- Custody and Repatriation (China)
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Custody and Repatriation (Verhaftung und Rückführung) war eine Vorgehensweise der Polizei, die in der Volksrepublik China praktiziert wurde. Basierend auf dem Hukou-System konnten von 1982 bis 2003 Personen ohne Niederlassungserlaubnis oder temporäre Wohnerlaubnis verhaftet und an ihren eingetragenen ständigen Wohnsitz zurückgebracht werden. Dies betraf vor allem weit über 100 Millionen Wanderarbeiter aus ländlichen Regionen, die sich in Städten aufhielten, um dort z. B. im Hoch- oder Tiefbau zu arbeiten.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Die chinesische Vorgehensweise der “Custody and Repatriation” (C&R) ähnelte der Behandlung von illegalen Einwanderern in anderen Staaten wie z. B. den USA.[1] In beiden Fällen war es für die Beschuldigten schwierig oder unmöglich, ihre Rechte einzuklagen oder in die Berufung zu gehen. Die Gründe für die Verhaftung beruhten in beiden Fällen im Wesentlichen auf Arbeitsmigration. In westlichen Ländern dient diese Praxis wie z. B. das Auffanglager auf Lampedusa in Italien dem Schutz der eigenen Bevölkerung und es werden Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen interniert. Dahingegen richtete sich die chinesische Vorgehensweise gegen die eigene Landbevölkerung, auf deren Allianz mit den Arbeitern lt. Artikel 1 der Verfassung die Volksrepublik China beruht.[2] Hintergrund dieser Regelung ist der enorme Migrationsdruck innerhalb Chinas, den die Zahl von 200 Millionen Wanderarbeitern in Jahr 2006 verdeutlicht.[3]
Internierungslager
Für das Jahr 2000 wurden 800 Internierungslager (ohne die von der öffentlichen Sicherheit errichteten Lager in Peking) und lt. Human Rights in China offiziell über 3,2 Millionen Inhaftierungen[4] und lt. Amnesty International 2002 über 1 Million Gefangene angegeben.[5] Neben Arbeitsmigranten wurden dort Obdachlose, Bettler, Geisteskranke, Kriminelle und Bittsteller inhaftiert. Nach offiziellen Angaben waren 5 % der Inhaftierten unter 18 Jahre alt. Zudem mussten die Inhaftierten selbst für ihre Unterbringung aufkommen.[4]
Essen und sanitäre Bedingungen waren in den Internierungslagern schlechter als in regulären Gefängnissen und Arbeitslagern. Die oft monatelang Inhaftierten wurden regelmäßig von der Polizei oder den Zellenbossen geschlagen[6] und mussten sehr lange, schwere Arbeit verrichten.[7] Junge Frauen und Mädchen wurden von Kriminellen aus den Internierungslagern freigekauft, um sie in die Prostitution zu zwingen. Das jüngste Mädchen, das von der Pekinger Polizei aus einem Hotel befreit worden ist, nachdem der Hotelmanager es aus einem Internierungslager gekauft hatte, sei 13 Jahre alt gewesen, wie Human Rights in China berichtete.[4]
Geschichte
Grundlage des C&R-Systems war das 1961 eingerichtete Hukou-Meldesystem. 1982 wurde darauf aufbauend das C&R-System mit der offiziellen Begründung eingerichtet, die Situation von Bettlern und Obdachlosen zu verbessern. Ursprünglich wurde es daher auf „Personen ohne drei“ angewendet – ohne festen Wohnsitz, ohne Lebensgrundlage und ohne Wohnerlaubnis in der jeweiligen Stadt. Dieses System verbindet traditionelle Familienregister mit der Arbeitserlaubnis (von der Polizei für Arbeitseinheiten oder Arbeiter erteilt), um unkontrollierte Bevölkerungsbewegungen zu verhindern.
