- Crewe House
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Das Crewe House war eine britische Propaganda-Agentur während des Ersten Weltkrieges in Mayfair, London. Es beherbergte das geheime Direktorat für Propaganda in Feindländern des ersten Ministry of Information (MoI).
Crewe House bezeichnet eigentlich die Stadtvilla des gleichnamigen Marquis, die dieser der Regierung für Kriegszwecke zur Verfügung stellte. Nach der Umstrukturierung des bereits zuvor geheimen War Propaganda Bureau zog - nach Kriegseintritt der USA - im April 1917 das Direktorat für Propaganda in den Feindländern des MoI ein.
Ihr Leiter war der Zeitungs-Verleger Alfred Harmsworth (Lord Northcliffe). Mit ihm sowie anderen Verlegern gelang es der Regierung Lloyd George die Fleet Street in die Kriegspropaganda einzubinden. In den ersten Monaten seines Bestehens produzierte auch das Military Intelligence Directorate (MID, George MacDonogh) des War Office noch weiter Propagandaliteratur.
Inhaltsverzeichnis
Struktur
Das MoI-Direktorat Propaganda für Feindländer war in die beiden Abteilungen Propaganda-Produktion und -verbreitung gegliedert für die 54 Personen arbeiteten. Unter Campbell Stuart fanden tägliche Besprechungen statt.
- Direktor: Alfred Harmsworth, Besitzer von The Times und Daily Mail
- Stellvertreter: Sir Campbell Stuart, zuvor Vertreter der British War Mission in den USA
- CVO Robert Donald (Earl of Denbigh), Editor des Daily Chronicle
- KBE Sir Roderick Jones, Direktor der Reuters-Agentur
- Sir Sidney James Mark Low, Journalist, Historiker
- Sir Charles Nicholson, Abgeordneter
- Sektion Österreich-Ungarn: Henry Wickham Steed, außenpolitischer Journalist von The Times; Robert William Seton-Watson, Experte für Österreich-Ungarn und den Balkan
- Deutschlandabteilung: Sir James W. Headlam-Morley, H. G. Wells (von Beginn bis Juli 1918, ersetzt durch Henry Hamilton Fyfe)
- CBE H.K.Hudson, Sekretär
- Inter-Alliierte Koordination: Max Aitken (MoI), M. Franklin-Bouillon (Frankreich), Romeo A. Gallenga-Stuart (Italien), US-Vertreter
- Mr. S.A. Guest, Verteilung der Propaganda, Gründer entsprechender Organisationen im Ausland
- Peter Chalmers Mitchell, Zoologe, Verbindungsoffizier zum War Office, Herstellung und Verteilung
Tätigkeit
Aufgabe des Direktorats war es den Mittelmächten die Hoffnungslosigkeit ihrer eigenen Lage und die Unvermeidbarkeit des alliierten Sieges zu übermitteln. Crewe-House erhielt dazu Informationen von MoI, dem Außen- und Kriegsministerium, der Admiralität, dem Schatzamt und dem Stationery Office.
Propaganda gegen Österreich-Ungarn
Als erstes geeignetes Ziel fand Crewe-House den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, den es zu destabilisieren gedachte. Steed und Seton-Watson reisten dazu nach Rom und überzeugten den italienischen Kongress von der Unterdrückung der Nationalitäten im Habsburger Reich. Sie knüpften Kontakte mit den ethnischen Gruppierungen der Polen, Tschechoslowaken, Südslawen und Rumänen in Österreich-Ungarn und gründeten mit ihnen eine „interalliierte Propaganda-Kommission“ im italienischen General-Hauptquartier. Diese nahm ihre Arbeit am 18. April 1918 auf und publizierte ein wöchentliches Journal in den entsprechenden Sprachen. Ziel war es, neben der direkten Schwächung der Kampfkraft der Mittelmächte, langfristig über ethnische Unabhängigkeitsbestrebungen eine nichtdeutsche Kette von Staaten zu formen, die allerdings nicht selbstständig sondern als Bündnispartner konföderiert sein sollten. Den Beteiligten Polen, Tschechoslowaken, Serben und Mazedoniern versprach man anderslautend volle Souveränität.
Die Verteilung von vielen Millionen Pamphleten in 8 bis 10 Sprachen wurde von der italienischen Armee übernommen, die Patrouillen aus Desertierten dieser Ethnien formierte und Flugzeuge zum Abwurf einsetzte. Grammophon-Aufnahmen nationaler Lieder der Südslawen und Tschechoslowaken wurden im Niemandsland in Frontnähe abgespielt. Wegen des Überlaufens ethnische Gruppen schrieb sich das Crewe-House aufgrund seiner propagandistischen Zersetzung einen Anteil am Sieg in der zweiten Piaveschlacht zu. Armando Diaz bedankte sich persönlich bei Kommissionsmitgliedern.
