- Franz August Schenk von Stauffenberg
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Freiherr Franz August Schenk von Stauffenberg (* 3. August 1834 in Würzburg; † 2. Juni 1901 in Rißtissen) war ein deutscher Jurist, Grundbesitzer und Politiker. Er war Abgeordneter und Präsident des Königlich Bayerischen Landtags, Mitglied des ersten Deutschen Reichstags und dessen Vizepräsident. Bismarck wollte Stauffenberg zu einem seiner Minister machen. Kaiser Wilhelm I. soll das mit der Bemerkung abgelehnt haben, Stauffenberg sei ihm zu „rot“. 1884 wurde er zu einem der Mitbegründer der oppositionellen Deutschen Freisinnigen Partei und damit zu einem der Gegenspieler Bismarcks. Viele rechneten irrtümlich damit, dass eine der liberalen Persönlichkeiten in der Partei Stauffenbergs, die im Volksmund „Kronprinzenpartei“ genannt wurde, von Kronprinz Friedrich Wilhelm, dem späteren Kaiser Friedrich III.(„99-Tage-Kaiser“), bei dessen Thronbesteigung mit der Regierungsverantwortung als Nachfolger von Bismarck betraut werden würde. Stauffenberg wird als ein Mann von außergewöhnlicher Intelligenz und Bildung, großer diplomatischer Begabung und ausgleichendem Gerechtigkeitssinn, aber auch ausgeprägter Prinzipientreue beschrieben. Er entstammte dem alten schwäbischen Adelsgeschlecht der Schenken von Stauffenberg.
Inhaltsverzeichnis
Familie und Werdegang
Franz August war Sohn des Reichsfreiherrn Friedrich Schenk von Stauffenberg (* 23. Oktober 1806 in Wetzlar; † 2. Mai 1874 in Rißtissen) und seiner Frau Reichsgräfin Karoline Klementine Butler von Clonebough, gen. Haimhausen (* 31. Januar 1812 in Ansbach; † 6. November 1879 in Lindau). Alle lebenden Reichsfreiherren Schenk von Stauffenberg sind Franz Augusts und Karolines Nachkommen. Er studierte 1851 an der Universität Würzburg und ab 1853 an der Universität Heidelberg Rechtswissenschaften. Franz August war Mitglied der studentischen Verbindung Corps Guestphalia Würzburg. Stauffenberg lebte hauptsächlich in Rißtissen, seine weiteren Besitzungen lagen in Wilflingen und Geislingen (bei Balingen).
Am 25. August 1860 heiratete er in Würzburg Reichsgräfin Ida Therese von Geldern-Egmont (* 16. Oktober 1837 in Turnstein; † 27. März 1887 in Pallanza). Sie hatten zusammen zehn Kinder. Fünf der Kinder starben im Säuglings- oder Kindesalter. Sein Erbe Franz war sein einziger das Kindesalter überlebender Sohn und sein zehntes Kind.
- Wilhelmine A. Therese Johanna Maria Schenkin von Stauffenberg (* 24. Juni 1861 in Augsburg; † 10. März 1876 in Mentone)
- Friedrich Adam Maria Sebastian Vinzenz Schenk Freiherr von Stauffenberg (* 20. Januar 1863 in Augsburg; † 30. Januar 1863 in Augsburg)
- Elisabeth Klementine Gabriele Maria Schenk Freiin von Stauffenberg Schenk (* 15. Februar 1864 in Augsburg; ∞ 3. Juli 1893 mit Hugo Freiherr von Linden in Rißtissen; † 20. April 1939 in Ulm)
- Walter Ludwig Friedrich Gotthold Agatha Maria Schenk Freiherr von Stauffenberg (* 21. Februar 1865 in Augsburg,† 30. September 1865 in Augsburg)
- Olga Gabriele Schenk Freiin von Stauffenberg (Hofdame der Herzogin Margarete Sophie, Gemahlin des Herzogs Albrecht von Württemberg) (* 11. September 1866; ∞ 6. Mai 1902 mit Friedrich Graf von Otting und Fünfstetten in Rißtissen; † 23. März 1953 in Wiesenfelden: Kinder: Maximilian, Franz und Ludwig Graf von Ottingen und Fünfstetten
- Johanna Friederike Klementine Marie Freiin von Stauffenberg (* 16. Februar 1868 in Rißtissen; † 19. Juli 1868 in Rißtissen
- Gabriele Philippine Marie Barbara Schenk Freiin von Stauffenberg (* 4. Dezember 1869 in Rißtissen; ∞ 8. April 1896 mit Gustav Freiherr von Habermann in München;† 18. Oktober 1956 in München)
- Friedrich W. Schenk Freiherr von Stauffenberg (* 2. September 1873 in Rißtissen; † 25. Oktober 1873 in Rißtissen)
