- Damaskusaffäre
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Die Damaskusaffäre war eine Ritualmordanklage gegen in Damaskus lebende Juden im Jahr 1840. Sie bewegte Monate lang die internationale Öffentlichkeit, führte zu komplexen diplomatischen Konflikten zwischen europäischen Großmächten, dem Osmanischen Reich und ihren Vertretern im Nahen Osten und hatte weitreichende Folgen für die Lage, das Selbstverständnis und die Organisationen jüdischer Gemeinschaften dort und in Europa.
Inhaltsverzeichnis
Anlass
Am 5. Februar 1840 wurden der aus Sardinien stammende Abt eines Franziskanerklosters in Damaskus, Pater Tomaso, und sein Diener – ein Muslim – von ihren Ordensbrüdern als vermisst gemeldet. Sie gingen von einem Mord aus und forderten den für die Katholiken Syriens zuständigen französischen Konsul Ratti-Menton auf, nach den Mördern zu suchen. Sie vermuteten diese unter den Juden der Stadt, da einige Bewohner des jüdischen Viertels ausgesagt hatten, Tomaso sei dort am Vorabend seines Verschwindens gesehen worden.
Der Pater war als Gelegenheitsarzt und Verkäufer von Arzneimitteln unter Juden wie Muslimen der Stadt gut bekannt. Ein türkischer Kaufmann hatte Tage zuvor einen Streit zwischen ihm und einem türkischen Maultierhändler beobachtet, bei dem der Pater den Islam verflucht habe. Der Muslim habe sich in Rage geredet und gesagt: Dieser Hund eines Christen wird durch meine Hand sterben. Der Zeuge wurde kurz darauf erhängt aufgefunden.
Vor allem der Ordensbruder Pater Tusti, ein fanatischer Judenfeind, beschuldigte die Juden der Stadt, beide Männer ermordet zu haben, da sie das Blut der Vermissten für das in sechs Wochen bevorstehende Pessachfest benötigen würden.
Verfahren
Der französische Konsul hielt den Vorwurf für begründet und übergab die Untersuchung des Falls dem örtlichen Gouverneur Sherif Pascha. Dieser ließ einen jüdischen Barbier namens Salomon Negrin foltern, bis dieser aussagte, er habe den Pater und seinen Diener am Tag ihres Verschwindens in ein jüdisches Haus gehen sehen. Daraufhin wurden zunächst acht der am meisten geachteten Juden des Viertels festgenommen. Mit Folter, Erpressung und Bestechung versuchte man, sie zum Geständnis des angeblichen Verbrechens zu bewegen. Einer der Inhaftierten, ein 80-Jähriger, starb unter den Strapazen. Ein weiterer trat zum Islam über. Die übrigen legten nicht das gewünschte Geständnis ab. Daraufhin ließ Sherif Pascha auf Geheiß des Konsuls Menton 63 jüdische Kinder als Geiseln festnehmen, um deren Eltern zum Einlenken zu bewegen. Er ersuchte den ihm übergeordneten Generalgouverneur von Ägypten, Muhammad Ali Pascha, um Erlaubnis, ihre Väter hinzurichten.
Ausweitungen
Im ganzen Nahen Osten kam es mittlerweile zu Ausschreitungen gegen jüdische Gemeinden. In Damaskus selbst stürmte eine aufgehetzte Menge die Synagoge und verbrannte die Torarollen. Die jüdischen Gemeinden in Europa wurden aktiv, um ihren bedrohten Glaubensbrüdern zu helfen. Öffentliche Treffen und Demonstrationen fanden in London, Paris, New York und Philadelphia statt.
