Slawen

Slawen
Staaten mit mehrheitlich slawisch sprechender Bevölkerung (hellgrün Westslawen, mittelgrün Ostslawen und dunkelgrün Südslawen)

Als Slawen wird eine Gruppe von Völkern bezeichnet, die eine slawische Sprache sprechen und die vor allem Ostmitteleuropa, Osteuropa und Südosteuropa bewohnen. Die slawischen Sprachen sind neben den germanischen, romanischen und keltischen Sprachen eine der Hauptgruppen der indogermanischen Sprachfamilie in Europa.

Staaten mit mehrheitlich slawischer Bevölkerung sind Russland, die Ukraine, Polen (einschließlich der Minderheit der Kaschuben), Tschechien, Weißrussland, die Slowakei, Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Bulgarien, Republik Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Große slawische Minderheiten leben in Kasachstan, Moldawien, Litauen, Estland und Lettland.

Im deutschen Sprachraum gibt es außer der großen Bevölkerungsgruppe slawischer Zuwanderer die anerkannten einheimischen slawischen Minderheiten der Sorben in der Lausitz, der Kroaten im Burgenland, der Tschechen und Slowaken in Wien und Slowenen in Kärnten sowie der Steiermark.

Inhaltsverzeichnis

Sprachen

Die slawischen Sprachen gehören zur Satemgruppe (Satemsprachen) innerhalb der indogermanischen Sprachen und stehen hier den baltischen Sprachen am nächsten. Man unterscheidet i.d.R. Ostslawisch, Westslawisch uns Südslawisch. [1]

Es ist jedoch umstritten, ob sich die baltischen und slawischen Sprachen aus einer gemeinsamen Protosprache entwickelt haben oder ob die vorhandenen Gemeinsamkeiten sich erst durch die benachbarte geographische Lage und den daraus folgenden kulturellen Kontakt ergaben (siehe dazu Balto-slawische Hypothese). Außer den zahlreichen Gemeinsamkeiten mit Griechisch, Latein und den germanischen Sprachen (Mündung = norwegisch os (u:s), russisch ust'e (ustʲɛ), lateinisch ostium) gibt es auch solche mit Wörtern aus iranischen Sprachen. Die zahlreichen, teilweise als sehr alt eingeschätzten Lehnwörter germanischen Ursprungs werden auf intensive Kontakte zwischen Slawen und Goten zurückgeführt. Ob diese erst in Südosteuropa bestanden, oder ob schon die gotische Kultur an Weichsel und Ostseeküste eine auch slawische Unterschicht umfasste, ist strittig.[2] Das nicht-indoeuropäische Ungarisch hat die Namen der meisten Wochentage und einige andere zivilisatorische Begriffe aus slawischen Sprachen übernommen.

Verbreitung der slawischen Sprachen

Ursprünge und Ausbreitung

Das Römische Reich unter Hadrian (Regierungszeit 117-138 n.Chr.). Der Siedlungsraum der Venedi lag zu der Zeit zwischen Ostsee und Karpaten
Die Ausbreitung der slawischen Sprache im 5. bis 10. Jahrhundert

Die Forscher sind noch immer auf der Suche nach dem Ursprungsgebiet der Slawen. Da die slawische Schrift erst im 9. Jahrhundert entwickelt wurde (Glagolitische Schrift) und die frühen Slawen abseits der lese- und schreibkundigen Zivilisation lebten, sind schriftliche Aufzeichnungen über sie rar.

Plinius der Ältere, Tacitus und Ptolemäus von Alexandria erwähnen ab dem 1. Jahrhundert in unterschiedlicher Schreibweise ein Volk der Venedi, Venethi, Venadi oder Ouenedai, das östlich der Weichsel beziehungsweise an der Danziger Bucht siedelte. Somit wird es – schon geografisch – auch eindeutig von den Venetern des Alpenraumes unterschieden. Sie unterscheiden dieses Volk auch explizit von den in den Jahrhunderten um die Zeitenwende dort neu eingewanderten germanischen Vandalen. Erst später kam es zur Vermengung beider Bezeichnungen, die bei Jordanes im 6. Jahrhundert greifbar ist.[3] Jordanes erwähnt in seinem Geschichtswerk Getica (6. Jahrhundert) drei Stämme desselben Ursprungs: Venethi (Veneter/Wenden), Antes (Anten) und Sclaveni (Slawen).[4] Laut ihm siedelten die Wenden ursprünglich an der Weichsel, die Slawen zwischen Weichsel und Donau und die Anten zwischen Dnister und Don. Eine ethnische Kontinuität von Venedi und Wenden wird angezweifelt.[5] Die Vorbehalte stützen sich auf das späte Auftreten zweifelsfrei den Slawen zuzuordnender Keramik. Diese so genannte frühslawische Keramik zeichnet sich jedoch im Wesentlichen durch ihre Einfachheit und Unscheinbarkeit aus. Zwischen den älteren Kulturen derselben Region und der frühslawischen Keramik liegen die Hinterlassenschaften des Gotensturms, und die Getica des Jordanes berichtet von der Unterwerfung der verschiedenen Völker durch die Goten.