- Tochter (* 18. Juli 1874 in Rißtissen; † 19. Juli 1874 in Rißtissen)
- Franz Wilhelm Karl Maria Gabriel Schenk Freiherr von Stauffenberg (* 14. August 1878 in Rißtissen; ∞ 27. Mai 1903 in Bonn mit Huberta Gräfin Wolff-Metternich; † 9. November 1950 in Riedlingen)
Juristische Laufbahn
1857 wurde er Rechtsreferendar und 1860 stellvertretender Staatsanwalt. Von 1862 bis 1866 war er Staatsanwalt in Augsburg. 1866 schied er aus eigenem Entschluss aus dem Staatsdienst aus. 1892 verlieh ihm die Universität Würzburg die Würde eines Dr.jur.h.c.
Politische Aktivitäten
Todesstrafe
Am 30. September 1866 wurde Stauffenberg bei einer Nachwahl in Augsburg in die Kammer der Abgeordneten in München gewählt. Er war zunächst elf Jahre Mitglied dieser Kammer. Von 1871 bis 1875 war er deren Präsident. Schon in seinem ersten parlamentarischen Antrag vom 20. Februar 1867 forderte er für das Königreich Bayern die Abschaffung der Todesstrafe. Er begründete seinen Antrag unter anderem damit, dass man sich nicht darauf berufen könne, die Todesstrafe schrecke Verbrecher ab (Abschreckungstheorie). Die Todesstrafe schrecke einen Verbrecher nicht davon ab ein Verbrechen zu begehen. Man dürfe die Gemütsverfassung eines Verbrechers vor und nach der Tat nicht gleichsetzen. Fast alle Verbrecher gingen vor der Tat davon aus, nicht überführt zu werden. Alle die Todesstrafe rechtfertigenden Argumente verblassten bei der Hinrichtung eines einzigen Unschuldigen. Der Staat, die Summe aller Bürger, dürfe wie jeder einzelne Bürger nur in Situationen der Notwehr oder der Nothilfe gerechtfertigt über das Leben eines Menschen verfügen. Der bayerische Landtag nahm seinen Antrag mit der unerwarteten Mehrheit von 87:44 Stimmen an. Stauffenberg besaß die Gabe, selbst politische Gegner mit klarer Argumentation und seiner als glänzend geschilderten Rednergabe zu überzeugen. Die erste bayrische Kammer lehnte unter dem Präsidium seines konservativen Onkels Freiherr (ab 1874 Graf) Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (* 1801; † 1881) seinen Antrag am 16. November 1867 ab. Als Staatsanwalt in Augsburg hatte Stauffenberg die letzte Stunde mit den zum Tode Verurteilten zu verbringen. Das hat ihn geprägt. Am 19. Mai 1870 stellte er seinen Antrag zum zweiten Mal. Diesmal ohne Erfolg.
Sozialismus
Zum Sozialismus nahm er anlässlich einer Wahlrede über das Sozialistengesetz am 12. Februar 1878 Stellung: „Die politischen Streitigkeiten und Feindschaften kommen und vergehen. Die sozialen Gegensätze dagegen verletzen tief und fressen ewig. Die soziale Frage ist die Frage der Zukunft, vor der alle anderen politischen Fragen verblassen. Man kann dieser Frage und ihren Konsequenzen nicht dadurch entgehen, daß man sie verbietet.“ ( Gerd Wunder, Die Schenken von Stauffenberg S. 331 )
Liberale Vereinigung
Von 1871 bis 1892 war Stauffenberg Mitglied des Reichstages in Berlin und von 1876 bis 1879 dessen Vizepräsident. Er vertrat zunächst als Nationalliberaler München im ersten deutschen Reichstag. 1880 beteiligte er sich an der Abspaltung einer Reihe von Abgeordneten (Sezession) von den Nationalliberalen, die sich zur Liberalen Vereinigung zusammenschlossen. Die Nationalliberalen hatten nach Ansicht der Sezessionisten mit der Zustimmung zu Bismarcks Schutzzollpolitik und zum Septennat liberale Grundprinzipien verraten und die Position des jungen Reichstags gegenüber der Exekutive so entscheidend geschwächt, dass ihre Partei nicht mehr als liberal sondern als konservativ angesehen werden müsse. Stauffenbergs Liberale Vereinigung errang bei der Wahl 1881 aus dem Stand mit 46 Mandaten die gleiche Fraktionsstärke wie die nun eher konservativen Bismarck unterstützenden Nationalliberalen von denen er sich abgespalten hatte.