Besonders der Franzose Adolphe Crémieux erreichte schließlich, dass die britische Regierung unter Lord Palmerston sich einschaltete. Außer den Briten trat vor Ort nur der österreichische Konsul von Damaskus, Merlatto, für die inhaftierten Juden ein. Der US-Konsul in Ägypten legte im Auftrag des US-Präsidenten Martin Van Buren förmlich Protest ein. - Nach einem Treffen am 3. Juli 1840 mit dem Londoner Bürgermeister wurden Cremieux und zwei weitere Vermittler, der Orientalist Solomon Munk aus Frankreich und Sir Moses Montefiore aus England, am 4. August nach Alexandria gesandt, um eine unabhängige Untersuchung des Falls zu erwirken. Nach wochenlangen Gesprächen mit dem ägyptischen Gouverneur erhielten sie am 28. August dessen Zusage, die Gefangenen bedingungslos freizulassen und ihre Unschuld öffentlich anzuerkennen. Danach reisten sie nach Konstantinopel und erhielten auch dort vom Sultan eine offizielle Erklärung, dass die Anklage auf Ritualmord haltlos sei. Vier der nun 13 Hauptangeklagten waren jedoch inzwischen im Gefängnis verstorben. Die Leichen Pater Tomasos und seines Dieners wurden nie gefunden.
Wirkungen
Die Affäre zeigte den jüdischen Gemeinden ihre Gefährdung und Isolation in den Großmächten und deren auf fremdem Terrain ausgetragenen Interessengegensätzen. Dies bewirkte ein stärkeres Zusammenrücken und eine große internationale Solidarisierungswelle: So protestierten 15.000 amerikanische Juden in sechs Großstädten der USA für die Freilassung der syrischen Glaubensbrüder. Noch während der Affäre wurden einige zum Teil bis heute bestehende internationale jüdische Zeitungen gegründet, um eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. 1860 gründeten französische Juden unter dem Eindruck der Damaskusaffäre und des Falles Mortara die Alliance Israélite Universelle.
Die Affäre war der Auftakt für die in islamischen Gesellschaften bis dahin unbekannten, nun aber auch hier häufiger vorkommenden Ritualmordbeschuldigungen gegen Juden. Diese wurden dort jedoch fast immer von christlichen Minderheiten aufgebracht.
Der syrische Verteidigungsminister Mustafa Tlass hat 1984 ein Buch The Matzah of Zion veröffentlicht, in dem er den Ritualmordvorwurf gegen Juden mit Bezug auf die Damaskusaffäre erneut bekräftigte.[1][2] In einem Interview mit TeleLiban TV am 3. Januar 2007 griff der libanesische Schriftsteller Marwan Chamoun die Legende vom damaligen Ritualmord erneut auf:[3]
„Ein Priester wurde in Gegenwart zweier Rabbis im Zentrum von Damaskus in der Wohnung eines engen Freundes des Priesters, des Oberhaupts der jüdischen Gemeinde der Stadt - Daud Al-Harari - abgeschlachtet. Nachdem er geschlachtet worden war, wurde sein Blut eingesammelt, und zwei Rabbis nahmen es an sich. Warum? Damit sie ihren Gott anbeten konnten, denn durch das Trinken von menschlichem Blut konnten sie Gott näher kommen.“
Einzelnachweise
- ↑ UN-Bericht vom 10. Februar 2004 (englisch)
- ↑ Jonathan Frankel: The Damascus Affair, "Ritual Murder," Politics and the Jews in 1840, Cambridge University Press, 1997, S. 418 und 421; New York Times, 18. November 2009: An Anti-Jewish Book Linked to Syrian Aide
- ↑ englisches Original zitiert bei Lebanese Poet Marwan Chamoun: Jews Slaughtered Christian Priest in Damascus in 1840 and Used His Blood for Matzos (MEMRI Special Dispatch Series - No. 1453, 6. Februar 2007)
Siehe auch
Literatur
- Jonathan Frankel: The Damascus Affair: „Ritual Murder," Politics, and the Jews in 1840. Cambridge University Press, 1997, ISBN 0521482461
- Ronald Florence: Blood Libel: The Damascus Affair of 1840. University of Wisconsin Press, 2004, ISBN 0299202801
- Paul Gensler: "Die Damaskusaffäre: Judeophobie in einer anonymen Damszener Chronik." Grin Verlag, 2011, ISBN 3656026106
Weblinks
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