Annemarie Wolff-Richter

Annemarie Wolff-Richter

Annemarie Wolff-Richter (* 27. Juli 1900 in Breslau; † Frühjahr 1945 im Konzentrationslager Jasenovac) war Heilpädagogin und Individualpsychologin und Leiterin des Berliner individualpsychologischen Kinderheims von 1926 bis 1937. Dank ihrer Arbeit konnte die Individualpsychologie praktisch ihre Bedeutung als pädagogische Psychologie belegen.

Annemarie Wolff-Richter

Leben

Annemarie Richter wurde in Breslau als Tochter eines Spezerei- und Viktualienhändlers geboren. Dort absolvierte sie das Kunitz-Malberg-Lyzeum und kam 1920 zur weiteren Ausbildung nach Berlin. Da ihre finanzielle Situation ein Medizinstudium nicht zuließ, absolvierte sie zunächst eine Ausbildung zur Röntgenassistentin.

Ihre Hinwendung zur Pädagogik ergab sich über den Anschluss an den Kreis um den Nervenarzt und Alfred-Adler-Schüler Fritz Künkel, der 1924 die „Berliner Gesellschaft für Individualpsychologie“ und 1927 das „Individualpsychologische Institut zu Berlin“ gegründet hatte. Sie ließ sich zur Individualpsychologin und Heilpädagogin ausbilden und betrieb die Gründung eines individualpsychologischen Kinderheims „für schwererziehbare Jungen und Mädchen“. Die individualpsychologische Ortsgruppe und insbesondere Fritz Künkel und seine Frau unterstützten sie in diesen Bestrebungen.[1][2] Als 26-Jährige konnte sie so ihr erstes Heim an der Schulzendorfer Straße in Hermsdorf eröffnen. 1927 erfolgte die Übersiedlung an die Oranienburger Chaussee 53, nach Frohnau, wo heute eine Gedenktafel an sie erinnert.[3] Aufnahme fanden gesunde wie psychisch kranke Kinder, weil dies die „Arbeit an Kindern, die heilpädagogischer Beeinflussung bedürftig sind, wesentlich fördert“. Die gesunden Kinder kamen aus intellektuellen, zumeist jüdischen Kreisen.[4]

1927 heiratete sie den Sozialarbeiter und späteren Arzt Helmut Wolff. Die Ehe wurde 1935 geschieden. 1929 wurde ihre Tochter Ursula geboren, die gemeinsam mit den anderen Kindern im Kinderheim aufwuchs.

Seit den frühen 1930er Jahren stand Annemarie Wolff-Richter in Kontakt mit Manès Sperber, wie es die gemeinsamen Pläne bezüglich der Einrichtung eines Kindergartens von Mirjam Sperber und der spätere mehrjährige Aufenthalt des Sohnes Vladim Sperber im Kinderheim belegt. Sie hatte Kontakt zu Individualpsychologen, wie Benno Stein, seiner Frau Vera Stein-Ehrlich und zu Georg Pollack und über die individualpsychologische Szene hinaus zu einige Psychotherapeuten oder Ärzten, wie Therese Benedek, Carl Müller-Braunschweig oder Max Hodann.[5]

Trotz persönlicher Sympathie für eine linke Ausrichtung hat Annemarie Wolff-Richter zu beiden Richtungen der Individualpsychologie und auch zu bürgerlich-liberalen Kreisen der Sozialarbeit, etwa Elly Heuss-Knapp, Kontakt gehalten, und wurde offenbar auch von diesen in ihrer Arbeit anerkannt. Vielleicht ein Niederschlag ihres Bekenntnisses „weitgehend undogmatisch“ zu arbeiten.

Bereits im März 1933 wurde Annemarie Wolff-Richter erstmals verhaftet. Zwischen 1933 und 1936 führte sie das Kinderheim verdeckt, da sie mit einem Berufsverbot belegt war, in Wannsee, an der Otto-Erich-Straße 9 und zuletzt in Zehlendorf, Am Hegewinkel 115 weiter. 1936 wurde sie von der Gestapo erneut verhaftet, wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit durch Erziehung von Kindern in jüdisch-marxistischem Sinne“. Die Kinder seien ihr von „staatsfeindlich gesonnenen (sic!) Elementen, mit denen sie in ständiger Verbindung stand“, zugewiesen bzw. vermittelt worden.[5]

1937 konnte sie aus der Haft entkommen und floh mit ihrer siebenjährigen Tochter sowie zwölf anderen ihr anvertrauten Kindern über Prag und Budapest nach Kroatien. Mit ihrem jüdischen Lebenspartner Erwin Süssmann wäre das Emigrationsziel ursprünglich ein Kibbuz in Palästina gewesen, doch gingen kurz vor Dubrovnik die finanziellen Mittel zur Neige, so dass sie sich entschließen musste, in Jugoslawien zu bleiben. Auf der Insel Korčula und in Zagreb versuchte sie wieder ein Heim zu installieren und suchte auch Anschluss an die ihr von früher bekannten Individualpsychologen Benno Stein und Vera Stein-Ehrlich. In diese Zeit fällt auch der Kontakt zu anderen Emigranten.[6]

Mit der Okkupation Kroatiens durch die Deutsche Wehrmacht 1941 hatte sie das Risiko der politischen Verfolgung wieder eingeholt. Erwin Süssmann wurde bereits 1941 deportiert und kam im gleichen Jahr ums Leben. Annemarie Wolff-Richter schloss sich Kreisen des Widerstandes und der Partisanen an und kümmerte sich insbesondere um die Kinder ihrer ermordeten oder im Untergrund lebenden Freunde. Im Sommer 1944 wurde Annemarie Wolff-Richter von der Gestapo aufgespürt und ins Konzentrationslager Jasenovac verbracht. Dort wurde sie Anfang 1945 ermordet.[7]

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Almuth Bruder-Bezel: Geschichte der Individualpsychologie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999, S. 91
  2. Ursula Heuss-Wolff: Das heilpädagogische Kinderheim in Berlin-Frohnau. In: Zeitschrift für Individualpsychologie. Band 27, S. 271–178. München 2002.
  3. Hermann Rudolph: Eine Zuflucht für zerbrechliche Kinder. In: Tagesspiegel. Berlin 18. November 2001.
  4. Bettina Goldberg: Schulgeschichte als Gesellschaftsgeschichte. Ed. Hentrich, Berlin 1994.
  5. a b Michael Gregor Kölch: Theorie und Praxis der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Berlin 1920–1935. Dissertation, Berlin 2002.
  6. Die Schriftstellerin Dinah Nelken porträtiert Annemarie Wolff-Richter in ihrem autobiographischen Roman. Dinah Nelken: Das angstvolle Heldenleben einer gewissen Fleur Lafontaine. (Roman 1971)
  7. Christiane Ludwig-Körner: Wiederentdeckt - Psychoanalytikerinnen in Berlin. Bibliothek der Psychoanalyse. Psychosozial-Verlag, Gießen 1999. S. 249–267

Weblinks

  • Michael Gregor Kölch. Kapitel 5. Das Psychopathenheim Annemarie Wolff-Richter. (online)

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