Propaganda gegen das Deutsche Reich
Das erste Flugblatt für Deutsche erstellte im Oktober 1914 der „Augenzeuge“ [1] Ernest Dunlop Swinton. Northcliffe überließ ihm seine Pariser Organisation zur Vervielfältigung und die britische Armee warf das Material per Flugzeug ab. Darin wurde den Soldaten u.a. erklärt, das sie nicht für die Verteidigung Deutschlands sondern für „eine kriegslüsterne Partei auf Kosten der nationalen Interessen“ kämpfen. Die Kriegsschuld wird „dem Kaiser“ zugesprochen. Da die Armee die Aktivitäten nicht billigte blieb es längere Zeit eine Einzelaktion.
Im Frühjahr 1916 gründete das MID des War Office eine Propaganda-Abteilung, die neben deutschen Soldaten auch auf belgische und französische Zivilisten in deren Sprache zielte. In den folgenden 2 Jahren wurden monatlich 1 Mio. Flugblätter verteilt. Nachdem die kaiserliche Armee abgeschossene Flieger, die das Material transportiert hatten, hart bestrafte, wechselte man zur Verteilung mittels Granaten und Ballons. Crewe House erstellte ab Frühjahr 1918 für MID die Pamphlete.
H.G.Wells MemorandumIm Mai 1918 rekrutierte Nordtcliffe den Soziologen und Literaten H. G. Wells (Die Zeitmaschine), der ein Memorandum zum Festlegen propagandistischer Angriffspunkte fertigte. Darin stellt er fest, dass „Deutsche empfänglich für Systematiken sind“ und „daran gewöhnt, koordinierte Projekte zu diskutieren und zu verstehen“. Das „deutsche politische Denken“ ist „vertraut mit Ideen, repräsentiert durch Phrasen wie 'Berlin-Bagdad' und 'Mittel-Europa'“ - 'Berlin-Teheran' und 'Berlin-Tokio' würden Ihnen gerade vertraut werden. Es gäbe kein entsprechendes Gegenstück zu Naumanns 'Mittel-Europa' und die Alliierten sollten dem „irgendein verständliches Schema einer Welt-Organisation“ wie „etwa einen Völkerbund“ entgegensetzen. Kompetente Literaten hätten das umzusetzen und es würde „automatisch funktionieren“.
Unabhängig von der eigenen Regierungsform des Briten (einer konstitutionellen Monarchie) und mit Blick auf das Britische Empire erklärte er, dass darzustellen sei, dass „es nicht um die Zerstörung von Menschen oder Feinden, außer der vorhandenen Strukturen, herrschenden Dynastien und militärischen und ökonomischen Kasten“ gehe, sondern um „Freiheit“ und „Selbstbestimmung“. Würden sie das nicht akzeptieren, führe das zu finanziellem Ruin und Elend und Hass gegen Deutsche in der Nicht-deutschen Welt. Je länger der Krieg dauere, um so schwerer seien die Folgen, unter denen diese Feinde dann arbeiten müssten, selbst als Mitglied eines Völkerbundes. Es gehe um eine Änderung der Deutschen selbst, die ihr militaristisches System überwinden sollten, „um ehrenvoll in das alliierte Schema einer Weltorganisation einzutreten.“
Das deutsche Reich hat demnach „das russische Zarenreich ... mental zerstört“ (Oktoberrevolution), der „österreich-ungarische Imperialismus Menschen zerquetscht“, und es gelte, in eine Phase „freier Bewegung der Geister“ und „nobler zwischenmenschlicher Beziehungen“ einzutreten, in eine Liga der freien Nationen, usw. Schließlich theoretisiert er, dass dies der „Krieg zur Beendigung aller Kriege“ sei und macht sich Gedanken über die Mandatsverteilung in einem Völkerbund. Der Krieg gegen „Junker-Deutschland“ müsse „militärisch, ökonomisch und politisch geführt werden“. Durch „intensiven Luftkrieg und entsprechende Propaganda sollen die Alliierten Gründe und ein Gewissen zu den Deutschen nach Hause bringen, um der deutschen Bevölkerung die Unmöglichkeit dieses Konzeptes aus Nationalstolz und Aggressivität“ zu übermitteln.