Der Name Slawen (Sklavenoi) taucht in oströmischen Quellen zum wohl ersten Mal bei Pseudo-Kaisarios im 6. Jahrhundert auf. Unter Kaiser Justinian I. (527–565) gerieten Slawen und Anten dann erstmals in das Blickfeld oströmischer Chronisten wie Prokopios von Caesarea, Jordanes, Agathias, Menander Protektor und Theophylaktos Simokates. Sie berichten von zahlreichen Sklavinen (Slawen) und Anten, die aus den Karpaten, der unteren Donau und vom Schwarzen Meer kommend in die Donauprovinzen des Oströmischen Reiches einfielen. Prokopios schrieb, dass Anten und Slawen in fast allen Dingen gleich gewesen seien, gleiche Bräuche gehabt und dieselbe Sprache gesprochen hätten. In der modernen Forschung ist aber umstritten, ob die Anten slawischer Herkunft waren; andere Hypothesen gehen unter anderem von iranischer Herkunft aus.[6] Das Strategikon des Maurikios stellt Slawen als fähige Schwimmer und Taucher dar, die in Sümpfen und im Gebirge zu Fuß als Guerilla kämpften und Bogenschützen und Speerwerfer stellten.

Manche Quellen zeugen von geringer Sachkenntnis. So behauptet eine arabische Quelle, die Slawen hätten keine Landwirtschaft gekannt. Im 10. Jahrhundert schrieb Al-Mas'udi, das Reich der Bulgaren reiche bis in den Bereich der Mitternachtssonne, und das größte slawische Volk seien die Deutschen. Im selben Jahrhundert beschrieb dagegen Ibrahim ibn Jaqub westslawische Gebiete detaillierter als viele mitteleuropäische Autoren derselben Zeit.

Im 19. und 20. Jahrhundert wurde in oft erbitterten und zumeist nationalistisch gefärbten Debatten eine „Urheimat“ der Slawen gesucht, da man sich „Völker“ nur als homogene Einheiten vorstellen konnte. Inzwischen wurde jedoch erkannt, dass die verschiedenen historischen Disziplinen wie Archäologie, Historiographie und Sprachwissenschaft eigene, spezifische Quellen und Aussagemöglichkeiten besitzen, die sich nicht ohne Weiteres zu einem Gesamtbild zusammenfügen lassen. Sie alle haben jedoch große methodische Schwierigkeiten, mit Hilfe ihrer Quellen der Ethnogenese näherzukommen. Vor allem polnische und tschechische Wissenschaftler nahmen an, dass die vorgeschichtlichen Slawen mit der Lausitzer Kultur zu identifizieren sind. Deutsch- und englischsprachige Wissenschaftler lehnten diese These überwiegend als spekulativ ab.

Erst mit ihrer Erwähnung in den oströmischen Quellen werden die Slawen als historische Größe greifbar, wobei diese Großgruppe keineswegs als ethnisch homogene Gruppierung aufgetreten sein muss, wenngleich sie von außen als solche gesehen wurde. Neu entstandene Großverbände der Völkerwanderungszeit waren meistens fragil und polyethnisch zusammengesetzt, das heißt, sie setzten sich aus Personen und Gruppen unterschiedlicher Herkunft zusammen, die allein durch den Glauben an eine gemeinsame Ideologie und Kultur sowie eine gemeinsame Abstammung zusammengehalten wurden, sich aber nicht zwangsläufig tatsächlich auch auf eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Sprache begründen mussten. Ethnogenese ist ein historischer Prozess, an dessen Ende in diesem Fall das historisch greifbare "Volk" der Slawen stand. Für die Bildung der slawischen Sprache (Topogenese) konnte mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Gebiet zwischen mittlerer Weichsel beziehungsweise Bug und mittlerem Dnepr herausgearbeitet werden. Doch nicht allein Wanderungen der Träger dieser Sprache, sondern auch die Assimilation von Menschen verschiedener Herkunft führte zu der „Slawisierung“ Ostmittel- und Osteuropas. Ein einheitliches (proto-)slawisches „Urvolk“ hat es dagegen, wie bei allen Völkern, sicherlich nicht gegeben. Gegen die Ansicht mancher Forscher, bei den Slawen habe es sich einfach um ein Konglomerat jener Menschen gehandelt, die an den Zügen der Völkerwanderung zunächst nicht teilgenommen hatten, spricht zunächst zwar die große Ähnlichkeit der slawischen Sprachen untereinander. Andererseits kennt man auch andere Beispiele (Hunnen, Türken) dafür, dass sich Gruppen unterschiedlicher Herkunft zu einem neuen Verband mit gemeinsamer Sprache zusammenschlossen.

