Das andere Geschlecht

Das andere Geschlecht

Das andere Geschlecht ist ein sozialgeschichtliches Sachbuch der französischen Autorin Simone de Beauvoir, das 1949 in Frankreich unter dem Titel Le Deuxième Sexe („Das zweite Geschlecht“) in zwei Bänden (Les faits et les mythes und L’expérience vécue) erschien. Die deutsche Erstausgabe wurde erstmals 1951 im Rowohlt Verlag in einem Band gedruckt. Auf der Liste der 100 Bücher des Jahrhunderts von Le Monde steht es an elfter Stelle.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte und Bedeutung

Das Buch greift auf zahlreiche kultur- wie sozialgeschichtliche Werke zurück, die von Beauvoir aus feministischer Perspektive neu interpretiert werden. Beauvoir gelang es so, weibliche Sichtweisen und zuvor meist stillschweigend übergangene Erlebniswelten zu entdecken und sie zum Teil des wissenschaftlichen wie politischen Diskurses zu machen. Auch in der nichtakademischen Öffentlichkeit wurde der Ansatz breit und z. T. kontrovers diskutiert. Das Buch hat den Feminismus des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt, insbesondere die Debatten in der Studentenbewegung. In diesem Werk vertritt sie die These, dass die Unterdrückung der Frau gesellschaftlich bedingt sei. Für sie existiert keine irgendwie geartete „Essenz“ der Frau:

„On ne naît pas femme, on le devient.“

„Man ist nicht als Frau geboren, man wird es.“

Simone de Beauvoir

Beauvoir sagt in diesem Werk auch, dass Frauen von den Männern zum „Anderen Geschlecht“ gemacht worden seien. Dies bedeutet in der existentialistischen Terminologie Beauvoirs, dass sich der Mann als das Absolute, das Essentielle, das Subjekt setzt, während der Frau die Rolle der Anderen, des Objekts zugewiesen wird. Sie wird immer in Abhängigkeit vom Mann definiert. Deshalb hat sie mit stärkeren Konflikten zu kämpfen als der Mann. Wenn sie ihrer „Weiblichkeit“ gerecht werden will, muss sie sich mit einer passiven Rolle begnügen, dies steht aber ihrem Wunsch entgegen, sich als freies Subjekt durch Aktivität selbst zu entwerfen.

Beauvoir präsentiert eine äußerst komplexe Analyse der Lage der Frau. Sie diskutiert biologische, psychoanalytische und historische „Fakten und Mythen“ (so der Titel des ersten Teils) und die „gelebte Erfahrung“ der Frau. Stark beeinflusst von der Methodologie der existentialistischen Phänomenologie von Jean-Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty geht sie davon aus, dass keine wissenschaftliche Betrachtung die „Frau“ erklären kann, sondern dass nur die individuelle Erfahrung ausschlaggebend ist.

Nach dem Tod von Simone de Beauvoir am 14. April 1986 schrieb die amerikanische Feministin Kate Millett: „Beauvoir war immer wieder heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Neben der zu erwartenden Kritik aus dem bürgerlich-konservativen Lager legte sie sich auch mit der Linken an, weil sie (vor allem in späteren Jahren) davon überzeugt war, dass sich die Unterdrückung der Frau nicht automatisch im Kommunismus auflösen würde.“

Auch von Feministinnen wurde sie kritisiert. Im Zentrum der Kritik standen dabei meist ihre Beschreibungen des weiblichen Körpers und ihre „Entmystifizierung“ der Mutterschaft. Sie hat viele der späteren Diskussionen im Feminismus beeinflusst und angestoßen und war wegbereitend für die später so genannten Gender Studies.

„Wer hätte je ein Buch geschrieben, dass das Schicksal aller Menschen verändern würde? Es wird Zeit brauchen, voll und ganz zu ermessen, welche Auswirkungen Das andere Geschlecht auf die Sozialgeschichte gehabt hat, auf das Privatleben, das Alltagsbewusstsein und die Wahrnehmung.“

Simone de Beauvoir

Das andere Geschlecht erschien zwischen zwei Wellen der Frauenbewegungen (der „historischen“ bis zum Ersten Weltkrieg und der „neuen“ ab 1970) und steht in der Tradition von Feministinnen wie Olympe de Gouges (1748–1793), Mary Wollstonecraft (1759–1797) oder Virginia Woolf (1882–1941), auf die Beauvoir sich auch beruft. Doch es geht weit darüber hinaus. Beauvoirs umfassende kulturgeschichtliche und soziologische Abhandlung der Lage der Frauen in einer männerdominierten Welt ist der radikalste und visionärste Beitrag zur Emanzipation der Frauen im 20. Jahrhundert.

Das andere Geschlecht ist im Wesentlichen eine dialektisch-materialistische Studie des Daseins der Frau. Es erklärt die Frau nicht als ein geheimnisvolles Wesen, sondern unter dem Gesichtspunkt ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation. Die Versklavung der Frau und ihre Befreiung sind die Folgen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit und wirtschaftlichen Emanzipation.

Thesen

Die Grundlage der Schrift bildet die These: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Die Idee, dass es das „Ewig-Weibliche“ gebe, sei das Vehikel der Unterdrückung durch das Patriarchat. Vieles, was bisher der Frau zugeordnet wurde, wird einer kritischen Untersuchung unterzogen. Konventionelle Ehe und Familie werden als Institutionen zur Unterdrückung der Frauen dargestellt, die es zu überwinden gelte.

Moderne Rezeption

Ab den 1970er Jahren wurde die Rezeption gerade aus feministischer Sicht zunehmend mit einer eher kritischen Sicht auf Beauvoirs Interpretationen verbunden. Dies hängt vor allem mit den theoretischen Spannungen zwischen Differenz- und Gleichheitsfeminismus zusammen.[1] Jedoch ist unumstritten, dass das Buch, das allgemein als Hauptwerk Beauvoirs gilt, ein Klassiker der Frauenbewegung ist.

In Deutschland beruft sich insbesondere Alice Schwarzer auf die Ideen Simone de Beauvoirs.

Ausgaben

  • Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Ins Deutsche übersetzt von Eva Rechel-Mertens (Band 1) und Fritz Montfort (Band 2). Rowohlt, Hamburg 1951; Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg 1968, ISBN 3-499-16621-6
  • Das andere Geschlecht. Eine Deutung der Frau. Von Marianne Langewiesche gekürzte und bearbeitete Sonderausgabe. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 1960 (Rowohlts deutsche Enzyklopädie, Bd. 99)
  • Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Aus dem Französischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 1992; Neuausgabe ebd. 2000, ISBN 3-499-22785-1

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Brigitte Rauschenbach (2008): Gleichheit, Differenz, Freiheit? Bewusstseinswenden im Feminismus nach 1968 (PDF-Datei; 238 KB). In: gender politik online, abgefragt am 14. April 2011.

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