1991 wurde das C&R-System auf Menschen ausgeweitet, die lediglich keine Wohn- oder keine Arbeitserlaubnis hatten. Als aber die ökonomische Entwicklung der Städte verstärkt Arbeitsmigranten benötigte, wurde es nur unzureichend angepasst bzw. vom Büro für Öffentliche Sicherheit unverhältnismäßig verschärft. Die Missbräuche wurden vor allem in den Jahren vor 2003 offensichtlich. Es gab interne und externe Warnungen und Diskussionen,[7] die jedoch nur wenige Verbesserungen brachten und kaum einen Effekt hatten. Außerdem kam es zu unveröffentlichten Todesfällen, die den später publizierten ähnelten.[4]
Tod des Modedesigners Sun Zhigang
Beendet wurde die administrative Vorgehensweise der “Custody and Repatriation” 2003 von der Zentralregierung, nachdem ein Todesfall große Aufmerksamkeit in Zeitungen und im Internet erhalten hatte.
Am 20. März 2003 starb der 27jährige Sun Zhigang in der Klinik eines Internierungslagers in der südchinesischen Provinz Guangzhou, einer Region, die stark von Arbeitsmigranten abhängt. Sun Zhigang war ein Modedesigner, der nach Guangzhou gegangen war, um dort zu arbeiten. Als er drei Wochen nach Beginn seiner Arbeit in ein Internetcafe gehen wollte, wurde er von der Polizei nach seiner Wohnerlaubnis und seinem Ausweis gefragt. Er hatte noch keine Wohnerlaubnis beantragt und seinen Ausweis vergessen. Er rief einen Freund an und bat ihn, ihm seinen Ausweis zu bringen. Drei Tage später rief eine Freundin seine Familie an und berichtet vom Tod Suns.
Eine offizielle Autopsie der Universität Zhongshan wies nach, dass Sun vor seinem Tod brutal geschlagen worden war, auch wenn sein Körper keine Zeichen von äußeren Verletzungen aufwies. Die Autopsie fand Blutungen unter der Haut mit einem Ausmaß von 60 * 50 cm. Das heißt, dass sein gesamter Rücken betroffen war, was seinen Tod verursacht hat. Die Klinik des Internierungslagers hatte als Todesursache einen Herzinfarkt angegeben.[8]
Weitere Entwicklung
Suns Familie konnte lange Zeit keinen Reporter finden, der über seinen Tod berichten wollte. Schließlich gab sie die Ergebnisse der Autopsie an Reporter der Nanfang City News weiter. Diese titelte am 25. April 2003: „Sun Zhigang was beaten to death“. [8]
Der Fall zog in Hunderttausenden von Nachrichten im Internet Kreise bis schließlich drei Juristen an den Nationalen Volkskongress schrieben und die Praxis der “Custody and Repatriation” in Frage stellten. Ein Problem mit diesem Gesetz sei, dass es vom Staatsrat der Volksrepublik China und nicht vom Nationalen Volkskongress in Kraft gesetzt worden war, argumentierten sie. Daher sei das Gesetz nicht verfassungskonform, weil es Bürgerrechte außer Kraft setze, was lediglich dem Nationalen Volkskongress zustehe.[6][9]
In der Folge wurden zwölf Personen für den Tod Sun Zhigangs verurteilt. Dabei wurden zwei Todesstrafen, eine lebenslange Strafe und drei 15jährige Haftstrafen verhängt.[10] Es wird jedoch angenommen, dass die Aufklärung des Verbrechens in die Nähe oder direkt den ursprünglich verantwortlichen Autoritäten gegeben wurde. Angeklagt wurden fünf Mitarbeiter der Krankenstation, in der Sun starb und acht Mitinhaftierte. Auffällig war, dass kein Polizist unter den Angeklagten war. Auch wurde keine Erklärung dafür abgegeben, warum Sun bewusstlos in die Krankenstation gebracht worden war und warum andere Kranke einen bewusstlosen Mann schlagen sollten.[6] Fast zwei Jahre später wurde berichtet, dass auch sechs Polizeioffiziere und Offizielle für den Tod von Sun verurteilt wurden.[11]
