V-Modell (Entwicklungsstandard)

V-Modell (Entwicklungsstandard)

Das V-Modell ist ein Entwicklungsstandard für die Planung und Durchführung von IT-Systementwicklungsprojekten der öffentlichen Hand in der Bundesrepublik Deutschland. Es umfasst das Vorgehensmodell, die Methodenzuordnung und die funktionalen Werkzeuganforderungen. [1]

V-Modell ist eine geschützte Marke der Bundesrepublik Deutschland. Das "V" im Begriff "V-Modell" steht nicht für "Vorgehen", sondern visualisiert die Idee, Spezifikation und Zerlegung der Realisierung und Integration gegenüberzustellen. Vorgeschlagen wurde dieses allgemeine Vorgehen als V-Modell Ende der 70er Jahre. Mittlerweile unterstützt das V-Modell XT aber nicht nur dieses Vorgehen, sondern auch viele andere Ansätze (z. B. Agile Systementwicklung). [2]

Das erste V-Modell wurde 1986 von dem damals bundeseigenen Unternehmen IABG entwickelt [3]. Zunächst war es für IT-Projekte der öffentlichen Hand in Deutschland vorgesehen, inzwischen wird es aber auch in der Privatwirtschaft eingesetzt.

Im Gegensatz zu klassischen phasenorientierten Vorgehensmodellen werden im V-Modell lediglich Aktivitäten und Ergebnisse definiert und keine strikte zeitliche Abfolge gefordert. Insbesondere fehlen die typischen Abnahmen, die ein Phasenende definieren. Dennoch ist es möglich, die Aktivitäten des V-Modells zum Beispiel auf ein Wasserfallmodell oder ein Spiralmodell abzubilden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der militärische Ursprung

Im Jahre 1986 startete das Bundesministerium für Verteidigung zwei Projekte

  • Softwareentwicklungsumgebung für Informationssysteme (SEU-IS) und
  • Softwareentwicklungsumgebung für Waffen- und Waffeneinsatzsysteme (SEU-WS)

mit folgenden Zielen:

  • Die Kosten über den gesamten Softwareentwicklungs- und Pflegeprozess transparent zu machen und in Folge auch zu begrenzen.
  • Durch geeignete Maßnahmen einen Mindeststandard für Softwarequalität zu garantieren bzw. diesen weiter zu verbessern.
  • Durch Vergleichbarkeit der Angebote von Dritten eine größere Unabhängigkeit von einzelnen Anbietern zu erlangen.
  • Die Entwicklung von Software im eigenen Hause zu standardisieren und transparenter zu gestalten.

Hierzu wären grundsätzlich auch Prozessmodelle der NATO-Verbündeten in Frage gekommen, wie zum Beispiel der amerikanische Standard DoD STD 2167 A [4]bzw. der neuere MIL-STD-498[5]oder der französische Standard GAM T 17. Eine eingehende Prüfung dieser Modelle zeigte jedoch, dass sie nicht in der Lage waren, allen Anforderungen gerecht zu werden. Somit entschloss man sich zu einer Eigenentwicklung, die im Jahre 1988 – als Ergebnis des Projektes SEU-WS – eine erste Version des V-Modells hervorbrachte. In dieses wurden dann bis April 1990 die Erkenntnisse aus dem Projekt SEU-IS integriert und die verbesserte Version des V-Modells per Erlass vom Februar 1991 durch den Bundesminister für Verteidigung als Entwicklungsstandard für die Softwareerstellung bei der Bundeswehr festgeschrieben.

Das zivile V-Modell

Da sich auch andere Bundesbehörden mit ähnlich gelagerten Problemen konfrontiert sahen, wurde das V-Modell Ende 1991 an die Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung (KBSt) übergeben, mit der Aufgabe, eine zivile Fassung des V-Modells zu erstellen. Diese Arbeiten waren im August 1993 abgeschlossen und die daraus resultierende einheitliche Version des V-Modells wurde durch den Bundesminister der Verteidigung und den Bundesminister des Inneren veröffentlicht und festgeschrieben.

V-Modell 97

Neue Softwareentwicklungsansätze (z. B. Objekt-Orientierung, etc.) machten eine Überarbeitung des V-Modells notwendig, zumal dieses bis zu diesem Zeitpunkt sehr stark auf den „klassischen Softwareentwicklungsansatz“ zugeschnitten war. Als Ergebnis wurde im Juni 1997 das V-Modell '97 veröffentlicht, welches seitdem für jegliche Softwareentwicklung in der Bundesverwaltung zur Anwendung empfohlen wurde.