In den folgenden Jahrhunderten besiedelten Slawen auf diese Weise allmählich weite Gebiete Mitteleuropas und Osteuropas, die sich vom Schwarzen und Ägäischen Meer bis zur Ostsee und dem Ilmensee sowie von der Elbe, Saale, dem Böhmerwald, dem Inn, den Alpen und dem Mittelmeer, der Adria bis zum oberen Don und unteren Dnepr erstreckten.

Ausbreitung der heutigen Westslawen

Gegen Ende des 5. Jahrhunderts wurde der mittlere Donauraum (die heutige Slowakei, Ungarn, wohl auch das heutige Südmähren) und in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts auch Böhmen besiedelt. Gleichzeitig begannen die Slawen nach dem Abzug der Langobarden, sich von der Donau aus über Pannonien, Noricum und Karnien auszubreiten und siedelten sich allmählich in dem Gebiet des heutigen Oberösterreich, Niederösterreich, der Steiermark, Kärnten, Krain und Tirol an. Um 600 und im Verlauf des 7. Jahrhunderts dehnte sich das slawische Siedlungsgebiet bis an Elbe und Saale aus, weiter südlich in die Flussgebiete von Main bis Ochsenfurt und Naab. Vom heutigen Polen war nur der äußerste Nordosten nicht slawisch. Dort siedelten die baltischen Prußen.

Südliche Westslawen

Die südlichen Westslawen bildeten um 623, als Reaktion auf die Besetzung Pannoniens durch die Awaren in den 60er-Jahren des 6. Jahrhunderts, das Reich des Samo mit vermutetem Mittelpunkt im südlichen March-Raum.

Danach existierten gegen Ende des 8. Jahrhunderts das Mährische Fürstentum im südlichen March-Gebiet sowie das Nitraer Fürstentum (Neutraer Fürstentum) in der heutigen Slowakei, durch deren Vereinigung 833 das Großmährische Reich entstand, das dann schnell expandierte. Schriftsprache war das kyrillisch geschriebene Altkirchenslawisch. Anfang des 10. Jahrhunderts zerfiel das Reich unter der Invasion der nomadischen Stämme der Ungarn (Magyaren). Die Bewohner des zentralen Groß-Mähren werden in slawischen Texten als slověne, das heißt Slawen, oder als „mährische Völker“ bezeichnet.

Als slověne wurden damals auch die Slawen im heutigen Ungarn, Slowenien und Slawonien bezeichnet. Noch heute ist die begriffliche Abgrenzung nicht scharf: Slovenka bedeutet auf Slowenisch „Slowenin“, auf Slowakisch „Slowakin“. Slovenski („slowenisch“ auf Slowenisch) und slovenský („slowakisch“ auf Slowakisch) unterscheiden sich nur durch den slowakischen Dehnungsakzent.

Nach dem Ende des mährischen Reiches traten neue Machtzentren hervor, aus denen sich heutige Staaten entwickelt haben, das Reich der Přemysliden in Böhmen, Grundlage des heutigen Tschechien, und das der Piasten in Polen. Die heutige Slowakei kam Stück für Stück, großenteils bis 1100, unter die Herrschaft der Magyaren und war jahrhundertelang der Norden des Königreichs Ungarn (vgl. Austroslawismus).

