Daniel Stern (Psychoanalytiker)

Daniel Stern (Psychoanalytiker)

Daniel Stern (* 16. August 1934 in New York City) ist als Psychoanalytiker und Kinderpsychoanalytiker einer der führenden Spezialisten der Säuglingsforschung.

Er orientiert sich bei seiner empirischen Säuglingsforschung an einem psychoanalytisch orientierten Verständnis der Persönlichkeit, beobachtet aber keine Alltagssituationen, wie dies von seinen psychoanalytischen Vorgängern praktiziert wurde, sondern schafft experimentelle Situationen. Stern wurde im Jahr 1999 mit dem Internationalen Sigmund-Freud-Preis für Psychotherapie ausgezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Forschung und Theorie

Stern unterscheidet beim Neugeborenen direkt nach den ersten Wochen nach der Geburt zwischen sechs Zuständen der Psyche und des Körpers des Säuglings:

  • regelmäßiger Schlaf mit geschlossenen Augen und regelmäßiger Atmung
  • unregelmäßiger Schlaf mit Bewegungen des Gesichts und der Glieder
  • halbwacher Zustand. Die Augen sind geöffnet, es gibt aber keine Aktivität
  • wache Aktivität: die Augen sind weit geöffnet und verfolgen sich bewegende Objekte
  • wache Bewegungen mit diffusen motorischen Bewegungen
  • Unbehagen, das sich durch Schreien ausdrückt

Seine Forschungen werden nur in der vierten Phase durchgeführt. Da Säuglinge selbstverständlich nicht befragt werden können, zeigte Daniel Stern den Babys Bilder, um seine visuellen Präferenzen anhand von der Dauer der Beobachtung der Bilder zu messen. Bilder der Mutter wurden länger angeschaut als Bilder von fremden Personen. Darin sah Daniel Stern den Beweis für die Annahme eines präverbalen, subjektiven Erlebens des Säuglings. Seine Theorie geht davon aus, dass es ein Selbst gibt, das noch lange vor einem Selbstbewusstsein und vor der Sprache existiert. Dieses Selbst ist gekennzeichnet von einem Gefühl des Ganzseins, Intentionalität, einem primitiven Zeitverständnis und Aktivität.

Durch seine Forschung entwickelte er eine Theorie, in der es vier (bzw. fünf) Formen des Selbstgefühls gibt, die aufeinander aufbauen und das ganze Leben erhalten bleiben. Seine Theorie tritt hierbei an die Stelle eines Modells der Entwicklungsphasen und des Triebes. Kritiker bezweifeln die empirische Säuglingsforschung von Daniel Stern, da er sich nur auf eine Phase, nämlich die der wachen Aktivität bezieht.

Auch meinen viele, seine Forschungen seien unzulänglich, da es sich nur um Affekte handelt und tiefer liegende Gefühle ausgeklammert werden. Auch die Ergebnisse der psychoanalytischen Säuglingsforschung werden von Daniel Stern nicht miteinbezogen.

Thesen Sterns zur Entwicklung des Selbst

Aufgrund seiner Forschungen unterteilt Daniel Stern die Entstehung des Selbst in folgende Phasen:

  1. Das auftauchende Selbst (Alter: die Entwicklungsphase des auftauchenden Selbst ist mit 2/3 Monaten abgeschlossen - bis Lebensende)
  2. Das Kern-Selbst (Alter: ab 7/9 Monate bis Lebensende)
  3. Das subjektive Selbst (Alter: ab 15/18 Monate bis Lebensende)
  4. Das verbale Selbst (Alter: ab 15/18 Monaten bis Lebensende)
  5. (Das narrative Selbst = entwickeltere Form des verbalen Selbst, ab ca. 3. - 4. Lebensjahr bis Lebensende)

Auftauchendes Selbst

"Das Berühren eines Objektes kann visuelle Identifikationen des Objektes, ohne es je gesehen zu haben, erlauben [...] Stern vertritt die These, daß Säuglinge die präformierte Fähigkeit besitzen, solche Integrationen herzustellen, und auch bereits mit dem Bedürfnis sowie der Fähigkeit geboren werden, abstrakte Repräsentationen aus den primären Wahrnehmungseigenschaften zu extrahieren."[1]

Kernselbst

Das Kernselbst setzt das Erleben von sogenannten vier Invarianzen voraus:[1]

  • Selbsturheberschaft: Zum Beispiel, zu erleben, dass es dunkel wird, wenn das Kind die Augen schließt.
  • Selbstkohärenz: Das Empfinden, ein körperliches Ganzes als Handlungszentrum zu sein.
  • Selbstaffektivität: Das Erleben immer wieder ähnlicher Gefühlsqualitäten.
  • Selbstgeschichtlichkeit: Gefühl des fortwährenden Seins, das erlaubt, sich zu verändern und dennoch dieselbe Person zu bleiben.