Freiheitlich-liberale Ansichten
Von 1884 bis 1892 war Stauffenberg Abgeordneter der Deutschen Freisinnigen Partei. Er gehörte insgesamt 32 Jahre dem bayerischen Landtag und 22 Jahre dem deutschen Reichstag an. Stauffenberg hatte fortschrittliche, freiheitlich-liberale Ansichten, von denen die meisten heute zu selbstverständlichen, unumstrittenen deutschen Verfassungsgrundsätzen geworden sind, damals aber als extrem, linksliberal oder sogar als „rot“ bezeichnet wurden. Er wollte mehr persönliche Freiheitsrechte für die Bürger und größere Befugnisse für den Reichstag, Abschaffung der Zölle (Freihandel) und keine staatliche, sondern eine privatrechtlich organisierte Arbeitslosenunterstützung. Die konstitutionelle Monarchie des deutschen Reiches sollte nach englischem Vorbild parlamentarisiert werden. Seine politische Grundüberzeugung fasste er am 15. März 1870 im Reichstag lakonisch so zusammen: „Die volle Freiheit scheint mir in der Regel und im Zweifel immer die bessere Wahl zu sein.“ Er war daher auch für gemeindliche Selbstverwaltung, für Freihandel, gegen die Sozialistengesetze und regelmäßig gegen staatliche Eingriffe jeder Art. Damit stand er nicht nur im Gegensatz zu den Interessen des Reichskanzlers Bismarck, zu den konservativen Überzeugungen des Kaisers Wilhelm I. und damit zu denen der meisten seiner Standesgenossen, sondern auch gegen die keineswegs freiheitlichen Grundüberzeugungen der damaligen Sozialisten. Er unterstützte schon vor der Gründung des deutschen Reiches im Jahre 1871 den Gedanken eines deutschen Reiches unter einer starken preußischen Führung (kleindeutsche Lösung). Damit befand er sich als süddeutscher Liberaler im Gegensatz zu der Auffassung der weiten Mehrheit süddeutscher Liberaler, die ein deutsches Reich unter Einschluss Preußens, aber unter der Führung Österreichs anstrebten (großdeutsche Lösung).