Nachbau eines slawischen Handelsschiffes
Wallanlage in Oldenburg / Holstein
Slawische Burg
Slawen beim Bau einer Inselburg 10. Jahrhundert
Burgwall Glienke in Mecklenburg um 900

Nördliche Westslawen

Seit Mitte des 6. Jahrhunderts drangen westslawische Gruppen in mehreren Einwanderungswellen bis in das Gebiet des heutigen Deutschland vor. Die erste Einwanderungswelle umfasste Stämme des sogenannten Sukow-Szeligi-Typs, die von Osten kommend die Oder überquerten und Stämme der Prager-Gruppe, die von Südosten kommend entlang der Elbe bis zur Mündung der Saale vorstießen. Einzelne Gruppen der Prager Kultur erreichten auch das Havelland. Die Träger der Sukow-Szeligi-Kultur hatten sicher Anteil am Entstehen der Obodriten und der Havel-Spree-Stämme. Die sich im Elbgebiet ansiedelnden Slawen der Prager Kultur wurden häufig mit den Sorben gleichgesetzt, was aber umstritten ist[7]. Eine archäologisch untersuchte frühe slawische Siedlung lag auf dem Zoberberg bei Mosigkau.

Ab dem Ende des 6. Jahrhunderts und im Verlauf des 7. Jahrhunderts wanderten die Lausitzer Stämme sowie die Vorläufer der Wilzen ins heutige Ostdeutschland ein. Seit dem 7. Jahrhundert bildeten sich aus den verschiedenen Einwanderern mehrere Stammesverbände heraus, insbesondere die Milzener und Lusitzi in der Lausitz, die Heveller an der Havel im heutigen Brandenburg und die Wilzen/Liutizen und Abodriten in Mecklenburg. Noch weiter westlich siedelten die Wagrier (Waigri) im östlichen Holstein (bis zur Schwentine an der Kieler Förde) und die Drewaner im Lüneburgischen. Die slawischen Verbände in Nordostdeutschland werden von der Forschung unter dem Begriff Polaben oder Elbslawen zusammengefasst.

Der westlichste bekannte Fürstensitz war das wagrische Aldinburg (slaw. Starigard = Alte Burg) an der Ostsee, das heutige Oldenburg in Holstein (heute noch große sichtbare Wallanlage und Wall-Museum), zugleich wichtiger Handelsplatz für den Ostseehandel mit Beziehung zum sächsischen Hamburg und zur wikingischen Siedlung Haithabu. Die nachbarschaftlichen Beziehungen im Norden Deutschlands waren nicht immer friedlich. So gab es im 9. und 10. Jahrhundert mehrfach Überfälle auf Hamburg, 1066 wurde Haithabu von den Slawen geplündert, im 11. Jh. die slawische Handelsstadt Vineta vernichtet.[8]

Unter Kaiser Otto I. begann die Christianisierung der Nordwestslawen über die Erzbistümer Magdeburg und Hamburg . Bistümer entstanden in Oldenburg, Merseburg, Meißen, Zeitz (1028 verlegt nach Naumburg (Saale)), Brandenburg und Havelberg.

Nachdem Rethra als religiöses Zentrum der nördlichen Westslawen im Winter 1068/69 zerstört worden war, übernahm die Tempelburg am Kap Arkona auf der Insel Rügen dessen Rang, bis auch dieses letzte bedeutende Heiligtum im Jahre 1168 durch die mit Heinrich dem Löwen verbündeten christlichen Dänen unter Waldemar I. zerstört wurde.

Im Mittelalter zogen sehr viele Deutsche in diese nach zwei kriegerischen Jahrhunderten (Slawenaufstand, Wendenkreuzzug) nur noch dünn besiedelten Gebiete, und die Slawen gingen in den Deutschen auf (Ostsiedlung in der Germania Slavica). Obwohl hierdurch die slawische Sprache in diesen Gebieten am Ende des 16. Jahrhunderts, außer in der Lausitz, ausstarb, haben sich viele slawische Orts- und Familiennamen bis heute erhalten (zum Beispiel Buckow = Buche bzw. Kretzschmer = Krüger), wobei manche der „slawischen“ Orts-, Flur- und Gewässernamen wiederum aus älteren germanischen Bezeichnungen entstanden sind (z. B. Spree = die Sprühende).

Im heutigen Polen lebten mehrere Stämme. Das Land zu beiden Seiten der Weichsel bis etwa an die Oder hin bewohnte der Stamm der Polanen (Feldbewohner) bzw. Lechen, die im 10. Jahrhundert den Kern des entstehenden Staates Polen bildeten und sich mit den Masowiern und anderen kleineren Stämmen zusammenschlossen. Hauptstadt des durch den Fürsten Mieszko I gegründeten Staates war Gnesen. Die zwischen Weichselmündung und Rügen nahe der Ostsee wohnenden Slawen wurden Pomoranen genannt, von po morju („am Meer“), die auf Rügen Ruganen.

