürgerschaft (Hrsg.): Bürgerstiftung: Mitstiften! Mit Geld, Zeit, Ideen. Tipps für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, Banken, Vereine, Kirchen und Kommunen. Berlin 2011
  • Aktive Bürgerschaft (Hrsg.): Bürgerstiftungen erfolgreich managen. Hinweise für die Arbeit von Vorständen, Stiftungsräten und Kuratoren. Berlin 2011
  • Aktive Bürgerschaft (Hrsg.): Wege zu einer Bürgerstiftung. Mit Mustersatzungen und Mustergeschäftsordnungen. 4. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 2009
  • Aktive Bürgerschaft (Hrsg.): Vermögensverwaltung und Rechnungslegung. Mit Mustersatzungen für Treuhandstiftung und Fonds. Berlin 2008
  • Aktive Bürgerschaft (Hrsg.): BürgerStiftungsCheck. Kennzahlenorientiertes Management von Bürgerstiftungen auf Grundlage der Balanced Scorecard. Berlin 2008
  • Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): Projekte für demokratische Kultur. Die Arbeit von Bürgerstiftungen vor Ort. Berlin 2007
  • Bundesverband Deutscher Stiftungen (Hrsg.): Bürgerstiftungen stellen sich vor: Die Träger des Gütesiegels für Bürgerstiftungen – 103 Kurzportraits –, Berlin 2009/2010 [2]
  • Burkhard Küstermann: Bürgerstiftungen als Treuhänder: Die Verwaltung von Treuhandstiftungen als Dienstleistungsangebot für regional orientierte Stifter, Berlin 2006
  • Initiative Bürgerstiftungen: Gemeinsam Gutes anstiften, Berlin 2005[3]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Länderspiegel Bürgerstiftungen. Fakten und Trends. aktive-buergerschaft.de. Abgerufen am 27. September 2011.
  2. die-deutschen-buergerstiftungen.de
  3. www.initiative-zivilengagement.de (download)

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