Deutsche Fortschrittspartei

Deutsche Fortschrittspartei

Die Deutsche Fortschrittspartei (DFP) wurde am 6. Juni 1861 von liberalen Abgeordneten im preußischen Abgeordnetenhaus als erste deutsche Programmpartei gegründet. Sie stand im preußischen Verfassungskonflikt in strikter Opposition zu Otto von Bismarck. Im Zuge der Reichsgründung näherte sie sich Bismarck etwa während des Kulturkampfes an, um später wieder auf deutliche Distanz zu gehen. Die Partei ging 1884 in der Deutschen Freisinnigen Partei auf.

Inhaltsverzeichnis

Gründung

Der Parteigründung vorausgegangen war die Abspaltung von Abgeordneten von der Fraktion Vincke im preußischen Abgeordnetenhaus. Diese Gruppe wurde spöttisch Junglitauen genannt, weil ein Großteil von ihnen aus den östlichen Provinzen Preußens stammte. Sie forderte eine konsequentere liberale Politik und legte 1860 ein entsprechendes Programm vor. Diese Gruppierung trat in Verhandlungen mit Liberalen und Demokraten in Berlin zur Gründung einer neuen Partei ein. Hinzu kamen auch Mitglieder des Deutschen Nationalvereins, die keinem Parlament angehörten wie Theodor Mommsen, Rudolf Virchow und Werner von Siemens. Die neue Partei wurde als Deutsche Fortschrittspartei am 6. Juni 1861 gegründet.

Programm von 1861

Das Programm der Partei von 1861 war vor allem die Einigung der vielen deutschen Staaten (Deutschland) unter der Führung Preußens. Innerhalb Preußens verlangte die Partei die Verwirklichung des Rechtsstaates. Allerdings forderte sie nicht die Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Außer einer Revision der Gewerbeordnung wurden keinerlei wirtschafts- oder sozialpolitischen Forderungen erhoben. Insofern war das Programm für die zu dem damaligen Zeitpunkt am weitesten links stehende Partei sehr gemäßigt.

Organisationsentwicklung

Allerdings war die Fortschrittspartei die erste moderne politische Partei in Deutschland. Sie folgte einem formulierten Programm und hat sich danach einen Namen gegeben. Nach außen gegenüber den Wählern trat man nunmehr mit gleichen Forderungen auf, während es bislang häufig üblich war, dass jeder Bewerber sein eigenes politisches Programm formuliert hatte. Bislang hatte es nur Fraktionen gegeben, die entweder nach den führenden Personen oder der Sitzordnung im Parlament benannt waren. Neu war auch, dass die Partei beanspruchte eine gesamtdeutsche Partei zu sein.

Trotz des Anspruchs eine moderne Partei zu sein, wurde die Ausgestaltung nicht zuletzt von der restriktiven Vereinsgesetzgebung behindert. Regelrechte Parteimitgliedschaften waren etwa nicht möglich. Es entstand ein Zentralwahlkomitee, das Wilhelm Loewe bis 1871 leitete. Die Angehörigen des Komitees waren aus vereinsrechtlichen Gründen zunächst die einzigen offiziellen Mitglieder der Partei. Im Jahr 1867 bildete sich ein Zentralwahlverein. Dieser spielte über Berlin hinaus jedoch keine Rolle. 1873 wurde er unter Führung von Eugen Richter so umgebildet, dass ihm die in Berlin wohnenden oder anwesenden Abgeordneten des preußischen Abgeordnetenhauses und des Reichstags angehörten. Dieser Zentralwahlverein befand etwa über Wahlaufrufe, beschloss Wahlbündnisse, empfahl den Organisationen auf der Ebene der Wahlkreise Kandidaten und förderte die Gründung von lokalen oder regionalen Organisationen.