Ausbreitung der heutigen Ostslawen

Ostslawen (grün) im 7. und 8. Jahrhundert

Parallel zur Ausbreitung in südliche und westliche Richtung erfolgte eine Ausweitung des Siedlungsgebietes nach Norden in finno-ugrisches und baltisches Gebiet. Im osteuropäischen Tiefland waren schließlich zahlreiche slawische Stämme ansässig, wie zum Beispiel:

Die Ostslawen waren zunächst Heiden und hatten ein Pantheon an Göttern, unter denen der Donnergott Perun eine herausragende Stellung hatte. Den Weg von den Warägern zu den Griechen über das osteuropäische Flusssystem nutzend, bereisten wikingische Händler, Siedler und Krieger das ostslawische Gebiet, das sie wegen seinen zahlreichen Burgen und Städten Gardarike nannten. Diese Waräger oder Rus genannten Menschen einten die gesamte Region der heutigen Nordukraine, Weißrussland und Westrussland gegen Ende des 9. Jahrhunderts zum ersten ostslawischen Reich, der Kiewer Rus (ab 988 christlich). Im Spätmittelalter spalteten sich die Ostslawen in Weißrussen, Ukrainer und Russen auf, letztere breiteten sich seit dem späten 16. Jahrhundert und verstärkt im 19. und 20. Jahrhundert entlang der Transsibirischen Eisenbahn bis zum Pazifik aus.

Ausbreitung der heutigen Südslawen

Die Slawen in Südosteuropa (1869)

In der ausgehenden Spätantike, im 6. Jahrhundert, rückten die Slawen über die untere (im 5. Jahrhundert von den Westgoten verlassene) Donau nach Moesien, Thrakien, Illyrien, Makedonien und bis zur Peloponnes vor. Der Kirchenhistoriker Johannes von Ephesos berichtet von einer großen slawischen Invasion seit 581, die erstmals eine dauerhafte Niederlassung zum Ziel gehabt habe. Tatsächlich begannen sich bald darauf die Slawen auf dem Balkan anzusiedeln, was jedoch durch die Balkanfeldzüge des Maurikios beinahe zur Episode wurde. Im 7. Jahrhundert vollzog sich der größte Teil der Landnahme der Slawen auf dem Balkan (siehe auch Sklavinien), was jedoch nicht zur völligen Beseitigung der ursprünglichen Bevölkerung führte. Die genauen Prozesse der slawischen „Landnahme“ sind hierbei Gegenstand angeregter wissenschaftlicher Diskussionen, in die auch politische und nationale Motive einfließen. Als Beispiel sei hier nur die überholte These von Fallmerayer genannt, wonach es sich bei dem modernen Griechen ausschließlich um hellenisierte Slawen handele.

Ab der Mitte des 6. Jahrhunderts siedelten Slawen auch im Ostalpenraum. Die Wanderung der Langobarden nach Italien (568) begünstigte die Besiedlung großer Teile Pannoniens durch Slawen. Um 600 kämpften Alpenslawen, Vorfahren der heutigen Slowenen, gegen Bajuwaren an der oberen Drau und stießen bis Italien vor. Ihre Ausbreitung wurde mit einer Kette langobardischer Festungen (Limes Langobardorum) entlang des Ostrandes von Friaul aufgehalten.

Laut dem byzantinischen Kaiser Konstantin VII. drangen die Kroaten und Serben in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts über die Donau und siedelten sich nach Vertreibung der Awaren in Pannonien, Dalmatia und im übrigen Illyricum an.

In der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts kam ein Teil der Protobulgaren auf der östlichen Balkanhalbinsel an und gründete dort 681 das Bulgarische Reich, wobei sich das asiatische Reitervolk sehr schnell mit der ursprünglichen slawischen Bevölkerung vermischte und das heutige slawische Volk der Bulgaren bildete.

Ende des 7. Jahrhunderts waren die großen westlichen und südlichen Wanderungen der Slawen abgeschlossen.

Siehe auch: Liste der slawischen Stämme

Name

Als geschichtliches Volk erscheinen die Slawen zuerst unter dem Namen der Serben (Sporen) und der Veneter, sie waren unter diesem Namen bis ins 5. Jahrhundert in den Ländern zwischen Ostsee und dem Schwarzen Meer ansässig, zwischen den Karpaten und dem Don, von der oberen Wolga bis nach Nowgorod und von dort bis zur Scheide der Weichsel und der Oder. Etwa mit dem 6. Jahrhundert treten die Namen Anten (für die Ostslawen, obwohl das historische Volk der Anten vielleicht gar nicht slawisch war) und (für manche Westslawen) Slovieni (siehe oben unter Ausbreitung der heutigen Westslawen) auf. Beide erhielten sich aber als Bezeichnung der Gesamtheit nicht lange, und der Name Serben verengte sich bis zur Benennung einzelner slawischer Stämme. Aus der Bezeichnung Veneter aber wurde Wenden, die Bezeichnung der Slawen bei den Deutschen (für die heutigen Sorben). Die Bezeichnung Slawen ist zumindest seit dem frühen Mittelalter üblich, Adam von Bremen bezeichnet sie in seiner Chronik des Erzbistums Hamburg als Sclavi.

