- Tannhauser
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Tannhauser ist eine Volksballade mit einem Thema aus der religiösen Überlieferung, eine Legendenballade (Untergattung der Volksballade) vom Sünder, dem der Papst den Sündenablass (Vergebung) verweigert. Um eine Verwechslung mit dem historischen Minnesänger Tannhäuser auszuschließen, wird die Ballade Tannhauser genannt (bei Richard Wagner sind mehrere Stoffe miteinander vermischt). Wie die Volksliedforschung heute die Überlieferung interpretiert, haben sie wohl nur den Namen gemeinsam.
Inhaltsverzeichnis
Textanfang und Schluss einer Variante
1. Nun will ich aber heben an,
Tannhauser zu besingen
und was er wunders hat getan
im Venusberg darinnen.
2. Und wie er kam vor’n Venusberg,
da klopft er an die Pforte:
„Frau Venus, lasst mich freundlich ein,
mich verlangt nach diesem Orte!“
3. Dort blieb er sieben Jahre lang
und lebt in Freud’ und Liebe;
ein Sünder wurde er genannt,
dem der Himmel verschlossen bliebe.
[...]
11. Drum sollt kein Papst, kein Kardinal
den Sünder nicht verdammen!
Der Sünder sei groß, wie er will,
Gott schenkt ihm Gnade - Amen![1]Handlung der Volksballade
In den runden Klammern stehen Handlungselemente verschiedener Varianten (vergleiche Variabilität), erklärende Zusätze in eckigen Klammern.
Ein Ritter (Tannhauser, Waldhauser, Baldhauser, Balthauser, niederdeutsch Danuser [so auch in der Schweiz 1882], Dannhäuser und ähnlich, (niederländisch Danielken) verbringt seine Zeit (sieben Jahre) im Berg der Frau Venus (Venusberg [mit der antiken Gestalt der Sibylle]), von ihr erbittet er Urlaub zur Rückkehr [Dialog als Gattungscharakteristik der Volksballade; darauf ebenfalls gattungstypisch der Szenenwechsel]. Er kommt aus dem Berg und pilgert nach Rom, um beim Papst um Vergebung für seine Sünden zu bitten [Dialog]. Der Papst verweigert diese: So wenig sein dürrer Pilgerstab grünen werde, so wenig könne er Vergebung gewähren. Tannhauser zieht wieder in den Berg und wird willkommen geheißen. Am dritten Tag [typische kurze Zeitspanne] grünt der Stab [Stabwunder], aber Tannhauser wird vergeblich gesucht. Papst Urban IV. [historisch 1261-1264] wird „verloren“ [verdammt] sein (kein Papst, kein Kardinal soll einen Sünder verdammen [Kritik am Papst!]).
Überlieferung
Die Sibyllen- und Zauberberg-Sage ist mit Antoine de la Salle um 1420 überliefert. Eine mögliche Vorlage bzw. Parallele in Prosa ist Die Mörin, eine mittelhochdeutsche Verserzählung, belegt um 1453, welche die Sagen vom Venusberg und Tannhauser bearbeitet.
Die Volksballade ist in vielen Varianten seit um 1500/1505 bis in die Gegenwart hochdeutsch und niederdeutsch überliefert; z.B. wurde sie noch um 1950 aus mündlicher Tradierung aufgezeichnet. Sie ist besonders auch in den Alpenregionen überliefert worden; aus der Steiermark kennen wir eine Variante von 1924 über „Waldhauser“: „Es war ein armer Sünder, der reiste der Romstadt zu...“ In Kärnten ist diese Volksballade häufig belegt.[2]
Als weitere frühe Überlieferung kennen wir Liedflugschriften (vergleiche Flugblatt) aus u.a. Augsburg, Leipzig (datiert 1520), Straubing, Wien (datiert 1520) und Wolfenbüttel, weitere aus Linz 1629 und ohne Angabe des Druckortes 1638 und 1647. Der älteste gedruckte Beleg steht in „Jörg Dürnhofers Liederbuch“ (um 1515); das ist eine Liedflugschrift aus Nürnberg, gedruckt bei Gutknecht 1515.