V-Modell XT

Das V-Modell 97 wurde im Zuge von neuen Erkenntnissen in der Softwareentwicklung im Februar 2005 durch die Version 1.0 des V-Modell XT (XT = Extreme Tailoring, engl. „to tailor“ = schneidern) ersetzt.

Hauptänderungspunkte sind hierbei

  • das V-Modell ist an die jeweiligen Bedürfnisse anpassbar (=Tailoring). Um bei Abwicklung kleinerer und mittlerer Projekte keinen übermäßig großen Mehraufwand zu produzieren, definiert das V-Modell für diese Projektgrößen Streichbedingungen, die die Menge der Aktivitäten und Produkte auf das notwendige Maß reduzieren.
  • Einbindung des Auftraggebers: Bisher waren die Vorgaben auf den Auftragnehmer ausgerichtet. Nun gibt es auch Vorgehensbausteine für den Auftraggeber.
  • Stärkere Modularisierung: Die vier bisherigen Submodelle existieren in dieser Form nicht mehr, sondern nur noch Vorgehensbausteine, aus denen das konkrete Vorgehensmodell eines Projekts zusammengestellt wird („tailoring“).
  • Stärkere Orientierung in Richtung agiler und inkrementeller Ansätze: „Weg vom Wie, hin zum Was.“ Das V-Modell XT gibt keinerlei Vorschriften über die zeitliche Abfolge von Vorgehensbausteinen vor. Die erzeugten Produkte stehen im Mittelpunkt und nicht die Dokumentation wie bei RUP.

Das V-Modell XT wird vom Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik bereitgestellt.[6] Hier findet man die jeweils aktuelle Version. Weitere Infos sowie ein jährlicher Erfahrungsaustausch wird durch die Anwendervertretung ANSSTAND e. V. (Interessenvertretung der Anwender des SystementwicklungsSTANDards V-Modell) auf der Homepage der V-Modell Interessenvertretung zur Verfügung gestellt.[7]

Das V-Modell kann in halbjährlichen Abständen aktualisiert werden. Derzeit (13. Juli 2010) ist die Version 1.3 (1. Februar 2009) aktuell. Sie besteht aus:

  • Dokumentation in pdf- und html-Format
  • Editor zum Bearbeiten der XML-Dateien
  • Projektassistent zur Anpassung des generischen V-Modells an die Bedürfnisse eines konkreten Projekts ('tailoring').

Grundstruktur des V-Modell XT

Vorgehensbausteine und der V-Modell-Kern

Das V-Modell fasst eine Reihe von ähnlich gelagerten Tätigkeiten zu einem so genannten Vorgehensbaustein zusammen. Einige dieser Vorgehensbausteine finden bei allen Projekten Anwendung und werden daher als V-Modell-Kern bezeichnet. Dazu gehören:

  1. PM: Projektmanagement
  2. QS: Qualitätssicherung
  3. KM: Konfigurationsmanagement
  4. PA: Problem- und Änderungsmanagement
Verpflichtende Vorgehensbausteine in Abhängigkeit des Projekttyps
AG = Auftraggeber; AN = Auftragnehmer
Vorgehensbaustein V-Modell Kern Systementwicklungsprojekt (AG/AN) Systementwicklungsprojekt (AG) Systementwicklungsprojekt (AN)
Projektmanagement X X X X
Qualitätssicherung X X X X
Konfigurationsmanagement X X X X
Problem- und Änderungsmanagement X X X X
Systemerstellung X X
Anforderungsfestlegung X X
Lieferung und Abnahme (AN) X X
Lieferung und Abnahme (AG) X X
Vertragsschluss (AG) X
Vertragsschluss (AN) X
Produkte und Aktivitäten

Das V-Modell definiert eine Reihe von Dokumenten, die als Produkte bezeichnet werden. Diese setzen sich aus einzelnen Themen (Kapiteln) zusammen. Produkte, die einen starken inhaltlichen Zusammenhang haben, werden wiederum derselben Produktgruppe zugeordnet.

Jedes definierte Produkt durchläuft vier Zustände:

  1. geplant
  2. in Bearbeitung
  3. vorgelegt
  4. akzeptiert

wobei folgende Übergänge zwischen diesen Zuständen möglich sind:

Dokumenten-Status und deren Übergänge

Tätigkeiten, die Produkte verändern, bezeichnet man als Aktivitäten; diese sind ihrerseits aus einzelnen Teilaktivitäten zusammengesetzt, die dann jeweils genau ein Thema behandeln. Inhaltlich verwandte Aktivitäten werden dabei wiederum zu Aktivitätengruppen zusammengefasst. Zu jeder Aktivität ist genau hinterlegt, welche Produkte sie benötigt bzw. verändert und welche Arbeitsschritte notwendig sind, um die gewünschte Modifikation herbeizuführen. Zu diesem Zweck ist jeder Aktivität ein Produktfluss und eine Abwicklung definiert. Während der Produktfluss beschreibt, aus welchen Aktivitäten die benötigten Eingabeprodukte mit welchem Zustand kommen, um dann in modifizierter Form bzw. modifiziertem Zustand an eine nachfolgende Aktivität weitergereicht zu werden, beinhaltet die Abwicklung genauere Anweisungen zur Durchführung der Aktivität.

