Sergei Leonidowitsch Magnitski

Sergei Leonidowitsch Magnitski

Sergei Leonidowitsch Magnitski (russisch Сергей Леонидович Магнитский; * 8. April 1972 in Moskau; † 16. November 2009 ebenda) war ein russischer Anwalt, der in seiner Tätigkeit für die Firma Hermitage Capital Management einen Fall von Korruption in bis dahin noch nie gesehenem Ausmaße in höchsten Kreisen der russischen Steuerfahnder und Staatsanwaltschaft aufgedeckt hat.[1][2][3]

Inhaltsverzeichnis

Der Fall „Magnitski“

Vorgeschichte

Am 4. Juni 2007 wurde das Moskauer Büro der Firma Hermitage Capital Management (Magnitskis Mandant, zu der Zeit einer der größten westlichen Investoren im Land) und das Moskauer Büro der Firestone Duncan Rechtsanwaltskanzlei (Magnitskis direkter Arbeitgeber) von der Einheit des Oberst Artem Kuznetsov (Innenministerium) durchsucht. Der Vorwand war eine angebliche Steuerhinterziehung einer mit Hermitage in Verbindung gebrachter Firma namens Kameya. Es wurden unter anderem Firmenstempel und Inhaberunterlagen der Tochterfirmen der Hermitage beschlagnahmt. Auf Recherche anschließende Nachfrage von Firestone Duncan bei der Steuerbehörde wurde bestätigt dass gegen Kameya kein Verfahren seitens der Steuerbehörde laufe. Daher war der Durchsuchungsbefehl nicht rechtens. In den darauf folgenden Wochen wurden von Oberst Kusnezow weitere Informationen über Hermitage Capital von ihren Kreditgebern (Banken: HSBC, Citibank, Credit Suisse, und ING ) unter dem Vorwand der Untersuchung derselben Steuerhinterziehung eingefordert. Von Interesse waren detaillierte Informationen über alle russischen Tochterunternehmen von Hermitage Capital.

Am 27. Juli 2007 wurden sechs der Tochterfirmen (allesamt die größten Aktive der Hermitage) bei dem zuständigen Sankt Petersburger Zivilgericht von einer bis dahin unbekannten Firma Logos Plus auf Schadensersatz verklagt. Der Gegenstand der Klage waren die vorgebrachten Verträge zwischen der Klägerin und Hermitage Capital, aus denen hervorging, dass Hermitage Capital sich verpflichtete, der Klägerin einige Aktien zu verkaufen (unter anderem von Gazprom), was tatsächlich nicht eingetreten war. Das Gericht hat aufgrund dessen der Klage vorerst stattgegeben. Gleich darauf wurde die Forderung von den Anwälten der Kanzlei Pluton, die beim Gericht die Hermitage vertreten hat, angenommen. Später allerdings kam heraus, dass alle sechs Firmen kurz davor auf unrechtmäßige Weise den Besitzer gewechselt haben, und zwar genau in der Zeit, wo die Inhaberunterlagen konfisziert waren. Der neue „Eigentümer“ hieß Wiktor Markelow, ein verurteilter Mörder, trat bereits früher auf ähnliche Weise – als Firmeneigentümer unter fragwürdigen Umständen – in Erscheinung. Merkelow hat die Kanzlei angewiesen, der Forderung stattzugeben (es ging um knapp 500 Millionen Dollar) und nicht in Berufung zu gehen. Das Spannende war außerdem, dass beispielsweise die Firmenstempel mit denen einige der Verträge abgestempelt wurden, erst sechs Tage nach dem Unterzeichnungsdatum überhaupt gefertigt worden sind, oder dass einer der angeblichen „Geschäftspartner“ von Hermitage Capital sich mit einem Pass ausgewiesen hat, der seit 2005 als gestohlen gemeldet ist. Der Coup misslang allein wegen des unerfahrenen Vorgehens der Verbrecher.[4] Aufgrund dessen hat Hermitage alle seine Aktive aus Russland zurückgezogen. In der darauf folgenden Untersuchung wurde außerdem festgestellt, dass alle gefälschten Verträge nur in der Zeit gefertigt werden konnten, als die dazu benötigten Stempel und anderes Material in der Aservatenkammer des Innenministeriums in Obhut eines Major Pawel Karpow gewesen waren.[4]