Neben anderen Slawisten schreibt auch der sorbische Gelehrte Heinz Schuster-Šewc in seiner Abhandlung über die Geschichte und Geographie des ethnischen Namens Sorb/Serb/Sarb/Srb, wonach sich der serbische Name aus dem altslawischen surbh, sirbh, serbh (vgl. im Russischen сёрбать) ableiten soll, das begrifflich für säugen, schlürfen, trinken, fließen stand. Ähnlichkeiten finden sich heute im Deutschen in schlürfen oder sürfen, im Englischen in surf für Brandung oder im Lateinischen in sorbeo, ebenfalls für säugen, trinken und fließen. Die semantische Entwicklung fand sich dann weiter in Srb für Brüder und Schwestern nach der Muttermilch, also die von derselben Mutter gesäugt wurden, ohne unbedingt blutsverwandt gewesen zu sein. Daraus folgte die Bezeichnung für Angehörige derselben Familie oder Sippe und später für Angehörige desselben Stammes. Andere wollen den serbischen Namen mit den antiken Sarmaten in Verbindung bringen. Der tschechisch-slowakische Slawist Pavol Jozef Šafárik (1795–1861) wie auch Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646–1716) vertraten die Meinung, wonach Srb ursprünglich der Eigenname aller Slawen gewesen sei. Jedenfalls, mit dem historischen Auftreten sowohl der Serben wie auch der Sorben im 7. Jahrhundert stand der serbisch-sorbische Name für Stammesangehörige, Verwandte, Verbündete (M. Budimir, Über die alte Erwähnung des serbischen Namens, 1959).

Die Bedeutung der in den byzantinischen Quellen genannten Begriffe der Veneter, Sklavinen, Sporen und Anten ist umstritten, doch dürfte es sich weniger um ethnische als vielmehr um politische oder geographische Bezeichnungen handeln. Lediglich der Name der Slawen (sklabenoi, sklaboi) stellt in heutiger Zeit eine Selbstbezeichnung dar. Die ebenfalls gebrauchten Namen der Wenden/Veneter und Anten sind dagegen ursprünglich von Germanen beziehungsweise Awaren für die Slawen verwendete Bezeichnungen.

Der Ursprung des Namens Slawen ist in der sprachwissenschaftlichen Forschung noch ungeklärt. Im Allgemeinen wird angenommen, dass er vom gemeinslawischen *слŏвŏ (heute slóvo) 'Wort' abgeleitet wird, womit sich die Sprechenden oder Beredten selbst von den 'Stummen' (némec) abgrenzten, wobei das Wort Némec sich zur Bezeichnung für die Deutschen entwickelt hat.

Dass die Bezeichnung vom mit dem obigen slóvo verwandten *слāвā, heute sláva, „Ruhm“, stammt, ist dagegen unwahrscheinlich. Nach neueren Forschungen, die sich allerdings nicht auf breiter Front durchsetzen konnten, könnte sich der Name vom alten slawischen Wortstamm slo/sla, „Wasser“, ableiten. Anderen Ansichten zufolge handelt es sich bei der ursprüngliche Form slovene um eine patronymische Bildung für die „Leute des Slov“.

Siehe auch: Saqaliba, mittelalterliche arabische Bezeichnung für die Slawen.

Lebensweise und Traditionen

Slawenburg Raddusch (bei Lübbenau) – Rekonstruktion eines Slawischen Burgwalls

Die Familienverfassung war eine patriarchalische. Die Einwohner eines Ortes bildeten eine durch Blutsverwandtschaft verknüpfte Sippe (obschtina, rod), deren Mitglieder einen gemeinsamen Namen trugen, gemeinschaftliches Gut besaßen und unter einem gewählten Ältesten standen. Aus mehreren solcher Sippen bildete sich der Stamm (pleme), an dessen Spitze das Stammesoberhaupt, der Anführer im Krieg, stand. Die Stämme ihrerseits vereinigten sich wieder zu einem größeren Ganzen, zu Einzelvölkern (narod).

