Gilgi

Gilgi
Gedenktafel für Irmgard Keun in Berlin

Gilgi – eine von uns ist ein Roman von Irmgard Keun, erschienen 1931 in Berlin.

Inhaltsverzeichnis

Zeit und Ort

Am Romanende ist Spanien Republik geworden. Also handelt der Roman bis zum Frühjahr 1931. Ort der Handlung ist Köln.

Handlung

Drei Mütter

Die 20-jährige Stenotypistin Gisela Kron - genannt Gilgi - will selbständig und unabhängig sein. Gilgi wohnt noch bei den Eltern. Am Morgen ihres 21. Geburtstages wird Gilgi von Frau Kron mit einem Geständnis geweckt. Gilgis Mutter sei ein Fräulein Täschler. Als Gilgi das besagte Fräulein aufsucht, geht es weiter mit den Geständnissen. Gilgis leibliche Mutter heiße Magdalene Greif. Gegen Ende des Romans kann Gilgi nicht anders - sie muss ihre Mutter aufsuchen, weil sie dringend 500 Mark braucht. Gilgi benötigt das Geld nicht für sich, sondern sie will - auf dem schweren Weg vom Ich zum Wir - der Familie ihres Jugendfreundes Hans aus der Klemme helfen. Hansens Körper schuttert [schüttert] beim Weinen. Frau Greif, die ihre Tochter Gilgi zum ersten Mal als Erwachsene sieht, hat nicht so viel Geld parat. Also gibt sie der Tochter eine Handvoll Ringe, die sie von ihren Fingern zieht und fällt in Ohnmacht.

Eine von uns

Gilgi will von ihrer leiblichen Mutter, die in großbürgerlichen Verhältnissen lebt, weiter nichts als das Geld. Sie will die Mutter auch nicht wiedersehen und fragt nicht einmal nach dem Namen ihres Vaters.

Helfer in Gilgis Not, das sind weder die reiche Mutter noch jener Chef, der das patente Mädchen in die Arbeitslosigkeit entlässt. Potenzielle Helfer sind Gilgis Freunde Olga und Pit. Olga reist schließlich nach Berlin und will dort ihr Glück machen. Der unfreundliche Pit, der Junge mit seinem ganzen Sozialismus, seinen Weltverbesserungsideen, studiert Volkswirtschaft und schlägt sich mit Stundengeben sowie Klavierspielen in fragwürdigen Kneipen durch. Gilgi, die nur 150 Mark auf dem Büro verdient, hat, wie die beiden Freunde, ihr Geschick in die eigenen Hände genommen. Eine von uns - wie der Untertitel des Romans sagt, meint Gilgis Zugehörigkeit zum Heer der Arbeitnehmer. Dazu passt, dass Gilgi 1932 im sozialdemokratischen Vorwärts als Fortsetzungsroman abgedruckt wird. Der Roman kann als scharfe Gesellschaftskritik gelesen werden, wenn es z.B. um Gilgis wöchentlichen Gang zum Stempeln oder um das tragische Schicksal Hansens und seiner Familie geht.

Martin Bruck

Gilgis Not beginnt bald, nachdem sie den Bohemien Martin Bruck, 22 Jahre älter als Gilgi, kennengelernt hat. Martin, der zwar nur eine Monatsrente von 200 Mark bekommt, gehört zum Großbürgertum. Er verschuldet sich bedenkenlos, lebt mitunter unbeschwert auf großem Fuße und behängt die federleichte, blasse kleine Gilgi mit schwerem Schmuck. Gilgi verlässt das Elternhaus, zieht bei Martin ein und verliebt sich so sehr in den unbekümmerten jungenhaften, glücklichen „Schriftsteller“, dass sie beinahe alles um sich herum vergisst. Martin liebt Gilgi nicht mit Milchbrei-Toleranz und Haferflocken-Güte, sondern unpersönlich. Das Umerziehen des unordentlichen Martin gelingt Gilgi nicht. Also möchte sie sich ihm anpassen; macht tiefkleinbürgerliche Butterbrote. Was Gilgi am wenigsten ist, gefällt Martin am besten an ihr. Man liest gemeinsam. Gilgi schätzte bisher nur Jack London, Bengt Berg und Remarque. Martin fühlt sich für Gilgi verantwortlich. Das ist für sie die schlimmste Beleidigung. Doch bald wird sie aus ihrem Büro entlassen. Als sie merkt, dass der leichtlebige Martin doch gar nicht zu ihr, der Arbeitsamen, passt, ist es zu spät. Gilgi ist von Martin schwanger. Aber die junge Frau sagt Martin kein Wort. Vielmehr schüttet sie Pit ihr Herz aus. Pit und Gilgi sitzen beieinander - zwei kleine wenige Menschen. Darauf folgt Gilgi Olga nach Berlin. Gilgi will ihr Kind unbedingt zur Welt bringen. Warum fährt die arbeitslose, schwangere Gilgi nach Berlin? Einreihen will sie sich wieder in die Pflicht. Gilgi will wieder dazugehören.