Kronprinz und Kronprinzessin Friedrich Wilhelm von Preußen
Mit seiner zur damaligen Zeit unorthodoxen liberalen Einstellung und seiner Gegnerschaft zu Bismarck stand er dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, dem späteren Kaiser Friedrich III. und der Kronprinzessin Victoria politisch und persönlich nahe. Sie pflegten regelmäßigen Umgang. Der Kronprinz besuchte Stauffenberg z.B. am 4. September 1873 in seinem Heimatort in Rißtissen. Jahre später soll Kronprinzessin Victoria Stauffenberg angeregt haben, eine freiheitlich-liberale Partei nach englischem Muster zu gründen. Es gab viele liberale Parteien im Reichstag, aber eine monarchisch-preußenfreundliche und dabei fortschrittliche liberale Partei gab es nicht. Eine weitere liberale Partei passte aber nicht mit Aussicht auf Wahlerfolg in die von Bismarcks Manövern korrumpierte und zersplitterte liberale Parteienlandschaft im Reichstag. 1884 fusionierte Stauffenberg seine Partei, die Liberale Vereinigung mit der Deutschen Fortschrittspartei Eugen Richters zur neuen Deutschen Freisinnigen Partei. Stauffenberg wurde Vorsitzender des Zentralkomitees dieser neuen Partei (DFP). Eugen Richter, ein zu einem eher radikalen Liberalismus neigender rheinischer Jurist und Publizist wurde der Vorsitzende des siebenköpfigen geschäftsführenden Ausschusses der DFP. Er favorisierte wie Stauffenberg eine starke Zentralgewalt des Reiches unter der Führung Preußens mit einem nach dem Vorbild England mit umfassenden Gesetzgebungsrechten ausgestatteten und die Regierung kontrollierenden Reichstag. Von einer parlamentarischen Monarchie war das deutsche Kaiserreich weit entfernt. Beide liberale Politiker nahmen irrtümlich an, nicht nur die Kronprinzessin, sondern auch der künftige Kaiser verfolge ähnliche politische Ziele. Ihre Absicht war Kronprinz Friedrich Wilhelm für den Fall eines vermeintlich 1884 unmittelbar bevorstehenden Thronwechsels eine starke, liberale Fraktion unter Ausschluss der inzwischen konservativen Nationalliberalen Partei als Plattform für die Bildung einer liberalen Regierung zur Verfügung zu stellen. Diese starke liberale Plattform sollte es dem Kronprinzen erleichtern die konservative Regierung Bismarck abzulösen und durch eine liberale Regierung zu ersetzen..
Es ist zweifelhaft, ob Friedrich III. von diesem Angebot, das von der Kronprinzessin ausdrücklich unterstützt wurde, Gebrauch gemacht hätte, wenn er schon 1884 den Thron bestiegen hätte. Kronprinz Friedrich Wilhelm hatte eng begrenzte liberale Ansichten. Sie umfassten lediglich die Gewährung von persönlichen Freiheitsrechten an die Bürger (z.B. Redefreiheit, Erziehungsfreiheit und Religionsfreiheit) und staatsrechtlich das Prinzip einer echten konstitutionellen Monarchie . Formal waren Preußen und das deutsche Reich bereits konstitutionelle Monarchien. De facto wurden die bestehenden Verfassungsnormen jedoch häufig und hemmungslos gegen die innere Überzeugung des Kronprinzen von der Regierung Bismarck missachtet. Mit diesen gemäßigten liberalen Vorstellungen hatte sich der Kronprinz in Gegensatz zu Bismarck begeben. Kaiser Wilhelm I. und die Mehrzahl der deutschen Prinzen und Fürsten hatten politische Ansichten, die weit mehr nach rückwärts gerichtet waren als die von Bismarck. Ihre Vorstellungen wurzelten im aufgeklärten Absolutismus . Der Kronprinz galt deshalb unter seinen Standesgenossen als gefährlich linksliberal. Auf Anregung Bismarcks appellierte Kaiser Wilhelm I. in aller Form und erfolgreich an seinen Sohn, seine Loyalität ihm und der von ihm eingesetzten Regierung gegenüber unbedingt und uneingeschränkt zu wahren. Auf staatsrechtlichem Gebiet hingegen war der Kronprinz konservativ: Dem Kronprinzen widerstrebten, im Gegensatz zur auch in diesem Punkt konsequent liberalen Kronprinzessin, instinktiv, jedoch selten deutlich artikuliert linksliberale Parteien, die wie die DFP Stauffenbergs die Befugnisse des Reichstags auf Kosten derer des Kaisers ausweiten wollten.