Subjektives Selbst

"Das intersubjektive Selbst wird aus den häufigen Episoden extrahiert und als das innere Arbeitsmodell des entstehenden Selbst betrachtet. Dasjenige Arbeitsmodell, das am besten die meisten Episoden zusammenfassen kann wird konstitutiv. Eine Person mag beispielsweise das [...] Arbeitsmodell über sich selbst haben, das davon ausgeht, daß das durchschnittliche Objekt liebevoll reagiert, stolz auf Erfolge ist und bei Mißerfolgen unterstützend reagiert. Ein solche Modell würde sich immerhin als ‚Urvertrauen‘ abbilden." [1]

Mit anderen Worten wird das Empfinden des Kindes dahingehend erweitert, dass alle bisherigen Vorgänge subjektiv und eigen sind und andere Menschen ihre Empfindungen haben, die sich (teilweise) von denen des Kindes unterscheiden. Es stellt sich die Frage, wie diese Unterscheidungsmöglichkeit entsteht bzw. wie die inneren Zustände anderer "gelesen/erfühlt" werden können. Wichtig sind nach Stern dazu folgende drei Elemente:

Amodale Wahrnehmungsfähigkeit

Die amodale Wahrnehmungsfähigkeit dient der Filterung des Gemeinsamen aus den verschiedenen Wahrnehmungen. Gemeinsamkeit kennzeichnet Stern durch Intensität, Zeit und Gestalt, ohne dass durch diese künstliche Aufteilung des Geschehens in Einzelphänomene als erklärt wäre.

Vitalitätsaffekte

Es handelt sich um Affekte, die Vitalgefühle zum Ausdruck bringen.Im Gegensatz zu den sog. kategorialen Affekten, die bestimmte Affekte als Inhalt haben (Wut, Trauer, Freude etc.), besitzen Vitalitätseffekte keine abgrenzbaren Kategorien, sondern sind am ehesten im Metaphern zu beschreiben ("sich beschwingt fühlen", "Vor Energie platzen", "nicht in die Gänge kommen", "am Boden zerstört sein"...). Diese unterschiedlichen Gefühle, sich lebendig zu fühlen, sind von anderen durch Bewegung, Gestik, Mimik lesbar.

Affekt – Attunement (Abstimmung)

Die Begrifflichkeit ist schwer übersetzbar und meint den ungeheuer komplexen Vorgang, wie zwei Menschen sich in ihrem Rhythmus und ihren Gefühlen aufeinander einstimmen und dann innere Zustände miteinander teilen. Anzuführen wären hier unter anderem das Spiel mit amodalen Entsprechungen zwischen Mutter und Kind, das Umsetzen der Mutter von Bewegungen des Kindes in Laute, Rhythmus und freudige Gestimmtheit des Kindes werden umgesetzt in Kopfnicken etc. Dieses Teilen des inneren Zustandes bewirkt das Herstellen von Gemeinsamkeiten über spielerische Interaktion nuf einer amodalen Ebene.[2]

Verbales Selbst

"Um den 15. bis 18. Monat entwickelt das Kind eine neue subjektive Repräsentationsform, die damit zusammenhängt, daß es an dem Weltwissen der anderen partizipieren kann, in dem [sic] es Wissen durch die Sprache symbolisch abbildet, kommuniziert, teilt und sogar neu schafft." [1]

Siehe auch

Buchveröffentlichungen von Daniel Stern

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Krause, Rainer. (1998). Allgemeine psychoanalytische Krankheitslehre (Band 2). Kohlhammer: Stuttgart. S 172-176
  2. Müller, Vera: Präverbale Welten - Säuglingsforschung und ihr Beitrag zu Theorie und Praxis der Kunsttherapie. In: Hampe, Ritschl, Waser (Hrsg.): Kunst, Gestaltung und Therapie mit Kindern und Jugendlichen. Bremen 1999. Seite 106ff.

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