7-Punkte-ProgrammDiese Dokumente wurden Grundlage der Propaganda des Crewe-House (Secrets of Crewe House 1922, S.81). Northcliffe fasste sie in 7 Punkte zusammen, die er Außenminister Arthur Balfour übermittelte:
- der Siegeswillen des Feindes ist zu schwächen; alliierte Kriegsziele zur Stärkung jeder Art existierender Opposition im Deutschen Reich in eine brauchbare Form zu verpacken
- aus Deutschlands inneren Bedingungen resultieren zwei Punkte größter Wichtigkeit, die zusammen gehören da sie die Elemente Furcht (a) und Hoffnung (b) bieten
- a) es besteht Grund zur Annahme, daß die Deutschen sich als Ganzes ergeben werden, wenn der Eindruck erweckt wird, ihnen stünden fest und unveränderlich alliierte Nationen gegenüber, die den Krieg um jeden Preis fortsetzen, unabhängig von deutschen militärischen Erfolgen. Solche Erfolge sind nicht der Weg, ihnen den erhofften Frieden zu bringen; Fortführung der Wirtschaftsblockade.
- b) Da die deutsche Regierung dem Volk vermittelt, daß ein Frieden nach dem Willen der Alliierten jeden einzelnen arm, arbeitslos und hungernd macht, ist darzustellen, daß das passieren kann, aber abwendbar ist, wenn die deutsche Nation die Pläne zur Vorherrschaft aufgibt und das alliierte Schema einer neuen Weltorganisation akzeptiert
- Unterstützung der Ziele durch entsprechende Außenpolitik, um eine Darstellung als imperialistische Ambitionen durch deutsche Literaten zu vermeiden
- als Mitglied eines Völkerbundes mit ökonomischen Vorteilen könnte Deutschland unsere politischen Bedingungen akzeptieren und unsere Ziele für moderate Elemente in Deutschland akzeptabel machen
- die Propaganda muss durch öffentliche und amtliche Erklärungen unterstützt werden um glaubwürdig zu sein
- diese Erklärungen gibt es bisher nicht, das Problem sollte schnell behandelt werden
- zur Idee einer 'Liga freier Nationen' sollte baldmöglichst irgendeine Erklärung entsprechender Art abgegeben werden, da es die Wirkung eines Friedensangebotes an Deutschland hätte. Dem deutschen Volk ist klarzumachen, daß das Privileg der Teilnahme an dieser Vereinigung unwiderruflich in einem Zeitraum zurückgenommen wird der proportional zur Kriegsdauer ist.
Ergänzend vermerkt Northcliffe: die Wegnahme der deutschen Kolonien; die Kriegsschuld Deutschlands, weshalb Restitution, Garantien und Reparationen zu leisten sind; die unterschiedliche Behandlung gegenseitig eroberter Gebiete.
UmsetzungDie Regierung billigte den Plan und Wells beteiligte sich an der öffentlichen Vorbereitung der Gründung des Völkerbundes in London, um Deutschland dessen Isolation aufzuzeigen. In einem Aufruf an deutsche Arbeiter veröffentlichte er unter anderem eine Auflistung der Vorteile britischer Arbeitsbedingungen im Krieg. Zur Entmutigung des Gegners fertigte seine Abteilung eine ökonomische Studie für Deutschland während und nach dem Krieg. Im Juli 1918 gab Wells wegen Differenzen seine Tätigkeit als Sektionsleiter auf, blieb aber Mitglied des Direktorats.
Hamilton Fyfe führte seine Arbeit fort, publizierte Pamphlete britischer Überlegenheit, darunter eine Artikelserie 'London Letters' in skandinavischen und Schweizer Zeitungen, die vorgeblich pro-deutsch, britische Nahrungsmittelversorgung und Lebensbedingungen beschönigte. Listen toter oder gefangener deutscher U-Bootkommandeure ließ man in deutschen Marinehäfen zirkulieren, Bücher mit anderem Inhalt schleuste man in den Buchhandel und Grenzgänger transportierten Material.