Die zeitliche Abfolge der Aktivitäten ergibt sich somit aus der Verfügbarkeit der benötigten (Teil-)Produkte in einem bestimmten Zustand.

Werkzeuge

Literatur

Zum V-Modell 97

  • Wolfgang Dröschel, Walter Heuser, Rainer Midderhoff, (Hrsg.): Inkrementelle und objektorientierte Vorgehensweisen mit dem V-Modell 97. Oldenbourg, München 1998, ISBN 3-486-24276-8
  • Wolfgang Dröschel, Manuela Wiemers: Das V-Modell 97. Der Standard für die Entwicklung von IT-Systemen mit Anleitung für den Praxiseinsatz. Oldenbourg, München 1999, ISBN 3-486-25086-8
  • M. Reinhold, B.Oestereich, P. Hruschka, N. Josuttis et al: Erfolgreich mit Objektorientierung: Vorgehensmodelle und Managementpraktiken für die objektorientierte Softwareentwicklung. Oldenbourg, München 2001, ISBN 978-3-486-25565-2
  • Beitrag von Markus Reinhold zu: Leichte Vorgehensmodelle: Rational Unified Process 2000 versus V-Modell'97 – A Comparison of the two most common used Process Modells in Germany. Shaker Verlag, 2001, ISBN 978-3-8265-8577-7
  • Beitrag von Markus Reinhold zu: Praxistauglichkeit von Vorgehensmodellen: Specification of large IT-Systems – Integration of Requirements Engineering and UML based on V-Model'97. Shaker Verlag, 2003, ISBN 978-3-8322-1330-5

Zum V-Modell XT

  • Christian Bartelt, Thomas Ternité, Matthias Zieger: Modellbasierte Entwicklung mit dem V-Modell XT, in: OBJEKTspektrum 05/2005, PDF
  • Reinhard Höhn: Das V-Modell – eine Erfolgsstory aus Behördenkreisen, in: OCG-Journal 05/2004
  • Dirk Niebuhr, Andreas Rausch: Erfolgreiche IT-Projekte mit dem V-Modell XT, in: OBJEKTspektrum 03/2005, PDF
  • Andreas Rausch, Stephan Höppner: V-Modell XT – eine Einführung, in: Softwarequalitätsmanagement Band 3, hrg. von Stephan Höppner, 2005, Logos-Verlag, Berlin, ISBN 3-8325-0798-1
  • Andreas Rausch, Manfred Broy: Das V-Modell XT – Grundlagen, Erfahrungen und Werkzeuge. dpunkt.verlag, Heidelberg 2007, ISBN 3-89864-335-2
  • Andreas Rausch, Manfred Broy, Klaus Bergner, Reinhard Höhn, Stephan Höppner: Das V-Modell XT. Grundlagen, Methodik und Anwendungen. Springer, Heidelberg 2007, ISBN 3-540-30249-2
  • Jan Friedrich, Ulrike Hammerschall, Marco Kuhrmann, Marc Sihling: Das V-Modell XT. Für Projektleiter und QS-Verantwortliche - kompakt und übersichtlich. Springer, Berlin; Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-76403-8

Siehe auch

Weblinks

  • ANSSTAND e. V. – Homepage der Interessensvertretung der ANwender des SystementwicklungsSTANDards V-Modell mit diversen Informationen wie z. B. Downloads zum jährlichen Anwendertreffen.
  • IABG – Umfangreiche Informationen und Downloads zum V-Modell (92/97/XT).
  • Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik – Homepage des V-Modells XT mit umfangreichen Informationen und Downloads.

Einzelnachweise

  1. IABG - Was ist das V-Modell?
  2. Wofür steht das "V" in "V-Modell XT"?
  3. http://www.iabg.de/infokom/software_einfuehrung/v-modell_de.php
  4. http://www.everyspec.com/DoD/DoD-STD/DOD-STD-2167A_8470/ DOD-STD-2167A_8470
  5. http://www.everyspec.com/MIL-STD/MIL-STD+%280300+-+0499%29/MIL-STD-498_25500/
  6. Webseite des V-Modell XT
  7. Homepage der V-Modell Interessenvertretung

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