Business Judgement Rule

Business Judgement Rule

Die Business Judgement Rule ist im deutschen Gesellschaftsrecht ein Teil der Organhaftung, wonach der Vorstand oder Aufsichtsrat für begangene schuldhafte Pflichtverletzungen persönlich haftet und entstandene Schäden ersetzen muss.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Die Business Judgment Rule („Regel für unternehmerische Entscheidungen“) beruht auf den Principles of Corporate Governance des American Law Institute aus dem Jahr 1994[1] und der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH. Der BGH hatte in seinem Urteil vom 21. April 1997 entschieden[2], dass ein Unternehmensleiter hinsichtlich der zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen einen bestimmten Spielraum hat. „Ihn trifft keine persönliche Haftung, wenn er ausreichend gut informiert ist und eine Entscheidung nachvollziehbar im besten Sinne des Unternehmens getroffen hat“, urteilte der BGH.

Durch das „Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG)“ wurden im November 2005 einzelne Bestimmungen des AktG geändert. Die Business Judgement Rule ergibt sich nunmehr aus dem neu eingeführten § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Hiernach liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, „wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“. Diese Bestimmung definiert haftungsausschließendes, pflichtkonformes Verhalten des Vorstands[3].

Voraussetzungen für eine Innenhaftung des Vorstands gegenüber seiner Gesellschaft sind:

  • Pflichtverletzung: ist ein Verstoß gegen die allgemeine Pflicht einer ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsausübung (§§ 93 Abs. 1 Satz AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG und § 34 Abs. 1 GenG) und
  • Verschulden: es genügt bei Vorständen bereits einfache Fahrlässigkeit bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Organs und
  • Schaden: ist jede Beeinträchtigung des Gesellschaftsvermögens. Hierzu gehören auch Aufwendungen, die ihren eigentlichen Zweck verfehlen, entgangener Gewinn (§ 252 BGB) oder pflichtwidrige Begründung von Gesellschaftsschulden und
  • Kausalität: Die Pflichtverletzung muss für den Schaden ursächlich sein, ein Mitverursachen reicht aus.

Anwendung

Um bei der Innenhaftung der Organe missbräuchliche Rechtsausnutzung zu vermeiden, wurde ein gerichtliches Vorverfahren (Zulassungsverfahren) eingeführt und ein Haftungsfreiraum im Bereich qualifizierter unternehmerischer Entscheidungen geschaffen, wobei für Fehler im Rahmen des unternehmerischen Entscheidungsspielraumes nicht gehaftet wird. Die Business Judgement Rule ist also ein Haftungsausschluss[4]. Eine unternehmerische Entscheidung steht hierbei im Gegensatz zu rechtlich gebundenen Entscheidungen, für die es bei Verschulden keinen Haftungsfreiraum gibt.

Voraussetzungen einer Pflichtverletzung

Das Gesetz spricht von fehlender Pflichtverletzung, sodass eine so genannte Tatbestandseinschränkung vorliegt. Eine Pflichtverletzung setzt folgende Merkmale voraus:

