Politischer Quietismus

Politischer Quietismus

Politischer Quietismus oder quietistischer Islam (von lat. quietus, „ruhig“, „schweigsam“ ) beschreibt jene Strömung des islamischen Klerus, insbesondere der Schia, die eine aktive Beteiligung der Geistlichkeit in der Politik ablehnt[1]. Der Quietismus sieht die Rolle der Geistlichkeit in einer die politische Führung beratenden Funktion, statt in der Übernahme von Führungspositionen. Obwohl nach Ansicht der Vertreter des politischen Quietismus ein islamischer Staat erst mit dem Wiederauftauchen des 12. Imam entstehen kann, befürworten sie aus diesem Grund keine Trennung von Religion und Staat (vgl. Laizismus). Vielmehr hat sich die politische Führung bei ihrem Handeln am Islam auszurichten.

Inhaltsverzeichnis

Vertreter

Führender Vertreter dieser Strömung war der letzte allgemein anerkannte Marja-e taqlid, der 1961 verstorbene Großajatollah Husain Borudscherdi sowie Großayatollah Ali Sistani. 1949, nach dem Attentat auf Schah Mohammad Reza Pahlavi[2], und nachdem Borudscherdi als absolute Instanz (oder auch: Quelle der Nachahmung) von allen schiitischen Großayatollahs anerkannt worden war,[3] berief er mehr als 2.000 Religionsgelehrte zu einem Kongress nach Qom, um dort die quietistische Tradition der schiitischen Geistlichkeit anzumahnen und zu erneuern.[4]. Borudscherdi verlangte von seinem Schüler Chomeini politische Zurückhaltung.

Marginalität

Nach Boroudscherdis Tod verlor die quietistische Position zugunsten des von Ajatollah Chomeini propagierten[5] islamischen Staats, in dem der Geistlichkeit die aktive politische Führungsrolle zugesprochen wird, an Einfluss. Die Gegenposition zum quietistischen Islam wird von dem umstrittenen Orientalisten Bernard Lewis als aktivistischer Islam (activist Islam) bezeichnet.[6]

Außerhalb des Irans

Die Trennung der geistlichen von weltlicher Herrschaft ist in der türkischen Verfassung von 1924 des Mustafa Kemal Atatürk am weitesten verwirklicht, in Saudi-Arabien hingegen wird der Koran als Verfassung betrachtet. Die Übernahme auch der weltlichen Macht durch die Geistlichkeit und darüber hinaus durch einen Obersten Rechtsgelehrten (Velayat-e fagih) wurde von Chomeini und seinen Nachfolgern in Iran durch Einsatz von massiver Gewalt gegen säkulare und gemäßigt religiöse Oppositionsgruppen durchgesetzt, die geistliche Oberherrschaft gilt dort offiziell bis heute. Daraus resultieren im Iran bis in die jüngste Vergangenheit starke Spannungen innerhalb des Klerus.[7][8].

Zitat

Husain Borudscherdi wird anlässlich des Sturzes von Mohammad Mossadegh im Jahr 1953 folgendes Zitat zugeschrieben:

Wir, die Geistlichkeit, sollen einen islamischen Staat gründen ? ... Wir wären hundertmal größere Verbrecher als die, die jetzt an der Macht sind.[9]

Literatur

  • Shahrough Akhavi: Religion and Politics in Contemporary Iran. State University of New York Press. Albany, 1980.

siehe auch

Einzelnachweise

  1. Bundeszentrale für politische Bildung, Peter Philipp: Islam an der Macht. Gottesstaat Iran
  2. Shahrough Akhavi: Religion and Politics in Contemporary Iran. State University of New York Press, 1980, S66.
  3. Heinz Halm: Die Schia. Darmstadt 1988. Seite 153
  4. Houchang Chehabi: Klerus und Staat in der Islamischen Republik Iran. 1993. Seite 19
  5. Ajatollah Chomeini: Der islamische Staat. Aus dem Persischen übersetzt und herausgegeben von Nader Hassan und Ilse Itscherenska, Klaus Schwarz Verlag, Berlin, Seite 28 ff.
  6. Bernard Lewis: Islamic Revolution. The New York Review of Books, Band 34, Nummer 21/22, 21. Januar 1988.
  7. Tageszeitung Die Welt Online, 25. Juni 2010:Im Iran sind Ayatollahs auch gegen Ayatollahs
  8. Wochenzeitschrift der Freitag, 20. Dezember 2009:Zum Tode von Hossein Ali Montazeri
  9. Bahman Nirumand u. Keywan Daddjou: Mit Gott für die Macht. Eine politische Biographie des Ayatollah Chomeini. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1989, Seite 88

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