Deutsche Freisinnige Partei
Die neue, aus der Fusion zwischen der Liberalen Vereinigung und der Deutschen Fortschrittspartei entstandene Deutsche Freisinnige Partei stellte bei ihrer Gründung im März 1884 mit 100 Mandaten nach der Zentrumspartei die zweitgrößte Fraktion im Reichstag, büßte aber schon bei den Reichstagswahlen im Oktober des gleichen Jahres ein Drittel ihrer Stimmen ein und konnte insgesamt nur 65 Reichstagsmandate halten. Die deutschen Wähler wollten nur 13 Jahre nach der Reichsgründung und in Jahren eines großen wirtschaftlichen Aufschwungs keine innenpolitische Unruhe und noch keine starke bismarckfeindliche Partei. Stauffenberg und Richter standen in erbitterter Opposition zur Politik Bismarcks. Sie bekämpften seine Schutzzollpolitik ebenso wie die seiner Sozialgesetzgebung oder den Kulturkampf. Der große liberale Durchbruch wurde für die Zeit nach dem Tod des greisen Kaisers Wilhelms I. erwartet, der die konservative Regierung Bismarck ernannt hatte. Stauffenberg glaubte fest daran, dass ein Mitglied seiner Partei von Friedrich III. mit der Bildung der Reichsregierung betraut werde. Am 11. Januar 1887 beantragte Stauffenberg im Reichstag die von der Regierung Bismarck gewünschte Heeresstärke für drei, aber nicht für die gewünschten sieben Jahre ( Septennat ) zu bewilligen. Der Antrag Stauffenbergs wurde am 14. Januar 1887 mit 186:154 Stimmen angenommen. Bismarck löste darauf den Reichstag auf und ließ Neuwahlen ausschreiben. Bei den Reichstagswahlen von 1887 nach einem Attentat auf den beim Volk beliebten Kaiser Wilhelm I. verringerten sich die Mandate der oppositionellen DFP nochmals um die Hälfte auf 32. Die Bismarck unterstützende konservative Koalition wurde entscheidend gestärkt. Bismarcks Spiel war aufgegangen.
Die 99 Tage
Als Wilhelm I. am 9. März 1888 mit 91 Jahren starb, war sein Thronfolger bereits schwer an Krebs erkrankt. Bismarck warnte Kaiser Friedrich III.: Er könne zwar einen liberalen Kanzler mit der Regierungsbildung betrauen, wenn er das wünsche. Dafür komme aber nur ein Kandidat aus der (konservativen und nur dem Namen nach liberalen) Nationalliberalen Partei infrage. Eine beispielsweise von einem Mitglied der liberalen Deutschen Freisinnigen Partei geführte Regierung werde unweigerlich in einem republikanischen Abenteuer enden. Der sterbenskranke Kaiser Friedrich III. betraute darauf Bismarck mit der Regierungsbildung. Lediglich der preußische Innenminister Robert Viktor von Puttkamer, der Schwager Bismarcks, wurde ausgetauscht. Nicht zuletzt wegen der Schwäche der Fraktion seiner liberalen Freunde im Reichstag hielt sich der zum Sprechen nicht mehr fähige Kaiser dem Kanzler Bismarck gegenüber politisch aufs Äußerste zurück. Selbst das harmlose Anliegen des Kaisers seinen liberalen Freunden von der Freisinnigen Partei, dem späteren Nobelpreisträger Theodor Mommsen, dem Politiker Franz August von Stauffenberg und dem Arzt Rudolf Virchow einen Orden zu verleihen, beantwortete Bismarck mit einer Rücktrittsdrohung. Nach nur 99 Tagen Regentschaft verstarb Kaiser Friedrich III. am 15. Juni 1888 ohne wesentlichen politischen Einfluss auf die Regierung genommen zu haben. Sein Sohn, Kaiser Wilhelm II. war zwar wie sein Vater kein Freund Bismarcks, den er 1890 entließ, aber anders als dieser nicht im geringsten liberal oder fortschrittlich gesinnt. Mit dem Tod Friedrich III. waren alle Hoffnungen Stauffenbergs und der Freisinnigen auf eine Regierungsbildung geschwunden.
„Kaiser-Friedrich-Legende“
Mit der politisch isolierten Kaiserin Friedrich hielt Stauffenberg nach dem Tode Friedrichs III. weiterhin Kontakt. Er gilt als einer der Architekten der von den Liberalen und Kaiserin Friedrich geförderten von Historikern so genannten „Kaiser-Friedrich-Legende“. Danach hätte Kaiser Friedrich III., wäre ihm eine längere Regentschaft vergönnt gewesen eine bessere, nicht von der Obrigkeit, sondern vom Volk ausgehende Zukunft für Deutschland geschaffen. Diese Hypothese wird heute aus Gründen der politisch ambivalenten Persönlichkeit des Monarchen, von vielen Historikern angezweifelt. Wenn es auch müßig ist, über einen hypothetischen Geschichtsverlauf zu spekulieren, so kann man sich dennoch ohne große Mühe vorstellen, dass eine freiheitliche, die damals existierenden und vielleicht moderat weiterentwickelten Verfassungsgrundsätze respektierende, um 1888 von Kaiser Friedrich III. für eine ausreichende Anzahl von Jahren eingesetzte Regierung möglicherweise Deutschland und der Welt den Ersten und damit den Zweiten Weltkrieg erspart hätte.
