Schwedenspeisung

Schwedenspeisung
Ausgabe der Schwedenspeisung in Berlin-Tempelhof (1946).

Die Schwedenspeisung war eine der größten vom Ausland finanzierten Massenspeisungen gleich nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Fast vier Jahre lang – von Anfang 1946 bis April 1949 – wurden 120.000 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren innerhalb der Britischen Zone in den Wintermonaten mit vier warmen Suppen täglich versorgt. Die Suppen enthielten häufig Fleisch. Rund 40.000 Essen wurden jeden Tag allein in Hamburg an die Kinder ausgegeben, in Berlin waren es Tag für Tag 28.000 Portionen und im Ruhrgebiet 55.000. Innerhalb dieser vier Jahre waren es in ganz Deutschland 80 Millionen Portionen Essen, davon wurden allein in Hamburg 28 Millionen ausgegeben.

Inhaltsverzeichnis

Hunger im kältesten Winter des Jahrhunderts

Der Winter 1946/47 war mit zwei Monaten Dauerfrost in Norddeutschland einer der längsten und kältesten im 20. Jahrhundert. In einer Zeit, in der die Wohnungen zerstört waren, in der Tausende in den zerstörten Städten in übervollen Notunterkünften hausten und oft ohne Kohlen, ohne Strom und ohne Essen waren, rettete die Schwedenspeisung die Kleinkinder vor dem Verhungern. In Hamburg und Berlin war es um die Kinder in ganz Nachkriegsdeutschland am schlimmsten bestellt, im Ruhrgebiet und angrenzend waren die Kinder in Duisburg, Gladbeck, Gelsenkirchen, Dortmund, Mülheim an der Ruhr, Essen, Bochum, Schwelm, Wuppertal und Bottrop besonders betroffen. Die Säuglingssterblichkeit lag zeitweise bei 20 Prozent und mehr. Die Not der Kinder war Anlass der Hilfsaktion von Folke Bernadotte, die gemeinsam mit der Organisation Rädda BarnenSave the Children Fund durchgeführt wurde. Bernadotte war damals Präsident des Schwedischen Roten Kreuzes. Die große Masse des deutschen Volkes, schrieb später Anfang 1947 der amerikanische Ex-Präsident Herbert C. Hoover seinem Präsidenten Truman nach einer Deutschland-Visite, sei hinsichtlich Ernährung, Heizung und Wohnung auf den niedrigsten Stand gekommen, den man seit hundert Jahren in der westlichen Zivilisation kenne. Zur gleichen Zeit stellte der „Ernährungsrat der deutschen Ärzte“ für Hamburg fest, die Normalverbraucherrationen seien so niedrig, dass sie nur ein Drittel des Bedarfs deckten und in einigen Monaten zum Tode führen würden. Die Kinder seien besonders gefährdet.

Versorgungslage

Dänische Kakaospende, um 1946

Die Landesernährungsämter legten im August 1945 mit Zustimmung der britischen Militärregierung einheitliche Soll-Rationen fest: Für Kinder bis zu drei Jahren waren täglich 1125 Kalorien vorgesehen, Kinder bis zu sechs Jahren sollten 1250 Kalorien erhalten, für erwachsene „Normalverbraucher“ waren 1550 Kalorien eingeplant.[1] Tatsächlich wurden diese Werte unterschritten: So wurden zwischen April und August 1946 für „Normalverbraucher“ nur zwischen 1109 und 1236 Kalorien täglich abgegeben.[2] Ein vorwiegend sitzend tätiger Mann verbraucht mindestens 1900 Kalorien.[3]

Massenspeisungen

Massenspeisungen für Kinder und Jugendliche und auch für Erwachsene sollten die Hungersnot lindern.

