Das eherne Gesetz der Oligarchie

Das eherne Gesetz der Oligarchie
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Das Eherne Gesetz der Oligarchie (ehern: gehobenes Deutsch für „aus Erz“ [Eisen] im Sinne von „hart, ewig während“ [„Eisernes Gesetz“]; Oligarchie: griechisch für „Herrschaft Weniger“) ist eine 1911 vorgelegte politische Theorie zur innerparteilichen Demokratie des deutsch-italienischen Soziologen Robert Michels (1876-1936). Die Theorie geht davon aus, dass Führungsgruppen in Organisationen zwangsläufig zunehmend an den eigenen Interessen (persönliche Privilegien, Sicherung der Organisation) interessiert seien, als an den Zielen, Interessen und dem Willen der Gruppe selbst (Verselbstständigung der Führung). Sie versuchten nach Michels, die soziale Basis (Massen) zu bestimmen (Parteidisziplin), auch dann, wenn die herrschende Weltanschauung dieser Gruppierungen das Gegenteil anziele. Michels baute auf Arbeiten Gaetano Moscas (Politische Klasse) auf.

Inhaltsverzeichnis

Michels' Ausgangspunkt

Als Michels dieses Theorem formulierte, verstand er sich als Anarchosyndikalist (später wandte er sich dem fascismo Mussolinis zu). Die Theorie erschien 1911 in Michels' Klassiker der ParteienforschungZur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens“, den Michels zu den oligarchischen Strukturen in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands verfasste.

Theorie

Voraussetzung für die Demokratie im Staat oder in einer politischen Partei, ist, dass die Entscheidungsfindung beim Volk oder den Mitgliedern liegt. Nach Michels ist es dafür nötig, dass sich eine Organisation und Führung herausbilde, die die Aufgabe der Koordination übernehme. Die Masse verzichte dafür auf Souveränität, die von der Führungsschicht als Macht wahrgenommen und sogleich gefestigt und verteidigt werde.

Seine theoretische Formulierung besagt, dass jede Organisation, gleich wie demokratisch oder autokratisch sie zu Beginn gewesen sein mag, schließlich und unweigerlich zur Oligarchie führe. Besonders in großen Gruppen und komplexen Organisationen sei eine wahre Demokratie (direkte Selbstregierung) unmöglich.

Michels legt dar, dass das Eherne Gesetz der Oligarchie eintrete, da die Delegation von Aufgaben in jeder Organisation notwendig sei. Diese Delegation führe zur Bildung eines Bildungsvorsprungs von Organisations- und Fachwissens einer Führungsschicht (heute Führungselite, Management), die versuche, ihren Führungsanspruch zu verteidigen und an ihren Ämtern festzuhalten (Unentbehrlichkeit).

Bürokratisierung und Spezialisierung seien die treibende Kraft hinter dem Gesetz. Durch sie bilde sich durch Arbeitsteilung eine spezialisierte Gruppe von Administratoren in einer Ämterhierarchie (Linienorganisation, Zentralismus). Dies führe zu einer Rationalisierung und Routinisierung der Herrschaft (Finanzen, Presse, Bürokratie, Konkurrenz) und Entscheidungsfindung, und somit zu einer inneren Machtkonzentration mit einer Verselbstständigung der Führung, die sich selbst rekrutiere (Führungsbedürfnis, Gewohnheitsrecht, Inkompetenz der Masse). Das Anwachsen dieses Organisationsgrades führe zu einem Verlust der innerorganisatorischen Demokratie, einem Verlust der Dynamik der Gruppe (Trägheit der Apparate), fördere konservative Mechanismen und eine Verselbständigung des Organisationsapparats, und führe letztendlich zu einer Zweiteilung der Organisation und einer Entfremdung von den Mitgliedern.

Dieser Prozess wurde zuerst von Max Weber beschrieben, er wird auch in einem geringeren, aber auch zynischerem Maße, durch das Peter-Prinzip erklärt.

Kritik

Michels' „Gesetz“ ist kein solches im juristischen oder naturwissenschaftlichen Sinn. Im Grunde überträgt es Gesetzmäßigkeiten der Kapitalakkumulation (vgl. Marxismus) auf solche der Machtakkumulation. Starke Kritik erfuhr es stets aus Kreisen der angesprochenen Oligarchien selbst, 1911 also von der SPD, später von der KPD. Die soziologische Kritik sah es als sehr pauschal an und vermisste die Differenzierung der Oligarchieformen und die Berücksichtigung externer Effekte.

Praxis

In der Praxis gilt das Eherne Gesetz der Oligarchie als methodisch übersimplifiziert, zu pauschal, überholt, aber als Tendenzprognose nicht leicht widerlegbar. Ohne Engagement, Mitverantwortung, Motivation, demokratische Mitwirkung, Teamarbeit und (betriebliche) Partizipation der Mitglieder einer freiwilligen Organisation besteht die Gefahr eines Stillstandes oder einer Abwanderung. Gegen eine Oligarchisierung gilt als Mittel der Wahl eine Platzierung mehrerer elitärer und konkurrierender Führungsgruppen (Föderalismus, geheime Wahlen). Fachlich kompetente Mitglieder einer Organisation können in die Führung aufsteigen.