Ab Juli 1918 bis zum Waffenstillstand im November wurden täglich 100-300.000 Flugschriften über und hinter den deutschen Linien platziert, darunter nachgemachte deutsche Zeitungen, Religiöses und besonders umfangreich die US-amerikanische Kriegsbeteiligung.
deutsche Reaktion
Paul von Hindenburg und Oskar von Hutier riefen die Truppen auf, der „Vergiftung des Geistes“ zu widerstehen und zeigten sich bestürzt über die Zersetzungsversuche. Hindenburg bemerkt, das unbeschränkte Äußerungen jeglicher Meinung und die Publikation feindlicher Armeeberichte und Politikerreden im Krieg zugleich Stärke und Schwäche Deutschlands seien: Stärke, da es Machtbewusstsein beweist und Schwäche durch die „Hintertür für den Feind“. Eine direkte Pressezensur existierte in Bezug auf eigene Truppen- und Materialbewegungen.[2] [3]
Eine Nachricht Hutier's an seine 6. Armee, die das MoI erbeutete, schildert dessen Existenz, Tätigkeit und als Kopf den „extremen Gauner“ Northcliffe und seine Methoden : „bezahlte Agenten, Anschläge auf Botschafter, gefälschte Gefangenenbriefe sowie Traktate und Pamphlete im Namen deutscher Dichter, Schriftsteller und Staatsmänner die wirken als wären sie in Deutschland gedruckt (Reclam Universal-Bibliothek)“. Personen die noch unbekannte Pamphlete den Behörden übergaben erhielten Geldprämien, die Wirkung war allerdings nicht mehr aufzuhalten.
Wirkung
Erich Ludendorff beschrieb das „Ansteigen von Verrat und Ungehorsam...mit desaströsem Effekt auf die Moral der Menschen zuhause.“ Die Enthüllung des Propaganda-Apparats erzeugte Nervosität. Deutsche Zeitungen und Politiker diskutierten im Sommer 1918 über die Einrichtung einer Gegen-Propaganda, anerkannten die „Brillanz des Gegners“, verachteten sie als „Karneval der Seelenstürmer“ und „idiotischen Terror“ oder dankten für „die Erinnerung an unsere Pflicht als Deutsche“ dem zu begegnen. Den deutschen Armeeberichten wurde allerdings zunehmend weniger geglaubt als den gefälschten britischen.
Propaganda gegen Bulgarien
Da die USA mit Bulgarien nicht im Krieg standen und Rücksicht auf Serbien, Rumänien und Griechenland zu nehmen war, blieben Northcliffe nur die Mazedonier als „zu befreiende Ethnie“. Diese sollte später durch „eine internationale Gendarmerie-Macht geschützt“ werden. Für einen Frieden schlug er vor Silistra und die Enos-Midia-Linie als Ostgrenze anzubieten, dem Balfour zustimmte. Allerdings bedeutete das eine Gebietsverkleinerung. Die Friedensforderungen waren: Entfernung König Ferdinand I. samt Familie, Trennung vom Deutschen Reich und Errichtung einer demokratischen Regierung mit Ziel einer Balkankonförderation unter Schirmherrschaft der Alliierten und der USA. Crewe-House fabrizierte entsprechende Pamphlete.
Propaganda unter Kriegsgefangenen
In britischen Gefangenenlagern war das erste Ziel Northcliffes die „Ausradierung der Ideen des Militarismus“ beim Gegner. Dann wurden ihm die „Vorteile einer demokratischen Regierungsform eingeschärft.“ Dazu wurden alle Kommandanten der Lager vom Mitglied des Enemy Propaganda Committee und Crewe-House-Mitarbeiter, Charles Nicholson, befragt und über die erlaubte Literatur instruiert. Post wurde zensiert, einflussreiche Häftlinge gesondert mit entsprechender Literatur versorgt.
Weiteres
Auf einer Interalliierten Konferenz im Crewe-Haus am 14. August 1918 nahmen neben Briten, Franzosen und Italienern fünf US-Amerikaner, davon vier als Beobachter, teil. Sie verabschiedeten im Wesentlichen H.G. Wells Pläne für eine Nachkriegseuropa und beschlossen entsprechende nationale Planungen voranzutreiben. Am 15. November 1918, vier Tage nach dem Waffenstillstand, entließ Northcliffe den Vorstand - das Enemy Propaganda Committee.
Links
- Stuart, Campbell: Secrets of Crewe House- the story of a famous campaign. Hodder&Stoughton. London. 1920 online
- Britische Propaganda, DHM
Literatur
- Tosi, Luciano: Romeo A. Gallenga-Stuart e la propaganda di guerra al estero (1917-1918) in Storia Contemporanea, 2.1971. S.519-543
Quellen
- ↑ Anführungszeichen im Original, C.Stuart
- ↑ Denkschrift der dt. Regierung 1914
- ↑ Ergänzung des auf Grund des Mobilmachungs-Plans § 20 B. 7 herausgegebenen Merkblattes für die Presse 1914
Kategorien:- Erster Weltkrieg
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