Deutschblütig

Deutschblütig

Die Bezeichnung „deutschblütig“ – oder auch entsprechend „deutschen Blutes“ – wurde in der Zeit des Nationalsozialismus als juristischer Terminus in den Nürnberger Rassegesetzen verwendet. Im Geschäftsverkehr sollte die im Reichsbürgergesetz verwendete Definition einer Person „deutschen oder artverwandten Blutes“ bereits 1935 durch das Wort „Deutschblütiger“ ersetzt werden.[1] Tatsächlich aber fand die Formel deutschen oder artverwandten Blutes weiter Verwendung, unter anderem auch im Reichsgesetzblatt des Jahres 1939.[2] Unklar blieb bis ins Jahr 1942, wie das Adjektiv „artverwandt“ auszulegen sei.

Inhaltsverzeichnis

1933: „arisch“

Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933 verwendete die Formel „nicht arischer Abstammung“, um im Sinne nationalsozialistischer Weltanschauung jüdische Beamte definieren zu können.

„Nicht arisch“ war in diesem Sinne bedeutungsgleich mit „jüdisch“. Nationalsozialistische Wissenschaftler wiesen auf eine gebräuchliche Gleichsetzung von „arisch“ mit „indogermanisch“ hin und empfahlen, stattdessen „nichtjüdisch“ oder „deutschblütig“ zu benutzen.[3] 1935 definierte eine Enzyklopädie: „Vereinzelt sind sie [die Arier] mit der nordischen Rasse gleichgesetzt worden. Im völkischen, rassekundlichen Sinne wird der Begriff heute [i. e. 1934/1935] als Sammelname der europ. Hauptrassen (nordisch, westisch, ostisch, ostbaltisch, dinarisch) gebraucht, und zwar hauptsächlich als Gegensatz zu den nicht ursprünglich europ. Rassen (bes. der vorderasiatischen und orient. Rasse, den Hauptbestandteilen des jüd. Volkes).“[4]

Hochrangige Vertreter des Reichsjustizministeriums, des Rasse- und Siedlungshauptamtes sowie Ernst Rüdin vom Reichsinnenministerium schlugen im Juni 1935 eine andere Bezeichnung anstelle von „Arier“ vor: Es solle unterschieden werden zwischen „Deutschstämmigen“ aus Deutschland und dem germanischen Lebensraum, „Stammesverwandten“ aus angrenzenden Nachbarstaaten und „Fremdstämmigen“ ohne jede „blutsmäßige Verbindung zum deutschen Volke“.[5] Bei künftigen Verordnungen sollten demzufolge Angehörige befreundeter Länder wie Japan nicht mehr als „Nicht-Arier“ eingeordnet und diskriminiert, sondern als „stammesverwandt“ von Benachteiligungen befreit werden.

1935: „deutschblütig“

Wenige Monate später wurden die Nürnberger Rassegesetze verabschiedet, in denen nicht mehr die Formel „arischer Abstammung“ als Gegenstück zu „Jude“ gebraucht wird, sondern von Reichsbürgern als Staatsangehörige „deutschen oder artverwandten Blutes“ die Rede ist. Ein Runderlass des Preußischen Ministeriums des Inneren vom 26. November 1935 bestimmte, dass nunmehr „im Geschäftsverkehr für eine Person deutschen oder artverwandten Blutes der Begriff ‚Deutschblütiger‘ zu verwenden“ sei.[6]

Bereits das 25-Punkte-Programm der NSDAP aus dem Jahre 1920 enthielt den Grundsatz, dass Staatsbürger oder Volksgenossen nur Personen „deutschen Blutes“ sein sollten; der Begriff „arisch“ wurde dort nicht verwendet.[7] Als „deutschblütig“ galten Personen, die von deutschen Vorfahren abstammten.[8]

