Deir Jassin

Deir Jassin
Kartenausschnitt von Deir Yasin

Deir Yasin (auch Deir Jassin, arab. دير ياسين Dair Yāsīn bzw. im palästinensischen Dialekt Dēr Yāsīn) ist ein arabisches Dorf, heute Teil des im Nordwesten Jerusalems gelegenen Giw'at Scha'ul, in dem am 9. April 1948 ein Massaker stattfand.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund, Massaker und Folgen

Die zionistischen militärischen Untergrundorganisationen (Terrorgruppen) Irgun Tzwai Le’umi (IZL) und Lechi (LHI) ermordeten laut zeitgenössischen Berichten eines der Irgun-Kommandeure bei dieser Aktion, Mordechai Ra'anan,[1], ca. 254 Zivilisten.[2] Die Anzahl der Opfer wurde wahrscheinlich absichtlich überhöht angegeben (tatsächlich nimmt man heute eine Opferzahl von rund 110 bis 120 an), um Angst und Schrecken bei der palästinensischen Bevölkerung zu verbreiten und sie zur Flucht und Aufgabe ihrer Siedlungsräume zu verleiten und trug maßgeblich zum so genannten Palästinensischen Exodus (1948 Palestinian exodus) bei.[2][3] Das Massaker wurde offiziell von allen Seiten verurteilt, einschließlich der Hagana und der Jewish Agency.[4]

Die Gewalttat löste Panik unter der arabischen Bevölkerung aus. Infolge dieses Massakers und aus weiteren Gründen waren bis zum eigentlichen Beginn des Palästinakriegs am 14. Mai 1948 – also binnen 35 Tagen – bereits zwischen 250.000 und 300.000 arabische Palästinenser geflohen oder wurden vertrieben. Die Schockwirkung des Massakers war auch deswegen groß, weil Deir Yasin als ein „kooperatives” Dorf galt, das versucht hatte, sich mit der wachsenden jüdischen Präsenz in Palästina zu arrangieren. Dass ausgerechnet hier eine solche Bluttat verübt wurde, hat der Radikalisierung unter der arabisch-palästinensischen Bevölkerung Vorschub geleistet. Inwiefern diese Reaktion wiederum von den Verantwortlichen des Massakers vorhergesehen und womöglich bewusst angestrebt wurde, ist unter Historikern umstritten.

Die Aktion wurde vom späteren israelischen Premierminister und Friedensnobelpreisträger Menachem Begin kommandiert. Begin verteidigte auch später noch das Massaker: „Das Massaker von Deir Jassin hatte nicht nur seine Berechtigung – ohne den ,Sieg‘ von Deir Jassin hätte es auch niemals einen Staat Israel gegeben.“[5] Die Tat wurde später in der innenpolitischen Debatte gegen Begins Partei Cherut und Likud verwendet. Der Anteil der Hagana blieb unklar.

Vier Tage später, am 13. April 1948, erfolgte ein Angriff arabischer Freischärler am Skopus-Berg auf einen Sanitätskonvoi, bei dem 77 Juden starben und 23 verletzt wurden, die meisten davon Ärzte und Krankenschwestern. Dieser Anschlag wird als Vergeltungsmassnahme mit Deir Yassin in Verbindung gebracht.

Verweise

Literatur

  • Jörg-Uwe Albig u.a.: Die Geschichte des Judentums. 3000 Jahre Glaube und Kultur; von König David bis zur Gründung des Staates Israel (GEO-Epoche; 20). Gruner + Jahr, Hamburg 2005, ISBN 3-570-19598-8, S. 153.
  • Noam Chomsky: Offene Wunde Nahost. Israel, die Palästinenser und die US-Politik. Aktualisierte Auflage. Europa-Verlag, Hamburg 2003, ISBN 3-203-76017-7.
  • James L. Gelvin: The Israel-Palestine Conflict. One Hundred Years of War. University Press, Oxford 2008, ISBN 0-19-532758-6.
  • Marvin E. Gettleman, Stuart Schaar (Hrsg.): The Middle East and Islamic World Reader. Grove Press, New York 2003, ISBN 0-802-13936-1, S. 155.
  • Ted Gottfried: The Israelies And Palestinians. Lerner Publications, Minneapolis, MN 2000, ISBN 0-761-31859-3, S. 28-29.
  • Ilan Pappe: A History of Modern Palestine. One Land, Two Peoples. 2. Auflage. CUP, Cambridge 2007, ISBN 978-0-521-68315-9.
  • van Oord, Lodewijk: De bruid is prachtig. De etnische zuivering van Palestina. In: Tijdschrift voor Geschiedenis, 2. 2008, S.177-189

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Benny Morris, The Palestinian Refugee Problem Revisited, Cambridge University Press, 2004 p.294 n.566
  2. a b Milstein 1999, p.388 ("the leaders of ETZEL, LEHI, Hagana and MAPAM leaders had a vested interest in spreading the highly inflated version of the true facts") and pp.397-399.
  3. Morris 2004, p.239: "IZL leaders may have had an interest, then and later, in exaggerating the panic-generating effects of Deir Yassin, but they were certainly not far off the mark. In the Jerusalem Corridor area, the effect was certainly immediate and profound."
  4. Sachar, p.333: "The most savage of these reprisal actions took place on April 9, 1948 ... the deed was immediately repudiated by the Haganah command, then by the Jewish Agency"
    Morris 2001, p.208: "the Jewish Agency and the Haganah leadership immediately condemned the massacre".
  5. Markus A. Weingardt: Deutsche Israel- und Nahostpolitik. Campus Verlag 2002, ISBN 359337109X, S. 33.

31.78647535.1780333333337Koordinaten: 31° 47′ 11,3″ N, 35° 10′ 40,9″ O


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