Michels beschrieb in seiner Fallstudie zur innerparteilichen Demokratie und Entscheidungsstruktur der SPD außerhalb von Protokoll und Satzung liegende informelle, existierende Machtstrukturen. Aus seinen Erkenntnissen zur SPD der damaligen Zeit leitete er übertrieben ein generelles Gesetz ab. Er vermischte unbotmäßig Aspekte des Führerkultes mit Aspekten der Massenpsychologie.

Trotz wiederholter Fehler in seinen Theorien gilt Michels auf Grund des innovativen Ansatzes, Organisationssoziologie vor Ort zu betreiben sowie informelle Strukturen zu durchleuchten, als Klassiker der politischen Organisationsforschung.

Die Grünen

Während der 1970er und 1980er Jahre unternahm die deutsche Partei Die Grünen den bewussten Versuch, das Gesetz zu widerlegen. Es gab keine beständigen Aufgabenbereiche oder Bevollmächtigten. Jede kleinste, routinemäßige Entscheidung konnte zur Diskussion und Abstimmung gestellt werden. Als die Mitgliederzahl noch gering war, hatten diese anti-oligarchischen Maßnahmen einigen Erfolg. Als die Partei jedoch wuchs und erfolgreicher wurde, veranlasste das Bestreben, in Wahlen mit anderen Parteien zu konkurrieren, Geldmittel zu beschaffen, große Veranstaltungen und Demonstrationen zu veranstalten und mit gewählten Parteien zu kooperieren, die grüne Partei dazu, konventionellere Strukturen und Arbeitsweisen aufzugreifen. Aus der Frühzeit der Partei stammt das sogenannte Rotationsprinzip, die Trennung von Amt und Mandat sowie die Doppelspitze bei der Partei- und Fraktionsführung.

Siehe auch

Literatur

  • Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Klinkhardt, Leipzig 1911
    • 2., vermehrte Auflage, Philosophisch-soziologische Bücherei 21, Alfred Körner, Leipzig 1925
    • 4. Auflage, herausgegeben und mit einer Einführung versehen von Frank R. Pfetsch, Kröners Taschenausgabe, Bd. 250, Kröner, Stuttgart 1989, ISBN 3-520-25004-7
    • Hans Maier (u. a.): Klassiker des politischen Denkens, Bd. 1: Von Plato bis Hobbes, 5. Auflage, Beck, München 1979. Michels, Robert: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, Leipzig 1911, ISBN 3-406-02517-X
  • Maurizio Bach: Robert Michels, “Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens“, In H.P. Müller und M. Schmid (Hrsg.), Hauptwerke der Ungleichheitsforschung, Westdeutscher Verlag, Opladen Juni 2003, S. 180 - 181, ISBN 3-531-13320-9
  • Manfred G. Schmidt: Wörterbuch zur Politik. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Kröner, Stuttgart 2004, ISBN 3-520-40402-8
  • Till Westermayer: Parteiinterner Einsatz neuer Medien und die Macht der Eliten: Beginnt das eherne Gesetz der Oligarchie zu brechen oder droht die Rückkehr zur Kaderpartei?. In: Arne Rogg-Pietz (Hrsg.): Wie das Internet die Politik verändert. Einsatzmöglichkeiten und Auswirkungen. Leske + Budrich, Opladen 2003, S. 105-115.
  • Andreas Ladner: Parteiinterne Demokratie, Einfluss- und Machtverhältnisse.. In: A. Ladner, M. Brändle (Hrsg.): Die Schweizer Parteien im Wandel. Seismo Verlag, Zürich 2001, S.225-259
  • Joachim Hetscher: Robert Michels: Die Herausbildung der modernen politischen Soziologie im Kontext von Herausforderung und Defizit der Arbeiterbewegung. Pahl-Rugenstein, Bonn 1993, Zugleich: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1991, ISBN 3-89144-141-X
  • Suzanne S. Schüttemeyer: Innerparteiliche Demokratie: „Ehernes Gesetz der Oligarchie?“. In: Peter Haungs, Eckhard Jesse (Hrsg.): Parteien in der Krise? In- und ausländische Perspektiven. Köln 1987, S. 243-247
  • W. Grunwald: Das „Eherne Gesetz der Oligarchie“: Ein Grundproblem demokratischer Führung in Organisationen. In: W. Grunwald & H.-G. Lilge (Hrsg.): Partizipative Führung: betriebswirtschaftliche und sozialpsychologische Aspekte. Huber, Bern 1980, S. 245-28
  • Ulrich Lohmar, Innerparteiliche Demokratie. Eine Untersuchung der Verfassungswirklichkeit politischer Parteien in der Bundesrepublik Deutschland.. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1968
  • Maurice Duverger, Die politischen Parteien, Tübingen 1959.

Weblinks


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