Julius Riemer

Julius Riemer

Julius Riemer (* 4. April 1880 in Berlin; † 17. November 1958 in Wittenberg) war ein deutscher Fabrikant und international bekannter natur- und völkerkundlicher Sammler. In der NS-Zeit war er der aktivste Mäzen und Unterstützer von Benno Wolf. Nach 1945 baute Riemer im Kurfürstlichen Schloss Wittenberg das nach ihm benannte Museum für Natur- und Völkerkunde auf, das er bis zu seinem Tode 1958 leitete.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Sammler

Julius Riemer war bereits als Kind ein leidenschaftlicher Sammler, insbesondere von natur- und völkerkundlichen Objekten wie Mineralien, Versteinerungen, Federn, Schädel u.a. Knochen, gepresste Pflanzen, Mollusken oder Insekten. So besaß er bereits mit 14 Jahren über 30 präparierte Tiere. Es war diese Sammelleidenschaft, die ihn später international bekannt machte und es ihm erlaubte, seine Sammlungen bis 1945 kontinuierlich so ausbauen zu können, dass er schließlich eine der größten und wertvollsten natur- und völkerkundlichen Privatsammlungen Deutschlands besaß. Als Lederhandschuhfabrikant hatte Julius Riemer die dafür nötigen Mittel und entsprechende wirtschaftliche Unabhängigkeit.

Voraussetzung für das Wachstum seiner Sammlung war sein ausgeprägtes Engagement in und für mindestens 20 natur- und völkerkundliche Vereine und Gesellschaften, so auch den Hauptverband Deutscher Höhlenforscher. Durch seine Mitarbeit in deren Gremien erwarb er bald hohe Anerkennung. Wissenschaftler aus ganz Deutschland legten Wert auf seine Fachkenntnis und Erfahrung. Allgemeine Beliebtheit erwarb er auch durch seine Gastfreundschaft. Seine beiden Grundstücke im Zentrum Berlins nahe der Marienkirche und in Tempelhof besaßen aufgrund der hohen Anzahl von Gästen mitunter Pensionscharakter, und es galt als unvergessliches Erlebnis, von Julius Riemer persönlich durch die Privatsammlung geführt zu werden.

Seine Sammelobjekte bezog Riemer aus allen Kontinenten. Er selbst hatte nie die Gelegenheit, an Expeditionen durch andere Länder teilzunehmen, da er sich bis 1945 zumeist vor Ort um die Geschäfte seiner Lederhandschuhfabrik kümmern musste. Allerdings nutzte er in dieser Zeit seine alljährlichen Geschäftsreisen durch ganz Deutschland, um seine Bekannten und Freunde, diverse natur- und völkerkundliche Handlungen und auch Museen und Präparationsfirmen zu besuchen. Seine Vermögenslage brachte es mit sich, dass die wertvollsten Objekte in der Regel zuerst ihm angeboten wurden. Seine Funktion als Mäzen und Förderer von Expeditionen brachte ihm zusätzlich manch interessantes Stück. Sein Hauptinteresse galt dabei der Zoologie – dieser Teil der Sammlung war als der beste und umfangreichste in Deutschland überhaupt bekannt.

Höhlenforschung

In der für Benno Wolf immer schwieriger werdenden NS-Zeit war Riemer eine wichtige Stütze für ihn – Riemer half Wolf, wo er nur konnte. Vom 5. September 1936 stammt das Vermächtnis von Benno Wolf, in dem er Julius Riemer sein wissenschaftliches Material vermachte (KNOLLE 1990). Auch übernahm Riemer auf Wolfs Bitte ab 1937 die Redaktion der Höhlenforscher-Hauptverbandszeitschrift; nur der letzte Doppeljahrgang der Zeitschrift stammt aus der Redaktionsfeder von Florian Heller. Zeitweise war Riemer auch der amtierende Hauptverbandsvorstand. Als der Druck der Nazis stärker wurde, sah sich Riemer genötigt, am 15. August 1939 den später im Nürnberger Ärzteprozess zum Tode verurteilten Ahnenerbe-Reichsgeschäftsführer Wolfram Sievers seiner Kooperation zu versichern, um Misstrauen abzubauen.

Am 11. Mai 1941 wurde in Salzburg der Reichsbund für Karst- und Höhlenforschung gegründet; damit war die Gleichschaltung der deutschen und österreichischen Höhlenforschung erreicht. Riemer ließ sich in den Vorstand wählen und bekleidete das Amt des Kassenwarts und war – gemeinsam mit Florian Heller – Schriftleiter. Der alte Hauptverband existierte weiter, aber nur pro forma. Riemer interessierte sich aber nicht für die ihm aus taktischen Gründen angebotene Schriftleitung eines neuen Organs des Ahnenerbes – so weit sollte seine Anpassung an das Regime nicht gehen.

Im Oktober 1942 verzichtete Riemer „aus gesundheitlichen Gründen“ auf die Ämter – in Wahrheit waren es andere Gründe. Denn am 6. Juli 1942 war Benno Wolf – 71 Jahre alt – von der Gestapo verhaftet und mit dem 17. Alterstransport aus Berlin in das Ghetto Theresienstadt deportiert worden. Julius Riemer konnte ihm nun kaum noch helfen und wusste auch nicht, wo Wolf geblieben war. Er schrieb 1947, Wolf sei damals „spurlos verschwunden“[1]. Die Details der Verschleppung und des Todes von Wolf konnten bekanntlich erst nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes geklärt werden.