Anfangs hatten der Nationalverein und lokale Bürgervereine die Aufstellung der Kandidaten unterstützt. Später bildeten sich mehrere Typen der Organisation heraus: Komitee, Volksversammlung und Wahlverein. Zunächst dominierte das Komitee aus regionalen oder lokalen Honoratioren. Eine größere Wahlpropaganda wurde selten organisiert. Nachdem sich diese Komitees nach der Wahl anfangs aufgelöst hatten, begann mit der Zeit eine Institutionalisierung. Etwa seit dem Beginn der 1880er Jahren gab es in fast allen Wahlkreisen vor allem in den Großstädten feste Komitees. In den Kleinstädten und auf dem Land gab es Vertrauensmänner aus den lokalen Honoratioren. In einigen Städten, insbesondere in Berlin und großen nord- und ostdeutschen Städten, gab es in Anknüpfung an die Revolution von 1848 Volksversammlungen zur Wahl der Parlamentskandidaten. Der politische Einfluss war unterschiedlich. Teilweise waren sie reine Akklamationsorgane für längst von Honoratioren beschlossene Entscheidungen. In Berlin aber übten die Versammlungen teilweise erheblichen Einfluss aus. Das Prinzip der Volksversammlungen war solange funktionsfähig, wie die Fortschrittspartei sich als alleinige Vertretung des Volkes bezeichnen konnte. Nach der Bildung weiterer Parteien konnte dies nicht mehr funktionieren.

Im Laufe der Zeit entstanden lokale und regionale Wahlvereine. Allerdings blieb die Parteimitgliedschaft zunächst auf wenige führende Persönlichkeiten beschränkt. Unter dem Eindruck wachsender politischer Konkurrenz drängte insbesondere Eugen Richter auf eine Ausweitung der Wahlvereine. Diese hatten etwa 100 bis 200 Mitglieder. Es gab nunmehr Vereinsvorstände, die über den Kurs vor Ort bestimmten. Meist waren die Aktivitäten außerhalb der Wahlkämpfe relativ gering. Dies änderte sich in den 1870er Jahren.

Verfassungskonflikt

Die Partei hatte ihren Schwerpunkt im Bürgertum. Von 1861 bis 1866 war sie die stärkste Fraktion im preußischen Abgeordnetenhaus. Sie hatte 1862 104, 1862/63 133, 1863/64 141 Mitglieder.

Die Partei lehnte die Anhebung der preußischen Militärausgaben ab. Daraus entstand der preußische Verfassungskonflikt. Damit standen sie in Opposition zum neuen preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck. Dessen Lückentheorie und sein Regieren ohne vom Parlament verabschiedeten Haushalt sah die Partei als Bruch der Verfassung an.

Das Festhalten an dieser Position führte im Zuge des für Preußen siegreichen Krieges zu einem Stimmungsumschwung. Die Partei verlor zahlreiche Wähler und die Zahl der Abgeordneten sank 1866 auf 83 Mitglieder. In der Partei wuchs die Zahl derjenigen Abgeordneten, denen meist aus ökonomischen Gründen die politische Einheit wichtiger war als das Beharren auf dem bisherigen Rechtsstandpunkt. Die Mehrheit der Fraktion billigte 1866 die Indemnitätsvorlage. Damit gab die Partei ihren bisherigen Oppositionskurs faktisch auf. Ein Großteil derjenigen, die für eine Zusammenarbeit mit Bismarck eintraten, spaltete sich 1867 ab und gründete die Nationalliberale Partei. Zunächst bedeutete dies nur eine Trennung der Fraktionen, nicht der liberalen Partei. Dies änderte sich in den folgenden Jahren.

In den folgenden Jahren hatte die Fortschrittspartei bis 1879 zwischen 48 und 68 Fraktionsmitglieder im preußischen Abgeordnetenhaus.

Reichsgründungsphase

Trotz Kritik an Bismarck hat die Partei die Gründung des Norddeutschen Bundes begrüßt und forderte unter preußischer Führung die Einigung ganz Deutschlands. Nach der Reichseinigung von 1871 verlor die Fortschrittspartei an Dynamik. Sie verfügte im Reichstag 1871 über 45 Sitze und 1878 über 26 Mandate. Obwohl die Partei einen gesamtdeutschen Anspruch vertrat, hatte sie ihren Schwerpunkt in Preußen.

Die Reichsverfassung hatte die Partei wegen einer nur wenig demokratischen Verfassung abgelehnt. Wichtige Akzente setzte die Fortschrittspartei in der Wirtschaftspolitik. Im Kulturkampf unterstützte sie die Politik Bismarcks. Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Preußen wurde von ihr abgelehnt. Die Mehrheit der Fraktion lehnte bei der Heeresfinanzierung das Septennat von 1874 ab. Daraufhin traten elf Mitglieder der Reichstagsfraktion um Loewe und Berger aus der Fraktion aus.