Der Fall

Da Hermitage es innerhalb kürzestmöglicher Zeit geschafft hat, den Großteil seiner Aktive außer Landes zu schaffen, war auf den ersten Blick nichts mehr zu holen. Die auf kriminelle Art umregistrierten Firmen bleiben in dieser Zeit wegen der sehr schleppend vorangehender Untersuchung in der Hand einer völlig fremden Person. Aber währenddessen beantragen die Firmen alle zusammen eine immense Steuerrückzahlung beim Moskauer Steuerbezirk 28. Über den Antrag hatte die Beamtin namens Olga Stepanowa[5] zu entscheiden. Die Rückzahlung belief sich insgesamt auf umgerechnet 230 Millionen Dollar. Und wurde auf überraschende Weise innerhalb eines einzigen Tages von der Behörde genehmigt. Normalerweise ziehen sich die Entscheidungen über die Summen dieser Größenordnung über Jahre wegen des vorgeschriebenen Auditing-Verfahrens. Da Magnitskis Spezialgebiet Steuerrecht war, und er für seinen Mandanten Hermitage Capital arbeitete, blieben ihm all diese Vorgänge nicht verborgen. Darüber machte er bei der von ihm eingeleiteten behördlichen Untersuchung eine Zeugenaussage, in der er alle Namen und Fakten der Übernahme und der "Steuerrückzahlung" angab. Allen voran beschuldigte er Kusnezow, die Übernahme und alles weitere organisiert und durchgeführt zu haben. Kurze Zeit später wird er plötzlich selber in einem anderen Fall angeklagt. Die Anklage lautet Steuerhinterziehung und Beihilfe, die er dabei dem Hermitage Eigentümer Browder geleistet haben soll. Einige Zeit später wird Magnitski am 24. November 2008 verhaftet[6], und kommt in die Untersuchungshaft in das Moskauer Butyrka-Gefängnis . Die Untersuchungshaft wurde damit begründet, dass Magnitski schon einmal ein Visum für Großbritannien beantragt haben soll und damit eine akute Fluchtgefahr bestehe. Interessanterweise wird Magnitskis Fall von dem zuständigen Richter an Oberst Kuznetsov zur Ermittlung gegeben, den Oberst, der von Magnitskis Aussage im Fall der Hermitageübernahme schwer belastet war.

Haft und Tod

Zunächst wurde Magnitski im Moskauer Untersuchungsgefängnis Nummer 2, dem Butyrka-Gefängnis, inhaftiert. Während seiner Haft war er immer wachsendem Druck und Misshandlungen seitens Kuznetsov und Karpov ausgesetzt, die von ihm die Rücknahme seiner Zeugenaussage im Fall Hermitage forderten. Auf Kuznetsovs Befehl wurde Magnitski regelmäßig von Zelle zu Zelle und vom Gefängnis zu Gefängnis verlegt. Zuletzt erfolgte die Verlegung in die Haftanstalt Matrosskaya Tischina (Матросская Тишина - Seemanns Ruh). Insgesamt blieb Magnitski 358 Tage in Haft und starb schließlich am 16. November 2009 in einer Isolationszelle[7]..

Nach seinem Tod wurde von den Behörden Pankreatitis als Todesursache genannt.[8] Später wurde die Ursache als Herzinfarkt korrigiert – eine Todesursache die sehr schwer postum angefochten werden kann. Eine Autopsie haben die russischen Vollzugsbehörden abgelehnt. Während seiner Haft schrieb Magnitski 480 Beschwerdebriefe an die unterschiedlichsten Behörden, unter anderem einen 40-Seiten starken Bericht an den Generalstaatsanwalt. In seinen Beschwerdebriefen beschrieb er die rechtswidrigen und menschenunwürdigen Umstände seiner Inhaftierung und seiner Haft. So etwa durfte er zwei Wochen nicht duschen und er wurde in eine Zelle verlegt, in der die Toilette überlief und die Zelle mehrere Zentimeter flutete. Im November 2008 wurde Magnistki beschwerdefrei und nach seinem Gefängnistagebuch in gesundem Zustand inhaftiert. Im Juli 2009 wurde er nach neun Monaten Haft zum ersten Mal medizinisch untersucht. Der Befund der Gefängnisärztin lautete: Pankreatitis, durch Konkrement ausgelöste Cholecystitis, Gallensteine. Unternommen wurde dagegen jedoch nichts. Alle medizinische Vorsorge wurde ihm während seiner ganzen Zeit im Gefängnis verwehrt.[9]. Kein einziger Brief an die Behörden von ihm wurde beantwortet. Magnitski starb sieben Tage vor der Vollendung eines Jahres in Untersuchungshaft. Nach russischem Recht ist ein Jahr die maximale Zeit, in der ein Häftling ohne Anklage inhaftiert bleiben kann. Danach muss er entweder freigelassen oder angeklagt werden.

