- Gradiva
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Die Gradiva (dt. Die Voranschreitende) ist ein neoattisches[1] römisches Basrelief aus der Zeit des Hellenismus, etwa 2. Jahrhundert v. Chr. Die Gestaltung lehnt sich an die Art griechischer Kunst des 4. Jahrhunderts v. Chr an. Das Relief aus Marmor zeigt in der Seitenansicht eine junge Frau mit Kopftuch, die beim Vorwärtsschreiten ihr langes Gewand rafft. Es befindet sich in der Sammlung des Museo Chiaramonti, das den Vatikanischen Museen in Rom angeschlossen ist.
Inhaltsverzeichnis
Name und Beschreibung
Das Relief bildete die Basis für die 1903 erschienene Novelle Gradiva: Ein pompejanisches Phantasiestück des deutschen Schriftstellers Wilhelm Jensen, der dem Werk in Anlehnung an Mars Gradivus – den zum Kampf ausziehenden Mars – den Namen „Gradiva“ in seiner Novelle gab.[2] Jensen beschreibt die junge Frau darin wie folgt:
- „Ungefähr in Drittel-Lebensgröße stellte das Bildnis eine vollständige, im Schreiten begriffene weibliche Gestalt dar, noch jung, doch nicht mehr im Kindesalter, andrerseits indes augenscheinlich keine Frau, sondern eine römische Virgo, die etwa in den Anfang der Zwanziger-Jahre eingetreten. […] Eine hochwüchsige und schlanke Gestalt, deren leichtgewelltes Haar ein faltiges Kopftuch beinahe völlig umschlungen hielt; von dem ziemlich schmalen Gesicht ging nicht das geringste einer blendenden Wirkung aus. […] So fesselte das junge Weib keineswegs durch plastische Formenschönheit, besaß aber etwas bei den antiken Steingebilden Seltenes, eine naturwahre, einfache, mädchenhafte Anmut, die den Eindruck regte, ihm Leben einzuflößen. Hauptsächlich geschah dies wohl durch die Bewegung, in der sie dargestellt war. Nur ganz leicht vorgeneigten Kopfes, hielt sie mit der linken Hand ihr außerordentlich reichfaltiges, vom Nacken bis zu den Knöcheln niederfließendes Gewand ein wenig aufgerafft, so daß die Füße in den Sandalen sichtbar wurden. Der linke hatte sich vorgesetzt, und der rechte, im Begriff nachzufolgen, berührte nur lose mit den Zehenspitzen den Boden, während die Sohle und Ferse sich fast senkrecht emporheben“.[3]
Adaptionen
Sigmund Freud analysierte die Novelle in seiner 1907 erschienenen Studie Der Wahn und die Träume in Jensens „Gradiva“, darin besonders die Träume des Protagonisten Hanhold. Freud interpretierte sie als Ersatz für unerfüllte Gefühle, die seine Spielkameradin aus der Kinderzeit, Zoe Bertgang, betreffen. Freud besaß eine Kopie des Reliefs, die er 1907 im Vatikanischen Museum erstanden hatte. Gegenwärtig ist es an der Wand seines Studios im Freud Museum in London zu besichtigen, in dem Raum, in dem er starb.
Salvador Dalí benutzte den Namen Gradiva als Kosename für seine Frau Gala. Eine Reihe seiner Gemälde und Skulpturen tragen diesen Titel, beispielsweise Gradiva retrouve les ruines anthropomorphes – Fantaisie rétrospectif (Gradiva findet die anthropomorphen Ruinen wieder – Retrospektive Fantasie) aus dem Jahr 1931.[4] Auch andere surrealistische Maler gaben ihren Werken diesen Namen, so 1939 André Masson für Gradiva (Metamorphosis of Gradiva). Der französische Literaturkritiker Maurice Nadeau bezeichnete Gradiva, „die Frau, die durch die Wand geht“, als eine Muse des Surrealismus.[5][6]
Im Jahr 1937 eröffnete der surrealistische Schriftsteller André Breton unter dem Namen Gradiva eine Kunstgalerie in der Rive Gauche, 31 rue de Seine, in Paris. Marcel Duchamp schuf das Design. Die Tür für die Galerie zeigte eine Öffnung in Form einer Silhouette zweier dicht zusammenstehender Personen. Breton schrieb bezüglich des Namens „Gradiva“, er habe auch die Bedeutung, die Schönheit von morgen zu sehen, die den meisten Menschen noch verborgen bliebe. Das Eintreten in die Galerie mit surrealistischer Kunst sollte nach Bretons Vorstellung den Besucher dieser Schönheit näher bringen und – wie in Jensens Werk – einen Beitrag zum Aufdecken des seelisch Verborgenen beim Betrachter leisten.[7]
1970 kam der italienische Film Gradiva unter der Regie von Giorgio Albertazzi mit den Hauptdarstellern Laura Antonelli und Peter Chatel nach Wilhelm Jensens Novelle zur Uraufführung.[8] 2006 folgte das Erotik-Drama C’est Gradiva qui vous appelle (Der Ruf der Gradiva) unter der Regie von Alain Robbe-Grillet. Dem Orientalisten John Locke, dargestellt von James Wilby, werden in Marrakesch Dias zugespielt, die verschollene Zeichnungen des französischen Malers Eugène Delacroix zeigen. Angeblich stellen sie die Sklavin Gradiva dar, Delacroix’ marokkanische Geliebte, die für das Vergehen von ihrem Herrn hingerichtet wurde. Seit dieser Zeit trifft John Gradiva (gespielt von Arielle Dombasle) immer wieder in den Straßen von Marrakesch. Eugène Delacroix schuf 1832 acht Skizzenhefte in Marokko. Sechs blieben erhalten, sie gelten als Vorläufer des Orientalismus in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Robbe-Grillet sieht seinen Film als Hommage an diese Kunstbewegung und an den mit Erotik aufgeladenen Mythos vom Orient, in dem die Frau zugleich als Gefangene, Opfer und verführerische Sexsklavin wirkt.[9]
Der französische Schriftsteller Michel Leiris begründete im Jahr 1986 zusammen mit Jean Jamin das Magazin Gradhiva. Revue d’anthropologie et d’histoire des arts, das vom Musée du quai Branly herausgegeben wird.[10]
Literatur
- Wilhelm Jensen: Gradiva. Ein pompejanisches Phantasiestück. Reissner, Dresden und Leipzig 1903 (online).
Weblinks
Commons: Gradiva – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien- Gradiva im Freud-Museum, London
- Wilhelm Jensen: Gradiva bei zeno.org
Einzelnachweise
- ↑ Begriff nach: Friedrich Hauser: Die Neuattischen Reliefs. Konrad Wittwer, Stuttgart 1889
- ↑ Gradiva, kulturserver-graz.at, abgerufen am 14. Februar 2011
- ↑ Siehe Text online
- ↑ Abbildung von Dalís Gemälde, Museum Ludwig, Köln, Abb. 5, rp-online.de, abgerufen am 15. Februar 2011
- ↑ Maurice Nadeau: A History of Surrealism, 1965
- ↑ Auktion von Massons Gemälde mit Abbildung, faz.net, abgerufen am 14. Februar 2011
- ↑ Die Frage der Schaufenster, toutfait.com, abgerufen am 12. Februar 2011
- ↑ Gradiva, imdb.de, abgerufen am 15. Februar 2011
- ↑ Der Ruf der Gradiva, tvspielfilm.de, abgerufen am 15. Februar 2011
- ↑ Gradhiva, gradhiva.revues.org, abgerufen am 15. Februar 2011
Kategorien:- Antikes Relief
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