Rückzug ins Privatleben und Ende der DFP
Bei den Reichstagswahlen vom Februar 1890, dem Jahre der Entlassung Bismarcks, konnte Stauffenbergs DFP ihre Mandate wieder auf über 60 verdoppeln. Dennoch schied Stauffenberg wegen seiner Diabetes-Erkrankung 1892 aus dem Reichstag aus und zog sich nach Rißtissen und München zurück. 1893 zerfiel die DFP an ihren programmatischen inneren Widersprüchen in die rechtsliberale Freisinnige Vereinigung und die linksliberale Freisinnige Volkspartei. Stauffenberg trat der Freisinnigen Vereinigung bei, lehnte aber eine Kandidatur für die Reichstagswahlen von 1893 ab. Stauffenberg gehörte bis 1898 dem bayerischen Landtag an. 1910, neun Jahre nach Stauffenbergs Tod, fanden beide Flügel der untergegangenen Deutschen Freisinnigen Partei unter dem Druck des Wählerschwundes bei den liberalen Parteien wieder zusammen. 1910 fusionierten die Freisinnige Vereinigung und die Freisinnige Volkspartei mit der Deutschen Volkspartei zur Fortschrittlichen Volkspartei.
1903, zwei Jahre nach Stauffenbergs Tod, trat der junge Theodor Heuss Stauffenbergs Partei, der Freisinnigen Vereinigung, bei. Heuss war es vergönnt, nach dem Scheitern der Weimarer Republik und nach dem Zusammenbruch des so genannten Dritten Reiches 1948 als Mitglied des Parlamentarischen Rates die meisten der liberalen Ideale, für die Franz August Stauffenberg und viele seiner liberalen Zeitgenossen gekämpft hatten, in das Grundgesetz einzubringen. Das Grundgesetz hat sich seither als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zur historisch langlebigsten und politisch erfolgreichsten deutschen Konstitution entwickelt. Vier Jahre vor den Beratungen zum Grundgesetz auf Herrenchiemsee, am 20. Juli 1944 waren die Urenkel des Grafen Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg, die Brüder Claus und Berthold, als Widerstandskämpfer gegen das verbrecherische Hitler-Regime in die Geschichte eingegangen. Graf Franz Ludwig war derjenige Onkel Franz Augusts, der 1867 seinen im Landtag erfolgreichen Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe als Präsident der ersten bayerischen Kammer zu Fall gebracht hatte. Wenn sich die Umstände, Motive, Risiken und die Folgen des Attentates der Brüder Stauffenberg in nichts mit dem zwei Generationen vorher stattfindenden Kampf Franz Augusts für seine liberalen politischen Ideale gegen den konservativen Bismarck vergleichen lassen, so ähneln sich doch alle drei Stauffenbergs in der auch unter hohem äußerem Druck gezeigten unpathetischen aber konsequenten Unerschütterlichkeit beim Durchsetzen ihrer moralisch-politischen Grundsätze. Vielleicht benutzte Claus nicht nur zufällig das von ihm naturrechtlich verstandene, den Tyrannenmord rechtfertigende Argument der Notwehr oder Nothilfe für sein Vorhaben, das schon Franz August in einem vollkommen anderen Zusammenhang (der Todesstrafe) als einzige Rechtfertigung für eine vorsätzliche vom Staat befohlene oder geduldete Tötungshandlung gelten lassen wollte.
Literatur
- Gerd Wunder: Die Schenken von Stauffenberg. Eine Familiengeschichte. Müller und Gräff, Stuttgart 1972, (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 11, ZDB-ID 500514-0).
- Hannah Pakula: Victoria. Marion von Schroeder-Verlag, München 1999, ISBN 3-547-77360-1
- Otto von Bismarck: Gedanken und Erinnerungen
Weblinks
- Franz August Schenk von Stauffenberg in der Parlamentsdatenbank beim Haus der Bayerischen Geschichte
- Franz August Schenk von Stauffenberg in der Datenbank der Reichstagsabgeordneten
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