Organisationsausbau

Richter verstärkte in den 1870er Jahren den organisatorischen Ausbau der Wahlvereine. Noch immer hatte sie ihren Schwerpunkt in Preußen, hinzu kamen Sachsen und Hamburg. Der Hamburger Wahlverein war in 100 Bezirksvereine mit zusammen 5200 Mitgliedern aufgeteilt. Die Gesamtzahl der Parteimitglieder lag bei 20.000. Die Vereine folgten dem Prinzip der innerparteilichen Demokratie. Vorstände und Wahlkreiskandidaten wurden gewählt. Die Aktivitäten der Partei waren deutlich größer als bei anderen bürgerlichen Parteien. Es wurden Versammlungen nicht nur während der Wahlkämpfe abgehalten. Es wurden Unterschriften für Petitionen gesammelt.

Bedeutende Parteiorgane waren Der Volksfreund von 1868 bis 1872 und ab 1882 Der Reichsfreund.

Die Ära Eugen Richter

Ein erster gesamtdeutscher Parteitag fand 1878 in Berlin statt. Dort waren 91 Wahlkreise von 397 vertreten. Die Mitglieder des Zentralwahlkomitees in Berlin wurden als Führung der Partei bestätigt. Es wurde ein geschäftsführender Ausschuss aus fünf Mitgliedern gewählt. Dieser unter Führung von Eugen Richter hatte den entscheidenden Einfluss. Diesen dehnte er allmählich immer mehr auch auf die regionalen Gliederungen aus. Schließlich nahm er eine beherrschende Position ein.

Der Parteitag von 1878 beschloss ein neues Programm. Man forderte eine stärkere Parlamentarisierung der Reichsverfassung und eine dem Parlament verantwortliche Regierung. Natürlich bestand man auf dem vollen Budgetrecht. Auch forderte die Partei eine Anerkennung der Selbsthilfeorganisationen sowohl der Arbeitgeberverbände wie auch der Gewerkschaften. Allerdings forderte die Partei nicht, wie vom linken Flügel gefordert, die Ausdehnung des demokratischen Reichstagswahlrechts auf die Länderparlamente. Noch immer hielt die Partei am liberalen Prinzip des Freihandels fest. Weitergehende Staatseingriffe in der Sozialpolitik sah das Programm nicht vor.

Immerhin lehnte die Fortschrittspartei trotz der ideologischen Gegnerschaft zur Sozialdemokratie das Sozialistengesetz ab. Als Richter 1879 forderte „Fort mit Bismarck“, erlebte die Partei einen starken Aufschwung und erreichte bei der Reichstagswahl von 1881 mit 59 Mandaten den Höhepunkt ihrer Bedeutung.

Ende

Am 5. März 1884 fusionierte die Partei unter Federführung von Eugen Richter und Franz August Schenk von Stauffenberg mit der Liberalen Vereinigung, einer linken Abspaltung der Nationalliberalen Partei, zur Deutschen Freisinnigen Partei.

Politiker

Bedeutende Politiker der Deutschen Fortschrittspartei waren zunächst Johann Jacoby, Leopold Freiherr von Hoverbeck, Franz Leo Benedikt Waldeck, Hermann Schulze-Delitzsch, Franz Duncker, Hans Victor von Unruh, Albert Hänel oder Wilhelm Loewe und andere. Später kam der Publizist Eugen Richter.

Literatur

  • Gerhard Eisfeld: Die Entstehung der liberalen Parteien in Deutschland 1858 – 1870. Studie zu den Organisationen und Programmen der Liberalen und Demokraten. Verlag für Literatur und Zeitgeschehen, Hannover 1969 (Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung. b. Historisch-politische Schriften).
  • Walter Tormin: Geschichte der deutschen Parteien seit 1848. Stuttgart, 1967.
  • Wolfgang Schmierer: Deutsche Fortschrittspartei. In: Gerhard Taddey: Lexikon der deutschen Geschichte. 2. Aufl. Stuttgart 1983, ISBN 3-520-80002-0, S. 364f.
  • Andreas Biefang: National-preußisch oder deutsch-national? Die deutsche Fortschrittspartei in Preußen 1861-1867. In: Geschichte und Gesellschaft 3/1997. S. 360–383.

Weblinks



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