Deutscher Protestantenverein

Deutscher Protestantenverein

Der deutsche Protestantenverein war ein Verein deutscher Protestanten, welcher nach § 1 seiner Statuten auf dem Grunde des evangelischen Christentums eine Erneuerung der protestantischen Kirche im Geist evangelischer Freiheit und im Einklang mit der ganzen Kulturentwickelung seiner Zeit anstrebte.

Zuerst hat die (vierte) unter Zittels von Heidelberg Vorsitz tagende Durlacher Konferenz im August 1863 den Gedanken regelmäßig wiederkehrender Versammlungen solcher deutschen Protestanten angeregt, welche die Überzeugung hegen, daß die seit längeren Jahren betretene Bahn der kirchlichen Restauration unser deutsches Volk dem Christentum immer mehr entfremdet. Auf Grund einiger von dem Heidelberger Professor Schenkel entworfenen Thesen vereinigte man sich zur Gründung und Einberufung eines deutschen Protestantentags und bezeichnete als dessen Hauptzweck die Anbahnung einer deutschen gesamtkirchlichen Nationalvertretung.

Auf der am 30. September 1863 zu Frankfurt am Main abgehaltenen, von 131 Notabeln aus sämtlichen größern deutschen evangelischen Landeskirchen besuchten Vorversammlung wurde auf den Vorschlag des Berliner Unionsvereins der Protestantentag in einen Protestantenverein umgewandelt, der die theologische Arbeit zur Befreiung und Läuterung der Lehre von dem noch herrschenden Dogmatismus der protestantischen Wissenschaft zu überlassen, dagegen den Anbau des kirchlichen Verfassungs- und Gemeindelebens und die Förderung der praktisch-kirchlichen Thätigkeit als Hauptgebiet seiner Thätigkeit zu betrachten habe.

Die endgültige Begründung des Vereins erfolgte sodann auf seiner ersten eigentlichen Versammlung zu Eisenach, 7. und 8. Juni 1865, an der sich 300 Theologen und 200 Laien beteiligten. Professor Bluntschli von Heidelberg leitete diese und die nächst sich anschließenden Verhandlungen. Nach den hier einstimmig angenommenen Satzungen will der Protestantenverein insbesondere dahin wirken, daß die Gemeinde der Hierarchie gegenüber zu ihrem Recht und dadurch auch zu wirklichem eignen Leben komme; er will alles, was die sittliche Kraft und Wohlfahrt des Volkes bedingt, zu fördern suchen und für diese Zwecke tüchtige Kräfte aus dem ganzen deutschen protestantischen Volk sammeln und vereinen.

Die Mitglieder treten da, wo sich eine hinlängliche Zahl derselben in einem Ort oder einem Bezirk findet, in Orts- oder Bezirks- oder Landesvereine zusammen und versammeln sich zeitweise zur Besprechung über wichtige Fragen. Diese besondern Vereine stehen mit dem Gesamtverein in Verbindung und haben ihre besondere Vertretung auf dem Protestantentag.

Die Leitung der Geschäfte liegt in der Hand eines Ausschusses, vor allem des Büreaus (seit 1874 in Berlin). Alljährlich soll womöglich eine Versammlung des Gesamtvereins gehalten werden. Der zweite dieser Protestantentage fand 1867 zu Neustadt a. Hardt, der dritte 1868 zu Bremen, der vierte 1869 in Berlin statt.

Schon seit 1866 und noch mehr seit 1870 war der Protestantenverein wesentlich zugleich im nationalen Sinn tätig und hat auf seinen Versammlungen fast alle die Maßregeln, welche in Preußen zum "Kulturkampf" und zur Neukonstituierung der evangelischen Kirche führten, zum voraus gefordert und befürwortet. So auf dem fünften Protestantentag zu Darmstadt 1871, dem sechsten in Osnabrück 1872, dem siebenten zu Leipzig 1873, dem achten in Wiesbaden 1874, dem neunten zu Breslau 1875 und dem zehnten in Heidelberg 1876.

Schon damals, noch mehr aber seither litt der Protestantenverein unter entschiedener Ungunst fast sämtlicher Kirchenbehörden Deutschlands. In vielen deutschen Landeskirchen können geistliche Mitglieder des Protestantenvereins nicht zur Anstellung, in Preußen wenigstens tatsächlich nicht zur Beförderung gelangen.

Im Sommer 1877 war es im Zusammenhang mit der kirchenpolitischen Katastrophe, welche bald darauf zum Rücktritt erst des Oberkirchenratspräsidenten Herrmann, dann des Kultusministers Falk führte, möglich, den Protestantenverein gleichsam in Acht und Bann zu thun. Seinen Anhängern wurden, wo sie von Gemeinden gewählt wurden, vom Gesetz nicht immer vorgesehene Kolloquia abverlangt und auf Grund derselben Bestätigung verweigert.

Unter dem Druck so ungünstiger Verhältnisse fanden statt der elfte Protestantentag in Hildesheim 1878, der zwölfte 1880 zu Gotha, der dreizehnte 1881 in Berlin, der vierzehnte 1883 in Neustadt a. Hardt, der fünfzehnte 1885 in Hamburg und der sechzehnte in Wiesbaden 1886.

Organe des Protestantenvereins waren u.a. die zu Berlin (anfangs Elberfeld) erscheinenden "Protestantischen Flugblätter" und das "Jahrbuch des deutschen Protestantenvereins" (Elberfeld, 1869-72). Dem Verein nahe standen die liberale Berliner "Protestantische Kirchenzeitung" sowie das zu Bremen erscheinende "Deutsche Protestantenblatt".

Meyers Konversationslexikons logo.svg Dieser Artikel basiert auf einem gemeinfreien Text aus Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage von 1888–1890. Bitte entferne diesen Hinweis nur, wenn du den Artikel so weit überarbeitet oder neu geschrieben hast, dass der Text den aktuellen Wissensstand zu diesem Thema widerspiegelt und dies mit Quellen belegt ist, wenn der Artikel heutigen sprachlichen Anforderungen genügt und wenn er keine Wertungen enthält, die den Wikipedia-Grundsatz des neutralen Standpunkts verletzen.

Der dortige Artikel wurde nur leicht überarbeitet übertragen.

Literatur

  • Lepp, Claudia: Protestantisch-liberaler Aufbruch in die Moderne : der deutsche Protestantenverein in der Zeit der Reichsgründung und des Kulturkampfes Gütersloh : Kaiser [u.a.], 1996. ISBN 3-579-02602-X
  • Hübinger, Gangolf: Kulturprotestantismus und Politik. Zum Verhältnis von Liberalismus und Protestantismus im wilhelminischen Deutschland. Tübingen : Mohr, 1994. ISBN 3-16-146139-8

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