Julio Goslar

Julio Goslar

Julio Goslar (* 10. August 1883 in Siegen (Westfalen); † 22. Januar 1976) war ein Kirchenmusiker in Köln, der in der Zeit des NS-Regimes wegen seiner jüdischen Abstammung entlassen und entrechtet wurde.

Inhaltsverzeichnis

Vorkriegszeit

Die Lutherkirche in Köln-Nippes

Geboren als Sohn der jüdischen Schriftstellerin und Klavierlehrerin Emma Goslar konvertierte Goslar 1914 in Köln zum Christentum. Julio Goslar war im Ersten Weltkrieg Frontsoldat, wo er mit dem Frontkämpfer-Ehrenzeichen dekoriert wurde. 1921 wurde Goslar von der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Nippes als Organist der Lutherkirche in Köln-Nippes eingestellt. In dieser Funktion war er auch Leiter des Kirchenchores. Des Weiteren war er Orchesterleiter, Konzertpianist, Musikwissenschaftler, Komponist, Lehrer für Klavier und Musiktheorie sowie Leiter des Volkschors Köln.

Julio Goslar und die Zeit des Nationalsozialismus

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten geriet der gebürtige Jude Julio Goslar in Bedrängnis, spätestens als es 1933 in einem Aufsatz in der Zeitschrift Kirche und Musik hieß: „Das dritte Reich der Deutschen fordert von jedem ein Bekenntnis“, welches man nicht nur „im Munde führen“, sondern das man auch leben und das „auch für die Kirche und in ihr die Kirchenmusik gelten“ müsse. 1934 schloss die Reichsmusikkammer Goslar, den einzigen „volljüdischen“ evangelischen Kirchenmusiker Deutschlands, aus ihren Reihen aus. Ein Jahr später hieß es wieder in Kirche und Musik: „Es gibt tatsächlich christliche Kirchen in Deutschland, in denen an Sonn- und Feiertagen und im Gottesdienst für deutsche Menschen christlicher Konfessionen Vollblutjuden seit Jahren die Orgel spielen“, was ein „schamloser Verrat am Christentum“ sei. Heinrich Himmlers Wochenblatt Das schwarze Korps griff das Thema auf und prangerte den „Rasse-Skandal auf deutschen Orgelbänken“ an.

Julio Goslars Situation wurde dadurch verschärft, dass er Sozialdemokrat und mit dem „roten Pfarrer“ Georg Fritze befreundet war. Das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Nippes wurde im September 1935 vom Vizepräsidenten des Berliner Evangelischen Oberkirchenrates aufgefordert, Julio Goslar zu beurlauben. Dieser Aufforderung kam das Presbyterium umgehend nach. Die Beurlaubung wurde zwar aus formalen Gründen vom Oberkirchenrat wieder aufgehoben, weil dieser die Einmischung der Reichsmusikkammer in die Angelegenheiten der Kirche als Übergriff einer nichtkirchlichen Behörde empfand. Parallel dazu aber erklärte das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Nippes, das abgesehen vom Presbyteriumsvorsitzenden aus nationalsozialistisch gesinnten Deutschen Christen bestand, sich solidarisch mit den Entscheidungen der Reichsmusikkammer, weswegen es die Beurlaubung des „Nicht-Ariers“ als „für uns verbindlich“ erklärte.

Im Folgenden wurde Julio Goslar verleumdet. Er wurde angeklagt mit dem Vorwurf, er verkehre „außerehelich mit einem deutschen Fräulein“, worauf für einen gebürtigen Juden seit Verkündung der Nürnberger Rassegesetze Zuchthaus stand. Spätestens als die Zeitschrift Der Stürmer auf den „Fall Goslar“ aufmerksam wurde und schrieb: „Jud bleibt Jud – da hilft auch die Taufe nichts“, konnte die Suspendierung nicht mehr abgewendet werden, behauptete der anonym veröffentlichte Artikel doch, auch Martin Luther hätte „Goslar mit der Peitsche aus der Evangelischen Kirche“ herausgetrieben.

Julio Goslar kam dem zuvor, indem er nach 15 Jahren Arbeit für die Gemeinde am 22. Oktober 1936 seine Kündigung einreichte. Julio Goslars Ehefrau Christel (16. August 1886 – 8. Juli 1947) galt als „jüdisch versippt“. Eine offizielle Anfrage der Kirche, sie möge sich von ihrem Mann scheiden lassen, lehnte sie 1936 in ihrem Schreiben an ihre Kirchenoberen in Düsseldorf und Berlin ab: „Unsere Ehe wurde 1916 kirchlich geschlossen, und nun rechnet man uns zu den Juden?? Verstehe das, wer kann! Ich nicht! [...] Mein 16-jähriger Sohn ist Halbarier [...], 1933 wurde er konfirmiert [...]. Mein Mann aber, der diesen [...] evangelischen Christen ernähren muß, wird brotlos gemacht. Verstehe das, wer kann, ich nicht!“

Julio Goslar musste als Zwangsarbeiter in die Judenkolonne der Stadt Köln. Nur kurz durfte er noch einmal als „Hilfskraft für das Gemeindeamt“ arbeiten. Goslars Sohn Hans Günter war zum Einsatz am Westwall abkommandiert. Im Mai 1943 wurde die Wohnung von Julio Goslar und seiner Familie bei einem Bombenangriff völlig zerstört, weshalb Goslar und seiner Frau Christel von der Gestapo eine „Auffangwohnung“ an der Ecke Zülpicher Straße/Universitätsstraße zugewiesen wurde. Aus dieser konnte das Ehepaar im Juli 1944 während eines erneuten Bombenangriffs entkommen und mit Hilfe von Freunden bis Kriegsende untertauchen. Zuerst versteckte sich das Ehepaar auf einem Bauernhof in Feldkassel, dann in einer Wohnung in der Siebachstraße 86 in Nippes, direkt gegenüber ihrer zerstörten früheren Wohnung und nicht weit entfernt von der Lutherkirche der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Nippes.

Nachkriegszeit

Julio Goslar forderte nach Kriegsende von der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Nippes seine Wiedereinstellung, was das Presbyterium zunächst ablehnte. Erst auf Druck der alliierten Militärregierung gab die Evangelische Kirchengemeinde Köln-Nippes nach und setzte Goslar im Jahr 1945 wieder in seine alten Rechte als Organist und Chorleiter ein.[1] Gemeinsam mit Robert Görlinger und Hans Böckler hat Julio Goslar im Mai 1945 die Kölner SPD wiederbegründet.

Ehrungen

Julio Goslar war mit Freuden vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann 1969 das Bundesverdienstkreuz am Bande zuerkannt worden. In Köln-Nippes ist eine Straße und ebendort das Gemeindehaus der Lutherkirche seit 1989 nach Julio Goslar benannt.[2]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Helmut Fußbroich: Die Lutherkirche Köln-Nippes, Köln 1989, S. 5.
  2. Homepage der Lutherkirche in Köln-Nippes.

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