Die Ehe wurde heilig gehalten, es herrschte ursprünglich Monogamie. Noch vor der Abtrennung in einzelne Zweige hatten die Slawen durch uraltes Herkommen befestigte Rechtsnormen (pravo, zakon), der Begriff „erben“ fehlte jedoch, da die Familienverfassung Erbschaften ausschloss.

Kultur

Kultur- und Sittengeschichte des Gesamtvolkes: Nach den griechischen und deutschen Schriftstellern waren die alten Slawen ein friedliebendes und fleißiges Volk, fest am Althergebrachten hängend, leidenschaftlich Ackerbau und Viehzucht und auch, wie aus der Sprache und aus den archäologischen Funden hervorgeht, Handel treibend. Gerühmt wird auch ihre Gastfreundschaft. Kranke und Arme fanden sorgfältige Pflege, nur der Böse wurde ausgestoßen, und chud bedeutet in slawischer Sprache zugleich arm und böse. Vielweiberei war gestattet, wurde aber fast nur von den Vornehmen geübt.

Der Grundzug der Zivil- und Staatsverfassung war demokratisch; man kannte ursprünglich keine Stände, keine erbliche Fürstenwürde (siehe auch: Wetsche). Das Band der Sippeneinheit hielt alle umschlungen, und der Starosta (Älteste) war nur Verwalter des Gesamtvermögens der Sippe. Die Einheit der Sippe schloss die Erbfolge aus. Hierdurch unterschieden sich die Slawen wesentlich von den Germanen und Romanen. Standesunterschiede, erbliche Fürstenmacht, Leibeigenschaft und Sklaverei bildeten sich infolge fremder Einflüsse erst später bei den Slawen aus. Die Bezeichnungen für die Fürstenmacht (knez, kralj, chrabia, cjesar) und den Adel (szlachta, Geschlecht) sind fremden Ursprungs.

Religion und Mythologie

Die Slawen werden als sehr gesangliebend geschildert. Seele und Gemüt offenbaren sich bei ihnen in anmutigen Liedern und Gesängen. Von den mythischen Vorstellungen und der darin sich kundgebenden Weltanschauung der alten Slawen lässt sich kein deutliches und konsistentes Gesamtbild zeichnen, da eine zusammenhängende Überlieferung fehlt.

Die ursprüngliche Religion der Slawen war derjenigen anderer früher indogermanischer Völker ähnlich. In den Naturerscheinungen, besonders den Phänomenen des Himmels, sahen die Slawen wirkliche Wesen, die sie sich mit Denken und Empfinden ausgestattet vorstellten, einige wohltätig, andere zerstörend wirkend. Die ersteren wurden von den Slawen bog, die letzteren Bjes genannt, und das Christentum übernahm diese Wörter teils für Gott und Teufel.

Sie verehrten einen höchsten Gott, den Urheber des Himmels und der Erde, des Lichts und des Gewitters. Diesem waren die anderen Götter untertan. Der Name dieses Gottes war Svarog (der Schöpfer), als Urheber des Donners heißt er Perun (balt. Perkunas). Seine Söhne waren die Sonne und das Feuer. Der Sonnengott (Daschbog, „Geber der Güter“) war auch Kriegsgott, als Theomorphose der Luft erscheint Sventovit oder Svantovit (nach Miklosich nur Sanctus Vitus), als Gott des Sturms Stribog.

Oberste Gottheit der westslawischen Wenden war Radegast, der ebenfalls als Kriegsgott verehrt wurde. Als Frühlingsgöttinnen erscheinen Wesna (Frühling) und Deva (oder Diva, wunderschöne Schönheit), als Göttin der Liebe und Schönheit Lada. Unter den bösen Gottheiten steht die Repräsentantin des Winters (Moraua) obenan.

Ein eigentlicher Dualismus bestand aber nicht, und was bei einigen Schriftstellern von einem Kampf zwischen den Göttern des Lichts und der Finsternis (dem Bjelbog und Tschernebog der Nordslawen) berichtet wird, scheint bereits auf christlichen Einfluss hinzuweisen.

Als mythische Wesen niederen Grades wurden verehrt: die Vílen und Rusálka, die Herrscherinnen über Flüsse, Wälder und Berge, welche in der Volkspoesie der Slawen bis auf den heutigen Tag (1888) eine große Rolle spielen; ferner die Rojenitze oder Schicksalsgöttinnen sowie zahlreiche Haus- und Feldgeister und die finstern Mächte Baba Jaga (Hexe, altes verrücktes Weib), Bjes und Vjed, welch letzterem die Sonnen- und Mondfinsternisse zugeschrieben wurden.