Für die Schüler sorgten in der Britischen Zone die Engländer mit der Schulspeisung. Sie begann Anfang 1946 in größeren Städten Schleswig-Holsteins, in Hamburg und etlichen Städten des Ruhrgebietes; kleinere Landgemeinden kamen erst später hinzu. Die Lebensmittelspenden kamen anfangs aus den Beständen der Militärregierung, ab 1947 vom Dänischen Roten Kreuz und der Hoover-Spende: Seither bis zum Ende der Aktion im Jahre 1949 auch „Hoover-Speisung“ genannt.[4]

In Hamburg und Berlin versorgte das Schwedische Rote Kreuz die 3- bis 6-jährigen Kleinkinder.

Schwedens Hilfe für die Kinder und das Rote Kreuz

Folke Bernadotte, der Anfang 1945 mit den Weißen Bussen skandinavische KZ-Insassen nach Schweden herausgebracht hatte, war Erfinder und Organisator der Schwedenspeisungen in wenigstens elf Ländern Europas. Hilfe sollten alle bedürftigen Kinder haben, ohne Rücksicht „auf ihre Gesellschaftsklasse, Religion oder politische Auffassung“ der Eltern. In Deutschland wollten die Schweden helfen, weil sie Hilfe durch ein neutrales Land für besonders wichtig hielten. In Hamburg wurde das Essen in bis zu 350 Ausgabestellen, die über die ganze Stadt verteilt lagen, unentgeltlich ausgegeben. Tausende ehrenamtliche Helferinnen, die die Suppe auch selbst essen durften, versorgten täglich die vielen Kinder zu zwei Ausgabezeiten – selbst bei strengem Frost und völlig unzureichenden Verkehrsverhältnissen. Sein Essgeschirr musste jedes Kind selbst mitbringen; manchmal war es nur eine leere Konservendose. Das Essen mussten die Kinder an Ort und Stelle auslöffeln, es sollte ihnen zugute kommen und durfte nicht mit nach Hause genommen werden. Das Deutsche Rote Kreuz sorgte in Hamburg im Schlachthof in der größten Großküche Europas für 160.000 Portionen Hilfsspeisungen pro Tag für alle Gruppen in der Bevölkerung und die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) sorgten vom Kraftwerk Karoline aus für die Dampfversorgung; denn mit Dampfkochen brauchte man weniger Kohle zu verfeuern.

Europahjälpen

Die schwedische Europahilfe ging aber noch viel weiter: Lebensmittelpakete, 300 Tonnen Kleidung und Schuhe wurden gespendet, die schwedischen Bürger spendeten mit der „Ein-Kronen-Sammlung“ Millionen gerade auch für Deutschland. In Schweden selbst waren die Lebensmittel noch nach dem Krieg rationiert. „Schwedenspeisung“ wurde so zum Synonym für Hilfe überhaupt in den schweren Notjahren nach dem Krieg, ganz gleich, ob es nun im Einzelfall gerade die Schweden waren, die geholfen hatten, oder Amerikaner, Schweizer, Chilenen, Dänen, Briten, Südafrikaner oder andere. „Schwedenspeisung“ jedoch war an den meisten Orten tatsächlich und wirksam die Hilfe für die Kleinkinder. Sie blieben in ihrer großen Masse gesund. Es gab keine gravierenden Epidemien.

Literatur

  • Carsten Stern: Schwedenspeisung und Rotes Kreuz in Hamburg – Massenspeisungen 1946-1949 für Hamburger Kleinkinder in der Hungerzeit. Neumünster 2008, ISBN 978-3-529-05231-6
  • Folke Bernadotte: An Stelle von Waffen, Klemm-Verlag, Freiburg i. Br., 1948, Original: „I stället för vapen“

Einzelnachweise

  1. Michael Wildt: Der Traum vom Sattwerden. Hamburg 1986, ISBN 3-87975-379-2, S. 31
  2. Michael Wildt: Der Traum vom Sattwerden. S. 44
  3. http://www.vitanet.de/ernaehrung/abnehmen/kalorienbedarf
  4. Carsten Stern: Schwedenspeisung und Rotes Kreuz in Hamburg – Massenspeisungen 1946-1949 für Hamburger Kleinkinder in der Hungerzeit. Neumünster 2008, ISBN 978-3-529-05231-6, S. 20/21.

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