Nachhall

National

Im November 2009, wurde nicht auf die verzweifelten Anzeigeversuche Magnistkis, sondern auf Befehl des Presidenten Medvedev eine behördliche Untersuchung der Vorfälle gestartet[10]. Es wurden mehrere (unter anderem auch hohe) Beamte des Justizvollzugsapparats per Presidentererlass aus dem Dienst entlassen, jedoch nur zwei angeklagt. Die zwei angeklagte Gefängnisärzte berufen sich auf den Druck der auf sie seitens des Ermittlers Silchenko ausgeübt wurde (der im Fall angeblicher Sterhinterziehung Magnitskis ermittelt hat). Die Medvedevs Untersuchungskommission spricht Silchenko jedoch von jeder Schuld frei[11]. . Medvedev hat außerdem einen Erlass unterschrieben das die Untersuchungshaft der wegen steuervergehen belastete Individuen verbietet[12]. Am 25. Juni 2010 berichtete der Moskauer Radiosender Echo Moskwy (Эхо Москвы, dt. Echo Moskaus) über den Beginn der Ermittlungen der Dienstaufsicht des Russischen Innenministeriums im Fall Artiom Kuznetsov, der bis dahin weder angeklagt noch suspendiert wurde. Untersucht wird die Rechmässigkeit seines Haftbefehls gegen Magnitsky. Die Untersuchung wurde eingeleitet auf die Anzeige vom Jamison Firestone, dem ehemeligen Kollegen Magnitskis[13]. Den Letzten Stand nach, (Februar 2011) wurde kein einziger Verdächtiger identifiziert[14]. Ansonsten, sind alle Beamten, Staatsanwälte und Richter die mit den Geschehnissen mittelbar oder unmittelbar zu tun hatten in ihren Positionen, sie sind weder angeklagt, nocht wird gegen sie ermittelt. Einige von ihnen, so wie Kuznetzsov selber, wurden sogar befördert.

Einzelnachweise

  1. Mikhail Fishman: Der mysterioese Tod eines russischen Anwalts in Haft. In: Welt Online. 11. Mai 2011. Abgerufen am 31. Juli 2011.
  2. Christian Esch: Der Fall Magnitski. In: Berliner Zeitung. 12. Juni 2010. Abgerufen am 31. Juli 2011.
  3. Schuster: Sergej Magnitski nicht vergessen. Website der FDP-Bundestagsfraktion, 16. November 2010. Abgerufen am 31. Juli 2011.
  4. a b Jason Bush: Hijacking the Hermitage Fund. In: Business Week. 4.  April 2008. Abgerufen am 31. Juli 2011.
  5. Mikhail Fishman: Der Anwalt, der zu viel wusste. In: Welt Online. 11. Mai 2011. Abgerufen am 31. Juli 2011.
  6. Lucian Kim, Tom Cahill: Deadly Business in Moscow. In: Bloomberg Buiseness Week. 18. Februar 2010. Abgerufen am 31. Juli 2011.
  7. Benjamin L. Cardin, US Senator und stellv. Vorsitzender der US Abteilung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa: JUSTICE FOR SERGEI MAGNITSKY ACT OF 2010, eine Rede vor dem US Congress. Webseite der US Abteilung der KSZE, 29. September 2010. Abgerufen am 31. Juli 2011.
  8. Philip Aldrick: Russia refuses autopsy for anti-corruption lawyer. In: The Telegraph. 19. November 2009. Abgerufen am 31. Juli 2011.
  9. Philip Aldrick, Andrew Osborn, Philip Sherwell: Russian justice in the dock over anti-corruption lawyer's agonising death in prison. In: The Telegraph. 22. November 2009. Abgerufen am 31. Juli 2011.
  10. BBC News: Medvedev orders investigation of Magnitsky jail death . In: BBC News. 24. November 2009.
  11. Ellen Barry: Russia Says It Will Try Jail Doctors in ’09 Case . In: New York Times. 18. Juni 2011.
  12. Gregory L. White and the Associated Press: Russia Bans Jailing of Tax Offenders Following Lawyer's Death . In: Wall Street Journal. 29. Dezember 2009.
  13. Echo Moskwy: Департамент собственной безопасности МВД проводит проверку в отношении подполковника милиции Артема Кузнецова, который отдал приказ об аресте юриста Сергея Магницкого. . In: Echo Moskwy. 25. Juni 2010.
  14. RIA Novosti: Russian investigation into Magnitsky's death extended to mid-May. . In: RIA Novosti. 10. Februar 2011.

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