  • unternehmerische Entscheidung: ist aufgrund ihrer Zukunftsbezogenheit durch Prognosen und nicht justiziable Einschätzungen geprägt. Das unterscheidet sie von der Beachtung gesetzlicher, satzungsmäßiger, anstellungsvertraglicher oder organschaftlicher Beschluss-Pflichten, bei denen es keinen tatbestandlichen Handlungsspielraum gibt („Pflichtentscheidungen“).
  • Gutgläubigkeit: Die Entscheidungen müssen ex ante (hierbei werden später abgelaufene Vorgänge, die zu einem früheren Zeitpunkt noch nicht bekannt sein konnten, außer Acht gelassen) in gutem Glauben auf das Unternehmenswohl ausgerichtet sein.
  • Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse: Das Handeln muss unbeeinflusst von Interessenkonflikten, Fremdeinflüssen und ohne unmittelbaren Eigennutz sein. Der Vorstand muss also unbefangen und unbeeinflusst handeln.
  • Handeln zum Wohle der Gesellschaft: Entscheidungen müssen der langfristigen Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmenskonzerns und seiner Produkte/Dienstleistungen dienen. Diese Voraussetzung liegt etwa bei einer nachträglich gewährten Leistungsprämie, die der Gesellschaft keinen zukunftsbezogenen Nutzen bringt, nicht vor[5]. Wenn das mit der Entscheidung verbundene Risiko in völlig unverantwortlicher Weise falsch beurteilt wurde[6], ist das Merkmal „vernünftigerweise“ nicht erfüllt.
  • Handeln auf der Grundlage angemessener Information: Eine unternehmerische Entscheidung beruht häufig auch auf Instinkt, Erfahrung, Phantasie und Gespür für künftige Entwicklungen, was sich nicht durch objektive Informationen ersetzen lässt. Deshalb soll der Mut zum unternehmerischen Risiko nicht genommen werden, andererseits jedoch Unbesonnenheit und Leichtsinn nicht gefördert werden. Abgestellt wird somit auf die vernünftigerweise als angemessen erachtete Information. Eine Information kann nicht allumfassend sein, sondern hat betriebswirtschaftliche Schwerpunkte. Der unbestimmte Rechtsbegriff der angemessenen Information ist erfüllt, wenn der Vorstand sie aus eigener Einschätzung für ausreichend erachtet[7].

Handeln umfasst dabei die Entscheidung selbst und ihre Umsetzung durch Rechtsgeschäft oder tatsächliche Handlung.

Folgen

Ist dem Vorstand ein schuldhaftes, pflichtwidriges Handeln aufgrund obiger Voraussetzungen nicht nachweisbar, wird pflichtgemäßes Handeln des Vorstands unwiderlegbar vermutet[8]. Da der Haftungsfreiraum der Business Judgment Rule gesetzestechnisch als Ausnahme und Einschränkung des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG formuliert ist, liegt die Darlegungs- und Beweislast beim betroffenen Vorstandsmitglied[9]. Sofern eine Pflichtverletzung vorliegt, haftet ein Vorstandsmitglied der Gesellschaft gegenüber persönlich, unbeschränkt und mit seinem gesamten Vermögen.

Der Gesetzgeber hat im Regierungsentwurf ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Business Judgment Rule nicht auf die Aktiengesellschaft (und Kommanditgesellschaft auf Aktien)[10] beschränkt ist, sondern auch – ohne besondere positivrechtliche Regelung – auf alle unternehmerische Betätigungen bei anderen Rechtsformen angewandt werden soll.

Außenhaftung

Für die Haftung gegenüber Dritten (Aktionäre oder Gesellschafter, Lieferanten, Wettbewerber, Staat und auch Mitarbeiter) besteht indes keine in sich geschlossene gesetzliche Regelung. Im Zweifel sind allgemeine gesetzliche Haftungsregeln wie unerlaubte Handlung (§ 823 BGB) anzuwenden.

Einzelnachweise

  1. Fritz Rittner/Meinrad Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht: eine systmatische Darstellung, 2007, S. 251 ff.
  2. BGH, Urteil vom 21. April 1997, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck)
  3. Gerhard Manz/Barbara Mayer/Albert Schröder, Die Aktiengesellschaft, 2010, S. 424
  4. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BR-Drucksache 3/05, S. 21 f.
  5. BGHSt 50, 331 = DB 2006, 323 (Mannesmann)
  6. BGHZ 135, 244, 253
  7. Stefan Martin Schmitt, Organhaftung und D & O-Versicherung, 2007, S. 66
  8. Gerhard Manz/Barbara Mayer/Albert Schröder, a.a.O., S. 424
  9. BR-Drucksache, a.a.O., S. 24
  10. für beide Rechtsformen gilt das AktG

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