Ein wichtiger Melodiebeleg ist Schmeltzel, 1544. Zwischen 1548 und 1668 wird die Melodie häufig auch als Tonangabe, als Melodieverweis für andere Texte verwendet. Das dokumentiert ebenfalls die Popularität der Tannhauser-Ballade. Gleiches gilt für den niederländischen Beleg aus den Souterliedekens, 1540, mit der Melodieverwendung für andere religiöse Lieder. Die gesamte neuere Überlieferung zeigt ein reiches Variantenspektrum der Melodie und ist ein gutes Beispiel für typische Umsinge-Erscheinungen (vergleiche Variabilität), die durch mündliche Überlieferung bedingt sind.
Der Liedtext steht unter anderem bei Heinrich Kornmann: Venusberg, 1614, dann bei Johannes Praetorius: Blokes-Berges-Verrichtung, 1668, und nach dieser Quelle druckt es die Volkslied-Edition der Romantik Des Knaben Wunderhorn.[3]
Internationale Parallelen finden sich in den Niederlanden (etwa im Antwerpener Liederbuch, 1544) und in Dänemark (Liedtyp: Danske Viser Nr. 60; aus dem Niederdeutschen übersetzt[4]). Ein slowenisches Bruchstück bearbeitet den gleicher Stoff.
Hinweise zur Interpretation
Man kann davon ausgehen, dass es beim „Tannhauser“ nicht um ein kirchliches Problem geht, denn dazu ist die schwebende Offenheit zwischen [christlichem] „Himmel“ und [antik-heidnischem] „Venusberg“ zu auffällig. Es geht vielmehr um die Frage der menschlichen Autorität oder um das Recht des Einzelnen, mit Gott direkt zu sprechen, das heißt auch individuell für das eigene Leben verantwortlich zu sein. Der Humanismus hat (auf antiker Grundlage) das Individuum von den Fesseln der Masse und der anonymen Gesellschaft befreit; dem einzelnen Menschen wird Wert zuerkannt. Die Aufklärung hat den Einzelnen von den Fesseln der Bevormundung gelöst und ein persönliches Verhältnis zu Gott ermöglicht.
Andererseits hält man den Text für „stark von der Kirche geprägt“, und er soll zu Lehrzwecken gedient haben (vergleiche D.-R. Mosers These von der Liedkathechese, hier 1977); „Venus“ und „Liebesabenteuer im Berg“ werden angeblich „bewusst eliminiert“. Dagegen muss man die Gattungscharakteristik der Volksballade in Betracht ziehen, und in dieser Hinsicht sind die Varianten dieses Liedtyps durchaus gültige Gattungsvertreter.
Bemerkenswert ist, dass hier vor 1500, also vor der Reformation wie in der oben präsentierten letzten Strophe, angeblich bezogen auf Papst Urban IV., 1261-1264, die Autorität der Amtskirche angezweifelt wird. „Kein Papst, kein Kardinal...“ sollen den Sünder verdammen bzw. die Absolution verweigern; das steht allein Gott zu. Entweder ist der Papst „nicht zuständig“, wenn die Verbindung auf dem antiken, heidnischen Einfluss beruht (Sybille, Venusberg), oder er maßt sich fälschlich an, darüber urteilen zu können. Was sich auch immer hinter dem „Venusberg“ verbirgt, durch die vorreformatorische Kritik bekommt das Lied eine überraschende politische Relevanz. Zeitgleich, nämlich im 13. Jahrhundert, scheint sich der Minnesänger „Tannhäuser“ im Zwist zwischen Kaiser und Papst auf Seiten des staufischen Kaisers engagiert zu haben, aber es gibt keine Anhaltspunkte, die auf eine über den Namen hinausgehende Verbindung hinweisen. Insofern ist das Lied nicht „historisch“. Stabwunder (dürrer Pilgerstab grünt als Zeichen göttlicher Vergebung) und die Bezeichnung „Venusberg“ sind verbreitete Erzählmotive.
Namensformen und Lokalisierung
Die Volksballade ist mit einem „Venusberg“ an verschiedenen Orten lokalisiert worden, unter anderem mit dem Hörselberg in Thüringen (bei Büsching 1812, Vulpius, Grimm, Bechstein und so weiter).