Die Gunst der Götter und deren Schutz suchten die Slawen durch Gebet und Opfer zu erlangen. Letztere bestanden im Verbrennen von Rindern und Schafen auf Bergen und in Hainen, wo sich auch Götterbilder befanden. Menschenopfer kamen nur vereinzelt vor. Vollstrecker der Opfer waren die Stammesältesten. Einen Priesterstand kannten die alten Slawen ebenso wenig wie besondere Tempel. Von Festen sind jene zu erwähnen, die sich an den Wechsel der Jahreszeiten anknüpfen: die Wintersonnenwende (koleda, ovsen, kratshun), der Frühlingsanfang mit Austragung des Winters und die Sommersonnenwende (kapalo, jarilo).

Mit dem leiblichen Tod hörte nach slawischer Auffassung das Leben nicht auf, vielmehr war die Seele (dusza) unsterblich. Sie gelangte ins Paradies (nav, ráj), das als schöne Wiese gedacht wurde. Die Leichen wurden entweder verbrannt oder begraben, beide Bestattungsweisen kommen nebeneinander vor. Schätzenswerte Untersuchungen über die alte Kultur und mythologische Vorstellungen der Slawen, soweit sie sich im Aberglauben, in Sagen und Märchen des Volkes erhalten haben, enthält Alexander Afanassjews Werk Die poetischen Naturanschauungen der Slawen.[9]

Siehe auch: Slawische Mythologie, Kyrill und Method, Kyrillische Schrift

Wirtschaft, Bauten

Rekonstruiertes Slawendorf Ukranenland

Die slawische Keramik war im 7. Jahrhundert in Mitteleuropa weit verbreitet. Die Slawen setzten kaum auf die Viehzucht, sondern auf den Getreideanbau. Auf zwei Dritteln einer Feldgemarkung wurden jeweils Roggen, Weizen, Gerste, Hafer und Hirse angebaut. Das Getreide wurde mit Sicheln gemäht. Später kam auch die Sense zum Einsatz. Die Häuser wurden leicht eingetieft auf einer Fläche von 16 bis 30 Quadratmetern gebaut.

Um 700 wurde die slawische Burgwallanlage in Spandow, dem heutigen Bezirk Spandau erstellt. Die Dörfer waren rund oder in einem Halbkreis angelegt. Im Schutze einer Burg konnte eine größere Siedlung angelegt werden, die zu einer Stadt heranwuchs. Dort wurden spezielle Handwerkszweige entwickelt, Lebensmittel auf Vorrat gehalten, Fernhandel betrieben und kulturelle Bauten erstellt. Die Häuser wurden mit Holzpalisaden und Holzerdemauern befestigt.

Besonders im gewässerreichen nordöstlichen Mitteleuropa bauten die Slawen beachtliche Holzbrücken,[10] darunter vier über die mittlere Havel und eine 2 km lange über den Oberuckersee.

Detailgetreue Rekonstruktionen der Wohn- und Lebensweise der Slawen des 9. und 10. Jahrhunderts findet man in Deutschland beispielsweise im Freilichtmuseum Ukranenland in Torgelow, im Archäologischen Freilichtmuseum Groß Raden (beides Mecklenburg) und im Geschichtspark Bärnau-Tachov (Bayern).

Literatur

Weblinks

 Commons: Slawen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Brockhaus, B20,S.311, ISBN 3-7653-3680-7
  2. Die Lehnwörter germanischer Herkunft im Urslawischen und Altpolnischen (PDF, 200kb)
  3. Vgl. Brather, Archäologie der westlichen Slawen, S. 51.
  4. Nur letzterer scheint auf einer Selbstbezeichnung zu beruhen: Brather, Archäologie der westlichen Slawen, S. 51.
  5. Studien zur vandalischen Geschichte. Die Gleichsetzung der Ethnonyme Wenden, Slawen und Vandalen vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert; Dissertation (pdf, 1,5 MB)
  6. Vgl. Antae. In: The Oxford Dictionary of Byzantium. Bd. 1, New York/Oxford 1991, S. 108f.
  7. Joachim Herrmann: Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der Slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße vom 6. bis 12. Jahrhundert. Akademie-Verlag, Berlin, 1985. (S. 160 ff.)
  8. Helmold von Bosau: Slawenchronik (orig. um 1170). Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters; Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Band XIX. 4. Auflage, Darmstadt 1983
  9. russisch; Moskau 1865–1869, 3 Bände
  10. Winfried Schich: Die Havel als Wasserstraße im Mittelalter(PDF)

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