Ende 2003 begannen Untersuchungen der Finanzen der Zeitung Nanfang City News. Der Editor Cheng Yizhong und drei seiner Kollegen wurden inhaftiert. Ihnen wurde Korruption und Unterschlagung öffentlicher Gelder im Zusammenhang mit dem Bericht über Suns Tod vorgeworfen. Yu Huafeng und Li Minying wurden zu 12 bzw. 11 Jahren Haft verurteilt. Nach erheblichem Widerstand gegen die Ausschaltung des Managements der populärsten und profitabelsten Zeitung des Landes wurden die bereits ausgesprochenen Strafen auf acht bzw. sechs Jahre reduziert und Cheng wurde freigelassen.[11]
Abschaffung des C&R-Systems
Am 20. Juni 2003 kündigte der Ministerpräsident Wen Jiabao an, dass die Vorgehensweise der “Custody and Repatriation” am 1. August 2003 abgeschafft würde. Des Weiteren würden die Internierungslager durch „Maßnahmen zur Unterstützung von mittellosen Obdachlosen und Bettlern in Städten“ ersetzt.[12][13]
Die Zentren für Obdachlose, die weiter bestehen bleiben, dürfen seitdem weder Gebühren von den Familien verlangen, noch die Obdachlosen zur Arbeit auffordern. Das gesetzliche Hukou-System existiert zwar weiter, es ist aber jedem "Landbewohner" inzwischen erlaubt, sich ungehindert in einer Stadt aufzuhalten. Um eine Arbeit aufzunehmen oder sich eine Wohnung zu mieten braucht er jedoch immer noch eine Aufenthaltsgenehmigung.[14]
Einige Probleme der Arbeitsmigranten bestehen jedoch weiterhin. Es wird berichtet, dass sie häufig ihre ohnehin geringen Löhne nicht erhalten, Schwierigkeiten haben, von ihren Arbeitgebern versichert zu werden oder medizinische Versorgung zu erhalten. 2005 standen ca. 10 Milliarden Euro an Lohnzahlungen aus. Ferner ist die Sicherheit am Arbeitsplatz nicht gewährleistet bei 2000 Toten allein unter Pekings Bauarbeitern jährlich.[3]
Einzelnachweise
- ↑ Alison Parker: Inalienable Rights Human Rights Watch, 30. September 2004; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ Constitution of the People's Republik of China 4. Dezember 1982; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ a b Georg Blume und Babak Tavassolie: Migranten im eigenen Land Das Parlament, 15. Januar 2007; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ a b c d Nicolas Becquelin: Enforcing the rural-urban divide - Use of Custody and Repatriation detention triples in 10 years; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ Jahresbericht 2003 China Amnesty International, 2003; letzter Zugriff am 27. Februar 2009.
- ↑ a b c Tong Yi: Kidnapping by Police: Custody & Repatriation letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ a b Marco Pannella: China - als „Custody and repatriation“ umschriebene Inhaftierungspraxis Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 15. Oktober 1999; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ a b 84 Days and Nights in Guangzhou China.org.cn, 8. Juli 2003; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ Thomas E. Kellogg und Keith Hand: China crawls slowly towards judicial reform Asia Times, 25. Januar 2008; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ Sun Zhigang's brutal killers sentenced China daily, 10. Juni 2003; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ a b Sophie Beach: Rise of Rights? China Digital Times, 27. Mai 2005; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ China: Beijing’s Migrant Construction Workers Abused Human Rights Watch 3. Dezember 2008; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ Stefan Schattauer: Bericht zur politischen und wirtschaftlichen Situation in der VR China Juni 2004; letzter Zugriff am 14. Februar 2009
- ↑ Willy Lam: Hus new deal AFAR 27. Oktober 2008
Siehe auch
- Laogai
- Menschenrechte in der Volksrepublik China
- Ministerium für Staatssicherheit der Volksrepublik China
- Umerziehung durch Arbeit
Weblinks
- Susan Jakes: Hostages of the State Time Magazin, 16. Juni 2003
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