Die gelegentliche Bezeichnung „Waldhauser“ mag aus „Tannhauser“ abgeleitet worden sein bzw. auch einen Eremiten „im Wald“ assoziieren und muss nichts mit dem um 1162 gegründeten Stift Waldhausen im oberösterreichischen Mühlviertel zu tun haben; ein Konrad von Waldhausen, der im 14. Jahrhundert als beachteter Prediger wirkte, wurde von Papst Urban V. der Ketzerei angeklagt.
Der gesamte Text ist ein gutes Beispiel für den Umgang mündlicher Überlieferung mit der historischen „Wahrheit“; die Volksballade hat ihren eigenen Wahrheitsanspruch, der nicht von geschichtlichen Fakten und bestimmten Namensformen abhängig ist. Im Gegensatz zur Sage steht die Volksballade dem Mythischen näher.
Um 1900 „fand“ man zahlreiche Hinweise auf den „echten“ Tannhäuser. Zum Beispiel Siegsdorf in Oberbayern reklamiert, dass „Tann“ oder „Tanne“ hier im 8. Jahrhundert urkundlich belegt ist. Die Renaissance begeisterte sich für den „Venusberg“, und ein derart benanntes Gut bei Siegsdorf ist 1566 namentlich erwähnt. Die Figur der Volksballade wurde mit der des Minnesängers kombiniert, und 1987 bekam Siegsdorf touristenwirksam einen Tannhäuser-Brunnen. Das Heimatbuch von Bergen im Chiemgau (1995; Siegsdorf benachbart) verweist auf den angeblichen Büßerstein Tannhausers in der (neu-romanischen) Kirche von Bergen. Der Volksmusikpfleger Wastl Fanderl hat seit 1974 Lied und Geschichte unter anderem über den Bayerischen Rundfunk und das Fernsehen verbreitet und populär gemacht.
Literatur (Auswahl)
- Richard M. Meyer: „Tannhäuser und Tannhäusersage“. In: Zeitschrift (des Vereins) für Volkskunde 21 (1911), S. 1-31.
- Deutsches Volksliedarchiv und einzelne Herausgeber: Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien. Balladen [DVldr], Band 1, Berlin 1935, Nr. 15. – Vergleiche Otto Holzapfel u.a.: Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien: Balladen, Band 10, Peter Lang, Bern 1996 (zu DVldr Nr.15 im Volksballaden-Index O 39).
- Anton Anderluh: Kärntens Volksliedschaft, Band II/1, Klagenfurt 1966, Lied-Nr. 20.
- Gert Glaser: Die Kärntner Volksballade, Klagenfurt 1975, S. 149-167 (ausführliche Darstellung der Liedbelege aus Kärnten aufgrund der Edition von Anderluh; Melodie-Parallelen).
- Dietz-Rüdiger Moser: Die Tannhäuser-Legende, Berlin 1977 (mit weiteren Hinweisen).
- Burghardt Wachinger: „Tannhäuser-Ballade“. In: Verfasserlexikon, Band 9 (1995), Sp. 611-616.
- Otto Holzapfel: Das große deutsche Volksballadenbuch, Artemis & Winkler, Düsseldorf 2000, S. 343-346 (mit Kommentar).
- Otto Holzapfel: Lied-Verzeichnis, Band 1-2, Olms, Hildesheim 2006 (Eintrag zu „Nun will ich aber heben an...“ mit weiteren Hinweisen und jeweils aktualisierte CD-ROM im Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern; ISBN 3-487-13100-5).
- Hanno Rüther: Der Mythos von den Minnesängern. Die Entstehung der Moringer-, Tannhäuser- und Bremberger-Ballade. Böhlau, Köln 2007 (Pictura et Poesis 23), ISBN 978-3-412-23906-0, S. 140-266.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Nach: Moritaten, Balladen und gesungene Geschichten II. München 1991 (Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern); Volksmusikwochenende „Balladen in Oberbayern“, Kloster Seeon 1997.
- ↑ vgl. Anderluh, Kärnten, Band II/1, 1966, Nr. 20 mit vielen Varianten und Erläuterungen; vgl. dazu Glaser, 1975]
- ↑ Des Knaben Wunderhorn Band 1, 1806, S. 86
- ↑ vgl. Otto Holzapfel: Folkevise und Volksballade, München 1976, S. 33
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