Uneinheitlicher Sprachgebrauch

Tatsächlich blieben jedoch Ausdrücke wie „arisch“, „Arier“, „Ariernachweis“ oder „Arierparagraph“ weiterhin zumindest im allgemeinen Sprachgebrauch erhalten; „arisch“ wird noch 1940 in einer amtlichen Verordnung als Erläuterung für „deutschblütig“ beigefügt.[9] Auch die Formel „deutschen oder artverwandten Blutes“ verschwand nicht spurlos: In einem Erlass betreffend die Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939 zum Beispiel werden Bewohner „deutschen oder artverwandten Blutes“ nach Maßgabe näherer Vorschriften zu deutschen Staatsangehörigen erklärt.[10] Auslegungsfähig und unpräzise blieb lange Zeit der Terminus „artverwandten Blutes“.

„Artverwandt“

Im Zusammenhang mit der Rekrutierung zur Waffen-SS, die Freiwillige aus Skandinavien, den Niederlanden und Flandern aufnahm, erließ Heinrich Himmler am 23. März 1942 eine geheime Anordnung, wonach „germanische“ Völker als „artverwandtes Blut“ zu gelten hätten, während „nichtgermanische Völker“ und insbesondere Slawen nicht dazu gehören sollten. Ein Kommentar zur „Rassen- und Erbpflege“ führte dazu näher aus: „Zu den Trägern artverwandten Blutes gehören die Angehörigen derjenigen Völker, die im wesentlichen von denselben Rassen abstammen wie das deutsche Volk.“ Hierzu zählten die nordischen Völker einschließlich der Engländer, aber auch Franzosen, Italiener und weitere, soweit sie sich „artrein“ erhalten hätten. Die Zugehörigkeit zu einem dieser Staaten reiche indes für die Beurteilung von „artverwandt“ oder „artfremd“ nicht aus; es käme auf die persönlichen rassebiolologischen Merkmale an.[11]

Isabel Heinemann spricht in diesem Zusammenhang von „einer begrifflichen Neufassung“: „Waren bisher Norweger wie Russen in der nationalsozialistischen Rassentheorie als ‚artverwandtes Blut‘ bezeichnet worden, so unterteilte man nun statt dessen in ‚germanische‘ (‚stammesgleiche‘) und ‚nichtgermanische‘ ('nichtstammesgleiche') Völker sowie ‚wiedereindeutschungsfähige Angehörige nichtgermanischer Völker‘ mit Sonderstatus.“[12]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. durchges. u. überarb. Aufl., Berlin 2007, ISBN 978-3-11-019549-1, S. 57.
  2. RGBl. 1939 I S. 2042, § 6
  3. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. durchges. u. überarb. Aufl., Berlin 2007, ISBN 978-3-11-019549-1, S. 57.
  4. Der Große Brockhaus – Ergänzungsband A–Z, Leipzig 1935, Stichwort „Arier“
  5. Isabel Heinemann: „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“ – Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS & die rassenpolitische Neuordnung Europas. Göttingen 2003, ISBN 3-89244-623-7, S. 81.
  6. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. durchges. u. überarb. Aufl., Berlin 2007, ISBN 978-3-11-019549-1, S. 57.
  7. Lemo: 25-Punkte-Programm, Punkt 4
  8. Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. 3. Aufl., Mannheim 1999, ISBN 3-411-04753-4 (formal falsche ISBN) (neue ISBN 3-411-70362-8), Bd. 2, S. 798.
  9. Siehe Verordnung über den Nachweis deutschblütiger Abstammung vom 1. August 1940
  10. Erlaß des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939 (RGBl. I S. 2042, § 6 Abs. 1)
  11. Stuckart/Schiedermair: Rassen und Erbpflege in der Gesetzgebung des Reiches. 3. erw. Aufl. 1942; zitiert nach Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. durchges. u. überarb. Aufl., Berlin 2007, ISBN 978-3-11-019549-1, S. 71.
  12. Isabel Heinemann: „Rasse, Siedlung, deutsches Blut“ – Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS & die rassenpolitische Neuordnung Europas. Göttingen 2003, ISBN 3-89244-623-7, S. 476.

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