Consensus von Sandomir

Consensus von Sandomir

Der Consensus von Sandomir (Consensus Sandomiriensis, Consensus Sendomir(i)ensis) ist eine in der südpolnischen Stadt Sandomierz im April 1570 geschlossene Übereinkunft, mit der die polnischen Lutheraner, Reformierten und Böhmischen Brüder die Rechtmäßigkeit ihrer jeweiligen Konfessionen anerkannten und gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit vereinbarten. Er gilt als herausragendes frühes Beispiel der innerprotestantischen Ökumene.

Hintergrund der Übereinkunft war das Bestreben der in verschiedene Richtungen zersplitterten Protestanten im Königreich Polen, sich gemeinsam gegen die drohende Gegenreformation wehren zu können. In diesem Sinne hatte schon Johannes a Lasco seit 1557 für eine Union der polnischen Protestanten gewirkt. Angesichts des Anwachsens der evangelischen Bewegung und der Schwäche des katholischen Königs Sigismund II. August hofften manche der Protagonisten sogar auf die Gründung einer protestantischen Nationalkirche nach englischem Vorbild. Zu diesem Zweck wurde eine gemeinsame Synode nach Sandomir einberufen, die vom 9. bis 14. April 1570 tagte. Beteiligt waren - aufgrund der eben erst geschlossenen Union von Lublin - auch Vertreter des litauisch-weißrussischen Adels. Die antitrinitarischen Polnischen Brüder waren ebenso wie die Täufer ausgeschlossen.

Der Consensus erkannte die Bekenntnisschriften der jeweils anderen Seite und enthielt eine explizite Einigung über die Trinität. Wegen des Abendmahlsstreits zwischen den evangelischen Hauptrichtungen musste das Thema des Abendmahls ausführlich behandelt werden. Der Text nimmt hier eine vermittelnde Haltung zwischen den Positionen Martin Luthers und Ulrich Zwinglis ein und beruft sich auf Philipp Melanchthon. Auf dieser Grundlage konnten die beteiligten Kirchen ihre Selbständigkeit behalten, aber die gegenseitige Öffnung der Kirchen für Gottesdienste, den Austausch von Predigern und die Abhaltung gemeinsamer Generalsynoden vereinbaren.

Nicht zu verwechseln ist der Consensus mit der Konfession von Sendomir, die auf der Synode vorgelegt, aber nur von den Reformierten akzeptiert wurde.

Der Consensus wurde von den beteiligten Kirchen als Grundlage der Zusammenarbeit akzeptiert und auch von den Theologen der Universitäten Wittenberg, Leipzig und Heidelberg sowie von Heinrich Bullinger und Theodor Beza anerkannt, ohne jedoch in Deutschland weitere Wirkungen zu erzielen. In Polen wurde er dagegen Grundlage der Konföderation von Warschau 1573, mit der eine „Pax Dissidentium“, d.h. die uneingeschränkte Religionsfreiheit der Protestanten, einschließlich ihrer politischen Gleichstellung, staatsrechtlich anerkannt wurde.

Textausgaben

  • Ostmitteleuropas Bekenntnisschriften der evangelischen Kirchen A. u. H.B. des Reformationszeitalters. III/1. 1564-1576, hrsg. v. Peter F. Barton u. Laszlo Makkai, Budapest 1987, S. 271-279.
  • Confessia. Wyznanie wiary powszechney Kosciolöw krzescijariskich Polskich krotko a prostemi slowy zamknione. Warszawa 1994 (Nachdruck der ersten Ausgabe von 1570, hrsg. u. eingel. v. Urszula Augustyniak).
  • Henning P. Jürgens (Hrsg.): Konsens von Sandomierz - Consensus Sendomirensis. In: Heiner Faulenbach u.a. im Auftrag der EKD (Hrsg.): Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 3/1, Neukirchen [im Druck].

Literatur

  • Daniel Ernst Jablonski: Historia Consensus Sendomiriensis Inter Evangelicos Regni Poloniae Et Lutheranae In Synodo Generali Evangelicorum Sendomir 1570. Berlin 1731.
  • Oskar Bartel: Der Consensus Sendomiriensis vom Jahre 1570 im Lichte der ökumenischen Bestrebungen in Polen und Litauen im 16., 17. und 18. Jahrhundert. In: Luher-Jahrbuch 40 (1973), S. 107-128.
  • Janusz Małłek: Sandomir, Consensus von, in: Theologische Realenzyklopädie 30 (1999), S. 29-31.
  • Michael G. Müller: Der Consensus Sendomirensis - Geschichte eines Scheiterns? Zur Diskussion über Protestantismus und protestantische Konfessionalisierung in Polen-Litauen im 16. Jahrhundert. In: Joachim Bahlcke u.a. (Hrsg.): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Leipzig 2006, S. 397-408.

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