Zitat

  • Mensch ist mehr als Gott.[1]

Form

  • Über das Verwischen der Erzählerstimme:[2] Mitunter erscheint es dem Leser so, als ob die Erzählerin Keun und die Protagonistin Gilgi miteinander verschmelzen.[3] Anfangs meint der Leser, die Erzählerin lasse nicht nur ihre Figuren in Kölner Mundart reden, sondern schreibe teilweise selber Kölsch: Die red't wie'n Wasserfall.[4] Erst bei genauem Hinsehen können Erzähler, innerer Monolog und erlebte Rede in den meisten Problemfällen separiert werden.
  • Zur Dynamik des Erzählsoges:[5] Gegen Romanende hin, wenn die Spannung steigt, lässt die Erzählerin Gilgi gern in unvollständigen Satzungeheuern denken und spart dabei nicht mit Gedankenstrichen. Das Ragout ist gut lesbar und lässt sich förmlich verschlingen.
  • Wahrheit: Gilgi sagt: Wahrheit fühlt man immer.[6] Der Erzählton ist erfrischend, direkt und manchmal angenehm zurückhaltend. Die Empfängnis Gilgis z.B. kann sich der Leser höchstens zusammenreimen und viel später kommt Gilgi ein wenig wehmütig kurz darauf zurück: Martin habe ihr die Geschlossenheit ihrer Schenkel fortgeküßt.[7] Solche kleinen Sentimentalitäten kann der Leser im Roman suchen wie die Stecknadel im Heuhaufen. Gelegentlich wird Gilgi so frech, dass der Leser ihr den Ton nicht recht glauben möchte - z.B. als sie den Gynäkologen anherrscht.[8] Es könnte sich aber wieder um einen inneren Monolog handeln (s.o.).
  • Heiterkeit: Als Gilgi von der leiblichen Mutter Geld will, grübelt sie, was sich in deren Wohnung versilbern lässt: den Flügel kann man leider nicht fortschaffen.[9]
  • Wörter und Wendungen: Zur Figurenzeichnung spart die Autorin nicht mit Bildern und Symbolen. Da prüft Gilgi kritisch und hemmungslos wie ein Revuetheaterdirektor,[10] da wird die selbstzweifelsüchtige Brust[11] des Freundes Pit dekoriert.

Selbstzeugnis

1931 legt die Autorin ihr Werk in Berlin beim Verlag vor: Ich habe hier ein Manuskript von mir und wünsche bis spätestens übermorgen Antwort.[12]

Rezeption

  • Der Roman erlebt im Erscheinungsjahr sechs Auflagen mit 30 000 verkauften Exemplaren.[13]
  • Hans Fallada bezeichnet 1931/32 im Heft 34 der Zeitschrift Die Literatur den Roman als ein herrlich tapferes, junges, gläubiges, ehrliches, anständiges Buch.[14]
  • Bernard von Brentano schreibt 1932 in Die Linkskurve: Alles, was Gilgi lästig wird, bleibt einfach weg, angefangen von ihren Eltern über ihre Freunde bis zu ihrem Geliebten.[15]
  • Peter Panter schreibt 1932 in der Weltbühne: Eine schreibende Frau mit Humor! Hier ist ein Talent. Aus dieser Frau kann einmal etwas werden.[16]
  • Erika Mann schreibt Anfang der 30er Jahre: Fast ist es als übersetze sie [Irmgard Keun] das Leben in die Literatur.[17]

Übersetzungen

Der Roman wurde 1933 in die französische, 1934 in die dänische, italienische, schwedische, rumänische, ungarische und 1936 in die polnische Sprache übersetzt.[18]

Verfilmung

Bühnenfassung

  • Gilgi- Eine von uns. 2009 fand die UA in der Regie von Dania Hohmann mit Anneke Schwabe am St.Pauli Theater Hamburg statt.

Einzelnachweise

  1. Keun S.144
  2. Blume S.86
  3. Blume S.83
  4. Keun S.32
  5. Blume S.89
  6. Keun S.153
  7. Keun S.115
  8. Keun S.116
  9. Keun S.149
  10. Keun S.150
  11. Keun S.145
  12. Kreis S.75
  13. Kreis S.64
  14. Kreis S.88
  15. Kreis S.80,82
  16. Kreis S.86,88
  17. Leiß und Stadler S.136
  18. Kreis S.294
  19. Kreis S.294

Literatur

Quelle

  • Irmgard Keun: Gilgi - eine von uns. Roman. München 1994. 173 Seiten, ISBN 3-423-11050-3

Erstausgabe

  • Irmgard Keun: Gilgi - eine von uns. Roman. Deutsche Verlags-Aktiengesellschaft Universitas Berlin 1931

Sekundärliteratur

  • Gabriele Kreis: „Was man glaubt, gibt es“. Das Leben der Irmgard Keun. S.64 - 88. Zürich 1991. 302 Seiten, ISBN 3-7160-2120-2
  • Deutsche Literaturgeschichte. Band 9. Ingo Leiß und Hermann Stadler: Weimarer Republik 1918 - 1933. S.136 - 138. München im Februar 2003. 415 Seiten, ISBN 3-423-03349-5
  • Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A - Z. S.331. Stuttgart 2004. 698 Seiten, ISBN 3-520-83704-8
  • Gesche Blume: Irmgard Keun. Schreiben im Spiel mit der Moderne. S.77 - 90. Dissertation (Bd. 23 der Reihe Arbeiten zur Neueren deutschen Literatur. Hrsg. Dorothee Kimmich, Walter Schmitz, Detlev Schöttker, Marek Zybura). Dresden 2005. 223 Seiten, ISBN 3-937672-38-9
  • Liane Schüller: Vom Ernst der Zerstreuung. Schreibende Frauen am Ende der Weimarer Republik: Marieluise Fleißer, Irmgard Keun und Gabriele Tergit. Aisthesis: Bielefeld, 2005. 372 Seiten, ISBN 3-89528-506-4

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