Durch die Folgen des Luftkrieges über Deutschland wurden auch große Teile der Sammlungen vieler Museen, mit denen Riemer Kontakte pflegte, unwiederbringlich zerstört. Als die Hoffnungen auf den „Endsieg“ dahin schwanden, entschloss Riemer sich dazu, einen Teil seiner Sammlung in sein Haus nach Sieversdorf bei Ruppin zu bringen und mietete außerdem bei Bauern Scheunen und andere Grundstücke an. Im Januar 1944 wurde nach Luftangriffen ein Teil der Berliner Villa, in der ein Großteil seines privaten Museums noch immer untergebracht war, zerstört. Von da an zog sich Julius Riemer vorübergehend ganz nach Sieversdorf zurück. Zudem starb nach langer Krankheit seine Frau Hedwig Riemer.

Am 25. April 1947 vermachte Riemer der Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg, Abteilung für Karstforschung, per Vollmacht die in Pottenstein befindlichen Nachlassmaterialien von Benno Wolf.[2]

Das Museum im Schloss Wittenberg

Riemer musste sich aber nun – wie so viele andere Deutsche – fragen, wie er sein Leben zukünftig gestalten wollte. Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihm nicht, denn er wurde unmittelbar nach der Kapitulation mit der Frage konfrontiert, ob er den noch zu zwei Dritteln erhalten gebliebenen Teil seiner Sammlung verkaufen sollte. Bevor es dazu jedoch kam, erreichte ihn ein Brief aus Wittenberg: Provinzialpfarrer Otto Kleinschmidt machte Julius Riemer das Angebot, im Schloss Wittenberg als Erweiterung zum dortigen Kirchlichen Forschungsheim ein Natur- und Völkerkundemuseum einzurichten. Riemer zögerte nicht lange und sagte Kleinschmidt zu, denn es war immer sein Wunsch gewesen, ein eigenes Museum einrichten zu können. Ohnehin hatte er in seinem Haus in Sieversdorf keine Chance, in absehbarer Zeit seine Berliner Grundstücke zu einem solchen Zweck nutzbar zu machen.

Kleinschmidts Initiative bedeutete für Riemer eine Menge Arbeit, denn der Umzug sollte ein echter Kraftakt werden. Die Sammlung habe, so soll sich Kleinschmidt gegenüber Riemer ironisch geäußert haben, den Fehler, dass sie „zu umfangreich und zu wertvoll“ sei. In Zeiten, in denen für diverse umzugsrelevante Dinge sog. Bezugsscheine benötigt wurden, etwa für Transportfahrzeuge, Verpackungsmaterialien, Lebensmittel und die Wohnberechtigung, musste für all dies viel Zeit und Geduld aufgewendet werden. 1947 konnte der Umzug endlich abgeschlossen werden.

Trotz anfangs widriger Umstände genoss Riemer die neue Situation, denn schließlich konnte er nun seine Sammlung einem größeren Teil der Bevölkerung vorstellen und nach und nach ein richtiges „Volksmuseum“ einrichten. 1949 erfolgte die Eröffnung der ersten Ausstellungsräume im Kurfürstlichen Schloss in Wittenberg; 1954 die Gründung des Museums für Natur- und Völkerkunde aus seiner Privatsammlung, das er bis zu seinem Tode 1958 leitete. Unterstützung für seine Arbeit erhielt er von seinem Patenkind, der studierten Museologin Charlotte Mathieu, die gemeinsam mit ihrer Mutter seit dem Tod des Vaters in Zahna wohnte und später seine Ehefrau wurde. Riemer war bereits mit dem Vater freundschaftlich verbunden gewesen – und trotz der immerhin dreißig Jahre Altersunterschied später noch enger mit dessen Tochter. Das gemeinsame Interesse an allem, was mit Natur und Völkerkunde zu tun hatte, band sie fest zusammen. Als die Wohnung im Schloss bezogen werden konnte, waren Charlotte Mathieu und ihre Mutter, die sich fortan um den Haushalt kümmerte, mit von der Partie. Das Zusammenarbeiten und -wohnen mit ihr führte zu Riemers dritter Ehe. Als er 1958 starb, konnte er die Gewissheit haben, dass sein Werk von seiner Ehefrau mit ähnlichem Engagement fortgeführt wurde. Charlotte Riemer starb 2002.

Leider ist das Julius Riemer-Museum durch aktuelle Pläne der Stadtverwaltung Wittenberg gefährdet, daher hat sich in der Stadt eine Bürgerinitiative gegründet.

Literatur

  • R. Gruber-Lieblich: Das Museum für Natur- und Völkerkunde „Julius Riemer“ In: J.Hüttemann & P. Pasternack: Wissensspuren. Bildung und Wissenschaft in Wittenberg nach 1945 (Wittenberg 2004)
  • R. Gruber-Lieblich & F. Knolle: Julius Riemer – Mäzen von Benno Wolf - Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher 53 (2): 43-45 (2004)
  • F. Heller: Nachrufe auf Julius Riemer und Hans Brand- Mitt. Verb. dt Höhlen- u. Karstforscher 5(2): 8 (1959)
  • M.H. Kater: Das “Ahnenerbe”der SS 1935-1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches - Studien Zeitgesch., Inst. f. Zeitgesch. (1974)
  • F. Knolle: Zur Geschichte der deutschen Höhlenkunde im Schatten des Nationalsozialismus - Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher 36(1): 4-10 (1990)
  • F. Knolle & B. Schütze: Dr. Benno Wolf, sein Umfeld und seine interdisziplinäre Wirkung – eine Klammer zwischen den deutschen Höhlenforscherverbänden - Mitt. Verb. dt. Höhlen- u. Karstforscher 51(2): 48-55 (2000)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. KNOLLE 1990
  2. KNOLLE 1990

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